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Berthold Ecker und Gabriela Nagler, 3.8.2023

Zum 100. Geburtstag von Oswald Stimm

Eigentlich begann alles in Buenos Aires

Auf drei seiner Plastiken können aufmerksame Spaziergänger:innen in Wien stoßen, seine restlichen Werke sind kaum öffentlich sichtbar: Oswald Stimm sammelte international Inspiration und bereicherte die Wiener Kunstszene seit den 1950er Jahren mit seiner experimentellen Bildhauerei – heute findet er jedoch wenig Beachtung. Eine kunsthistorisch Betrachtung zeigt die vielfältigen Facetten seines Schaffens.

So wie überall auf der Welt werden auch in der Wiener Kunstszene die Leuchttürme des internationalen Kunstgeschehens zur Orientierung herangezogen. Die Pflege der örtlichen Kunst wird dabei vernachlässigt und in ihrer Qualität mitunter nicht gebührend wertgeschätzt. So geschieht es, dass sogar Künstler:innen, die tatsächlich lange Zeit international erfolgreich tätig waren, hierzulande nicht entsprechend wahrgenommen werden und die museale Präsentation ihres Schaffens fehlt. Unter ihnen ist aus gegebenem Anlass Oswald Stimm hervorzuheben – er hätte dieses Jahr am 13. August seinen 100. Geburtstag gefeiert. Mit seinem Werk nimmt er eine außergewöhnliche Position in der österreichischen Geschichte der Bildhauerei ein. Anfänglich bestimmen figurale Motive seine Arbeit, doch schon in den 1950er Jahren werden diese von abstrakten Objekten aus Holz, Draht und Stein sowie Raumdesign und Installationen abgelöst. Und eigentlich begann alles in Buenos Aires. 

1923 in Wien geboren, wurde er als junger Mann in den Wehrdienst eingezogen und verbrachte zwei Jahre in belgischer und englischer Kriegsgefangenschaft, bevor er ab 1946 Bildhauerei an der Wiener Akademie der bildenden Künste bei Josef Müllner und Franz Santifaller studierte. 1947 heiratete er Elfriede Heidendorfer und ein Jahr später kam ihr Sohn Thomas zur Welt.

1951 lernte er die argentinische Bildhauerin Ilse Wehner zufällig in der Wiener Akademie kennen, heuerte bald darauf als Matrose an und reiste zu ihr nach Südamerika. In Argentinien wurde sie seine zweite Frau. Wehner stammte aus Buenos Aires. So war es für Stimm einfach, mit den neuen Bewegungen der südamerikanischen Avantgarde in Kontakt zu kommen.

In intensiver Auseinandersetzung mit den Künstlergruppierungen „Arte Concreto“ und „Movimiento Madi“ gelangte Stimm zu abstrakten Gebilden, die sich immer mehr von seinen anfänglich figurativen Werken, wie etwa die Holzskulptur „Mujer Grande“ aus der Zeit um 1951/1952, die sich heute im Museo Nacional de Bellas Artes befindet, entfernten. Diese Bestrebungen führten ihn sukzessive weiter zu Kompositionen aus Holz, Holzkisten, Draht, Metall und anderen wiederverwendeten Materialien, heute würde man Recycling dazu sagen, die sich für seine ungegenständlichen Raumobjekte und Skulptursysteme eigneten. 

Die Künstlergruppe Madi, der Name ist ein Kürzerl für „Movimiento, Abstraccion, Dimension, Invencion“, hat ihre Intentionen hinsichtlich der Bildhauerei in einem Manifest so beschrieben: „Die Madi-Skulptur“ ist „Dreidimensionalität, keine Farbe. Totale Form und Körper mit Umfeld, mit Artikulation, Rotation, Translationsbewegung, etc.“ Diese künstlerischen Anliegen der Gruppe Madi beflügelten Stimms Gestaltungswillen, der sich mit seinen Objekten ein raumgreifendes System und ein ganz eigenes Universum an Plastizität geschaffen hat. Als weitere Inspiration für Stimms Oeuvre können zudem die Werke von Alberto Giacometti, Constantin Brancusi, den russischen Konstruktivisten wie, Antoine Pevsner und sein Bruder Naum Gabo, sowie Vladimir Tatlin gelten. Seine erste abstrakte Skulptur im öffentlichen Raum mit dem Titel „Ascendente“ steht heute noch am Friedhof Flores in Buenos Aires.

In der Sammlung des Wien Museum Musa befinden sich einige Werke, die Stimm nach Wien mitgebracht hatte. Darunter zwei sehr frühe Kleinplastiken, Männlicher Akt und Weiblicher Akt, die beide in den beginnenden 1950er Jahren entstanden und eine Serie von Bildhauerzeichnungen, die ein Jahr vor der Rückkehr datieren und einen Körperaufbau und ein Verhältnis der einzelnen Teile zueinander vermitteln, das auch Otto Eder einen weiteren bedeutenden österreichischen Bildhauer in den frühen 1960er Jahren charakterisiert.

1965 kehrte Stimm nach Wien zurück. Er positionierte sich abseits der kubistischen Formvorstellung Fritz Wotrubas, der als Zentralfigur der Bildhauerei im Wien der österreichischen Nachkriegszeit eine große Bedeutung einnahm. „Wohl identifiziere ich mich voll und ganz als geistiger Schüler Wotrubas, versuche aber von diesem Stil etwas Abstand zu gewinnen und tendiere mehr zu organischen Formen.“, zitierte Fritz Bertola Oswald Stimm in seinem Porträt des Künstlers im Firmenmagazin Waagner-Biros. Diese Annäherung zeigt sich in der naturalistischen Gestaltung eines Buben aus dem Jahr 1962, von der er sich aber sehr bald wieder abkehren sollte.

In den Wiener Werkhallen des ehemaligen Stahlbauunternehmens Waagner-Biro AG sind im Lauf der Zeit mehrere Werke Oswald Stimms entstanden. Aus dieser Phase finden sich in der Sammlung des MUSA die Plastiken „Konstruktion“ (1965), der „Stelzenkopf“ (1967) und „Eckenbändiger“ (1967), die noch direkt vom Künstler erworben werden konnten. Letztere Plastik sollte in einer oberen Raumecke aufgehängt werde. Im Gespräch betonte Stimm, wie wichtig ihm dieses Werk sei. Es ist seither eines der zahlreichen Hauptwerke der Städtischen Sammlung zeitgenössischer Kunst.

1971 fand endlich eine große Einzelausstellung in der Wiener Secession statt. Otto Mauer schrieb anlässlich dieser Präsentation über den Künstler: „Er abstrahiert radikal. Die Figur verliert Gesicht und Glieder, objektiviert sich in ein technoides Gebilde, der Abbildcharakter entfällt und Architektur wird vorherrschend.“

Neben der Skulptur war es tatsächlich die Architektur und zwar der Innenraum, der Stimm zu neuen Arbeiten veranlasste. Das wird bei seiner Zusammenarbeit mit dem Architekten Hermann Loos in Buenos Aires offensichtlich. In den 1950er Jahren realisierte er eine Wandgestaltung für das Appartement Distenfeld und ein Relief für die Wohnung Matalon in Buenos Aires. Auch in Wien gelangte für den Hausdirigenten der Wiener Staatsoper, Berislav Klobucar in den 1960er Jahren ein kongeniales Raumkonzept mit einem stringenten Zusammenspiel von Design, Wandreliefs und Skulptur zur Ausführung.

Ab den 1970er Jahren beteiligte sich Stimm an diversen Symposien in Österreich wie etwa im Krastal, wo er wieder mit Otto Eder zusammentraf und in Mauthausen, er reiste aber auch nach Japan und Ägypten. In dieser Zeit gewann der Stein als Material wieder an Bedeutung. Seine „Begehbare Skulptur“ (1972) ist in Wien Favoriten, in der Puchsbaumgasse 2, Stiege 41, Laaer Wald zu besichtigen und auch zu betreten, womit er das Publikum unmittelbar in seine Arbeit integriert. Ein weiterer Stein mit dem Titel „Vegetativ-Kristalline Form“ (1971) wurde in der Großfeldsiedlung eindrucksvoll unter Kiefern positioniert. Die Bronzeskulptur „Begegnung“ (1966) ist Stimms dritte Plastik im öffentlichen Raum Wiens. Sie stellt in der Vorgartenstraße 158 einen visuellen Anziehungspunkt dar.

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1973 kehrte der Künstler Wien erneut den Rücken zu, um einer Berufung der Academie des beaux arts nach Kinshasa, Kongo zu folgen. Neben seiner Professur näherte sich Stimm hier vor allem in seinen Zeichnungen und Aquarellen wieder figuralen Motiven an. Auch bei der Skulptur interessierte ihn nun neben abstrakten Formen erneut der menschliche Körper als Ausgangspunkt für seine Werke. Der Mensch steht auch im Zentrum der „Nouvelle Peinture Populaire“, der damals aufstrebenden kongolesischen Malerei, die als Kommunikationsmittel fungierte. Diese Malereien sollten Gespräche und öffentliche Debatten auslösen. Sie waren bunt, lebensfroh und amüsant. Oswald Stimm wird ja selbst als lebensfroh und als amüsanter Unterhalter geschildert. Nicht ohne Grund wurde der Titel seines umfassenden Werkkataloges, der 2016 erschienen ist, mit „Tänzer in der Zeit“ ergänzt. Jedenfalls wurde in den Zeichnungen und Aquarellen dieser Zeit der Alltag und das Leben in Kinshasa immer wieder miteinbezogen und mag auch Ansatzpunkt für weitere plastische Gestaltungen gewesen sein. Diese grafischen Werke bilden ein eigenes Kapitel in Stimms Oeuvre und überzeugen gerade heute mit hoher Aktualität. Auch aus dieser Phase befinden sich zwei Werke in den städtischen Sammlungen: „Ndoki“ (1976) und „Torso“ (1980) zeigen deutlich die Einflüsse aus der ihn umgebenden Kultur.

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1982 wieder in Wien, wurde eines der Bildhauerateliers im Prater zum Zentrum seines Schaffens. Es entstanden nach wie vor geniale Holzskulpturen im Spannungsfeld von Form und Raum mit einer immer wieder überraschenden Vielfalt an Materialwendigkeit, Formfantasie und pointierter Farbgebung. Besonders bekannt ist seine Skulptur für den „Print Oscar“ von 1984. Der bedeutende Kunstkritiker Kristian Sotriffer beschrieb diesen neuen Gestaltungswillen des Künstlers treffend im Ausstellungskatalog der Galerie Atrium ed Arte im Jahre 1985: „Seine während der sechziger Jahre entwickelten, von bestimmten Vorstellungen einer ‚arte povera’ zweifellos mitgeprägten konstruktiv-informellen Material-Assemblagen aus Röhren und Schachteln bedeuten für die österreichische Bildhauerei einen völlig neuen Weg.“

Die abstrakte Kunst in Österreich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat generell lange Zeit auf Anerkennung gewartet. Dabei hatte es die Plastik noch schwerer als die Malerei. Oswald Stimms neuer Weg in der Bildhauerei fand daher nur bei einer begrenzten Fachwelt und Fangemeinde Anerkennung. Der ganz große Erfolg blieb in Wien aus. Vielleicht gerade weil sein Oeuvre neue Wege abseits des plastischen Mainstreams in Österreich nach 1945 aufweist und seine Bedeutung nicht erkannt wurde.

Immerhin erhielt Stimm u.a. 1977 den Theodor-Körner-Preis, 1989 den Würdigungspreis der Stadt Wien und 2010 den Goldenen Lorbeer des Wiener Künstlerhauses. Im selben Jahr kuratierte Peter Bogner eine umfassende Schau über die letzten Jahrzehnte seines Schaffens im Wiener Künstlerhaus, die Stimm noch erleben durfte. Eine museale Ehrung, die seinem Schaffen gerecht wird, fehlt nach wie vor.

Literatur und Quellen:

16 Manifiesto Madi, in Madimagazine, Buenos Aires, Nr. 0/1947 in: M. Boeckl, „Künstlerische Relativitätstheorie“, „Oswald Stimm - Der Tänzer in der Zeit“, Werkkatalog, Wien 2016, S. 19.

M. Boeckl, „Künstlerische Relativitätstheorie“, in „Oswald Stimm - Der Tänzer in der Zeit“, Werkkatalog, Wien 2016, S. 11

Otto Mauer, in: S. Aigner „Zwischen Nonfinito und Geschlossenheit – Oswald Stimms Auseinandersetzung mit Skulptur und Raum“, „Oswald Stimm - Der Tänzer in der Zeit“, Werkkatalog, Wien 2016, S. 31

Kristian Sotriffer, in: M. Boeckl „Künstlerische Relativitätstheorie“, in „Oswald Stimm - Der Tänzer in der Zeit“, Werkkatalog, Wien 2016, S. 12

Berthold Ecker, Kunsthistoriker, Schwerpunkt im Bereich zeitgenössischer Kunst, 2003-2017 Kunstreferent der Stadt Wien, seither Kurator für zeitgenössische Kunst des Wien Museums. 2007 Gründung des MUSA - Museum, Startgalerie, Artothek. Ausstellungen und Publikationen zur Österreichischen Kunst seit 1945.

Gabriela Nagler studierte Kunstgeschichte und Publizistik an der Universität Wien. Sie war mehr als dreißig Jahre im Kunsthandel tätig. Zudem verfasste sie neben diversen Forschungsarbeiten zahlreiche Texte und Katalogbeiträge zur österreichischen Kunst des 20. Jahrhunderts.

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Kommentare

Rosa Maria Plattner

Danke für den treffenden Beitrag zu Oswald Stimm. Ich habe ihn als inspirierenden Menschen und Künstler sehr geschätzt. Eine Ausstellung würde ich sehr begrüßen und könnte dazu einiges beitragen.