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Susanne Breuss, 22.4.2024

Wiens erste Verkaufsautomaten

Ware gegen Münzeinwurf

Vom Weihwasserautomaten in der Stephanskirche bis zum Automatensupermarkt – die Corona-Pandemie bescherte den Verkaufsautomaten einen starken Aufschwung. Einen ersten Boom erlebten die „selbsttätigen Warenverkäufer“ aber bereits im Wien des späten 19. Jahrhunderts.

Gebrannte Mandeln gefällig, oder ein Reisedessert? Fruchtbonbons, Erfrischungsbonbons, Likörbonbons, Pfefferminz? Schokoladestangen, Vanilleschokolade, Cremeschokolade oder Dessertwaffeln? Oder doch lieber ein Westentaschen-Feuerzeug, einen Spiegel, eine Rokokodose, ein Köllnerwasser, ein Parfüm, eine Glyzerinseife, ein Wahrsageröllchen oder ein Zukunftsbild? Das alles und noch viel mehr offerierten seit dem späten 19. Jahrhundert die neuen und aufsehenerregenden „selbstthätigen Verkaufsapparate“. Nach dem Prinzip „Bediene dich selbst!“ konnte man solche Waren nun gegen Münzeinwurf aus Automaten ziehen, ganz ohne menschliches Verkaufspersonal und ohne Rücksicht auf Geschäftsöffnungszeiten.  

Die genannten Beispiele sind typisch für das Warensortiment dieser Apparate, sie stammen aus einem in den Sammlungen des Wien Museums befindlichen Geschäftsbuch eines namentlich nicht bekannten Automatenbetreibers. Bei diesem „IV. Fakturen-Buch der Automaten-Filiale, Wien“ handelt es sich um ein rares Dokument aus der Frühzeit des automatisierten Verkaufs: Die Einträge stammen aus den Monaten Mai und Juni 1907, neben den einzelnen Waren verzeichnen sie auch die belieferten Automatenstandorte. Letztere umfassen außer den Wiener Bezirken weitere Städte und größere Ortschaften von Bludenz bis Traiskirchen, von Gmunden bis Graz und von Troppau bis nach Meran. Bezeichnenderweise finden sich in der Rubrik „Empfänger“ auch etliche Bahnhöfe, sie zählten von Beginn an zu den bevorzugten Orten für die Installation von Automaten, da sie eine hohe Kundenfrequenz garantierten.   

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Die Geschichte der Verkaufsautomaten reicht zwar bis in die griechische Antike zurück (schriftlich überliefert sind u.a. Münzautomaten für Weihwasser), doch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein spielte dieser Automatentypus kaum eine Rolle. Erst als im Zeitalter des Industriekapitalismus die Massenproduktion von preiswerten Gütern neue Absatzstrategien erforderlich machte, traten diese Geräte ihren Siegeszug an und entwickelten sich zu einem fixen Bestandteil des Alltagslebens. Automaten aller Art hatten auf die Menschen schon immer eine starke Faszination ausgeübt, im 19. Jahrhundert mit seiner ausgeprägten Fortschritts- und Technikeuphorie versprachen sie erstmals das Leben breiter Bevölkerungsschichten leichter und bequemer zu machen. Entsprechend groß war das Interesse, als die ersten modernen Verkaufsautomaten auftauchten, in Wien etwa Mitte der 1880er Jahre. Das Amtsblatt der WienerZeitung verzeichnet verstärkt ab 1888 Meldungen über Privilegien für automatische bzw. selbsttätige Verkaufsapparate von in- und ausländischen Erfindern. So wurde am 12. März 1888 folgendes Privileg erteilt: „Dem Franz Lachmayer in Wien mit der Priorität vom 17. December 1887 auf einen automatischen Verkaufsapparat für regelmäßig geformte Gegenstände, wie: Cigarren, ‚Planeten‘ [= Glückszahlen, Horoskope] ec. Beschreibung geheim.“

Das Prinzip Ware oder Dienstleistung gegen Münzeinwurf wurde noch vor der Jahrhundertwende auf immer mehr Anwendungsgebiete ausgedehnt. Neben Automaten für unterschiedlichste Waren, Briefmarken, Postkarten und Tickets, Fotoautomaten und Münzwaagen, gab es auch viele Automaten, die eher als Kuriositäten für Vergnügungsparks und Veranstaltungen dienten. So wartete 1898 der Steirerabend im Künstlerhaus mit einem Schilcher-Automaten auf, ein Radlerfest mit einem Automaten für Leihfahrräder. Es war eine Zeit des Phantasierens und Experimentierens, manches blieb, anderes verschwand wieder. Eine wesentliche Voraussetzung für die Erfolgsgeschichte der Verkaufsautomaten, die in der Frühzeit nicht immer einwandfrei funktionierten, war das laufende Bemühen um technische Verbesserungen – eine wichtige Rolle spielte dabei zunächst vor allem die Münzprüfvorrichtung. Von Beginn an ein Problem waren Vandalismus und Betrügereien: Automaten wurden beschädigt, gesprengt, manipuliert, ausgeraubt und mit Falschgeld gefüttert.

Manche der „stummen Verkäufer“ konnten sprechen oder musizieren und trugen so auch noch zur Unterhaltung bei. Überhaupt wurde zwischen Warenverkauf und Unterhaltung nicht besonders streng unterschieden, etliche Automaten kombinierten diese Funktionen miteinander. So erregte 1899 die Weihnachtsausstellung des Warenhauses Herzmansky mit einem originellen Apparat die Aufmerksamkeit: „Ganz besonders anziehend wirkt eine neue Erfindung, ein selbstthätiger Automat. Man wirft ein Geldstück in den Spalt. Siehe! da beginnt sich lautlos eine weißbekleidete Hand hervorzuschieben, die uns das Gewünschte, irgendeine geschmackvolle Kleinigkeit, z.B. ‚Herzmansky’s duftende Grüße‘, ein prächtiges Parfüm, überreicht. Die Hand sieht fast ein bischen gespenstig aus. Aber das Schauerliche ist ja jetzt eben sehr modern.“ (Gmundner Wochenblatt, 19.12.1899). Da die großen Warenhäuser stets danach trachteten, das Einkaufen zu einem Erlebnis zu machen, kamen ihnen solche Apparate gerade recht. Die gespenstig wirkende Automatenhand erinnert nicht zufällig an das noch stärker auf Spektakel setzende Automatenwesen im Prater – auch dort verbanden sich Warenverkaufs- und Vergnügungsfunktionen aufs Innigste. 

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Eine wesentliche Rolle für die Entwicklung der Verkaufsautomaten spielte die deutsche Firma Stollwerck: Der Kölner Süßwarenhersteller expandierte international nicht nur mit seinen Schokoladen und Bonbons (so besaß er auch in Wien eine Niederlassung), sondern auch mit seinen Verkaufsautomaten. Bevor in Deutschland und Österreich in den 1880er Jahren das Zeitalter der Verkaufsautomaten anbrach, hatte es in den USA und in England bereits etliche Jahre früher begonnen. Ludwig Stollwerck hatte dort u.a. Kaugummi- und Getränkeautomaten kennengelernt, und 1887 dann eigene Münzautomaten präsentiert. Sie enthielten als Reklame gedachte günstige Warenproben und sollten den Verkauf seiner regulären Produkte in den Geschäften fördern. Der große Erfolg dieser ersten Automaten animierte ihn zu weiterer Betätigung auf diesem Gebiet.

1893 ließ sich die Firma in Wien auch als „Österr. Ungar. Automaten-Gesellschaft Brüder Stollwerck & Co.“ registrieren und war damit zum Handel „mit im freien Verkehre gestatteten Waaren mittelst automatischer Verkaufsapparate“ berechtigt. Bald darauf waren u.a. die Wiener Bahnhöfe mit den Merkur-Automaten von Stollwerck ausgestattet, gefüllt nicht nur mit Proben eigener Produkte, sondern auch mit jenen anderer Firmen wie der Kalodont-Zahnpasta der Firma Sarg – alles in „reizender Adjustierung“, vulgo Verpackung. Unter den zahlreichen von Stollwerck in Wien betriebenen Automaten fand sich auch ein als Münzautomat konstruiertes Fernrohr auf dem Kahlenberg. Beliebt waren auch die eierlegenden Hennen, Figurenautomaten, die mit Süßigkeiten gefüllte Blecheier ausgaben. Neben Stollwerck wurden in Wien weitere Automaten-Gesellschaften gegründet, so mit 1. Jänner 1897 jene der Gebrüder Kolb & Co.

Ende des Jahres 1900 gab es in Wien laut Marktamt bereits 1.807 Automaten: 136 für den Verkauf von Getränken, 95 für kalte und 27 für warme Speisen, 45 für Gebäck und Zuckerbäckerwaren, 303 für Schokolade und Zuckerwaren, 59 für Parfümerien und Seifen, 136 für Zündhölzchen, 84 für Zigarren und Zigaretten, 191 für sonstige Waren, 132 für Personenwagen, 472 für Musik, 127 für bewegliche Bilder und anderes. Die meisten Automaten befanden sich mit 437 in der Inneren Stadt, dann folgte die Leopoldstadt mit 431, Favoriten mit 125 und Wieden mit 101 Automaten. In Simmering gab es keinen einzigen, in Ottakring 9, in Neubau 21, in der Josefstadt 22, in Hietzing 19 (IllustrirtesWienerExtrablatt, 9.6.1901). Bezeichnend ist die hohe Zahl in der Leopoldstadt, sie war offenbar den vielen Automaten im Prater zu verdanken.

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Die neuen Verkaufsapparate besaßen anfangs nicht nur einen Sensations- und Unterhaltungswert, das Publikum musste auch mit ihrem praktischen Gebrauch vertraut gemacht werden. Eine ausführliche Anleitung brachte etwa die Oesterreichische Illustrirte Zeitung am 16.1.1898 in einem Bericht über einen im Kärntnerhof-Bazar neu aufgestellten „Trafikautomaten“ für Tabakwaren. Er erläuterte bis ins kleinste Detail die Anzahl der Münzschlitze, den Wert der Münzen, die der Apparat zu schlucken imstande war, die verschiedenen Sorten der Tabakwaren sowie deren Ausgabeeinheiten und deren Preis. Zudem machte er mit einem Aspekt bekannt, der für den Warenverkauf mittels Automaten generell von hoher Bedeutung war (und später auch für alle anderen Formen des Selbstbedienungsverkaufs): Die Zigarren und Zigaretten kamen in kleinen Kartons aus dem Automaten, während man sie in der Trafik offen in beliebiger Stückzahl kaufte und in einem mitgebrachten Etui verstaute. Im Automaten schützte die Verpackung die in die Ausgabeschale herabfallende Rauchware und sie enthielt das Retourgeld: Der Trafikautomat nahm nämlich nur zwei unterschiedliche Münzwerte und konnte das Restgeld nicht direkt ausgeben. Auch die Firma Stollwerck legte von Anfang an großen Wert auf die Verpackung, da sie in ihr ein wichtiges Reklamemedium sah – eine damals relativ neue Idee.

Automatengastronomie

Kaum hatte man sich in Wien an die ersten Verkaufsautomaten einigermaßen gewöhnt, gab es auf diesem Gebiet eine neue Sensation. Am 10.8.1897 verkündete DasVaterland: „Die Sehenswürdigkeiten von ‚Venedig in Wien‘ [ein 1895 eröffneter Themen- und Vergnügungspark im Prater] sind um eine Specialität bereichert, von welcher das Publikum wohl ausgiebigen Gebrauch machen dürfte. Es ist dies ein automatisches Buffet, in welchem man durch den Einwurf eines entsprechenden Geldstückes Bier, Wein, Liqueure, Chocolade und andere Getränke, aber auch Schinkensemmeln und sonstige belegte Brödchen erhält.“ Betreiber und Patentinhaber von Quisisana, diesem wahrscheinlich ersten Wiener Automatenrestaurant, war Eduard Berté.

DasVaterland beschrieb die Funktionsweise folgendermaßen: “Die Manipulation ist eine höchst einfache. Das Ziehen an einer Handhabe, wie es bei den bisher in Wien benützten Automaten erforderlich ist, um das Gewünschte zu bekommen, fällt bei dem Automaten-Buffet weg. Es genügt, das Geldstück in die Oeffnung zu werfen und dann ein Glas unter die Ausflußstelle zu bringen; in demselben Augenblicke, wo es gefüllt ist, hört die Flüssigkeit auf zu rinnen. Die belegten Brode gleiten, wenn das hineingeworfene Geldstück unten angelangt ist, aus einer mit Glas gedeckten Messingschüssel in eine Tasse, wo sie der Käufer in Empfang nimmt.“ Ebenso äußerte sich das Blatt zu einem damals vieldiskutierten Thema: „Die Trinkgeldfrage ist in dieser Buffetrestauration zugunsten des Gastes gelöst; er kann ein solches beim besten Willen nicht verabreichen.“

Einige Monate später wurde den Wienern gleichsam als Weihnachtsüberraschung ein weiteres (auch als Frühstücksstube bezeichnetes) Quisisana-Automatenbuffet beschert. Angesiedelt auf der Kärntnerstraße „nächst der k. k. Hofoper“, beeindruckte es durch die moderne Technik ebenso wie durch das elegante Ambiente. Das kulinarische Angebot dürfte an beiden Standorten weitgehend gleich gewesen sein. Eine Annonce aus dem Jahr 1898 erwähnt neben dem reichhaltigen Getränke- und Brötchenangebot verschiedene Sorten Gefrorenes und Delikatessen aller Art, bei den Getränkeautomaten gab es auch Suppe. Im Lauf der Jahre kamen weitere Quisisana-Standorte dazu, unter anderem auf der Taborstraße und auf der Mariahilferstraße.

Im späten 19. Jahrhundert entstanden in vielen europäischen Städten derartige Automatenlokale, sie galten als modernes Großstadtphänomen. Bereits am 5.9.1898 hieß es in der Montags-Zeitung anlässlich der Eröffnung eines von M. Bauer betriebenen Automatenrestaurants in der Rotenturmstraße, dass sich solche Etablissements in Wien bereits sehr stark eingebürgert hätten und ein Zeichen der Zeit seien. Die in Automatenangelegenheiten sehr aktive Firma Stollwerck zählte auch hier zu den Pionieren. Sie präsentierte 1896 in Berlin ihr erstes Automatenrestaurant und expandierte mit dem Konzept auch in andere Städte. So verköstigte sie das Publikum der im Mai 1898 in Wien eröffneten Jubiläumsausstellung nicht nur via Warenautomaten, sondern auch via Automatenrestaurant. Es war stets gut besucht von Leuten, die Gefallen daran fanden, „ohne Kellner sich geheimnißvoll bedienen zu lassen“, so die NeueFreiePresse am 15.7.1898. Angesiedelt war es in einem Pavillon mit gedeckten Tischen und Stühlen, das Personal befüllte nur die Automaten und räumte benutztes Geschirr weg. Die Ende 1898 gegründete und im Frühling 1900 liquidierte Wiener Restaurant-Gesellschaft betrieb in der Casa Piccola, im Palais Equitable und im Philippshof „elektrisch-automatische“ Restaurants. Über ein Automatenrestaurant verfügte auch das 1911 eröffnete Erste Wiener Warenmusterlager und Kollektivkaufhaus (später: Stafa) auf der Mariahilferstraße.

Automatenkritik

„Die Menschen fangen an, überflüssig zu werden“, konstatierte die satirische Zeitschrift Kikeriki am 7.8.1898, „sie werden durch Automaten ersetzt.“ Das sich ausbreitende Automatenwesen animierte nicht nur die Humorblätter zu allerlei Scherzen und Karikaturen, es formierte sich auch zunehmend Kritik an den Automaten. Manche sprachen gar von einer „Automatenpest“, die das Volk zur Genuss- und Verschwendungssucht verführe. Vor allem jene Berufsgruppen, die sich von den Automaten unmittelbar in ihren Geschäftsinteressen bedroht sahen (wie die Trafikanten oder die Gemischtwarenverschleißer), begannen sich lautstark über die „unlautere“ Konkurrenz zu beschweren und Forderungen nach Verboten und Einschränkungen zu stellen.

Einen Teil des Gastgewerbes brachten wiederum die Automatenrestaurants gegen sich auf (wie bei den Protesten des Handels spielte auch hier Antisemitismus eine Rolle). Die Branntweiner wollten keine Alkoholautomaten neben sich dulden, die Kellner nicht durch Maschinen ersetzt werden, und die Reichspost (22.11.1900) meinte, dass die Wiener Bevölkerung „auf derlei großstädtische Einrichtungen“ verzichten könne. Als 1898 im Gemeinderat gefragt wurde, warum einem Ausländer die Genehmigung für ein Automatenbuffet auf der Kärntnerstraße erteilt worden war, merkte Bürgermeister Lueger an, dass er persönlich überhaupt nicht für Automaten schwärme, der Gemeinderat mit diesen Konzessionserteilungen allerdings nichts zu tun habe. Die Oesterreichische Gasthaus-Zeitung resümierte am 1.10.1909 die bisherige Entwicklung und kam zu dem Schluss, dass die Automatenbuffets für die Gastwirte zwar Einbußen bedeuten, dass man auf das dort verkehrende Publikum aber ohnehin lieber verzichten wolle.  

Interessant sei die Automatengastronomie nämlich speziell für folgende Personengruppen: „Für eilende und hastende Menschen, denen jede Minute ein Stückchen materiellen Wert repräsentiert, für Minderbemittelte, welche zur Frühstück- und Jausenzeit etwas Nahrung zu sich nehmen wollen, sich aber den Luxus einer Sitzung im Restaurant nicht vergönnen dürfen, – für Agenten und Flaneure, welche kurze Rast halten müssen, um wieder in globetrotterische Konstitution zu kommen, für prononzierte Feinde jeder Bierbankpolitik und – aller Trinkgelder, –  für ‚zufällige Begegnungssüchtige‘, die keinen dritten Ort wissen, um ungesehen hinter die Schule und Mütter gehen zu können und endlich für stellungslose Elemente, welche die Zeit totschlagen wollen und dabei Bekanntschaften suchen; […] Jedenfalls sind die Hungrigen und Durstigen auch noch die harmlosesten aller Besucher der Automatenbuffets!“ Angedeutet wurde zudem Geschäftsanbahnung durch Sexarbeiterinnen.

Galten die Verkaufsautomaten zur Zeit ihrer Einführung manchen noch als kuriose Spielerei oder aber als Ärgernis, so prägte später zunehmend Pragmatismus ihren Gebrauch und ihre Einschätzung. Bezeichnend dafür ist ein Bericht der WienerAllgemeinenZeitung vom 26.6.1929 über den auf der Mariahilferstraße neu eröffneten Buffet-Palast: "Der Automat ist längst keine neue Erscheinung in Wien. Aber erst, da sich selbst in dem Wien der Gemütlichkeit das Prinzip ‚Zeit ist Geld‘ immer fühlbarer macht, ist der Automat von einem Zeitvertreib zu einer notwendigen Institution avanciert. Die knappe Arbeitspause um die Mittagsstunde läßt das Verlangen nach einer möglichst raschen, billigen und bequemen Möglichkeit, die leiblichen Bedürfnisse zu befriedigen, immer dringender erscheinen.“ Selbst einige gemütliche alte Praterwirtshäuser stellten damals ganz oder teilweise auf Automatenbetrieb um.

Ab der Zwischenkriegszeit wurde immer deutlicher, dass Automatisierung zum integralen Bestandteil der umfassenden Modernisierungs- und Rationalisierungsprozesse, und „Zeit sparen“ zu einem allgemeinen Handlungsimperativ geworden war. Ab den 1950er Jahren beschleunigte sich diese Entwicklung noch weiter. Technische Innovationen machten die Automaten attraktiver und es konnten sich neue Warengruppen durchsetzen (so zum Beispiel Kondome, was freilich ein hartes, weil moralisch umstrittenes Geschäft war, wie sich der Wiener „Automatenkönig“ Ferry Ebert erinnert). Die Automatenbuffets bekamen vom Espresso Konkurrenz, und der Handel startete mit den ersten Selbstbedienungsgeschäften.   

Literatur

Susanne Breuss (Hg.): Die Sinalco-Epoche. Essen, Trinken, Konsumieren nach 1945, Ausstellungskatalog Wien Museum, Wien 2005.

Ferry Ebert: Die stummen Diener ihres Herren. Die Kondom-Automaten-Story, Wien 1994.

Cornelia Kemp u. Ulrike Gierlinger (Hg.): Wenn der Groschen fällt… Münzautomaten – gestern und heute, Ausstellungskatalog Deutsches Museum, München 1988.

Susanne Breuss studierte Europäische Ethnologie, Geschichte, Philosophie und Soziologie an der Universität Wien und an der TU Darmstadt und war von 2004 bis 2023 Kuratorin im Wien Museum. Sie unterrichtet an der Universität Wien und schrieb für die Wiener Zeitung. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen historische und gegenwärtige Alltagskulturen sowie museologische Fragen. 

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Kommentare

Susanne Breuss

Danke, lieber Mirko (auch für den Hinweis auf Pötzl) und liebe Waltraud!
Das Verschwinden der Automatenbuffets, Herr Zeilinger, lässt sich nicht pauschal datieren, da ganz unterschiedliche Gründe dafür verantwortlich sind, aber ab den 1970ern verloren sie zugunsten anderer "schneller" Gastronomieformen generell stark an Bedeutung.

Mirko Herzog

Wieder ein spannender und informativer Artikel - danke, liebe Frau Breuss und liebe Kollegin Susanne! Lesetipp zum Verkaufsautomatenthema: Eduard Pötzls "Blick in die Zukunft" von 1912, abgedruckt in Peter Payers "Eduard Pötzl. Großstadtbilder" (2012), S. 143-148.

Waltraud

Vielen Dank für die immer wieder sehr interessanten Themen! Wir genießen es sehr, diese zu lesen und uns dadurch geschichtlich ein wenig über Österreich weiterbilden zu können!

Fritz Zeilinger

Interessanter Beitrag zur Vielfalt der Automaten und der großen Buffets. Wann sind diese Automaten-Buffets eigentlich verschwunden?
Danke!