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Zum 70. Geburtstag von Didi Sattmann - Teil 2
„Hinschauen statt wegblicken“
Du warst als Fotograf Teil der Wiener Kulturszene und hast jahrelang für die Festwochen Künstlerinnen und Künstler fotografiert, 1993 bist Du ins Wien Museum gekommmen. Was hat das Museum für Dich bedeutet?
Das Museum war für mich zunächst mal eine Schule im strukturierten Denken, besonders dann auch in der Direktionszeit von Wolfgang Kos. Wie lautet das Mission Statement eines Museums? Was ist sammlungswürdig? Wie macht man eine Ausstellung? All diese Fragen und Themen haben mich sehr beschäftigt und ich habe mir Antworten darauf erarbeitet. Ich habe unglaublich viel gelernt und viele tolle Menschen kennengelernt.
Kannst Du erzählen, wie es zum großen „Wien außen“-Projekt gekommen ist, das 2013 als Ausstellung gezeigt wurde?
Viele machen Fotos vom verschwindenden, vom nostalgischen Wien, aber das wollte ich nicht. Ich habe aber jemanden gebraucht, der mich dabei unterstützt, ein anderes Wien zu fotografieren. Und der Christian Kircher, damals Finanzdirektor im Wien Museum, meinte „so, das machen wir jetzt“ und ist mit mir und Marie-Theres Holler spontan in die Seestadt Aspern hinausgefahren, wo das erste Foto entstanden ist. Gemeinsam haben wir dann ein Grundkonzept entworfen, wie eine Fotodokumentation von „Wien außen“ aussehen könnte und das haben wir dann dem Wolfgang Kos vorgeschlagen. Ausgangspunkt war der Gedanke, dass am Rand am meisten passiert, dass der Rand inhaltlich und fotografisch interessanter sind als die Stadt innerhalb des Gürtels, denn da ist ja schon alles durchgeplant. Ursprünglich wollte ich im Norden beginnen und die Stadt umrunden. Aber das war viel zu ehrgeizig, das hab ich nie geschafft. Ich bin in Stammersdorf gestanden und hab gedacht: Was soll ich hier fotografieren? Es war eine lange Suche.
Was war Dein letztes Thema vor der Pensionierung?
Ich wollte Wien als Weinstadt dokumentieren, das hat mich interessiert. Hochwertige Weine, die in einer Großstadt erzeugt werden, das ist ja weltweit einzigartig. Matti Bunzl, der da schon Direktor war, hat dem Projekt sofort zugestimmt, was ich großartig fand.
Bis zum Museum warst Du der „Szenefotograf“, danach wurdest Du auch als „Dokumentarfotograf“ wahrgenommen.
Kategorien wie „Szenefotograf“ oder „Porträtfotograf“ bedeuten mir nicht viel. Der Bildhauer Oswald Stimm hat einmal zu mir gesagt: Du bist nicht Starfotograf, sondern Du nimmst den Menschen wahr. Das ist mein Fokus: die Begegnung. Fotografieren ist Begegnung. Auch mit Menschen, die man vielleicht zunächst nicht so schätzt. Das Gute an der fotografischen Begegnung ist, dass die Beteiligten sich von ihrer besten Seite zeigen wollen. Und dadurch konnte ich erfahren, dass auch Leute, deren politische Überzeugung ich nicht teile oder gegenüber deren Tätigkeit ich skeptisch bin, fühlende, verletzliche und liebenswerte Menschen sein können. Das hat mir geholfen, mich von Vorurteilen zu befreien. Ein Beispiel dafür ist der ÖVP-Politiker und ehemalige Kulturstadtrat Peter Marboe, dessen menschliche Qualitäten ich zu schätzen gelernt habe. Solche Begegnungen haben mir unglaublich geholfen, freier und offener auf Menschen zuzugehen.
Du hast nach Deiner Pensionierung im Wien Museum für einige Jahre zu fotografieren aufgehört. Warum?
Das permanente Pendeln vom Weinviertel nach Wien, die Familie und die Arbeit zu verbinden, das war auf die Dauer einfach zu viel. Ich hab am letzten Tag im Museum noch Fotos gemacht für eine junge Kollegin, die mich darum gebeten hatte. Abends bin ich dann nach Hause gefahren, hab die Kamera in ein Ladl gegeben und aus war es. Danach hab ich einmal im Jahr etwas ausprobiert, aber im Prinzip war es das. Ich war wirklich erschöpft, richtig ausgepowert.
Und jetzt?
Jetzt macht es mir wieder Spaß. Ich fotografiere aber nur mit meinem Handy, das fünf Jahre alt ist und schon manchmal spinnt. Ich hab mir daher zum Geburtstag ein neues gewünscht. Was hätte ich mir sonst wünschen sollen? Ich habe ja schon alles. Es geht mir super. Und die Dinge, die man sich wünscht, kann man ohnehin nicht kaufen.
Du fotografierst mit dem Handy, weil es immer dabei ist? Weil Du es leid warst, die Kamera überall mitzunehmen wie früher?
Ja, sicher auch. Man kriegt ja als Fotograf eine schlechte Haltung, auch wenn die Kamera an sich nicht schwer ist. Aber ich wollte sie früher immer dabeihaben für den Fall, dass ich einen schönen Moment festhalten kann. Ich fotografiere ja gern das Schöne, das wahrhaftig Schöne.
Bei den Fotos, die Du in den vergangenen Jahren gemacht hast, geht es um Natur. Ein Thema, das Dich schon länger beschäftigt?
Ich lebe seit 30 Jahren im Weinviertel und bin ein sehr naturverbundener Mensch. Ich denke viel über unseren Umgang mit der Natur nach, das Thema macht mir auch zu schaffen. Dass wir alles zubetonieren, dass Natur immer mehr zurückgedrängt wird. Bei uns im Dorf werden grad wieder über 50 Einfamilienhäuser gebaut. Dabei gibt es ziemlich viel Leerstand, rund 30 Prozent der Häuser werden außerdem als Zweitwohnsitze genützt. Das erste Foto, das ich zum Thema Natur publiziert habe, war 2011 im Zusammenhang mit dem Atomreaktor-Unfall in Fukushima. Es ist mit einem Kurztext in der Literaturzeitschrift „Landstrich“ erschienen. Weil es mir gesundheitlich nicht gut gegangen ist, habe ich begonnen, regelmäßig zu gehen. Und da fällt einem auf, wie Menschen ihre Spuren hinterlassen. Du gehst aus der Tür raus und siehst einen Zigarettenstummel am Boden. Solche Dinge habe ich begonnen zu fotografieren. Und daraus wurde dann irgendwann ein Projekt, bei dem sich vor allem Blätter als Motive herauskristallisiert haben. Sie sind für mich eine Metapher dafür, wie sich der Beton in die Natur hineinfrisst. Und ich habe Angst, dass das kippt. Dass meine Kinder und Enkelkinder einmal eine wenig lebenswerte Welt vorfinden könnten.
In St. Pölten wirst Du demnächst diese Bilder zeigen. Wie kam es zu dieser Möglichkeit?
Ich bin vor zwei Jahren von der Landesregierung gefragt worden, ob ich zum 70er eine Ausstellung machen will. Und da ist die Idee gereift, dass ich diese Bilder in den Vordergrund rücke, auch wenn dort auch einige Künstlerporträts zu sehen sein werden. Der Titel lautet „Challenges“, passend zu den Herausforderungen, vor denen wir stehen. Die Situation macht mir wirklich Angst, ich lese gerade das Buch „Wasser und Zeit“ des isländischen Schriftstellers Andri Snaer Magnason, ein sehr literarisches Werk, das ein sehr dunkles Szenario entwirft. Genau das ist jetzt mein Thema. Hinschauen statt wegblicken.
Wie schaffst Du es, trotz der Situation optimistisch zu bleiben? Man hat ja nicht das Gefühl, dass der Ernst der Lage erkannt wird, auch nicht in Österreich.
Mir macht Hoffnung, dass so viel geschrieben wird. Und jeder einzelne kann was dazu tun. Ich tu ja auch selber was, ich kann das ja nicht nur von den anderen verlangen. Ich versuche, Plastik zu vermeiden, regional zu kaufen, weniger mit dem Auto zu fahren und so weiter. Aber die große Masse muss in Bewegung kommen. Wieso ich trotz allem optimistisch bin? Weil Hoffnung auch eine Entscheidung ist. Ich kann auch an meinen Gedanken und an meiner Haltung arbeiten.
Der erste Teil des Interviews ist hier zu lesen. Die Ausstellung „Challenges“ ist von 14. Oktober bis 21. November 2021 in der Ausstellungsbrücke in St. Pölten zu sehen. Mehr über Didi Sattmann auf seiner Website.
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