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Tom Koch und Peter Stuiber, 11.10.2022

Zum 60. Geburtstag der „Forte“-Schrift

Starkes Kind der Nachkriegszeit

Karl Reißbergers „Forte“ war die erste österreichische Schrift, die es zu internationaler Bekanntheit gebracht hat. Bis heute ist sie global im Einsatz. Zu ihrer Erfolgsgeschichte hat der Grafiker Tom Koch eine Ausstellung kuratiert und ein Buch herausgegeben. 

Peter Stuiber

Du bist Grafiker und hattest daher wohl automatisch die „Forte“-Schrift am Radar, selbst wenn Du sie vielleicht in Deiner Arbeit nicht verwendet hast. Nun hast Du ein Buch dazu herausgegeben und eine Ausstellung im designforum Wien kuratiert. Wie kam es dazu?

Tom Koch

2016 gab es die Präsentation meines Buches „Ghostletters Vienna“ im Wien Museum. Nach der Veranstaltung kam eine Dame zu mir und hat mir einen Werbefolder der „Forte“ aus den 1960er Jahren in die Hand gedrückt mit dem Hinweis, dass diese Schrift von ihrem Vater gestaltet worden sei, eben von Karl Reißberger. Ich wusste zu dem Zeitpunkt gar nicht, dass die „Forte“ von einem Österreicher entworfen wurde ...

PS

… was einigermaßen ungewöhnlich ist …

TK

… genau, denn Schriftgestaltung hat historisch in Österreich nie eine besonders große Rolle gespielt, sieht man jetzt von den Secessionisten oder der Plakatgrafik eines Joseph Binder oder eines Hermann Kosel ab. Es gab vor Karl Reißbergers kaum nennenswerte Schriftveröffentlichungen hier, vor allem nicht solche, die international eine Rolle gespielt haben. Er war der erste österreichische Grafiker, dessen Schrift von einem führenden Schriftenhaus veröffentlicht worden ist.

Vorboten der späteren „Forte“:
Bereits in den frühen Plakatentwürfen Karl Reißbergers begegnen uns charakteristische Merkmale der späteren „Forte“. Vor allem die Buchstaben „m“ und „n“ zeigen auffallende Ähnlichkeiten, die besonders im Hagol-Plakat um 1935 zutage treten.

PS

Wer war dieser Karl Reißberger?

TK

Reißberger war gelernter Schriftsetzer und lange Jahre Lehrer an der Berufsschule für grafisches Gewerbe in Wien, ab 1966 auch deren Direktor. Er hat unzählige Artikel, einige Bücher und Lehrbehelfe publiziert, vor allem zu drucktechnischen Themen, an denen er sehr interessiert war. Daneben war er eben als Grafiker tätig, kurz nach dem Krieg auch als Atelierleiter bei Donnhofer Werbung in Wien. In dieser relativ kurzen Periode entwarf er viele, oftmals typografisch orientierte Plakate. Einige davon enhielten bereits Anleihen an die spätere „Forte“. Neben seiner Lehrtätigkeit war er aber auch als  Künstler tätig und hat bereits 1956 im Rahmen der Wiener Festwochen ausgestellt. So ist es wohl seiner Vielseitigkeit geschuldet, dass er als Gebrauchsgrafiker weniger Bekanntheit erlangte.

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Karl Reißbergers Originalzeichnungen der „Forte“, © Monotype Archive

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Überarbeitetes, versales H mit tieferliegendem Balken. Nicht abgenommene Entwürfe wurden durch Eselsohren sauber gekennzeichnet. © Monotype Archive

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Karl Reißbergers Originalzeichnungen der „Forte“, © Monotype Archive

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Karl Reißbergers Originalzeichnungen der „Forte“, © Monotype Archive

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Nicht alle 119 Zeichen Karl Reißbergers wurden veröffentlicht. Einige seiner Ligaturen wurden nie publiziert. © Monotype Archive

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Karl Reißbergers Originalzeichnungen der „Forte“, © Monotype Archive

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Von der Idee zur Schrift 1:
Insgesamt 119 Zeichen entwarf Reißberger äußerst exakt auf Millimeterpapier. Die Proportionen folgten dabei dem Einheitensystem des Bleisatzes bei Monotype – jeder Buchstabe blieb streng innerhalb eines „imaginären“ rechteckigen Rahmens.

PS

Schon erstaunlich, dass ein hierzulande zwar umtriebiger, aber international dann doch völlig Unbekannter eine Schrift mit solch einer Verbreitung publizieren kann. Kennt man die Hintergründe dazu? Und kannst Du erläutern, wie Schrift damals publiziert und vertrieben wurde?

TK

Wir wissen aus Reißbergers Korrespondenz, dass er die Schrift zunächst einem der größten Schriftenhäuser Deutschlands angeboten hat, nämlich der D. Stempel AG in Frankfurt am Main. Der berühmte Typograf Hermann Zapf war dort künstlerische Leiter, befand sich aber offenbar gerade auf Urlaub. Die Schrift wurde nicht angenommen. In Reißbergers Nachlass finden sich neben Hinweisen auf erste Kontaktaufnahmen und einem Retourschreiben keine weiteren Aufzeichnungen dazu. Ob das Angebot also abschlägig beantwortet wurde oder die Verhandlungen im Sande verliefen, ist nicht rekonstruierbar.

Danach hat sich Reißberger an die Monotype Corporation in England gewandt. Damit kam er mit dem nächsten international bedeutenden Schriftdesigner in Kontakt, nämlich Stanley Morison. Und der hat tatsächlich empfohlen, die Entwürfe zu erwerben. Was der Schrift zwar eine große internationale Reichweite bescheren sollte, ihren Designer aber nicht eben reich machte: Monotype glich alle Rechte an der Veröffentlichung um grade mal 100,– Pfund ab. Später entschloss man sich, aufgrund zusätzlicher Zeichnungen doch 150,– Pfund zu bezahlen. Morison hielt 1955 im internen Schriftverkehr fest: […] I am quite in agreement with your action in the matter, though you do seem to have done rather a hard bargain with the artist. […]

Aber Reißberger hatte Türen geöffnet, durch die zuvor kein Österreicher gegangen war. 

Von der Idee zur Schrift 2:
Die abgenommenen Entwürfe wurden von Monotypes Zeichner:innen spiegelverkehrt für den Schnitt aufbereitet. Auf diesen Zeichnungen basieren alle später veröffentlichten Schriftgrößen. Im Laufe der Jahre wurden sie um einige neue Zeichen ergänzt.

PS

Was passierte nach ihrer Veröffentlichung?

TK

Der finalen Veröffentlichung am 9. Mai 1962 ging ein langer, intensiver Schriftverkehr voraus. So zeichnen die Briefe zwischen Karl Reißberger und Monotype-Repräsentanten die Genese der Schrift detailreich nach. Heute würde man E-Mails senden, aber damals war die Kommunikation deutlich komplizierter, zu Meetings wurde beispielsweise ein Dolmetsch herangezogen. Jede Erweiterung der sogenannten Trial-Versions dauerte Wochen bis zum nächsten Testprint. Reißberger durfte sich also wenig Fehler leisten, er reiste auch mehrmals nach London. Nach der Veröffentlichung zur DRUPA 1962 bewarb Monotype die Neuerscheinung international, auch andere Häuser nahmen die Forte in ihr Programm auf.

Druckereien erwarben dann den gesamten Matrizensatz für den Einsatz auf den Monotype-Gießmaschinen. Die Monotype-Supra, eine für den Guss von Großkegelschriften in den Graden von 14 bis 72 Punkt entwickelte Komplettgießmaschine ermöglichte es, auch große Schriftgrade „im Haus“ zu gießen. Der Erwerb dieser Großkegelmatrizen war für Druckereien allerdings unrentabel, da diese großen Schriftgrade nur selten gebraucht wurden. Daher etablierte Monotype ein Verleihsystem: Druckereien konnten über ein Händlernetzwerk die Matrizen für den Guss zu günstigen Konditionen ausleihen. In Österreich bot diesen Service die Monotype-Generalvertretung Ludwig August Rode in Wien an. Karl Reißberger war für L.A. Rode lange Zeit tätig und gestaltete an die 25 Jahre die Werbelinie des Unternehmens.


Von der Idee zur Schrift 3:
Als Mitte der 1960er Jahre der Fotosatz den Markt eroberte, stellte Monotype den Verleihservice von Großkegelmatrizen ein. Eckehart SchumacherGebler erwarb die Bestände in England und Deutschland und gilt heute als bedeutendster Sammler Europas. In seiner Offizin Haag-Drugulin in Dresden fand Tom Koch die Matrizen der „Forte“, die das Team auf der Monotype-Supra goss.

OHG

PS

Was zeichnet die „Forte“ denn aus, dass sie angenommen wurde?

TK

Die „Forte“ ist ein typisches Kind der 50er Jahre, voller Optimismus und Freundlichkeit. Monotype hat sie als ideale Schrift für Headlines und Reklame beworben. Die „Forte“ war nie als Schrift für längere Texte gedacht, wir kennen auch keine Anwedungen in Lesetexten. Das Besondere an der Forte ist, dass sie den Charakter des Handgezeichneten in den Bleisatz übertragen hat. Man darf ja nicht vergessen, dass es damals noch viele handgezeichnete Schriftzüge auf Plakaten, in der Außenwerbung etc. gegeben hat. Sie hat also gut reflektiert, was draußen in Wien allgegenwärtig war. Und sie hat über die Jahrzehnte des Einsatzes ihren lebendigen und freundlichen Charakter behalten. Zeitungen haben sie als Headline-Schrift verwendet, in Werbeprospekten und allen möglichen Drucksorten konnte man sie häufig finden.

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PS

Die internationale Verbreitung erhielt aber in den 90er Jahren noch einen geradezu sensationellen Schub…

TK

Die „Forte“ war bereits 1992 von Monotype digitalisiert worden und Microsoft konnte in den frühen Jahren des Desktop-Publishings durch eine Kooperation auf die Monotype-Archive zugreifen. So kam es, dass das Layoutprogramm Microsoft Publisher 97 die erste Software war, die mit der „Forte“ laut Microsofts Dokumentationen ausgeliefert wurde. Eine eigene Abteilung des Unternehmens, die „Microsoft Typography“ war für die Schriftentwicklung und -optimierung für das (damals) neue True-Type Format verantwortlich und hatte entschieden, dass die „Forte“ aufgenommen wird. Hier kreuzte sich der Lebensweg der Forte erneut mit einem bekannten Typografen: Vincent Connare, der Designer der „Comic Sans“, war Mitglied des „Microsoft Typography“ Teams. Die „Forte“ hat zwischen den anderen Schriften im Schriftmenü des Publishers wahnsinnig rausgestochen, das war offenbar ihr Asset. So ist sie in den darauffolgenden 25 Jahren auf Millionen von Desktop-Computern weltweit gelandet.

PS

Du hast im Zuge der Recherche ein Crowdsourcing-Projekt initiiert, mit dem Du „Forte“-Beispiele gesammelt hast. Das Ergebnis war überwältigend…

TK

Menschen, die die „Forte“ nutzen, haben meist wenig Ahnung oder Vorwissen über Typografie. Sie zu verwenden, ist für sie vor allem eine emotionale Entscheidung. Denn die Forte schafft ein gewisses Setting, schon bevor der Text gelesen wird, und wirkt mit ihren Rundungen recht einladend. Daher wird sie auffallend oft im Foodbereich eingesetzt, von Restaurants oder Lebensmittelgeschäften. Auch heimische Brands wie die NÖM oder die „Lovely“ Toiletteartikel verwenden sie in ihren Logos.

Sie ist heute eine globale Schrift, die längst nicht mehr mit den 50er Jahren assoziiert wird. Sie hat sich verselbständigt wie Roger Excoffons „Mistral“ oder andere Schriften der 1950er Jahre, die nicht mehr ihrer Entstehungszeit zugeschrieben werden. Was erstaunlich ist, dass sie auch in Ländern mit anderen Schriftsystemen gerne verwendet wird, etwa in Thailand, Indien, Kambodscha oder Singapur, von Supermärkten, Bäckereien oder für Lebensmittelverpackungen. Im Zuge des Crowdsourcing Projekts erhielten wir „Forte“-Findings aus buchstäblich allen Erdteilen.

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PS

War sie dazwischen eigentlich weg vom Fenster?

TK

Nein, nie! Das ist ja das Besondere. An ihr lassen sich alle technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nachzeichnen. Die „Forte“ wurde für Bleisatz entwickelt, blieb aber auch im Fotosatz in Verwendung, in Österreich hat sie in den 80er Jahren zum Beispiel die Wiener Messe oder der Discounter Hofer für seine Prospekte eingesetzt. Und die „Forte“ wurde auch in digitalisierter Form ein Welterfolg.

2022 wurde sie nun, im Rahmen unseres Projekts zum 60. Geburtstag, vom bekannten Schriftdesigner Toshi Omagari im Auftrag von Microsoft überarbeitet. Denn seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 1962 ist sie nie überarbeitet worden, das heißt sie ist nie an die Anforderungen des digitalen Publishings angepasst worden. Im Bleisatz gab es ja handfeste Restriktionen: Jeder Buchstabe musste in ein Rechteck passen, dadurch wirkt die „Forte“ unregelmäßig im digitalen Satz. Es gab auch Unstimmigkeiten in den Strichstärken, die wurden nun ausgeglichen. Auch fehlende Zeichen wie das „@“ wurden ergänzt. So kann Karl Reißbergers Idee als „Forte Forward“ auch in Zukunft ihre Stärken ausspielen.

Die Ausstellung „Finding Forte“ ist noch bis 26. Oktober im designforum Wien im Museumsquartier zu sehen. Zur Ausstellung ist bei Slanted.de ein Buch erschienen, das von Tom Koch und Mara Reissberger, der Tochter von Karl Reißberger, herausgegeben wurde. Mehr zum Projekt auf der Website FindingForte.global.

Tom Koch, ist Wiener Grafiker und Schrift-Afi­ci­o­na­do. Der Autor des Buches „Ghostletters Vienna“ und Initiator der Sign Week Vienna publiziert auf typetraveldiary.com typografische Fundstücke aus aller Welt. Zuletzt erschienen seine Bücher „Mid-Century Vienna“ (Falter Verlag, 2021) und „finding Forte“ (Slanted Publishers, 2022).

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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