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Peter Stuiber, 23.7.2020

Zum 30. Todestag von Bruno Kreisky

Der Überzeugungspolitiker

Am 29. Juli jährt sich zum 30. Mal der Todestag Bruno Kreiskys (1911-1990). Der Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch, einst Kreiskys Sekretär, erinnert sich im Interview an die Reform-Ära des Jahrhundertkanzlers, Kreiskys Stärken und Schwächen, an dessen Humor und den schmerzvollen Abschied von der aktiven Politik. Der Fotograf Martin Vukovits hat für den Beitrag bislang unveröffentlichte Fotos des Kreisky-Begräbnisses aus seinem Archiv geholt. 

Peter Stuiber:

Sie waren von 1977 bis 1983 Bruno Kreiskys Sekretär und Wegbegleiter. Wieviel Kontakt hatten Sie in den letzten Lebensjahren?

Wolfgang Petritsch:

Eher wenig, denn ich war ab 1983 im Ausland tätig, zunächst ein Jahr in Paris bei der OECD, dann ab Herbst `84 als Leiter des Österreichischen Presse- und Informationsdienstes und Attaché bei der UNO-Mission in New York. Wenn ich in Wien war, habe ich Bruno Kreisky natürlich besucht. Eigentlich habe ich ihn stets als Herr Bundeskanzler angesprochen, auch nachdem er mir das Du-Wort angeboten hat; Respekt braucht Distanz. In New York konnte ich mehrere Tage mit ihm verbringen. Das war 1986, als Kreisky von Norman Mailer zum 48. Internationalen PEN-Kongress eingeladen wurde und dort eine Rede gehalten hat. Die Abholung  vom Flughafen war schon ziemlich anders, muss ich sagen. Ohne Protokoll, ohne Begleitung. Er kam mir ein wenig verloren vor. Ich war sehr berührt von dem alten Herrn, der beim Ausfüllen der Einreise-Dokumente Schwierigkeiten hatte – er war so etwas einfach nicht gewohnt. In seiner aktiven Zeit als Außenminister und Bundeskanzler haben andere solche Formalitäten für ihn erledigt. Wir waren mehrere Tage zusammen in New York und haben über vieles geredet. Man hat gemerkt, er war noch immer mitten drin in der Tagespolitik  – ein scharfer Beobachter, aber auch sehr emotional in seinen Kommentaren. Daher konnte er sich auch nicht zurückhalten, sich immer wieder überbordend kritisch zur österreichischen Innenpolitik zu äußern. 

PS:

Wie fühlte er sich als „Privatmann“ in New York?

WP:

Ich kann mich erinnern, dass wir abseits vom PEN-Kongress einmal im legendären Restaurant „Club 21“ waren, wo wir zufällig den linksliberalen Ökonomen John Kenneth Galbraith und Jackie Kennedy trafen. Sie haben einander herzlich begrüßt. Da ist Kreisky schon sehr aufgeblüht und hat sich etwas verschämt gefreut über die bewundernde Zuwendung der beiden berühmten Persönlichkeiten. Es war aber mehr, denn sie waren sozusagen Gesinnungsgenossen. Galbraith hat jenes Amerika repräsentiert, das Kreisky so sehr geschätzt hat.

PS:

Konnte er nach 1983 punktuell auch kritisch auf die eigene politische Karriere zurückblicken?

WP:

Kreisky war ein Überzeugungspolitiker, der im Großen und Ganzen das für richtig gehalten hat, was er getan hat. Er hatte klare gesellschaftspolitische Vorstellungen, wie Österreich aussehen sollte. Er wurde ja nicht mit dreißig Bundeskanzler, sondern er war bereits altersmäßig weit vorgerückt und geprägt von seiner langen Erfahrung. Er war einer jener europäischen Politiker, die das  „Zeitalter der Extreme“ hautnah durchlebt haben. Sein Leben umspannt ja das ganze 20. Jahrhundert. Das hat ihn als Außenminister und Bundeskanzler seine gesamte politische Karriere zwischen 1953 und 1983 geprägt. Und diese Erinnerung an die zerrissenen 1930er Jahre  hat er in seiner dreizehnjährigen Ära als Bundeskanzler noch mit vielen Österreicherinnen und Österreichern geteilt. Heute ist das natürlich schon weit entrückt. Kreisky war zugleich immer ein Zukunftspolitiker. Sein überraschender Wahlsieg 1970 kann als historische Zäsur, gewissermaßen als Ende der Nachkriegszeit verstanden werden. Er hat der restaurativen – um nicht zu sagen provinziellen – Politik seiner Vorgänger das Paradigma der Modernisierung entgegengesetzt. Kreiskys Ausnahmestellung in der Geschichte der 2. Republik hängt damit zusammen. Und das war möglich, weil es eine von Optimismus getragene Zeit gewesen ist. So konnte Kreisky in Wirklichkeit eine nachholende Modernisierung Österreichs umsetzen. Sein Mythos hängt wohl auch damit zusammen, dass seine gesellschaftspolitischen Reformen tatsächlich transformativ gewirkt haben.

PS:

Warum konnte er so viele Menschen von seinem Weg überzeugen?

WP:

Man könnte durchaus sagen, dass Kreisky ein moderner Konservativer gewesen ist. Das merkt man bei manchen „Überbau“-Themen, etwa bei der Frage der Abtreibung und damit verbunden der Befreiung der Frau von den Fesseln einer männerdominierten Politik. Kreisky hatte ein traditionelles Familienbild, zwar liberal, aber doch auch ziemlich konventionell. Aber zugleich war er jemand, der jenen im Gefolge der 68er Bewegung angestoßenen gesellschaftlichen Wechsel zugelassen, ja unterstützt hat. Denken wir an die Justizreform. Wenn man von der Ära Kreisky spricht, darf man nicht vergessen, welche markanten Persönlichkeiten diese Zeit ausgestaltet haben – etwa ein Christian Broda, eine Hertha Firnberg oder ein Hannes Androsch. Aber ohne Kreiskys authentische Überzeugung hätten sie sich schwer entfalten können. 

PS:

Am Ende der Ära Kreisky standen der Verlust der absoluten Mehrheit und ein Zerwürfnis mit seinen Nachfolgern. Wie kam es dazu?

WP:

Das Bemerkenswerte ist, dass die Ära Kreisky eigentlich bereits vor 1983 geendet hat – nämlich mit dem Ausscheiden von Hannes Androsch aus der Regierung 1981. Der Bruch mit Androsch war letztlich nicht politischen Differenzen geschuldet, sondern einer persönlichen Entfremdung, nicht nur aufgrund der Vorkommnisse rund um Androschs Steuerberatungskanzlei. Kreisky hatte ein sehr feines Sensorium für Tabubrüche. Und das Zurschaustellen von dem, was man erreicht hat, fand er, der selber aus einem großbürgerlichen Elternhaus kam und in Wohlstand lebte, befremdlich. Es war für ihn ein Verrat an sozialdemokratischen Werten. Interessant ist, dass die parteiinterne Krise aufgrund des Bruchs mit Androsch zusammenfiel mit einem internationalen Paradigmenwechsel hin zu den Neokonservativen Ronald Reagan und Margaret Thatcher. Damals hat auch die Kritik an Kreiskys austro-keynesianischer „Deficit Spending“-Politik eingesetzt. Die internationale Wirtschaftskrise aufgrund der zwei Erdölkrisen, die Krise der Verstaatlichten Industrie, die zunehmende Arbeitslosigkeit – retrospektiv betrachtet waren es diese Faktoren, die das Ende der Ära Kreisky eingeläutet haben. Danach war es wie ein Flugzeug, das mit abgestelltem Motor recht ruhig weiterfliegt. 

PS:

Für viele war Kreisky dann offenbar schnell nur noch der Schuldenkanzler…

WP:

Das Etikett ist ihm lange geblieben, obwohl die Schuldenquote bekanntlich erst unter seinen Nachfolgern sehr viel rasanter angestiegen ist. Erst in jüngster Zeit hat sich durchgesprochen, dass Sparen allein noch keine Politik ist. Und wenn man heute in Corona-Zeiten im Zusammenhang mit der Rettung von Arbeitsplätzen von „koste es, was es wolle“ spricht, erinnert das ja durchaus an Kreiskys berühmten Ausspruch, wonach ihm ein paar Milliarden Schilling Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten als hunderttausend Arbeitslose mehr. Aber zurück zum Ausgangspunkt: Kreisky war, was man zurecht als Vollblutpolitiker bezeichnen kann. Sein Leben war Politik. Daher auch seine oftmals überbordenden Reaktionen, gelegentlich durchaus auch ungerecht und unfair. Das hat er auch selbst gewusst und gern Konrad Ferdinand Meyer zitiert: „Ich bin ein Mensch in seinem Widerspruch.“ Zurecht hat es ihn jedoch empört, dass die SPÖ so leichtfertig das Außenministerium der ÖVP überlassen hat. Das war für ihn Grund genug, den Ehrenvorsitz zurückzulegen. Ich habe das damals für überzogen gehalten. Aber ich muss ihm im Nachhinein recht geben: Wenn wir heute die SPÖ anschauen, dann ist die gesamte sozialdemokratische Außenpolitik, ob in Nahost, in der Nord-Süd-Politik oder bei so wichtigen Fragen wie Migration, Klima, Multilateralismus und Solidarität ganz einfach weggebrochen. Die kulturelle Hegemonie ist verloren gegangen. Damit ist ein wesentliches Identifikationsmerkmal für Menschen, die SPÖ wählen würden, abhanden gekommen. Die SPÖ ist zu einer defensiven, ängstlich-pragmatischen Truppe geworden – und das nicht bloß in der Außenpolitik. Das schien Kreisky damals irgendwie geahnt zu haben – daher auch die Enttäuschung über seine Nachfolger. Wobei er etwa Vranitzky Unrecht getan hat. Denn Vranitzky war nach Kreisky sicher der wichtigste Bundeskanzler und hat letztendlich die SPÖ und das Land in Richtung Europäische Union geführt – und damit eigentlich Kreiskys Politik der Öffnung weiter entwickelt.

PS:

Zwei weitere zentrale Themen ab 1986 waren die Causa Waldheim und der Aufstieg der Neuen Rechten mit der Machtübernahme durch Jörg Haider in der FPÖ. Wie stark hat ihn letzteres beschäftigt? Hat er dieses Phänomen richtig eingeschätzt?

WP:

Kreisky war sozusagen ein Integrationist. Er hat an die Macht der Vernunft, der Überzeugung und der Argumente geglaubt. Und an eine Politik, die sich als inklusiv verstand. Es gab damals ein paar Neonazis – aber die waren so eindeutig grenzwertig. Kreiskys Vision war, aus der FPÖ eine Art FDP zu machen, natürlich auch aus taktischen Gründen, um im Bedarfsfall einen Koalitionspartner zu haben. Heute wissen wir, dass alle Versuche, aus der FPÖ eine liberale Partei zu machen, im österreichischen Kontext gescheitert sind. Dem hat sich Kreisky allerdings verweigert. Uns jungen Linken in der SPÖ, die sich als Antifaschisten verstanden und dies gerne vor sich hergetragen haben, hat er gesagt: „Wem erzählt´s ihr das? Ich bin damals drangekommen!“ Ohne naiv zu sein hat er die Notwendigkeit der demokratischen Einbindung der Ehemaligen gesehen. Er hat jedenfalls nie kategorisch ge- oder verurteilt.

PS:

Auch nicht bei Waldheim?

WP:

Ich kann mich erinnern, dass Kreisky zu Beginn der sogenannten „Campaign“ gezögert hat. Er hatte Waldheim aus dem Außenministerium gekannt und ihn bei seiner Kandidatur für den Posten des UN-Generalsekretärs unterstützt. Das wurde Kreisky oft zum Vorwurf gemacht. Dabei ist es aus meiner Sicht absolut korrekt, dass der österreichische Regierungschef den einzigen österreichischen Kandidaten, der damals eine Chance hatte, unterstützt – und nicht darauf schaut, ob er schwarz oder rot ist. Überhaupt hat er in der Personalpolitik stark auf die fachliche und menschliche Qualifikation seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geachtet. Zurück zu Waldheim: Letztlich hat Kreisky allerdings verstanden, worum es in der Causa Waldheim ging – und war auch entsprechend enttäuscht, dass Waldheim aus seiner Sicht sein Vertrauen missbraucht hat.

PS:

Die historische Wende 1989 hat er gerade noch erlebt…

WP:

Das Ende des Kalten Krieges hat ihn sehr aufgewühlt. Da hat man gemerkt, wie es in seinen Augen funkelt. Er hätte sich gewünscht, in diesen Tagen der historischen Umbrüche zehn Jahre jünger und führend politisch tätig sein zu können. Das hat ihm unglaublich leidgetan, gewissermaßen seine Elegie.

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SPD-Legende Willy Brand mit Bundeskanzler Franz Vranitzky beim Kreisky-Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990. Foto: Martin Vukovits

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Der Kabarettist Werner Schneyder hielt auf Wunsch von Peter Kreisky eine Trauerrede beim Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990. Foto: Martin Vukovits

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Bürgermeister Helmut Zilk mit Alt-Bundespräsident Rudolf Kirchschläger beim Kreisky-Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990. Foto: Martin Vukovits

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Willy Brandt, Helmut Zilk, Rudolf Kirchschläger und Franz Vranitzky (v.l.) beim Kreisky-Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990. Foto: Martin Vukovits

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Ex-Bürgermeister Leopold Gratz beim Kreisky-Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990. Foto: Martin Vukovits

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Sohn Peter Kreisky und Tochter Suzanne Kreisky beim Kreisky-Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990. Foto: Martin Vukovits

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Nationalratspräsident Heinz Fischer und Ex-Bundeskanzler Fred Sinowatz, dahinter Ex-ÖGB-Präsident Anton Benya und Ex-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager beim Kreisky-Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990. Foto: Martin Vukovits

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Weggefährte und Lebensfreund Willy Brandt hielt eine Trauerrede beim Kreisky-Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990. Foto: Martin Vukovits

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Künstler Adolf Frohner beim Kreisky-Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990. Foto: Martin Vukovits

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Freda Meissner-Blau, erste Vorsitzende der Grünen im Parlament, beim Kreisky-Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990. Foto: Martin Vukovits

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Tausende nahmen Abschied von Bruno Kreisky am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990, Foto: Martin Vukovits

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Die Roten Falken beim Kreisky-Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990. Foto: Martin Vukovits

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Der Sarg Bruno Kreiskys wird zum Grab getragen, Wiener Zentralfriedhof, 7. August 1990, Foto: Martin Vukovits

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PS:

Kommen wir zurück nach dem Tod und rund um das Begräbnis von Bruno Kreisky. Wie haben Sie die damalige Stimmung in Erinnerung? Haben die Menschen das Begräbnis als einen Abschied von einer Ära empfunden, als Zäsur? Oder waren Kreisky und seine Regierungszeit schon verblasst?

WP:

Das Begräbnis war ein großer Staatsakt, hätte ihm wohl eine gewisse Befriedigung bereitet – mit vielen internationalen Gästen, von Yassir Arafat bis Willy Brandt. Da ist es noch einmal aufgeflackert, dass hier mehr als ein bemerkenswertes Leben zu Ende gegangen war. In den Jahren nach seinem Rücktritt war ja eine gewisse Distanzierung zu spüren gewesen. Das Kritische, Negative wurde betont. Aber viele Menschen waren ehrlich traurig und nachdenklich – ja und wohl auch dankbar. Ich selber wollte beim Begräbnis nicht im offiziellen Kondukt dabei sein, sondern meine Trauer, auch meine Erinnerungen an die Jahre mit Kreisky, unter den zahllosen Zaungästen, die den Trauerzug gesäumt haben, Ausdruck verleihen. Ich hab auch an Kreiskys gelegentliche Erwähnung seines Eindrucks vom Begräbnis des Kaisers im November 1916 denken müssen. Ein gewisser Pomp, eine gewisse Getragenheit, das war Teil dieser Zeremonie. Willy Brandt hat seines „lieben, schwierigen und guten Freundes“ gedacht, Werner Schneyer hat auf Wunsch von Kreiskys Sohn Peter eine von großer persönlicher Wertschätzung getragene Rede gehalten. Das war insofern passend, als Kreisky stets den Kontakt zu Intellektuellen und Künstlern, gern auch zu Schriftstellern, gesucht hat. Seine Hinwendung zu seinem Altersgenossen Friedrich Torberg, seine Neugierde für die jungen Schriftsteller wie Gerhard Roth, Peter Turrini oder Peter Handke, war ehrlich. Es hat ihn interessiert, was sie zu sagen haben, was sie schreiben, und er hat gerne in deren Bücher hineingeschmökert.

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PS:

…aber bekanntlich auch in den „Mann ohne Eigenschaften“ von Musil…

WP:

Ja, allerdings hat er etwas relativiert, dass er nämlich als eine Art Wiederentdecker von Musil hingestellt wurde. Er hat mir mal gesagt: „Das Buch hat halt grad in meinen Wintermantel hineingepasst.“ Dieses etwas despektierlich Distanzierende war typisch für ihn – wie überhaupt das, was man den jüdischen Witz nennt, bei ihm in unnachahmlicher Weise vorhanden war. Kreisky war geistig und emotional in dieser spezifischen mitteleuropäischen Tradition verankert. Das, meine ich, hat ihn auch befähigt, dieses Österreich größer zu sehen, als es die geographischen Grenzen des Landes nahelegen. Ohne je in banale Großmannssucht zu verfallen, hat er seine Politik danach ausgerichtet.

PS:

Das Wien Museum hat seit 2007 einen Rover aus dem Besitz von Bruno Kreisky in der Museumssammlung. Anlässlich des 30. Todestages schenken Sie uns nun eine Aktentasche aus dem Besitz von Bruno Kreisky – können Sie uns bitte die Geschichte dazu erzählen?

WP:

Es handelt sich um eine von mehreren Aktentaschen, mit denen wir zahllose schriftliche Unterlagen, Informationen und Akten mit uns geschleppt haben, wenn Kreisky z.B. zu Hause abends oder am Wochenende gearbeitet hat. Diese Tasche hat er mir an dem Tag überlassen, an dem er sein Büro das letzte Mal als Bundeskanzler verlassen hat und zum wartenden Auto gegangen ist. Ich habe ihn dabei begleitet, und als wir uns verabschiedet haben, hat er gemerkt, dass ich diese Tasche, die ich so oft getragen habe, gerne behalten würde – und meinte so in der Art „na dann behalten’s halt“. Er war in solchen Situationen nie ein Mann der großen Gesten, aber umso herzlicher... Die Tasche habe ich auf meine Dienstorte nach Paris und New York mitgenommen, aber irgendwann hab ich sie in Wien gelassen, weil sie mir ein so wertvolles Erinnerungsstück war. Eine Erinnerung an Bruno Kreisky und an meine Arbeit für ihn. 

Wolfgang Petritsch war von 1977 bis 1983 Sekretär von Bruno Kreisky und danach Spitzendiplomat in unterschiedlichen Funktionen, u.a. Botschafter in Belgrad, EU-Sondergesandter für den Kosovo, EU-Chefverhandler bei den Kosovo-Friedensgesprächen in Rambouillet und Paris sowie Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Lehrtätigkeit in Harvard und Berkely, zahlreiche Buchveröffentlichungen (u.a. „Bruno Kreisky. Die Biografie“  sowie zuletzt „Epochenwechsel. Unser digital-autoritäres Jahrhundert“. Petritsch ist Präsident der Austrian Marshall Plan Foundation. 

www.wolfgangpetritsch.com

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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Kommentare

Gerd-Rainer Herguth

Ich habe diesen Beitrag mit großem Interesse gelesen, u.a. auch weil ich in den 60er Jahren in Wien studiert und mich mit der großen aber auch der Tages-Politik beschäftigt habe. Wenn man allmählich mit diesen - eben auch besonders Österreich betreffenden -Dingen bekannt wird, zehrt man ein langes Leben davon und gewinnt ein Interesse für dieses Land. Bei mir wurde aus schätzendem Interesse inzwischen eine gewisse Vertrautheit, die mich u.a. auch bewog, eine schon nicht mehr ganz kleine Menge Ihr Land und seine Menschen und ihre Geschichte betreffende Literatur anzuschaffen und auch Informationen über Newsletter und Ähnliches zu besorgen. Die Bestellung des Wien Museum Magazins ist kein Zufall. Ich bin dankbar, auch für das gedenken an B.K. !