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Michaela Lindinger, 28.5.2020

Zum 70. Todestag von Lina Loos

Los von Loos!

Seit 70 Jahren ist Carolina „Lina“ Loos (1882-1950) tot und ihr eigenständiges mutiges Leben wird noch immer überschattet vom „Geist“ ihres Ehemannes Adolf Loos, des heute weltweit berühmten Architekten. Lina Loos war jedoch nur drei Jahre mit ihm verheiratet. Als Tochter eines Kaffeehausbesitzers in der Mariahilfer Straße und stadtbekannte Schönheit war sie zu Beginn der Ehe außerdem bekannter als ihr Mann.

„Es soll ein Kunstwerk werden.“ So beschrieb Lina Loos, geborene Obertimpfler, viel später in ihrem autobiografischen Stück „Wie man wird was man ist“ die Ambitionen ihres zwölf Jahre älteren Mannes, sie zu einer ihm genehmen, untertänigen Kreatur heranzuzüchten. „Ich will aber durch das Leben geformt werden, nicht von einem einzelnen Menschen“, hielt sie ihm entgegen. Das zum Scheitern verurteilte „Pygmalion“-Experiment sollte Adolf Loos noch mehrere Male mit viel jüngeren Frauen wiederholen.

Juli 1902. Schauspielschülerin Lina ist 19 Jahre alt und sitzt im Zug nach Eisgrub (heute Lednice/Tschechien). Ihr gegenüber redet ihr Zukünftiger ununterbrochen; es geht um Architekturtheorie und die Ästhetik von Manschettenknöpfen. Das Paar ist auf dem Weg zur Hochzeit.

Carolina Obertimpfler war im Wien der Jahrhundertwende eine auffällige Person. Sie trug die modernen, weit flatternden Reformkleider und ging – für Frauen noch immer unerhört - allein ins Kaffeehaus. Dort lernte sie den Journalisten Peter Altenberg kennen, der sie für sich vereinnahmen wollte. Es war jedoch unvermeidlich, dass sie in der Kaffeehaus-Szene Altenbergs gutem Freund Adolf Loos begegnete. Junge Frauen vom Theater wurden in „Herrenrunden“ wie dem Altenberg-Stammtisch trophäenartig herumgereicht und begutachtet. Als der noch schüchternen Lina eine Zigarettendose, die Loos als Anschauungsobjekt für einen seiner Design-Monologe verwendet hatte, herunterfiel, fragte sie Loos, ob sie den Schaden wiedergutmachen könnte. Er meinte: „Heiraten Sie mich!“ Loos hatte also Erfolg bei der schönen, jungen Lina. Was Altenberg dem Architekten schwer missgönnte.

Von Anfang an war klar, dass Lina Loos von ihrem Mann als hübsches kleines „Dummerl“ angesehen und auch genauso behandelt wurde. Dass Lina eine Schauspielschule besuchte kommentierte Adolf Loos folgendermaßen: „Die ganze Schul war ja nur zum Zeit ausfüllen.“ Solange sich die junge Frau das gefallen ließ, Loos folgte und ihn unterstützte, ging es einigermaßen gut. Wichtig war auch das bürgerliche, wohlsituierte Gastronomenmilieu, in das der Architekt und Designer einheiratete. Ihm selber ging es nämlich definitiv nicht gut, weder gesundheitlich noch finanziell. Er litt an den Nachwehen einer Syphiliserkrankung und war außerdem von seiner Mutter enterbt worden. Er besaß keine Wohnung und lebte vorwiegend in diversen Hotels. Doch nun war er verheiratet und hatte vor, sich mit Lina häuslich niederzulassen. Die bekannte Wohnung in der heutigen Bösendorferstraße 3 ließ er sich von den Schwiegereltern finanzieren. Die wohlhabenden Kaffeesieder übernahmen aber nicht nur die Mietkosten. Sie waren bekannte Leute und verfügten über einen großen Kreis an potenziellen Kunden für den neuen Schwiegersohn. Ihre Tochter Lina hielt Probleme und „Allfälliges“ von ihrem Mann fern. In den wenigen Jahren, die Loos an der Seite der „praktischen“, dienstbaren Lina verbrachte, erarbeitete er so viele Projekte wie nie wieder in seinem ganzen Leben. Das Geld seiner Frau gab Loos mit vollen Händen aus. Finanzielle Krisen blieben in erster Linie an Lina hängen, sie war es, die vor der Tür stehende Gläubiger mithilfe ihrer Ausstrahlung wortreich abwehrte. Als Loos, der große Verehrer alles Britischen und Amerikanischen, das letzte Geld des Ehepaares für einen in England produzierten Senftiegel ausgab, erlitt Lina einen Nervenzusammenbruch.

Dass es so nicht weitergehen konnte, lag auf der Hand. Die Kindfrau, in die sich Altenberg und Loos verliebt hatten, strebte nach zwölf Monaten Ehe nicht mehr nach Selbstaufgabe, sondern nach Selbstverwirklichung. Das berühmte, aber sterile weiße Schlafzimmer mit den weißen Angorafellen auf dem Boden wurde vom Schmuckkästchen für ein wertvolles, aber rechtloses Objekt zum Schauplatz von Linas erwachender Leidenschaft für einen gleichaltrigen Liebhaber.

Der Auserwählte war ein Teenager, ein Maturant des Akademischen Gymnasiums und ein Mitglied der in den progressiven Kreisen Wiens bekannten Familie Lang. Die Mutter Marie kämpfte für Frauenrechte, servierte in ihrem Salon vegetarisches Essen, ein Sohn war Maler, heiratete später die berühmte Tänzerin Grete Wiesenthal und arbeitete an einem Nacktporträt von Lina. Marie Langs Tochter hörte auf den feministischen Vornamen Lilith. Liliths anderer Bruder Heinz wurde Linas Geliebter und nahm die Affäre leider viel ernster als die 20-jährige Frau Loos. Er hoffte, Lina würde mit Adolf Schluss machen und zu ihm reisen, der nach bestandener Matura in England weilte. Loos sah die für ihn aussichtslose Lage ein. Doch Lina bekam kalte Füße und schrieb Heinz Lang, sie habe es sich anders überlegt und werde nicht kommen. In seiner Vernarrtheit dachte Heinz nicht länger nach und erschoss sich.

„Ich selbst.“

Der Skandal machte sich in Wien breit und viele gaben Lina Loos die Schuld am Selbstmord von Heinz Lang. Es waren jedoch eher die Rituale einer sich überlebt habenden Gesellschaft, die weithin herrschende Doppelmoral  und die potemkinschen Scheinwelten, an denen viele Menschen, auch die an sich fortschrittlich denkende Lina Loos, weiterhin festhielten, die zu diesem Unglück geführt hatten.

Für Lina begann ein neues Leben. Sie kehrte nicht zu Loos zurück und ließ sich „von Tisch und Bett“ scheiden, wie es damals hieß. Eine heute übliche zivilrechtliche Scheidung war in der Monarchie und auch lange danach juristisch nicht vorgesehen. Die „Trennung von Tisch und Bett“ hatte an sich das Ziel, die zerstrittenen Eheleute nach einer „Beziehungspause“ wieder zusammenzubringen.
In ihrem Stück „Wie man wird was man ist“ antwortet Lina auf die Frage ihres Mannes, was denn nun aus ihr werden solle, nach dem Ehe-Aus: „Ich selbst.“
Sie trat auf verschiedenen europäischen Bühnen und auch in den USA auf, veröffentlichte Artikel in Kulturzeitschriften und verkehrte weiterhin in der Wiener Kaffeehausszene rund um Alfred Polgar, Egon Friedell und Franz Theodor Csokor. Als der Kaffeehausbetrieb ihrer Eltern Pleite machte ging es finanziell bergab. Die NS-Zeit verbrachte Lina Loos zurückgezogen, sie wiederholte jedoch mutig im Angesicht des johlenden Pöbels vor den brennenden Synagogen und geplünderten jüdischen Geschäften im Jahr 1938 die Worte: „Ich bin Zeugin.“ Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits 56 Jahre alt.

Nach den Katastrophen des „Dritten Reiches“ und des zweiten Weltkrieges sah sich Lina Loos in der Nähe der Kommunistischen Partei und publizierte ihre Ansichten im „Österreichischen Tagebuch“, einer KP-nahen, vom aus dem mexikanischen Exil zurückgekehrten Journalisten Bruno Frei geführten Kulturzeitschrift. Im Jahr 1946 beschrieb sie dort klarsichtig und ohne Klischees Peter Altenbergs Einstellung den Frauen gegenüber: „Er galt als Frauenverehrer. Er war es nicht. Er hat uns gehaßt! Er hat uns Frauen gehaßt, wie er reiche Leute haßte, die ihren Reichtum nicht zu verwenden wußten (…).“ Sie war auch als Pazifistin im „Bund demokratischer Frauen“ aktiv. Zeitzeuginnen erinnerten sich an Linas Loos als an eine aparte alte Dame in exzentrischer Kleidung mit der Aura einer vergangenen Epoche. Sie litt bereits an Krebs und starb am 6. Juni 1950 im AKH.

Das „Wohnzimmer mit Kaminzimmer“ in der Bösendorferstraße, in dem nicht nur Adolf Loos, sondern nach seiner ersten Ehefrau Lina auch seine weiteren Ehefrauen Elsie Altmann und Claire Beck sowie zahlreiche Freundinnen, etwa die englische Tänzerin Bessie Bruce, ein und aus gingen, kam nach der Demontierung 1958/59 ins Historische Museum der Stadt Wien. Es wird auch im wiedereröffneten Haus am Karlsplatz zu sehen sein. Das „Loos-Zimmer“ soll ein rares, authentisch erhaltenes Beispiel der für Adolf Loos typischen Innenraumgestaltung bleiben. Aber nicht nur.
Zu den Aufgaben der Kurator*innen und Gestalter*innen wird es gehören, die Anwesenheit der Frauen in diesem bisher auf Loos zentrierten Raum sichtbar zu machen. Die „Loos-Wohnung“ würde es ohne Lina gar nicht geben. Ihre Eltern bezahlten Miete und Möblierung. Dennoch war, wie damals üblich, nur Adolf Loos als Mieter eingetragen. Lina Loos erinnerte sich 1948 an diese unhaltbare Situation: „Wir werden darauf bestehen, daß Frauen, welche Möbel und Wohnung mitbringen, wenn sie heiraten, eine solche Wohnung auf ihren Namen schreiben lassen, sodaß sie bei einer eventuellen Scheidung nicht einfach vor die Tür gesetzt werden können.“

Auch die teilweise unter 10-jährigen Mädchen, die Loos in dieser Wohnung (zumindest) nackt gezeichnet hat sowie der gegen ihn angestrengte Prozess wegen „Verführung zur Unzucht“ werden im neuen Wien Museum nicht ausgespart bleiben. Elsie Altmann-Loos schrieb über die „Loos-Wohnung“: „Alles ist so wie er es haben will.“
Lina Loos schrieb über ihre Ehe: „Wenn die Braut nicht als Jungfrau ins Brautbett steigt, kann sie vielleicht herausfinden, daß ihr Mann gar nichts Besonderes ist, aber die Jungfrau hat keine Vergleichsmöglichkeit, denn sie kennt nichts anderes. Das ist der springende Punkt.“

Literaturhinweise:

Lisa Fischer: Lina Loos oder Wenn die Muse sich selbst küßt, Wien, Köln, Weimar 2007.

Lisa Fischer: Mit Frauen bauen. Das nützliche Beziehungsmuster eines antimodernen Ehemanns, in: Markus Kristan, Sylvia Mattl-Wurm, Gerhard Murauer (Hg.): Adolf Loos. Schriften, Briefe, Dokumente aus der Wienbibliothek im Rathaus, Wien 2018, S. 233- 242.     

Lina Loos: Das Buch ohne Titel, Edition Atelier, Wien 2013

Lina Loos: Du silberne Dame Du, Edition Atelier, Wien 2016

Michaela Lindinger, Kuratorin, Autorin. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Ägyptologie und Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien. Seit 1995 kuratorische Assistentin, seit 2004 Kuratorin im Wien Museum. Ausstellungen und Publikationen zu biografischen und gesellschaftlichen Themen, Frauen- und Gender-Geschichte, Porträts, Wien-Geschichte, Tod und Memoria, Mode.
 

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Kommentare

Redaktion

Sehr geehrte Frau Krupitza, sehr geehre Frau Lang! Vielen Dank für Ihr tolles Feedback! Das motiviert uns sehr, uns weiterhin auch diejenigen Persönlichkeiten und Themen zu forcieren, die lange Zeit wenig(er) beachtet wurden oder oftmals - wie bei Lina Loos - nur aus einer bestimmten Perspektive ("Muse" etc.). Und ja, letztlich geht es um die Überwindung von Denkmustern, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Herzliche Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Brigitte Krupitza

Danke für den Beitrag!
Frauen wurden von der - bisher männlich dominierten - Geschichtsschreibung zu oft ignoriert und damit unsichtbar gemacht. Je mehr über eine Person publiziert wurde, desto bedeutender war sie - auch wenn das in der Realität nicht immer so war. Ich wünsch mir mehr Forschung über Frauen und dass das alte Muster „Männer schreiben über Männer, Frauen schreiben über Männer und (auch) über Frauen“ endlich durchbrochen wird.

Barbara Lang

Vielen Dank für Ihre so wunderbaren Geschichten der Wiener Künstler und tollen Frauen . Ich bin süchtig!