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Zur Ausstellung „Winter in Wien“
Schneeweiße Bilder im Kopf
Warum eine Ausstellung zum Winter in Wien?
Viele Museen setzen sich klarerweise mit dem Klimawandel auseinander. Matti [Bunzl; der Direktor des Wien Museums] hatte die Idee zu einer kulturhistorischen Winter-Ausstellung und hat mich damit beauftragt. Wobei ich völlig freie Hand hatte und als erstes dachte: Es wäre schön, zunächst einmal das zu sichten, was wir in der Sammlung dazu haben, bevor bestimmte Themen und Thesen festgelegt werden.
Wieviel Objekte mit direktem oder indirektem Winter-Bezug finden sich in etwa in unserer Sammlung? Kann man das beziffern?
Das ist schwer zu sagen, weil es ja auch Objektgruppen gibt. Aber es werden schon um die 30.000 Objekte sein oder mehr… davon genauer angesehen habe ich mir circa 4000. Daraus ist eine Auswahl von 600 Objekten für die Ausstellung entstanden, was ziemlich viel erscheint, aber gut zur Größe und vor allem zur Gestaltung passt: Die Szenografie von Carol Kofler arbeitet mit einem weißen, ruhigen Vlies, man bewegt sich also wie durch eine Winterlandschaft – und dann begegnet man als Kontrast dazu einer Fülle an interessantem Material an den Wänden. Aus dem Material erfolgte relativ rasch die Aufteilung der Ausstellung in die Bereiche „Weiße Pracht“, „Kalte Stadt“, „Eisiges Vergnügen“ und „Dunkle Jahreszeit“. Und es wurde schnell klar, dass über die Objekte keine Veränderung des Klimas gezeigt werden kann – das schneebedeckte Wien wurde und wird oft und gerne festgehalten – es entzieht sich den Betrachter:innen jedoch, wie lange und wie viel Schnee jedoch jeweils lag.
Wie hast Du das gelöst, dass der Klimawandel trotzdem Teil der Ausstellung wird?
Um das zu zeigen, stützen wir uns auf historische Klimadaten der Geosphere Austria [ehem. ZAMG] mit ihren exakten Aufzeichnungen von Schneedeckentagen, Eis- und Frosttagen oder Nebeltagen. Alle diese Parameter zeigen, dass im 20. Jahrhundert Kälte, Eis und Schnee kontinuierlich abnahmen, aber dass eine immer raschere Erwärmung ab den 2000er Jahren messbar ist, wenn auch mit einzelnen „Ausreißern“. Es gibt natürlich auch heute noch Schnee und Frost, aber Eistage – also solche, an denen die Temperatur nicht über Null Grad hinausgeht – werden zum Beispiel kaum mehr verzeichnet. Daher ist die Idee entstanden, den vier Themen, die sehr nostalgiebehaftet sind, und die Bilder zeigen, die wir noch immer vom Winter erwarten, einen Kommentar gegenüberzustellen, der einen kritischen Blick oder andere Blickwinkel ermöglicht.
Wie meinst Du das genau?
Mir ist wichtig, den Klimawandel so zu thematisieren, dass sich die Besucher:innen ein wissenschaftlich fundiertes Bild dazu machen können, ohne in Panik zu geraten. Ein von uns so genannter„Kommentarpfad“ zieht sich – entgegengesetzt zur weichen Vlieslandschaft – ziemlich kantig und eckig durch die ganze Ausstellung. Darauf sind Klimadaten, Kommentare aus den sozialen Medien wie Memes, AV- und Audiostationen oder interaktive Einladungen zu finden. Zudem darf man sich auch den kulturhistorischen Objektteil keinesfalls nur nostalgisch vorstellen. Denn die Ausstellung thematisiert auch den Umgang mit dem Winter und der Kälte in der Stadt. Und da zeigt sich zum Beispiel ein eklatanter Unterschied zwischen Arm und Reich. Es gibt viele Objekte, die etwa die Not um 1900 in Wien thematisieren, als es schon die ersten, noch privat organisierten Wärmestuben gab. Privilegierte Menschen konnten dieser Jahreszeit entfliehen oder hatten ein warmes Heim, für den Großteil der Bevölkerung war diese Jahreszeit eine Bedrohung. Oder wir zeigen auch, was es bedeutet, wenn die Donau zugefroren ist: Dass etwa der Warenverkehr dort zum Erliegen kommt und danach bei Tauwetter die Stadt von Hochwasser bedroht ist.
Unsere Sammlung hat ja – wie jede Museumssammlung – auch Leerstellen. Gibt es Dinge, die historisch schwer darzustellen waren?
Für die Zeit von den 50er bis in die 70er Jahre ist die Objektlage eher dürftig. Die Idee, auch alltagskulturelle Dinge zu sammeln, setzte erst in den späten 80er Jahren ein. Damit kommt dann ein ganz anderer Blick auf die Stadt in die Sammlung. Eine kontinuierliche Geschichte kann man daher über die Objekte nur schwer erzählen. Es gab einige Aspekte, die mit der Recherche zu unseren Objekten historisches Wissen gut untermauern konnten: Etwa dass Wien durch den Eislaufverein und der weltbekannten Eisrevue die Metropole des Eislaufes wurde. Das war ein Sport, der bis heute begeistert ausgeübt wird, wenn auch unter anderen Voraussetzungen. War man in den Anfängen auf Natureis angewiesen, bevor Engelmann die Kunsteisbahn erfunden hat, so ist es heute verboten, auf dem – spärlich vorhandenen – Natureis zu laufen. Übrigens wirbt der Wien-Tourismus erwartungsgemäß noch immer mit Winter-Bildern, die es in der Realität immer seltener gibt. Bei der Wiener Schneekugel-Manufaktur gibt´s wiederum ein interessantes Detail, das in die andere Richtung weist: Die geben jetzt fallweise Glitter rein statt Schnee. Das zeigt schon, dass man mit der geänderten Realität umzugehen lernt.
Es gibt zur Ausstellung ein Kinderbuch, dessen Texte Du geschrieben hast und das von Larissa Cerny gestaltet und illustriert wurde. Wie vermittelt man ein solch relativ kompliziertes und vor allem auch nicht unbedingt erbauliches Thema wie den Klimawandel an junge Menschen?
Uns geht´s in der Ausstellung darum, wissenschaftlich fundiertes Wissen möglichst unaufgeregt nostalgiebehafteten Erwartungshaltungen entgegenzusetzen. Es ist bekannt, dass das Sprechen über Bedrohungen bei Menschen oftmals Ersatzhandlungen, Verdrängung, Schockstarre oder Negierung auslöst. Wir wollen aber die eigenverantwortliche Handlungsfähigkeit stärken. So haben wir zum einen ein Kinderbuch gemacht, das mit dem Wien Museum zu tun hat. Deswegen sind wir von 20 Objekten aus der Sammlung ausgegangen und von der Frage, was kann man aus ihnen herauslesen? In diesen zwanzig Geschichten sind dann Themen verpackt, über die man mit Kindern diskutieren kann. Es ist kein Buch, das man von vorne bis hinten durchlesen muss, sondern bei einzelnen Texten oder Bildern hängen bleiben, nachdenken, sich darüber austauschen soll. Dabei ist das Bild für ein jüngeres Zielpublikum wichtiger als der Text. Bilder und Texte aktivieren unterschiedliche Teile in unserem Gehirn, Bilder sind viel unmittelbarer. Das Buch lebt also zunächst einmal von der großartigen visuellen Umsetzung und den Ideen von Larissa Cerny. Bei der Entstehung des Buches ging es natürlich darum, dass wir uns beide annähern, damit daraus ein Ganzes wird. Ein spannender Prozess.
Wie das Publikum einer Ausstellung reagieren wird, weiß man erst ab Eröffnung. Was würdest Du Dir wünschen?
Es wäre schön, wenn sich die Leute mit ihren eigenen nostalgischen Bildern auseinandersetzen. Nostalgisch wird man ja, wenn die Gegenwart anstrengend ist und man sich zurücksehnt nach Vergangenem oder Vergangenes im Rückblick verklärt sehen will. Die Alt-Wien-Ausstellung von Wolfgang Kos hatte den Untertitel: „Die Stadt, die niemals war“. Analog dazu könnte man sich fragen, ob der Winter früher so war, wie wir im Kopf haben. Welche Erwartung haben wir heute an den Winter? Auch mit dieser Frage kann man sich in oder nach der Ausstellung auseinandersetzen. Hätten die Leute gerne den Winter von früher zurück? Oder nicht? Und wenn, warum? Und zugleich geht es genauso um die Folgen des Klimawandels. Also darum, dass man zwar einerseits sagen kann „2 Grad mehr ist eh angenehm“, aber andererseits darum, dass die Auswirkungen global gesehen katastrophal sind. Diese Aspekte rational zu diskutieren, darauf käme es aus meiner Sicht an. Und wenn Menschen nach dem Besuch der Ausstellung etwas mehr verstehen, wie sie selbst auf Situationen und Informationen reagieren – vor allem auch, was sie selbst tun könnten – dann wäre das großartig.
Die Ausstellung Winter in Wien. Vom Verschwinden einer Jahreszeit läuft von 14. November 2024 bis 16. März 2025. Kuratorin: Lisa Noggler, Ausstellungsarchitektur: Carol Kofler, Ausstellungsgrafik: Larissa Cerny. Das erwähnte Kinderbuch ist ebenso im Leykam Verlag erschienen wie der begleitende Reader „Klima wandelt Wien“ (mit Texten von Astrid Göttche und Hans-Peter Hutter). Beide Publikationen sind im Museumsshop erhältlich.
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