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Zuhause mit Kindern
Zwischen Chaos und Mutterglück
Vor rund 200 Jahren war es kein lebensbedrohlicher Virus, sondern ein restauratives politisches System inklusive alles überwachender Geheimpolizei, das die Menschen in die Privatheit flüchten ließ. Politisch-historisch wird diese Epoche als Vormärz bezeichnet, für den Kunst- und Lebensstil der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hält sich zäh der Begriff „Biedermeier“.
Wieso aber hat sich diese „biedermeierliche“ Zurückgezogenheit so stark in unseren Köpfen verankert und wird vielfach, bzw. gerade in Zeiten coronabedingter Öffentlichkeitsmeidung, positiv mit Heimeligkeit und familiärem Zusammenhalt assoziiert? Zu einem gar nicht geringen Teil könnte das an der Wirkung künstlerischer Bilder liegen. In der Malerei und Grafik der Epoche entstanden Kunstwerke, die bis heute unsere Vorstellung vom idealen Kinder- und Familienglück prägen. Mehrere Faktoren trugen dazu bei. Zum einen war es die große künstlerische Errungenschaft der damaligen Malerei, sich vollkommen neue Themenwelten zu erobern.
Galten zuvor vor allem Motive aus Mythologie, Religion und politischer Geschichte als kunstwürdig, so erwachte nun das Interesse an der Beobachtung und Darstellung des alltäglichen Lebens. Dazu gehörten natürlich auch das häusliche Umfeld und das familiäre Zusammensein. Die Künstler agierten und produzierten zunehmend für einen Kunst- und Ausstellungsmarkt abseits fixer Dienst- und Auftragsverhältnisse. Sie mussten sich weitere Käuferschichten wie z.B. die ökonomisch aufstrebende Kundengruppe des Bürgertums erschließen, indem sie deren Bedürfnisse erfüllten.
Die Art und Weise wie das familiäre Zusammensein dargestellt wurde, bediente daher den veränderten Wertekanon der Gesellschaft des Vormärz. Familienbilder, in deren Zentrum die Kinder standen, transportierten das Ideal der (Klein-)Familie als Keimzelle des Staates. Die Frau fand im Zuge einer grundlegenden Neudefinition von Geschlechternormen ihre „Bestimmung“ zuhause und in der Rolle als liebevolle Mutter, was in zahlreichen Mutter-Kind-Bildern zelebriert wurde. Das Kind wurde aber auch als eigenständiges Thema und Motiv entdeckt und im Spiel, in seine Welt versunken und als gelehrsames Wesen dargestellt. In den Kindern manifestierte sich sowohl die mütterliche und auch die eheliche Liebe. Oft bot die Intimität von Innenräumen die Bühne für das familiäre Miteinander. Enge Bild- und Raumausschnitte vermittelten Heimeligkeit, konnten aber auch als Hinweis auf beengte, ärmliche Verhältnisse gelesen werden. So entstanden dem Publikumsgeschmack entsprechende Bildwelten mit vielfach moralischer Botschaft, die bis heute nachhallt.
Dazu einige Beispiele aus der Sammlung des Wien Museums: Ferdinand Georg Waldmüller (1793-1865) brachte mit „Mutterglück“ eine äußerst erfolgreiche Bildformel auf den Weg, die er in nicht weniger als zehn weiteren Varianten und Kopien wiederholte. Eine Mutter genießt das fröhliche Zusammensein mit ihren drei Kindern. Die Tochter zu Ihrer Linken neckt das Baby auf ihrem Schoß mit einer roten Nelke, der Knabe zu ihren Füßen reicht ihr einen kleinen selbstgepflückten Blumenstrauß. Die Komposition ist ganz auf dieses zärtliche und liebevolle Miteinander und den Familienkosmos konzentriert. Waldmüller verstand es, durch die plastisch hervortretenden Körper und die hell erleuchteten weißen Gewandpartien das umgebende Interieur beinahe verschwinden zu lassen.
Für Josef Danhauser (1805-1845) wurde seine Familie zu einem zentralen Thema und der erstgeborene Sohn Josef zum meistverwendeten Modell. In Danhausers Kinderszenen brauchte es keine Erwachsenen mehr, so sehr waren sich – und dem Publikum - die kleinen Akteur_innen selbst genug. Von „Das Kind und seine Welt“, in dem er seinen dreijährigen Knaben bäuchlings auf einem Stuhl inmitten seiner Spielsachen liegend zeigte, fertigte der Maler zwischen 1842 und 1845 nicht weniger als acht Versionen an, auch als Druckgrafik war das Motiv gefragt.
Selbst wenn der vom Maler gewählte Titel suggeriert, der Junge wäre mitten im Spiel überrascht worden, so war das Geschehen doch deutlich und sorgfältig arrangiert: Spielzeugfiguren und Kutsche sind viel zu weit vom Stuhl entfernt, als dass sie der Bub tatsächlich hätte angreifen können. Angesichts des Publikumserfolges solcher Kinderbilder gab es auch Stimmen, die gegen diesen „Übelstand besonderer Art“ wetterten. Der Kritiker Preleuthner schrieb am 3. Juli 1845 in den „Österreichischen Blättern“: „Man hat es dabei auf die sogenannte Gemütlichkeit des Publikums, vornehmlich des weiblichen, abgesehen; derlei Darstellungen sind in der Regel nur die Resultate einer gewissen geistigen Unkraft und einer beabsichtigten Rührerei.“
Während liebende, lehrende und tadelnde Mütter oder Großmütter allgegenwärtig schienen, waren Väter-Kinder-Kombinationen die große Ausnahme. Daher sei mit „Der schlafende Maler“ ein zweites Gemälde Danhausers erwähnt. Der Künstler, Danhauser selbst, ist bei der Arbeit eingeschlafen, seine Kinder nützten die günstige Gelegenheit und führten in der Zwischenzeit das begonnene Bild fort. Der Künstler reflektierte hier jedoch weniger seine Rolle als die Erziehung vernachlässigender Vater als diejenige als Maler. Was geschieht, wenn der künstlerische Prozess im Traum, unkontrolliert bzw. in unverfälschter kindlich-spielerischer Kreativität fortgeführt wird? Man könnte ergänzen: Was passiert in einer „verkehrten“ Welt, in der die Kinder übernehmen?
Eine Übernahme ganz anderer Art fand in Johann Mathias Ranftls „In der Kinderstube“ aus dem Jahr 1832 statt. Ein Bub scheucht mit seinem Schwert die Katze auf, die prompt den Blumenstock vom Fensterbrett stößt, zwei am Boden sitzende Kleinkinder malträtieren einen aus seinem Käfig „befreiten“ Vogel, die sichtlich genervte Mutter schimpft und versucht ihrerseits das quengelige Baby auf ihrem Schoß zu beruhigen. Die Verhältnisse sind mehr als beengt, das – einzige – Bett scheint fast den Ausgang zur Tür zu verstellen. Hier verdichtet sich die enge Raumbühne der Biedermeierinterieurs zu einem bedrohlichen Szenario, bei dem man zu spüren vermeint was passiert, wenn zu viele Menschen auf zu engem Raum koexistieren müssen. Dennoch ziert der Segen „C-M-B“ und eine Zeichnung der dem Stern folgenden Könige die Wohnungstür. Es gab also auch in der Malerei des Biedermeier häusliches Chaos, kindliche Anarchie, Situationskomik und überforderte Mütter, wenn auch wahrscheinlich nur um zu zeigen, wie man (oder frau) es nicht machen sollte…
Rupert Feuchtmüller: Ferdinand Georg Waldmüller (1793-1865). Leben, Schriften, Werke, Wien 1996, S. 186 und S. 520;
Sabine Grabner: Josef Danhauser. Biedermeierzeit im Bild. Monografie und Werkverzeichnis, Wien, Köln, Weimar 2011, S. 112-114 und S. 119-121
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