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Zeichnungen Otto Wagners aus Privatbesitz
Dem Architekten über die Schulter blicken
Wann immer sich eine Gelegenheit bietet, wird versucht, den Bestand des Wien Museums zu ergänzen und abzurunden – die außergewöhnlich hohen Preise, die Zeichnungen Otto Wagners auf dem Kunstmarkt erzielen, setzen dem jedoch zunehmend Grenzen. Im vergangenen Jahr gelang dem Verein der Freunde des Wien Museums dank des großzügigen Entgegenkommens des Vorbesitzers der Ankauf eines Konvolutes von sieben Zeichnungen Wagners. Sie erlauben einen exemplarischen Blick über die Schulter des Architekten und werden hier zum ersten Mal gesammelt vorgestellt.
Zwischen 1886 und 1888 errichtete Otto Wagner im Haltertal bei Hütteldorf einen repräsentativen Sommersitz, der zu den bedeutendsten Künstlervillen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählt. Der zentrale Baukörper ist von den Renaissancevillen Andrea Palladios beeinflusst, der bauplastische Schmuck jedoch rezipiert barocke Formen. Charakteristisch für Otto Wagner ist der eigenwillige, selbstbewusste und kreative Umgang mit den historischen Vorbildern, der ihn vom Großteil seiner Zeitgenossen unterscheidet. Bemerkenswert früh kündigt sich hier eine Distanz zum Historismus an, die ihn wenig später zur „Modernen Architektur“ führen wird. An der Schauseite der Villa dokumentieren zwei lateinische Sinnsprüche Wagners künstlerisches Ideal: „Sine arte, sine amore, non est vita“ (Ohne Kunst, ohne Liebe gibt es kein Leben) und „Artis sola domina necessitas“ (Die einzige Herrin der Kunst ist die Notwendigkeit). Als wären es Trophäen eines Sammlers oder Dokumente der Weltläufigkeit des Bauherrn sind in den Wandnischen direkt unter den beiden Inschriften monumentale chinesische Bronzevasen aufgestellt, für die Wagner ungewöhnliche Sockel aus farbiger Majolika entwarf. Eine virtuose eigenhändige Federzeichnung Wagners zeigt, dass Wagner zunächst einen anderen Sockel mit Widderschädeln und grotesken Masken vorgesehen hatte.
Wagner ließ die Villa und ihre Haupträume unmittelbar nach der Fertigstellung fotografieren und veröffentlichte die Aufnahmen bereits 1889 im ersten Band seiner Werkpublikation „Einige Scizzen, Projecte und ausgeführte Bauwerke“. Die Fotografie des Salons, der eine Serie von heroischen Landschaften des Malers Joseph Hoffmann enthielt, diente Wagner als Vorlage für ein 1890 datiertes und signiertes Aquarell, das er um ein rätselhaftes Detail ergänzte: Auf dem Sessel im Vordergrund hängt eine Puppe oder Marionette, die auf eine auf dem Boden vor ihr liegende Reisigrute zu blicken scheint; vermutlich handelt es sich dabei um eine scherzhafte, für nicht Eingeweihte unverständliche Anspielung auf ein familiäres Ereignis. Das Blatt, das möglicherweise ein Geschenk Wagners an seine geliebte zweite Frau Louise war, deutet darüber hinaus aber auch auf die intensive Auseinandersetzung des Architekten mit dem Medium Fotografie hin, die er hier zur Unterstützung der perspektivischen Konstruktion des Innenraumes einsetzt.
Der Entschluss, das eben erst vollendete repräsentative Stadtpalais am Rennweg aufzugeben und die Sommervilla für den ganzjährigen Gebrauch zu adaptieren, führte 1895 zu einer Reihe von Umbauten. In dieser Zeit entstand auch der Entwurf für eine Stützmauer im Garten, die zugleich der Präsentation wertvoller exotischer Pflanzen dienen sollte. Obwohl die Gestaltung von Gärten in Wagners Schaffen stets nur ein Randthema war, legte er großen Wert auf die sorgfältige Planung und visuelle Inszenierung des Parks seiner eigenen Villa, der in einer Reihe von Fotografien publiziert wurde. Die Ausführung der aus Steinquadern bestehenden Stützmauer, die bis heute zwischen dem Gärtnerhaus und dem ehemaligen Stallgebäude der Villa erhalten geblieben ist, entspricht weitgehend dem eigenhändigen Entwurf Wagners.
Dass Wagner 1895 überhaupt die Zeit fand, die Villa in Hütteldorf umzubauen und sogar die Stützmauer im Garten eigenhändig entwarf, ist angesichts der Arbeitsbelastung jener Jahre erstaunlich. 1894 hatte er den größten Auftrag seiner Karriere erhalten: den Bau der Wiener Stadtbahn. Mit diesem Projekt machte Wagner, der sich schon seit Jahrzehnten intensiv mit Fragen der Verkehrsplanung auseinandergesetzt hatte, endgültig den Schritt zum Architekten der modernen Großstadt. Das fast 40 Kilometer lange Verkehrsbauwerk mit 36 Stationsgebäuden, 42 Viadukten, 78 Brücken, 15 Tunnels und Galerien wurde unter Wagners Ägide zu einer formal einheitlichen, das Stadtbild bis heute prägenden Megastruktur.
Um Planung und Umsetzung dieses Projektes innerhalb von nur sieben Jahren zu bewältigen, beschäftigte Wagner zeitweise bis zu 70 Mitarbeiter in seinem Atelier, darunter so prominente Namen wie Josef Hoffmann, Joseph Maria Olbrich oder Josef Plečnik. Letzterer war 1896 mit dem Entwurf der Station Gumpendorfer Straße der Gürtellinie beschäftigt, die sich durch außergewöhnliche ornamentale Details auszeichnet. Eine kleine, noch in Wagners Atelier fälschlich mit „Josephstädterstr.“ beschriftete Zeichnung – sie stammt wohl aus Plečniks Hand – zeigt in Wahrheit die unorthodoxe Gestaltung der Fensterstürze im Sockelgeschoß der Station Gumpendorfer Straße und fokussiert damit auf die freie Weiterentwicklung klassischer Motive, die Wagner als den einzig richtigen Weg im Umgang mit historischen Vorbildern ansah. Sie gibt durch die Darstellung behauener, in Wahrheit in Putz imitierter Steinquader aber auch einen dezenten Hinweis auf den Umstand, dass die Stadtbahnstationen ursprünglich zum Teil mit Granit verkleidet werden sollten, durch Sparmaßnahmen jedoch als Verputzbauten ausgeführt werden mussten – mit für die Erhaltung und das Erscheinungsbild bis heute problematischen Konsequenzen.
Als Wagner 1897 den zweiten Band seiner Werkpublikation vorlegt, ist das 20. Jahrhundert schon zum Greifen nah. Der Architekt, der in jenen Jahren eine Zukunft der Baukunst entwirft, die nicht mehr den Stilen der Vergangenheit folgt, sondern das „moderne Leben“ auch formal zum Ausdruck bringt, kann den Beginn des neuen Jahrhunderts nicht erwarten. An mehreren Bauten, die er in jenen Jahren fertigstellt, lässt er die lateinische Jahreszahl „MCM“ (1900) anbringen, um auf die Modernität seiner Architektur hinzuweisen. Diese Bauten wurden zwar im 19. Jahrhundert errichtet, weisen jedoch bereits visionär auf die kommende Epoche voraus.
Die Initiale „S“, mit der das Vorwort des zweiten Bandes von „Einige Skizzen“ anhebt, wird von Wagner mit „MCM“ ligiert, wodurch dem Text eine in die Zukunft weisende, programmatische Bedeutung unterstellt wird. Dementsprechend heißt es im Text, dass beim Entwurf eines Gebäudes „Zweck, Technik, Lage und Mittel völlig klar zu zeigen sind“, und „es nicht angeht, sclavisch an Epochen und Formen anzuknüpfen, welche eben mit diesen Prämissen im grellsten Widerspruche stehen. Neue Ziele auf anderm Wege zu erstreben, ist unnatürlich, gesucht und daher fehlerhaft. (...) Deshalb auch hier meinen Schülern ein kräftiges ‚Vorwärts‘; wir sind auf der richtigen Bahn!“ Die apodiktische, bisweilen martialische Rhetorik Wagners und seiner Schüler an der Akademie der bildenden Künste rief bald seine Gegner auf den Plan – und der leidenschaftliche Kampf zwischen den Vertretern der akademischen Tradition und der „Moderne“ in Wien ließ nicht lange auf sich warten.
Nicht alle Zeichnungen lassen sich so wie die bisher vorgestellten eindeutig einem bekannten Projekt Wagners zuordnen. Zwei Blätter des Konvolutes geben weiterhin Rätsel auf. Die sorgfältige Darstellung einer eisernen Kuppelkonstruktion, die möglicherweise noch aus den 1880er-Jahren stammt ist ebenso schwer einzuordnen wie der Schnitt durch ein Stiegenhaus, der anhand der Ornamente in die Zeit um 1898 datiert werden kann. Die Treppenstufen liegen auf eisernen Doppel-T-Trägern auf, einer zu jener Zeit üblichen Konstruktion, das durchbrochene Geländer des oberen Laufes zeigt die für Wien typischen stilisierten Pflanzenornamente. Bemerkenswert ist auch der originelle Beleuchtungskörper, der auf einen öffentlichen Zweck des Gebäudes hinweisen könnte. Dass das Blatt mit der Stadtbahnplanung in Verbindung steht, ist unwahrscheinlich – war dort doch ein weitgehend standardisiertes Repertoire an Schmuckformen im Einsatz, die hier nicht anzutreffen sind.
Die beiden Blätter reihen sich damit ein in die große Zahl an Objekten des Wien Museums, die noch auf eine genauere Erforschung warten: das Museum als Wissensspeicher, aber auch als Ort der ungelösten Rätsel.
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