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Weltausstellung 1873 – Wien als Stadt der internationalen Begegnung
Metropole im Rampenlicht
Bereits in der Zeit von 1800 bis 1850 verzeichnete Wien ein starkes Bevölkerungswachstum von 250.000 auf über 500.000 (bezogen auf das heutige Stadtgebiet). Dieses Wachstum beschleunigte sich nach 1850 noch einmal rasant und 1870 war Wien mit 900.000 Einwohner*innen nach London, Paris und New York die viertgrößte Stadt der Welt. Peking, Berlin oder Istanbul folgten knapp dahinter.
Für das starke Wachstum war überwiegend die Zuwanderung verantwortlich. Die Geburtenbilanz war zwar ebenfalls positiv, aber die Sterblichkeit blieb infolge der prekären sozialen und sanitären Bedingungen eines Großteils der Bevölkerung außergewöhnlich hoch. Die meisten Zuwander*innen kamen aus den überwiegend noch agrarisch dominierten Teilen der Monarchie, besonders aus den Alpenländern, aus Böhmen, Mähren, Schlesien oder Ungarn. Zu den Pushfaktoren zählten die einschneidenden Veränderungen in der ländlichen Agrarverfassung nach dem Ende der Grunduntertänigkeit 1848 („Bauernbefreiung“), zu den wichtigsten Pullfaktoren die Industrialisierung, der private und öffentliche Bauboom seit den späten 1850er-Jahren (Ringstraße, Bahnhöfe, Donauregulierung oder Hochquellwasserleitung), die Liberalisierung des Gewerberechts („Gewerbefreiheit“ 1859) oder das Ende von Restriktionen bei der Niederlassungsfreiheit, die vor allem Juden und Jüdinnen stark diskriminiert hatten.
Der Ausbau des Eisenbahnnetzes veränderte die Zeit-Raumverhältnisse in dramatischer Weise. So war Lemberg (Lviv) in der heutigen Westukraine (ehemals Galizien) ab 1861 nur noch eine Tagesreise von Wien entfernt. Die Großstädte waren Brennpunkte ökonomischer, kultureller, politischer, sozialer oder technischer Modernität. Gerade in dieser von Liberalisierung und erster Demokratisierung geprägten Phase waren sie Orte eines spektakulären und aufregenden (alltäglichen) Wandels, der die Fantasien beflügelte und viele Glückssuchende in Bewegung setzte. Wien war schon als Hauptstadt eines multiethnischen, multilingualen und multireligiösen Staates ein wichtiger Begegnungsort. Das betraf nicht nur die „normalen“ Zuwander:innen oder Gäste, sondern etwa auch die Abgeordneten, die seit der Verfassung von 1861 aus allen Teilen der Monarchie regelmäßig im Parlament zusammenkamen.
Die Industrialisierung und die großen Infrastrukturprojekte erforderten erhebliches technisches Know How, das mit Unternehmen und Experten zunehmend aus den industrialisierten Staaten nach Wien geholt wurde, insbesondere aus England und Deutschland. Auch am Bau der Weltausstellung waren ausländische Firmen mit ihren Arbeitern maßgeblich beteiligt. Der offizielle Katalog der Weltausstellung listet drei US-amerikanische Firmen, die u.a. Dampfmaschinen lieferten, aber 64 aus England, die Dampfkessel, Dampfkräne, Hydranten, Uhren oder Rasensamen nach Wien brachten. Aus Deutschland wurden zehn Unternehmen für den Bau angeworben, u.a. die Firma Harkort aus dem Ruhrgebiet, die mit 400 Arbeitern das spektakuläre Eisengerüst der Rotunde fertigte. Die Firma Haag aus Augsburg lieferte den hydraulischen Teleskop-Aufzug.
Dazu kamen während der Vorbereitung die Ländervertreter (aus in Summe 35 souveränen Staaten) und die mehr als 53.000 Aussteller (davon ca. 9.000 aus Österreich). Zu den prominenten Besucher*innen der Weltausstellung zählten 33 regierende Fürsten, unter ihnen der russische Zar, der deutsche Kaiser, der italienische König oder als besondere Attraktion der Schah von Persien, die die Weltausstellung auch als diplomatische Bühne nutzten. Als besonders bemerkenswert wurde der Besuch eines „Kurdenhäuptlings“ vom Vansee aus Ostanatolien gemeldet. Von Kaiser Franz Joseph I. sind 48 Ausstellungsbesuche dokumentiert.
Bedeutend war der Kongresstourismus, der auch den Bildungsanspruch der Weltausstellung unterstrich. Neben Branchentreffen (Flachsindustrie, Brauereiwesen oder Obst- und Weinbau) waren das der III. medizinische Kongress unter Leitung von Carl von Rokitansky, der internationale Patentkongress (der als Meilenstein des internationalen Patentschutzes gilt), der erste internationale kunstwissenschaftliche Kongress unter der Leitung Rudolf Eitelbergers oder die Tagung der deutschen Volkswirte. Länder wie die Schweiz oder Frankreich subventionierten Reisen von Arbeitern zur Weltausstellung, Lehrer konnten während des Sommers kostenlos in den Räumlichkeiten des Rudolfinums wohnen.
Spektakulär war der Auftritt Japans, das nach der „Meiji-Restauration“ 1868 (Erneuerung der Macht des Kaisers) in Wien seine selektive Öffnung für den internationalen Handel, europäisches Recht und westliche Lebensformen unterstrich (Japan war in den Weltausstellungen davor vergleichsweise unauffällig vertreten). 80 Japaner begleiteten ca. 6000 Objekte, u.a. Repliken bedeutender Kunstwerke und Beispiele traditioneller Handwerkskunst (Porzellan, Lackarbeiten, Bronzen etc.). Die Papierfächer waren als Souvenirs bei den Besucher:innen besonders begehrt. Dass es für Japan vergleichsweise wenig vorgefertigte Bilder in Europa gab, kam dem Land auf dem Weg zur dauerhaften Unabhängigkeit und Gleichberechtigung vermutlich zu Gute.
Das verhielt sich anders im Fall der Länder aus dem islamischen nahen Osten, wie Ägypten (noch formal Teil des Osmanischen Reiches) oder Persien, die sich in Wien u.a. mit architektonisch aufwändigen Pavillons präsentierten. Beide Staaten strebten ökonomische und politische Reformen nach europäischen Vorbildern an, wurden aber in Wien vor allem im Rahmen der traditionellen und ambivalenten Orientvorstellungen rezipiert, die Sinnlichkeit, Geheimnisvolles, aber auch Ausschweifungen beinhalteten. Der Orientteppich wurde zum wichtigen Modeartikel. Die qualitativ und quantitativ weniger auffälligen Präsentationen von Tunis, Marokko, China, Siam (Thailand) oder den südamerikanischen Ländern unterstrichen den universalistischen Anspruch der Ausstellung.
Die Monarchie positionierte sich auf der Weltausstellung nicht zuletzt durch ihre Eigenschaft als Vielvölkerstaat als eine Vermittlerin zwischen den Welten, was im Industriepalast durch die „neutrale“, geografische Anordnung der Länder mit Österreich als Zentrum oder Drehscheibe (Rotunde) unterstrichen wurde. Am westlichen Ende lagen die USA, am östlichen China, Siam und Japan. Dass auch das gerade gegründete Deutsche Reich gemeinsam mit Österreich die Mitte einnehmen durfte und insgesamt besonders stark bei der Weltausstellung auftrat, stand auch im Zusammenhang mit der deutschnationalen Perspektive des liberalen österreichischen Bürgertums.
Weite Teile der Welt waren auf der Weltausstellung allerdings nur als kolonisierte Länder, als „Anhängsel“ europäischer Mächte präsent. Dazu zählten die englischen Kolonien insbesondere Indien. Der Kolonialismus, wie er 1873 auf der Weltausstellung vermittelt wurde, war dem universalistischen liberalen Modell von Zivilisation verpflichtet. Die Welt wurde anhand eines Stufenplans erklärt, das den zivilisierten, an der Spitze stehenden Ländern eine Verpflichtung auferlegte durch Handel, Technik und Wissenschaft das Niveau der weniger entwickelten Länder anzuheben. Der Kolonialismus wurde so als eine zivilisierende Mission gerechtfertigt und die ökonomischen und machtpolitischen Interessen an Absatzmärkten, günstigen Rohstoffen und Arbeitskräften verschleiert. Seine eigentliche Brutalität und Rücksichtlosigkeit zeigte sich einer breiteren Öffentlichkeit erst ab den 1880er-Jahren, insbesondere im Kontext des imperialistischen „Wettlaufs um Afrika“. Der Blick auf die Kolonisierten wandelte sich in dieser Phase, zeigte verstärkt das grässliche Gesicht des modernen Rassismus, aber auch Perspektiven zwischen Idealisierung und Solidarität. Mehrere noch als souveräne Staaten ausstellende Länder sollten nur wenige Jahre nach ihrem Auftreten in Wien selbst dem Kolonialismus zum Opfer fallen. Ägypten wurde bald von England, Tunesien und Marokko wurden von Frankreich kontrolliert.
Auf der Weltausstellung ließ sich erstmals in großem Maßstab ein Phänomen beobachten, das später als für die Vergnügungs- und Kulturindustrie typisch angesehen wurde. Die freie Aneignung und Kombination unterschiedlicher kultureller Artefakte und Traditionen. Das zeigte sich etwa am Restaurant „Wigwam“, das einem indianischen Tipi nachempfunden war, wo dunkelhäutige Kellner, die in der Presse als „Nubier“, „Mohren“ oder „Wilde“ bezeichnet wurden, Cocktails servierten und gleichzeitig mit populären Amerika- und Afrikafantasien gespielt wurde.
Bodo Baumunk: Japan auf den Weltausstellungen 1862-1933, in: Japan und Europa 1543-1929, Berlin 1993, S. 44-49.
Ralph Gleis, Wolfgang Kos (Hg.): Experiment Metropole – 1873: Wien und die Weltausstellung (Katalog der gleichnamigen Ausstellung des Wien Museum), Wien 2014.
Jutta Pemsel: Die Wiener Weltausstellung von 1873. Das gründerzeitliche Wien am Wendepunkt, Wien, Köln 1988.
Maren Seliger, Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte, 2 Bde, Wien 1985.
Andreas Weigl: Auf dem Weg zur Millionenmetropole. Eine Stadt platzt aus allen Nähten, in: Wolfgang Kos, Ralph Gleis (Hg.): Experiment Metropole. 1873: Wien und die Weltausstellung, Wien 2013, S. 52-63.
Welt-Ausstellung 1873 in Wien. Officieller General-Catalog, Wien 1873
Wiener Weltausstellungs-Zeitung. Central-Organ für die im Jahre 1873 stattfindende Weltausstellung in Wien, sowie für alle Interessen des Handels und der Industrie, Wien 1871-1875.
Startseite - Wiener Weltausstellung (wiener-weltausstellung.at), 31.3.2023
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