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Astrid Göttche, 15.12.2021

Wien im Zuckerlfieber

In aller Munde

Jeder kennt Zuckerln: harte, weiche, runde, eckige, süße, saure, einfärbige und bunte, in vielen Geschmacksrichtungen verfügbare oder einfach gegen Husten wirksame. Heute sind Zuckerln eine Selbstverständlichkeit, aber das war nicht immer so. Erst im 19. Jahrhundert entdeckte das Gros der Wienerinnen und Wiener den vielfältigen Formen- und Geschmacksreichtum von Zuckerln. 

Die zentrale Voraussetzung für die Herstellung von Zuckerln – vor allem der massenhaften Erzeugung – war ihr Grundstoff: der Zucker. Dieser war bis ins 19. Jahrhundert ein teures Gut, da bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts Zuckerrohr die wichtigste Rohstoffquelle bildete. Produktion und Handel von Rohrzucker waren allerdings aufwändig und kostspielig. Abgesehen von Apothekern, denen Zucker zur Verabreichung von Heilmitteln zur Verfügung stand, war das süße Gut daher lange Zeit nur den obersten Gesellschaftsschichten vorbehalten. Erst die Entdeckung der in Europa heimischen Runkelrübe als geeigneter Zuckerlieferant (1747) und die Förderung der daraus gezüchteten Zuckerrübe änderten die Lage. Vom ausgehenden 18. Jahrhundert an entwickelte sich die Rübenzuckerfabrikation zu einem neuen, florierenden Wirtschaftszweig. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde Rübenzucker zu einem leistbaren Massenerzeugnis. Im Schlepptau dieser Entwicklung kam es auch zu einer Zunahme der Zuckerlproduktion im Rahmen einer sich etablierenden Zuckerl- und Konfektindustrie.

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„Mit Geist, Witz und Geschmack“ von Hand

Wie aufwändig die händische Herstellung von Zuckerln in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch sein konnte, zeigt das 1834 vom „Mundkoch“ des Fürsten Joseph von Schwarzenberg verfasste Werk Der Zuckerbäcker für Frauen mittlerer Stände von Franz G. Zenker. Darin werden eine Reihe von Zuckerl-Rezepturen vorgestellt. Während die Herstellung von „Vanille-Bonbons“ noch vergleichsweise leicht anmutet, da die selbst hergestellte Zuckermasse nur „über ein sehr glattes Kupferblech, das äußerst wenig mit Mandelöhl bestrichen ist“, gegossen und schließlich mit einem „Zuckermesser, dessen Schneide ebenfalls mit Mandelöhl bestrichen ist, auf kleine Finger breite Streifen“ geschnitten werden musste, erforderte die Herstellung von „Venus-Bonbons“ schon mehr Fingerspitzengefühl. Hier musste die Zuckermasse in eingefettete Formen gegossen und mit einem zur Venus passenden Siegel geprägt werden. Nach dem vollkommenen Erkalten sollten die Bonbons „aus den Formen genommen, mit feinen Linnen abgetrocknet, weil sie leicht einiges Fett behalten könnten, und in Papier zierlich eingeschlagen, und mit feinem Siegellack einem Briefchen gleich gesiegelt [werden].“ Jedes Bonbon sollte noch eine passende Devise ins Papier und eine andere Devise, Noten oder nur ein paar witzige Worte auf die Außenseite aufgeklebt bekommen. Das Ganze musste „von Geist, Witz und Geschmack zeigen“.

Zuckerln vom Profi

Die kommerzielle Zuckerlproduktion lag neben Apothekern in Händen von Zuckerbäckern. In Wien hatte sich das Zuckerbäcker-Handwerk Mitte des 16. Jahrhunderts etabliert, nachdem es – so die 400-Jahr-Festschrift der Wiener Zuckerbäcker 1955 – zu einem Zusammenschluss von „Zuckermachern, Konfekterzeugern, Kuchen- und Mandoletti-, Oblaten- und Krapfenbäckern, Holhippern, Schokolademachern und später Gefrorenenerzeugern“ gekommen war. 1861 wies das Firmen- und Branchenverzeichnis des Wiener Adressverzeichnisses Lehmann rund 240 „Zucker- und Kuchenbäcker“ in Wien aus. 1895 waren es bereits rund 400, wobei die Eingemeindung der ehemaligen Vororte zu berücksichtigen ist.

Wie Anzeigen im Branchenverzeichnis zeigen, war das Sortiment oft vielfältig. Bei manchen stehen Zusätze wie „Zuckerwarenfab.“, „Canditen- und Chocoladen-Fabrik“, „Zuckerwaren-Erzeugung – Bonbons, Chocoladen, Rosen, Blumen, Tragant-Waaren, sowie einschlägige Artikel“ oder „Specialitäten u. Luxusbäckerei“. Andere wiederum offenbarten ihre Spezialitäten mit Angaben wie „Holhippen- und Waffel-Bäckerei“, „Karlsbader Oblaten“, „Zwiebackbäcker“ oder „Biscuitfabrik“. Der Zusatz „Fabrik“ weist bereits auf die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmende Mechanisierung und damit verbundene massenhafte Erzeugung von Zuckerwaren hin. Zuckerln wurden allerdings gemeinhin nicht exklusiv, sondern als eine Produktgruppe innerhalb eines größeren Zuckerwarensortiments produziert. 

Aufstieg der Süßwaren-Riesen

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist zweifelsohne die Etablierung großer Wiener Zuckerwarenerzeuger zu beobachten. Zu ihnen zählten Firmen wie D. Ullmann’s Söhne, Leopold Pischinger, Charles Cabos, Victor Schmidt & Söhne, Jos. Küfferle & Co., A. Egger’s Sohn, Josef Manner und Gustav und Wilhelm Heller. Während Pischinger, Cabos und Manner vor allem auf Schokoladeprodukte, Cacao, Schnitten, Waffeln, „Früchte in Conserven“, „Theebäckerei“, „Cakes und Biscuits“ fokussierten, nahm bei Firmen wie Ullmann’s, Egger, Heller sowie Victor Schmidt & Söhne das Zuckerlgeschäft einen wichtigen Stellenwert ein. 

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Eine Konstante im Zuckerlsortiment vieler Hersteller bildete eine Auswahl an Hustenzuckerln. D. Ullmann’s Söhne etwa boten „gegen Husten, Heiserkeit ec. Fichtennadel-Bonbons, Eibisch-Bonbons, Brust-Malzbonbons, Spitzwegerich- und Honigbonbons“ an. Das Ende der Zuckerlpalette war mit Hustenbonbons aber noch lange nicht erreicht. Die Firma Victor Schmidt & Söhne beispielsweise erzeugte, wie Rechnungen zeigen, neben „Spitzwegerich-Brust-Bonbons“ auch „Kraftpastillen“, „Fourrés“, „Gefüllte Malzbonbons“, „Café Bonbons“ und „Schok. Likörbonbons“. Berühmt war die Firma, wie eine Ausgabe der Wiener Montagspost 1899 belegt, aber vor allem für ihre „Rock Drops (Früchtenzuckerl)“, deren Erfindung und großer Erfolg den Firmengründer Victor Schmidt sen. Ende der 1850er Jahre dazu veranlasst hatte, von Budapest „in die Metropole des Reiches“ zu übersiedeln, um in Wien eine Zuckerwarenfabrik auf der Wieden zu gründen.

Ein Zuckerwaren-Imperium, das sich erst 1891 in den Reigen florierender Wiener Zuckerwarenerzeuger einreihte, neben Marzipan- und Schokoladenprodukten aber vor allem Zuckerl in den Mittelpunkt seiner Produktion stellte, war die Firma Gustav und Wilhelm Heller. Ein Warenkatalog, der um 1900 erschien, zeigt auf 98 Seiten das reiche Angebot der Firma, darunter Fourrés, Früchtedrops, Rocks, Seidenbonbons, Hustenbonbons, Karamellen, Gelées, Dragées in verschiedenster Ausführung, Gummi- und pharmazeutische Bonbons, „Salonbonbons“, Schokoladebonbons, Marmeladebonbons, Fondants und „Dessertbonbon-Mischungen“. Unter den zahlreichen Geschmacks- und Formbezeichnungen gab es auch Bonbons mit so klingenden Namen wie „Militär-Rocks“, „Dandy Caramels“, „Brioni“ und „Grado Bonbons“. Die Produktion der Zuckerln war im Unterschied zum Zuckerbäckerhandwerk früherer Zeiten mehrheitlich maschinell. Begünstigt durch den ersten Firmenstandort im Gebäude des Beatrixbades im 3. Bezirk warb das Unternehmen anfangs auch stolz mit dem Zusatz „Zuckerwarenfabrik mit Dampfbetrieb“.

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Vorsicht, giftig!

Neben dem Einsatz von Maschinen, der sich mehr und mehr in der Süßwarenproduktion einzubürgern begann, da sie „weit rascher und billiger als die Menschenkraft“ arbeiteten und „auch eine viel gleichförmigere Arbeit, als dies der geschickteste Arbeiter zu thun im Stande ist“, leisten konnte, wies der Autor Anton Hausner in seiner 1887 erschienene Publikation Die Fabrikation der Conserven und Canditen auf den richtigen Einsatz von ätherischen Ölen und Farbstoffen bei der Zuckerlproduktion hin. Es sollten „nur solche Farbstoffe benützt werden dürfen, welche der Gesundheit nicht im mindesten nachtheilig sind.“ Trotzdem, so der Autor, fand „man leider nur zu oft Farben in Anwendung und sogar in verschiedenen Schriften empfohlen, welche nicht nur gesundheitsschädlich, sondern geradezu heftige Gifte sind.“ Im Gegensatz zu Stoffen wie Bleiweiß, Chromgelb, Goldglätte, Schweinfurter Grün oder Berliner Blau empfahl er unschädliche Pflanzenstoffe und tierische Farben wie etwa Safran und Curcuma für gelbe Bonbons, Carmin und Rothholz-Absud für rote und Indigo-Carmin für blau gefärbte Bonbons. „Eben so wenig als man giftige Farben zur Anfertigung von Canditen verwenden darf, dürfen dieselben zum Färben des Papiers verwendet werden, in welches man häufig Canditen, namentlich Bonbons, einwickelt.“

Der Vertrieb und Verkauf von Zuckerln erfolgte meist über mehrere Wege. Eine Möglichkeit des Vertriebs war – wie sich der Zuckerlfabrikant Gustav Heller in seinen Memoiren erinnerte – selbst bzw. mit Hilfe von Handelsvertretern (Platzagenten) nach Absatzmöglichkeiten in Bonbongeschäften und Konditoreien, aber auch in Delikatessengeschäften zu suchen. Auch eigene Verkaufsstellen wurden etabliert, etwa von Victor Schmidt & Söhne. Wie die bereits zitierte Wiener Montagspost 1899 zu berichten wusste, geschah der Verkauf hier zuerst „nur en gros an Wiederverkäufer und erst später, in den Siebzigerjahren zuerst, wurde in der Rauhensteingasse Nr. 5 ein Detailgeschäft errichtet, da das Publicum sich gerne als Käufer einstellte. Zu Anfang der Achtziger-Jahre wurde am Kärnthnerring, im Jahre 1884 am Schottenring und in der Mariahilferstraße und schließlich im Jahre 1886 am Stephansplatz eine Verkaufsstelle errichtet. Natürlicherweise wurden auch noch eine große Menge von Artikeln, welche früher nicht erzeugt wurden, in die Fabrication aufgenommen, so daß heute diese Firma ca. 2500 verschiedene Sorten von Chocoladen, Bonbons, Bäckereien, Bisquits, Torten und sonstigen Genußwaaren erzeugt.“ Zuckerlgeschäfte, respektive Confiserien, dürften in Wien ab Ende des 19. Jahrhunderts einen immer wichtigeren Stellenwert eingenommen haben. Diesen Kunden bot die Firma Gustav und Wilhelm Heller neben Zuckerware auch Schaugläser gegen Einsatz oder zum Kauf an. Wie sich im Lehmann nachvollziehen lässt, stieg die Zahl an „Zuckerhandlungen“ bis in die 1930er Jahren enorm. Der kaufwillige Kunde von Bonbons konnte Zuckerl aber nicht nur in Geschäften oder Gaststätten kaufen, sondern auch bei Straßenhausierern, etwa dem „Zuckerlzwerg“, oder Standverkäuferinnen sogenannter „Süßigkeitenbuden“, etwa im Wurstelprater. 

Zuckerlfest und Bonbontag

Wie sehr das Zuckerlfieber die Wienerinnen und Wiener um die Jahrhundertwende erfasst hatte, spiegelte sich auch in den Wohltätigkeitsveranstaltungen des zweitägigen Zuckerlfestes von 1901 im Belvederegarten und dem Bonbontag von 1911 wider. Beim Bonbontag wurden am Geburtstag des Kaisers „in 200 Orten der diesseitigen Reichshälfte“ insgesamt rund 400.000 „Kaiserbonbons“ mit dem Konterfei des Kaisers auf der Verpackung für einen guten Zweck verkauft.

Die Wahl eines Zuckerls als Spendenanreiz stellte für einen Journalisten der Reichspost dabei keine Überraschung dar. Schwärmerisch berichtete er: „Machte kürzlich ein findiges Hilfskomitee die Blume zum Wahrzeichen der Wohltätigkeit, so wählte man heute, am Kaisertage, das Zuckerl zum realen Merkmale herzlicher Güte. Die Blume und das Zuckerl! Wie fein und glücklich sind diese Appelle an das Wienerherz gewählt! Ist Wien nicht die Stadt der Blumen und der süßen Lebensfreude? Was schenkt in Wien der schwärmerische Jüngling seiner Herzliebsten? Blumen und Zuckerln!“

Literaturverzeichnis (Auswahl):

Ingrid Haslinger: „Von Confecturen, Chocolade und Gefrornem – Die ehemalige k. u. k. Hofzuckerbäcker“. Die Geschichte der Zuckerbäckerei in Österreich und Ungarn, in: Der süße Luxus. Die Hofzuckerbäckerei und die ehemaligen k. u. k. Hofzuckerbäcker. Ausstellungskatalog, Ausstellung des Kulturkreises Looshaus, Wien, 1996  
Anton Hausner: A. Hartleben‘s chemisch-technische Bibliothek. Die Fabrikation der Conserven und Canditen, Wien 1887  
Gustav u. Wilhelm Heller: K. u. K Hof- und Kammer-Lieferanten, Wien X (kleinformatiger Produktkatalog, 98 Seiten), Wien um 1900
Gustav u. Wilhelm Heller: Produktkatalog (großformatig, 32 Seiten), Wien um 1915–1935
Gustav Heller: Aus meinem Leben. In: Hans Heller: Zwischen zwei Welten. Wels 1985, S. 126–139  
Landesinnung Wien der Zuckerbäcker (Hg.), Otto F. Mack (Red.): 400 Jahre Zuckerbäcker. Festschrift anläßlich des 400-jährigen Bestehens des Zuckerbäckerhandwerks, Wien 1955  
Christoph Wagner: Süßes Gold. Kultur- und Sozialgeschichte des Wiener Zuckers, Wien 1996  
Franz G. Zenker: Der Zuckerbäcker für Frauen mittlerer Stände. Anweisung zur leichten und wenig kostspieligen Verbreitung der auserlesensten Confitüren, Kunstgebäcke, Getränke, Gefrorenen,Wien 1834 (2. Auflage)

Astrid Göttche studierte Kunstgeschichte sowie Geschichte, Germanistik und Theaterwissenschaft an den Universitäten Wien und Hamburg. Im Zentrum ihrer Forschungstätigkeit und Publikationen stehen Themen der Wiener Stadt- und Kulturgeschichte sowie der österreichischen Gartengeschichte.

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