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Werner Michael Schwarz, 6.9.2023

Weltausstellung 1873 – Wien als Bühne

Die feinen Unterschiede

Erstmals wurden in Paris 1867 Kunst und Kultur neben Industrie und Gewerbe ins Rampenlicht einer Weltausstellung gerückt. In Wien wurde dieses breite Verständnis von „moderner Zivilisation“ noch einmal deutlich akzentuiert. Von den 26 Abteilungen der Weltausstellung waren allein vier ausschließlich Kunst und Kunstgewerbe gewidmet.

Kunstindustrie

Auf der Weltausstellung kam es zu einem starken Auftritt der Wiener Kunstindustrie, die sich unter dem Einfluss der englischen Kunstgewerbereform um eine Verbindung von traditionellem Handwerk und Industrie bemühte (sowohl hinsichtlich der Qualität wie zur Wahrung nationaler Traditionen). Unternehmungen engagierten namhafte Künstler und Architekten für Entwürfe gehobener Alltagsgegenstände. Unterstützt wurde diese Reform mit der Gründung der Kunstgewerbeschule (1868, heute Universität für angewandte Kunst) und des k.k. Museums für Kunst und Industrie (heute Museum für angewandte Kunst 1864, seit 1871 am Stubenring). Wichtige Voraussetzung waren auch die in Wien traditionell starken Luxusgütergewerbe, die historisch Hof und Aristokratie beliefert hatten.

Das gehobene Bürgertum, das in den Jahren vor der Weltausstellung auf den Finanz- und Industriemärkten zu teils riesigen Vermögen gekommen war, folgte diesen Spuren und zelebrierte seinen Wohlstand in einer auf Distinktion zugespitzten, äußerst verfeinerten Alltags- und Wohnkultur. Insbesondere letztere spielte auf der Weltausstellung eine zentrale Rolle (in der Abteilung „Das bürgerliche Wohnhaus und seine Einrichtung“) ganz im Sinn von Walter Benjamins Diagnose, wonach das 19. Jahrhundert „wohnsüchtig“ gewesen wäre. Dieser Beobachtung nach fungierte die Wohnung als „Futteral“ des bürgerlichen Menschen, wie insgesamt die Liebe und Hingabe zum kunstvollen Design von Behältnissen aller Art auf der Weltausstellung gut beobachtet werden konnte (u.a. für Fächer, Zigaretten, Handschuhe, Nähzeug). Namhafte Unternehmungen, wie die Firmen Lobmeyr als wichtiger Proponent der Wiener Kunstreform, Hämmerle oder Thonet zeigten Glaswaren, Geschirr, Lampen, Spiegel, Spucknäpfe, Schreibzeug, Schmuckkästchen, Meerschaumpfeifen, Zimmerbrunnen, Fruchtschalen, Visitenkartenbehälter, Aquarien, Uhren, Wohntextilien oder Möbel. 

Kunst  

Dem Anspruch der Wiener Weltausstellung auf die Vermittlung der wichtigsten Strömungen in der internationalen Kunst kam die Errichtung einer eigenen Kunsthalle nach, die auch mit ihrer Architektur Museumsbauten inspirieren sollte, insbesondere mit ihrem Beleuchtungskonzept mittels Dach- und Seitenfenstern. Auf 7.400m² Fläche wurden dicht an dicht die Kunstwerke der Teilnehmerländer präsentiert, wobei mit 1527 Werken etwa ein Viertel der Gesamtzahl aus Frankreich kam, gefolgt von Österreich mit 811 oder Italien mit 625. Aus den USA waren 16, aus China zwei oder aus Brasilien nur eines zu sehen.

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Dennoch dürfte die im Vergleich gigantische Kunstschau viele Zeitgenoss:innen eher enttäuscht haben, sicher aber verwirrt und überfordert, nachdem die Werke nicht beschriftet waren und der Katalog erst verspätet erschien. Hervorstechend waren nach dem Urteil von KunsthistorikerInnen die Historienmalerei, die Orientmalerei, die ganz im Trend der Zeit lag, sowie die sogenannte Freiluftmalerei. Die Avantgarde wie die Impressionisten fehlten hingegen in Wien. Der Wiener „Malerfürst“ dieser Jahre, Hans Markart, erhielt parallel eine Personale im gerade neu errichteten Künstlerhaus, wo er u.a. das 40m² große, monumentale Historiengemälde „Venedig huldigt der Caterina Cornaro“ zeigte. Wegen seiner Teilnahme an der Pariser Commune wurde der provokante französische Realist Gustav Courbet nicht zur Weltausstellung eingeladen, kam aber dennoch mit einigen Kunstwerken nach Wien und präsentierte sie im Kunstverein auf den Tuchlauben.

Musik 

Musik spielte auf dem Gelände der Weltausstellung in den zahlreichen Restaurants, Gaststätten, Konditoreien oder bei Festen eine bedeutende Rolle. Musik gab es aber auch direkt in den Ausstellungsräumen selbst. So erfreute sich das Schweizer Pavillon besonders großer Beliebtheit, wo der Virtuose Rudolph Willmers als „Ausstellungs-Pianist“ spielte. Eine eigene Abteilung war auf der Weltausstellung „musikalischen Instrumenten“ gewidmet. Generell war das Musikleben in den Jahren der Weltausstellung außergewöhnlich reich und zudem ein wichtiger Ort kultureller und politischer Auseinandersetzungen, etwa zwischen Anhängern von Brahms und Wagner.

Die Wiener Klassik wurde von der bürgerlichen Ringsstraßengesellschaft als Teil ihrer kulturellen und sozialen Identität kanonisiert. Ihr wichtigster Ort war der Musikverein. Die neue Oper wurde hingegen von Hof und Aristokratie behauptet. Wiener Walzer war in den Vergnügungslokalen und Ballsälen der Stadt omnipräsent. Dazu zählten auch die drei großen Kaffeehäuser an der Prater Hauptallee, die für die Weltausstellung erweitert wurden und jeweils für mehrere tausend Gäste ausgelegt waren. Ein wichtiges Operettentheater lag unweit davon in der Praterstraße, das Carltheater, wo Werke von Offenbach oder Strauß aufgeführt wurden.

In einfacheren Lokalen traten Volkssänger auf, die ihr Publikum mit oft frechen, zumeist tagesaktuellen Liedern und Performances unterhielten, etwa in Neulerchenfeld außerhalb der Linie (heute Gürtel), wo es neben dem Prater ein dichtes und eher rauhes Vergnügungsviertel gab, das für ZuwanderInnen aber auch wichtige soziale Funktionen erfüllte, da in den Gasthäusern auch Wohnungen und Arbeitsstellen vermittelt wurden.

Architektur

Architektur hatte auf der Weltausstellung viele Gesichter. Das betraf die Ausstellungsgebäude im engeren Sinn, den fast einen Kilometer langen Industriepalast mit der Rotunde als damals größtem Kuppelbau der Welt. Anders als in London 1851, wo mit dem Kristallpalast industrielles Design und Eisen als moderner Baustoff eindrucksvoll vermittelt wurden, beharrte man in Wien auf die skulpturale Verkleidung der funktionalen Konstruktionen (die Säulen wurden mit Holz und Gips als Steinimitate ummantelt). Für die meisten zeitgenössischen Beobachter war dennoch die Rotunde in erster Linie eine technische Leistung. Über ihr Aussehen wurde hingegen vielfach gewitzelt (Gugelhupf, Trichter, Schildkrötenpanzer etc.).

Die Weltausstellung in Wien nahm auch moderne „Themenarchitektur“ vorweg, wie sie später vor allem in Themen- und Freizeitparks üblich wurde (u.a. bei „Venedig in Wien“ 1895), bei der die Inhalte mehr oder minder deutlich bereits vom Design angesprochen wurden. So nahm das Pavillon der Schifffahrtsgesellschaft Österreichisch-Ungarischer Lloyd Anleihen an ein Segelschiff. Eine Besonderheit waren auch die zahlreichen begehbaren 1:1 Nachbauten. Gezeigt wurden Schulen, Arbeiter- und Bauernhäuser, ein japanisches Gartenhaus oder der „Achmedbrunnen“ aus Istanbul. Die ägyptische Baugruppe mit Moschee und Basar entsprang hingegen der Phantasie der gängigen Orientvorstellungen. Nicht zuletzt wurden auf der Weltausstellung in den unterschiedlichen Abteilungen Modelle gezeigt, u.a. der noch nicht ausgeführten öffentlichen Bauten an der Ringstraße (Rathaus, Universität oder Kunsthistorisches Museum).

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Museale Sammlungen

Während und nach der Weltausstellung gelangten zahlreiche Objekte in die musealen Sammlungen der Stadt. Bedeutende Ankäufe machte während der Laufzeit das k.k. Museum für Kunst und Industrie (heute MAK), u.a. 60 Blatt der vielbewunderten indopersischen Mogulhandschrift Hamzanama. Die wichtigste Institution in dieser Hinsicht war das 1874 gegründete Orientalische Museum (später Österreichisches Handelsmuseum, zunächst in der Börsegasse, später im Palais Festetics), das von einem privaten Komitee initiiert und auf die starke Präsenz insbesondere Ostasiens auf der Weltausstellung reagierte. Teile der Sammlungen, die allerdings auch in den Jahren nach 1874 ständig erweitert wurden (u.a. um die berühmte Ostasien-Sammlung Heinrich von Siebolds) gelangten später und oft auf Umwegen in das heutige Museum für angewandte Kunst, das Weltmuseum oder in die Warenkundesammlung des Technischen Museums.

Literatur:

Walter Benjamin: Das Passagen-Werk (1927-1940). Frankfurt/Main, 1982, S. 292.

Ralph Gleis: Impulse zum Aufbruch. Die Internationalisierung der Wiener Kunstszene um 1870, in: Wolfgang Kos, Ralph Gleis (Hg.): Experiment Metropole. 1873: Wien und die Weltausstellung, Wien 2013, S. 230-239.

Susanne Gruber: Die Warenkundesammlung am Technischen Museum Wien und deren Wurzeln von der Wiener Weltausstellung 1873, in: Schriften Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse 151-152 (2013), S. 89-104.

Andreas Nierhaus: Zeichnungen, Modell, Musterbauten. Architektur als Medium auf der Weltausstellung, in: Wolfgang Kos, Ralph Gleis (Hg.): Experiment Metropole. 1873: Wien und die Weltausstellung, Wien 2013, S.142-149.

Eva-Maria Orosz: Kunstindustrie für den Luxusmarkt. Wiener Kunstgewerbe um 1873, in: Wolfgang Kos, Ralph Gleis (Hg.): Experiment Metropole. 1873: Wien und die Weltausstellung, Wien 2013, S. 174-181.

Werner Michael Schwarz: „Trinkerland“ Neulerchenfeld. Das Wiener Vorstadtwirtshaus zwischen Dorfkultur und Moderne, in: Wolfgang Kos, Ulrike Spring (Hg.): Das Wiener Wirtshaus. Eine Geschichte der Geselligkeit (Ausstellungskatalog Wien Museum), Wien 2007, S. 88-93.

Manfred Wagner: Kampf um die Hegemonie in der Musik. Wagner, Brahms, Bruckner, Hanslick, in: Wolfgang Kos, Ralph Gleis (Hg.): Experiment Metropole. 1873: Wien und die Weltausstellung, Wien 2013, S.240-247.

Werner Michael Schwarz, Historiker, Kurator am Wien Museum, Schwerpunkt Stadt-, Medien- und Filmgeschichte, u.a. „Das Rote Wien“ (2019) und Pratermuseum (2024).

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