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Tabea Rude, 7.10.2022

Wie vegan sind unsere Uhren?

Kann Spuren von Walblubber enthalten

Darmsaiten, Knochen, tierische Fette: In unseren Zeitmessern sind unterschiedlichste Materialien tierischer Herkunft verarbeitet. Die genaue Kenntnis darüber ist nicht nur für die Restaurierung und Konservierung der Objekte, sondern auch für den Leihverkehr von Bedeutung.

Im Rahmen von Neuankäufen, Inventarisierungsprojekten oder einfach nur genaueren Dokumentationen von Objekten in unseren Depots versuchen wir auch die materialtechnischen Qualitäten möglichst genau zu erfassen. Hier unterscheiden wir zwischen „Material“ und „Technik“, um die Fragen „Woraus ist das Objekt gemacht?“ und „Wie wurde das Objekt gemacht?“ zu beantworten. Besonders bei Uhren, anderen 3-D Objekten und textilen Objekten könnten da mitunter lange Listen entstehen. Eine „gewöhnliche“ Kommodenstanduhr besteht zum Beispiel aus einem aus Messing und Stahl gefertigten Uhrwerk, das in einem Holzgehäuse sitzt. Es ist verziert mit gegossenen Metallbeschlägen, einem gravierten Zifferblatt mit versilbertem Ziffernring und durchbrochenen Klangfenstern, die mit Textil verkleidet sind alles hinter einer verglasten Tür. Das Uhrwerk selber vereint weitere Fertigungstechniken, die theoretisch alle einzeln eingegeben werden könnten: gebogen, gebohrt, gedreht, gegossen, genietet, gepunzt, geschliffen, geschraubt, gesägt, graviert, montiert, poliert, vergoldet.

In der Realität beschränkt man sich natürlich nur auf wesentliche oder ungewöhnliche Attribute. Zu denen gehören auf jeden Fall immer möglichst alle Materialientypen, denn diese sind zum Beispiel für den Leihverkehr von Bedeutung. Bestimmte Tropenhölzer müssen angemeldet werden, bevor sie in ein anderes Land eingeführt werden dürfen. Das gilt auch für viele tierische Produkte, die in Objekten verarbeitet wurden. Hier geht es vor allem um den Schutz von bedrohten Tierarten und die Unterbindung von illegalem Handel. Da stellt sich natürlich die Frage: Wie vegan sind unsere Uhren eigentlich?

Bei genauerem Hinsehen nicht besonders. Es fängt schon bei den einfachen Bodenstanduhren an: Die Gewichte hängen meist an meterlangen Darmsaiten. Die Verwendung von Darmsaiten hat vielleicht im Zusammenhang mit Musikinstrumenten oder Tennisschläger-Bespannungen einen größeren Bekanntheitsgrad. Die Produktion ist jedoch für alle Verwendungsbereiche gleich (und durchaus nicht geruchsneutral!). Meist werden die Dünndärme von Schafen, Ziegen oder Rindern verwendet. Diese werden gereinigt und in Wasser und danach in einer Lauge eingeweicht. Danach werden sie langwierig gezogen, geglättet, einheitlich geformt und eingedreht, nach dem Trocknen folgt das Polieren der Saiten.

Fast jede Uhr muss außerdem geschmiert werden. Heutzutage gibt es zum Glück synthetische Alternativen, die außerdem alterungsbeständiger sind, jedoch hat man bis in die 1980er Jahre Schmierstoffe aus tierischen Produkten hergestellt und verwendet. Hier wurden vor allem Tierklauen so lange ausgekocht und ausgelassen, bis das Fett von der Oberfläche gesammelt werden konnte. Auch Walblubber war eine beliebte Basis für Schmierstoffe. Ab und an begegnet man auch Uhren mit funktionalen Lederelementen, zum Beispiel als Bespannung von Hämmern, um einen schöneren Ton auf einem Gongstab zu erzeugen oder auch in komplexeren Orgeluhren als Bespannung für den Blasebalg, der die Flöten mit Luft versorgt.

Besonders häufig ist Leder auch als Armband bei Armbanduhren zu finden. Ein extravagantes Beispiel für Leder als Dekoration ist diese Uhr mit einer Krokodillederbespannung:

Schon etwas seltener sieht man in der Uhrensammlung Schildpatt. Dieses Material wurde lange von Kunsthandwerkern zum Verzieren von diversen Möbeln und Kunstgegenständen verwendet. Es stammt vom Rückenschild bestimmter Meeresschildkröten, die genau aus diesem Grunde gejagt wurden. Die Gewinnung des Materials war grausam: die lebenden Tiere wurden entweder in kochendes Wasser gegeben oder über ein Feuer gehalten um das Schild ausreichend anzuwärmen, sodass es mit einem Messer vom Panzer abgelöst werden konnte. Die besondere Eigenschaft von Schildpatt besonders flexibel unter Wärmeeinfluss zu sein machte es bei der Verarbeitung relativ einfach an vielseitig geformte Kunstgegenstände angebracht zu werden. Meist wurde es auf einem Holzträger verleimt, manchmal mit einem farbigen Papier dazwischen, damit die Musterung des Schildpatt besser zur Geltung kommen konnte.

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Ebenso an Uhren zu finden sind Tierknochen und Elfenbein. Im Schwarzwald wurden Tierknochen oft zu Uhrenzeigern verarbeitet. Elfenbein findet man eher in Einlegearbeiten an Gehäusen oder bei frühen tragbaren Sonnenuhren. Die Unterscheidung von Elfenbein und gewöhnlichen Tierknochen ist nicht immer ganz einfach. Je nachdem wie groß das bearbeitete Stück ist, kann zumindest vom Laien keine eindeutige Maserung erkannt werden. Laut Definition ist Elfenbein jeder Zahn bzw. Stoßzahn von Säugetieren der von kommerziellem Interesse ist: Elefant, Mammut, Narwal, Walroß, Warzenschwein oder Nilpferd. Da man die genaue Herkunft eines Materials an Objekten meist ohne deren Zerstörung herausfinden möchte, werden diese meistens nur optisch untersucht, also mit Mikroskopen und verschiedenen Lichtquellen. Anhand von bestimmter Maserungen kann von Experten ziemlich genau bestimmt werden, von welchem Tier das Elfenbein stammt oder ob es sich doch eher um Tierknochen handelt.

Je nachdem wie streng vegan man die Materialvielfalt in der Sammlung betrachten möchte, könnte man Perlmutt noch genauer unter die Lupe nehmen. Wie Knochen ist auch Perlmutt sehr beliebt für Einlegearbeiten oder Verkleidungen. Perlmutt ebenso wie Perlen werden von bestimmten Schalenweichtieren gebildet um sie vor Infektionen zu schützen. Natürlich gewonnenes Perlmutt, also, das was man von natürlich verendeten Weichtieren am Strand finden kann, wird als vegan angesehen. Jedoch wird der Großteil des Perlmutts in Zuchtanlagen gewonnen, oft indem man den Abwehrmechanismus und damit die Produktion mit injizierten Bakterien triggert. Das Perlmutt bzw. die Perlen werden geerntet und dieser „Produktionszyklus“ wird mit den Zuchttieren mehrere Male wiederholt. Ein anderes, verwendetes Weichtierprodukt ist Seide. Es ist eine Naturfaser die aus dem Kokon der Seidenraupe gewonnen wird. Nachdem diese sich vollständig verpuppt hat, wird der ganze Kokon mit Heißwasser oder Heißwasserdampf behandelt um die Larve zu töten und zu verhindern, dass diese beim Schlüpfen die Faser zerbeißt. Die Kokons werden zu Seidenfäden verarbeitet. Im Bereich der Uhren findet man Seide zum Beispiel als Staubabdeckung hinter Schallgittern, als Aufhängung für Pendel in Kommodenstanduhren oder als Isolationsmaterial von elektrischen Spulen und Kabeln.

Literatur:

 

Djilda Abbott und Ephraim Segerman: Gut Strings. In: Early Music , Oct., 1976, Vol. 4, No. 4 (Oct., 1976), pp. 430-431+433+435+437

Daniel Larson: Making Gut Strings [https://www.gamutmusic.com/new-page]

Gut strings: A strong stomach for strings. In: The Strad [https://www.thestrad.com/lutherie/gut-strings-a-strong-stomach-for-strings/13497.article]

Ruth Remetter: Schildpatt, das Material und Möglichkeiten seiner Verarbeitung (2002) [http://www.moebel-holzobjekte.de/documents/schildpatt.pdf?KID=2]

ANON: Zwischen Artenschutz und Authentizität (2014) [https://www.schreinerzeitung.ch/de/artikel/zwischen-artenschutz-und-authentizitaet]

Marianne Erath: (1996) Studien zum mittelalterlichen Knochenschnitzerhandwerk. Die Entwicklung eines spezialisierten Handwerks in Konstanz [https://freidok.uni-freiburg.de/fedora/objects/freidok:526/datastreams/FILE1/content]

Edgard O. Espinosa und Mary-Jacque Mann: Identification guide for ivory and ivory substitutescites.org/sites/default/files/eng/resources/pub/E-Ivory-guide.pdf

www.vegpool.de/magazin/perlmutt-perlen-vegan.html

Tabea Rude lernte das Uhrmacherhandwerk in Pforzheim und studierte dann Restaurierung für Uhren und dynamische Objekte an der University of Sussex. Seit 2017 ist sie für die Uhrensammlung zuständig. Sie ist besonders interessiert an elektrischen Uhren und Zeitdienstanlagen zwischen 1850 und 1950, publiziert hat sie zu dem Thema im britischen peer-reviewed Antiquarian Horological Journal. Sie begeistert sich außerdem für historische Kunststoffisolierung, taktische Intervallzeitmessung in Konvoys auf See im 1. und 2. Weltkrieg und Feueralarmtelegraphie.

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Kommentare

Katinka

Liebe Tabea!

danke für deinen aufschlussreichen Beitrag! ich habe unlängst eine Führung bei dir besucht (gemeinsam mit der KommPF, organisiert von Gerhard Milchram) - bei der sind mir diese Details gar nicht ins Bewusstsein gedrungen.

ganz liebe Grüße!

Katinka (Gratzer)