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Zum 150. Geburtstag von Louise Kolm-Fleck
Pionierin hinter der Kamera
Dass die Pionierin des österreichischen Films – spät, aber doch – wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde, ist der Autorin und Regisseurin Uli Jürgens zu verdanken, die sich auf akribische Spurensuche begab. Ihre Recherchen bildeten die Basis für einen Dokumentarfilm sowie das biografische Werk „Louise, Licht und Schatten“ (erschienen im Mandelbaum Verlag 2019). Geboren wurde Louise als Aloisia Veltée am 1. August 1873 in Wien. Louise, wie sie stets genannt wurde, und ihr älterer Bruder Claudius wuchsen in gut situierten Verhältnissen im elterlichen Haus in Wien Dornbach auf. Den Grundstein für die filmaffine Familientradition legte Louises Großvater Claudius, der einer französischen Kunstfeuerwerkerfamilie entstammte und sich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in Wien ansiedelte. Der Name Veltée bürgte bald für spektakuläre Aufführungen und die Freude am Experimentieren mit Licht- und Schatteneffekten wurde an seinen Sohn Louis weitergegeben, der 1886 das Stadtpanoptikum am Kohlmarkt 10 gründete. Louise war damals 13 Jahre alt, oft im väterlichen Betrieb zugegen und tauchte sozusagen von klein auf in die faszinierende Welt der Bilder ein.
Begeisterung für das Bewegtbild
Ihren ersten Ehemann, Anton Kolm, lernte sie 1892 kennen, ein Jahr später heirateten die beiden und am 16. März 1894 kam ihr erster Sohn Ludwig auf die Welt. Kolm arbeitete zu dieser Zeit in der k. u. k. Hypothekenbank, doch seine Leidenschaft galt der Fotografie. Mitunter inspiriert von der kunstaffinen Familie seiner Frau, wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit, bezog ein Atelier in der Liechtensteinstraße und sattelte auf Porträtfotografie um.
In Frankreich, genauer gesagt in Paris, tat sich indes Sensationelles: Die Brüder Auguste und Louis Lumière präsentierten 1895 zum ersten Mal ihren Cinématographe, ein Gerät, das Serien von Einzelbildern an die Wand zu projizieren vermochte, wodurch der Eindruck von bewegten Bildern entstand. Eine revolutionäre Erfindung, die knapp ein Jahr später in Wien vorgestellt wurde. Louises Vater erstand einen solchen Lichtspielapparat und die „lebenden Bilder“ fanden ab 1896 Einzug am Kohlmarkt.
Nach dem Tod von Louises Vater (1897) wurde ihre Mutter Johanna als Besitzerin des Stadtpanoptikums geführt. Louise und Anton Kolm erweiterten ihr Portfolio und eröffneten in der Döblinger Hauptstraße eine Photographische Kunstanstalt. Das Geschäft lief gut und ein junger Mann namens Jakob Fleck, 1881 in Czernowitz geboren, wird Antons Assistent. Inspiriert von den neuen technischen Errungenschaften reift in den jungen Leuten mehr und mehr der Wunsch, auch in der Kinematografie mitzuwirken. Sie steckten sich hohe Ziele – sie wollten den zahlreichen ausländischen Produktionen etwas typisch Österreichisches entgegensetzen.
Fußfassen im Film
Das erste Kino in Wien – der Münstedt Kino Palast im Prater – eröffnete im Jahr 1902 und entfachte eine regelrechte Welle der Euphorie. Immer am Puls der Zeit und am neuesten Stand der Technik sein wollend, liehen sich das Ehepaar Kolm und Jakob Fleck einen Aufnahmeapparat und drehten ab 1906/07 die ersten sogenannten Aktualitäten, also kurze Sequenzen von Alltagsszenen. Doch man wollte tiefer in dieses neue Metier eintauchen, selbst inszenieren und zukünftig vielleicht sogar einmal einen eigenen Spielfilm drehen. Nächtelang wurde diskutiert, wie mit bewegter Kamera zu agieren sei, auf welche Weise die Lichtregie erfolgen sollte und die Handlung – ohne Worte – auf verständliche Weise erzählt werden könnte. Bald entstand die Idee zu einem ersten Kinodrama mit dem Titel „Von Stufe zu Stufe“. Heinz Hanus, der später als einer der ersten österreichischen Filmregisseure und Drehbuchautoren reüssieren sollte, schrieb gemeinsam mit Louise Kolm das Drehbuch, Jakob Fleck führte Kamera, Anton Kolm agierte als Produzent. Aufzeichnungen zufolge soll der Film 680 Meter lang gewesen und 1908 erstmals auf einer Leinwand gezeigt worden sein. Hiermit enden allerdings die nachweisbaren Quellenangaben, es finden sich in der Folge keine weiteren dokumentierten Beweise zur Existenz dieses Filmes. Sollte es ihn tatsächlich gegeben haben, wäre „Von Stufe zu Stufe“ der erste österreichische Spielfilm.
Historisch belegt ist die Tatsache, dass im Jänner 1910 Johanna Veltée ihre Tochter finanziell dabei unterstützte, als sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, ihrem Bruder Claudius und dem Kameramann Jakob Fleck in Wien Alsergrund die Filmproduktionsfirma „Erste Österreichische Kinofilms-Industrie“ gründete und damit die erste Filmproduktionsfirma der Monarchie. Ein Jahr später wurde das Unternehmen als „Wiener Kunstfilm-Industrie“ neu aufgestellt und hatte bis 1918 Bestand. Die ersten Produktionen waren kurze Dokumentationen aus Wien und anderen Teilen der österreichischen Monarchie. Gleichzeitig versuchte man im Spielfilmbereich Fuß zu fassen, was noch im selben Jahr gelingen sollte, als Jakob Fleck als Regisseur der Grillparzer-Verfilmung „Die Ahnfrau“ debütierte.
1910 war für Louise auch in privater Hinsicht ein erfreuliches Jahr, zumal ihr zweiter Sohn Walter auf die Welt kam, der gewissermaßen im Kino aufwuchs. Bereits als Dreijähriger war er im Spielfilm „Johann Strauß an der schönen blauen Donau“ (1913) als Kinderdarsteller zu sehen, ebenso wie im Streifen „Mutter Sorge“ (1915).
Frauen am Set
Das erste Mal namentlich in einer Kritik erwähnt wurde Louise Fleck 1912, als die „Kinematographische Rundschau“ sich mit dem Film „Der Unbekannte“ befasste und es dem Rezensenten „als Pflicht erschien, auch die Verdienste um das Gelingen der Sache, der Frau Kolm, der Gattin des unermüdlichen kommerziellen Direktors Kolm zu erwähnen, die in Bezug auf Regie viel Gutes geleistet hat“. Dieser Film war über 1000 Meter lang und mit einer Spielzeit von rund 30 Minuten der bisher längste in Österreich produzierte Film. „Der Unbekannte“ firmiert zudem als jenes Werk, mit dem man sich erstmals gegen die ausländische Konkurrenz behaupten konnte, er wurde in andere Länder verkauft und lief beispielsweise in Frankreich unter dem Titel „Forger’s Doom“.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt machte sich Louise Kolm als Miteigentümerin einer Produktionsfirma und erfolgreiche Regisseurin einen Namen und war – abgesehen von der französischen Filmpionierin Alice Guy-Blaché – eine der wenigen weiblichen Protagonistinnen in diesem Metier. In Wien gab es damals neben Schauspielerinnen kaum Frauen, die beim Film arbeiteten, wie Uli Jürgens in ihrer Louise-Fleck-Biografie vermerkt. Eine Ausnahme war etwa Irma Handl, die 1905 das erste Filmverleihunternehmen der Monarchie gründete und das legendäre Handl-Kino auf der Mariahilfer Straße 160 führte, in dem auch „Kunstfilm“-Produktionen gezeigt wurden. Ebenfalls als Pionierin darf Sophie Nehéz bezeichnet werden, die im Jahr 1908 als erste Frau die Zulassungsprüfung zur Filmvorführerin bestand und mit ihrem Mann das Zentral Theater in Wien Ottakring betrieb, das u.a. Louise Kolms Film „Die Heldin vom Moulin-Rouge“ im Programm hatte.
Angesichts der enormen Anzahl an Produktionen ist es nicht einfach, ein Schlüsselwerk der umtriebigen Kunstfilm-Crew hervorzuheben. Als paradigmatisch für ihr Gesamtwerk darf allerdings die Verfilmung des Anzengruber-Stückes „Der Pfarrer von Kirchberg“ bezeichnet werden. Die erste von insgesamt drei Verfilmungen erfolgte im Jahr 1914. Louise Kolm führte gemeinsam mit Jakob Fleck Regie und bereits die ersten Reaktionen ließen durchklingen, dass dieses Werk „turmhoch über allem steht, was von dieser Fabrik jemals erzeugt worden war.“
Das Duo Kolm-Fleck macht internationale Karriere
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Anton Kolm bereits komplett aus dem künstlerischen Bereich zurückgezogen und verantwortete die finanziellen Agenden. Louise und Jakob Fleck entwickelten sich im Lauf der Jahre zu einem perfekten Regieduo und produzierten Filme am laufenden Band. Louise schrieb dutzende Drehbücher und führte bei über 100 Filmen Regie, die Anzahl der Kolm/Fleck-Produktionen geht wohl über 150 hinaus.
Anton Kolm, dessen gesundheitliche Verfassung sich von Jahr zu Jahr verschlechterte, verstarb am 11. September 1922. Einen Nachruf oder eine entsprechende Würdigung des Filmpioniers sucht man in den zeitgenössischen Medien vergebens. Zwei Jahre später heirateten Louise und Jakob Fleck und übersiedelten 1926 nach Berlin, um in der deutschen Filmbranche mitzumischen.
Speziell in Paris, Berlin und New York waren die sogenannten Goldenen 1920er Jahre auch eine Zeit der weiblichen Emanzipation. Louise Fleck ist 54 Jahre alt, als im Oktober 1927 in einem Artikel der Zeitschrift „Frauen-Briefe“ über ihre Karriere wie folgt berichtet wird: „Weibliche Filmregisseure sind zur Zeit noch eine Seltenheit, aber allmählich beginnen auch hier die Frauen festen Fuß zu fassen und die schwierigen und verantwortungsvollen Aufgaben, die gerade an die Filmregisseure gestellt werden, zu bewältigen. Die erste weibliche Filmregisseurin ist eine Wienerin, Frau Louise Kolm, Direktorin der Wiener Kunstfilm, die eigentliche Begründerin der österreichischen Filmindustrie, die heute in Berlin tätig ist.“ Nach derzeitigem Forschungsstand ist dies der einzige zeitgenössische Artikel, der Louise Kolm-Fleck den ihr gebührenden Platz in der österreichischen Filmgeschichte zugesteht.
Generell darf sie als sehr experimentierfreudige und für unterschiedliche Themen aufgeschlossene Filmschaffende bezeichnet werden, schuf Sozialdramen („Die Glückspuppe“, 1911, „Der Psychiater“, 1913), Komödien („Der Hut im Kino“, 1910) und Kriminalgeschichten. Frauenthemen finden sich in ihrem Œuvre ebenso wie das Spiel mit Geschlechterrollen. Politisch war Louise Fleck keine Progressive, sie verehrte Kaiser Franz Joseph und viele ihrer frühen Filme spielen im Adelsmilieu. Einen besonderen Stellenwert in ihrem Werkschaffen nehmen Literatur- und Volksstückverfilmungen ein – im Speziellen befasste sie sich mit Texten von Oskar Bendiener, Karl Farkas, Johann Nestroy, Ferdinand Raimund, Arthur Schnitzler und – allen voran – Ludwig Anzengruber.
Was ihre Arbeitsweise anlangt, war sie stets darauf bedacht, am gesamten Produktionsprozess mitzuwirken – also von der Idee über das Drehbuch, die Dreharbeiten bis zum Schnitt. Sie drängte sich nicht in den Vordergrund und stand dennoch stets im Mittelpunkt, war über Jahrzehnte gleichzeitig ruhender Pol und treibende Kraft. Dass ihr Lebenswerk auf brutale Weise gestoppt wurde, lag am politischen Weltgeschehen. Drei Monate nach Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler wurden jüdische Filmschaffende in Deutschland ihres Arbeitsplatzes verwiesen. Da Louises Ehemann jüdischer Abstammung war, übersiedelten sie wieder nach Wien. Doch auch hier kam es bald zu gravierenden Einschnitten: Aufgrund eines Abkommens, das am 20. April 1936 mit dem Deutschen Reich geschlossen wurde, mussten sich die österreichischen Produktionsfirmen dazu verpflichten, keine „Nicht-Arier“ mehr zu beschäftigen. Zahlreiche Filmschaffende übersiedelten daraufhin nach Frankreich, Großbritannien oder in die USA. Jakob Fleck bekam ein Angebot von Warner Bros, das er allerdings ablehnte – was er später sehr bereuen sollte. Stattdessen entschloss er sich zum Austritt aus dem Judentum und heiratete Louise am 11. November 1936 auch kirchlich – allerdings ohne die erhofften Konsequenzen: mit einem der ersten Transporte wurde Jakob Fleck im April 1938 nach Dachau, später nach Buchenwald deportiert.
Flucht und Exil
Louise setzte alle Hebel in Bewegung, um ihren Mann zurückzuholen. Im Sommer 1939 schaffte sie es schließlich – dank der finanziellen Unterstützung von William Dieterle, der vor über zehn Jahren den Pfarrer Hell in der zweiten Kirchfeld-Verfilmung spielte –, ihren Mann aus dem KZ freizukaufen. Ende Jänner 1940 emigrierten Louise und Jakob Fleck nach Shanghai.
Abgesehen von den ungewohnten klimatischen Verhältnissen, schien diese Stadt zunächst ein guter Zufluchtsort zu sein. In kürzester Zeit wurden Kontakte zur hiesigen Filmszene geknüpft und ein gemeinsames Projekt mit dem chinesischen Regisseur Fei Mu auf Schiene gebracht: Louise und Jakob Fleck erhielten den Regieauftrag für den Streifen „Kinder der Welt“. Am 4. Oktober 1941 erfolgte im Shanghaier Jindu-Theater die glanzvolle Premiere, der 85-minütige Film wurde für die beiden Exilanten zum Erfolg.
Doch einmal mehr wird der Traum einer internationalen Filmkarriere durch politische Geschehnisse zunichte gemacht. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour und der Eskalation des Pazifikkrieges verschlechterte sich die Lage in Shanghai ab Dezember 1941 dramatisch. Die Emigrantinnen und Emigranten wurden in einem abgeschlossenen Stadtteil interniert und ein Großteil der Menschen im Ghetto war auf Almosen und Unterstützung durch jüdische Organisationen angewiesen. In einem Brief an Freunde skizzieren die beiden ihre prekäre Lage: „Was wir durchgemacht haben, können Worte kaum schildern. Die sogenannte Unterstützung, die wir für eine Woche erhalten, genügt kaum für zwei Tage zum bescheidenen Essen, so daß wir gezwungen waren, um nicht ganz zu verhungern, nach und nach alles, was wir an Kleidern, Wäsche, Schuhen etc. hatten, zu verkaufen.“ Zu diesem Zeitpunkt wog Louise bei einer Körpergröße von 1,53 Meter nur noch 37 Kilogramm, Jakob 50 Kilogramm bei einer Körpergröße von 1,75 Meter. Als die politische Lage es im Dezember 1946 endlich erlaubte, das Land zu verlassen, waren sie unter den ersten 50 Rückkehrern, die am Shanghaier Hafen einen Passagierdampfer bestiegen, der sie – nach sieben Jahren im Exil – zurück nach Wien brachte.
Dem einst gefeierten Regiepaar sollte in der Heimat allerdings kein berufliches Comeback mehr gelingen, obwohl im Jahr 1948 die letzte der drei Kolm-Fleck-Verfilmungen des „Pfarrer von Kirchfeld“ (1937) erfolgreich im Flieger-Kino am Alsergrund auf dem Programm stand. Das Drehbuch zu dieser filmischen Anzengruber-Adaption hatte übrigens Friedrich Torberg unter dem Pseudonym Hubert Frohn verfasst.
Ende 1949 erkrankte Louise schwer und starb – von der Öffentlichkeit vergessen – am 15. März 1950 im Alter von 76 Jahren. Ihre letzte Ruhestätte befindet sich unter dem Namen Louise Kolm am Friedhof Ober St. Veit.
Literatur:
Walter Fritz: Im Kino erlebe ich die Welt. 100 Jahre Kino und Film in Österreich, Wien 1997.
Ingrid Ganster: Vom Lichtspieltheater zum Kinocenter. Wiens Kinowelt gestern und heute, In: Wiener Geschichtsblätter 2002.
Uli Jürgens: Louise, Licht und Schatten. Die Filmpionierin Louise Kolm-Fleck, Wien 2019.
Elke Krasny: Stadt und Frauen. Eine andere Topographie von Wien, Wien 2008.
Markus Nepf: Die Pionierarbeit von Anton Kolm, Louise Veltée/Kolm/Fleck und J. Fleck bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, Wien 1991.
Claudia Wolf: Arthur Schnitzler und der Film, Karlsruhe 2006.
Die Biografie „Louise, Licht und Schatten. Die Filmpionierin Louise Kolm-Fleck“ von Uli Jürgens ist im Mandelbaum Verlag erschienen. Der zugehörige Dokumentarfilm von Uli Jürgens und Nikolaus Wostry kann bis 31. Juli 2023 auf der ORF TVthek angesehen werden.
Vielen Dank an Werner Stubits für die Bereitstellung des privaten Bildmaterials aus dem Nachlass Kolm-Veltée.
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