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Hans W. Bousska, 7.3.2022

Zur Geschichte der Apotheken

„Ordentlich gelernt und examiniert“

Einst waren Apotheken geheimnisvolle Orte, an denen zweifelhafte Präparate hergestellt wurden. Um 1800 erfolgte mit dem neuen Geist der Wissenschaft ein radikaler Umbruch in Richtung Pharmazie, wie wir sie heute kennen. Ein Beitrag zum diesjährigen Schwerpunktthema am Tag der Wiener Bezirksmuseen.

Das Jahr 1241 kann für Europa als Geburtsjahr des Apothekerberufes bezeichnet werden. Der Stauferkaiser Friedrich lI. (1194–1250) erließ eine Medizinalordnung, die eine Trennung des Berufes Arzt und Apotheker vorschrieb. In dieser Verordnung wurde u. a. festgelegt, dass der Apotheker verpflichtet nach ärztlichen oder anerkannten Vorschriften zu arbeiten habe und die Arzneipreise und die Beschränkung der Einrichtung von Apotheken auf bestimmte Orte nach staatlicher Genehmigung anzuerkennen sei. Auf die Einhaltung der Bestimmungen wurde der Apotheker vor der Obrigkeit vereidigt. Die „Constitutiones“ Friedrichs II. galten zunächst nur für das Königreich Sizilien, wurden aber im Laufe der Zeit in ihren Kernpunkten auch von anderen Reichen übernommen. 

Die „gelehrten“ Ärzte mussten nunmehr den Apothekern als Vertreter eines neuen selbstständigen Berufsstandes die Gewinnung der einfachen Arzneimittel aus dem Mineral-, Pflanzen- und Tierreich, ihre sachgemäße Aufbereitung, Lagerung sowie die Verarbeitung zu zusammen­gesetzten Arzneien und deren Abgabe an die Kranken überlassen. Ein neuer Anstoß für die Pharmazie kam von Seiten der Alchimie. Die Alchimisten suchten den „Stein des Weisen“ zu finden, mit dem sie unedle Metalle in Gold verwandeln wollten, und das „Große Elixier“, das dem Menschen ewiges Leben ermöglichen sollte. Dabei bedienten sie sich chemischer Apparaturen und Prozesse. Diese experimentelle Arbeit bereicherte die Chemie und Pharmazie außerordentlich und erweiterte die Chemiekenntnisse des Apothekers. Damit war jene Grundlage geschaffen, die die Selbständigkeit des Fachbereiches Pharmazie garantierte und die Entstehung der Apotheke im eigentlichen Sinn vorantrieb.

Eine theoretische, universitäre und wissenschaftliche Ausbildung für Apotheker gab es allerdings noch immer nicht. Für die Ausübung des Berufes war einzig die Kenntnis der lateinischen Sprache und eine mehrjährige praktische Unterweisung in einer Apotheke verlangt. Die Apotheker waren im Gegensatz zu den Handwerkern nicht in einer Zunft zusammengeschlossen. Der Beruf entwickelte sich ohne obrigkeitliche Eingriffe aus dem Kaufmannsstand. Damit gehörten sie, wie die Großhändler oder Gewandschneider und Tuchhändler, von Anfang an dem Patriziat an und genossen hohe Achtung. Die Auseinandersetzung und Manipulation mit den verschiedensten „geheimnisvollen“ – weil in lateinischer Sprache und daher für das gewöhnliche Volk unverständlichen – Substanzen umgab sie mit einer Aura des Unerklärlichen. Dazu kam noch, dass Apotheker lesen können mussten, Bücher besaßen und ein reiches Wissen über Kräuter hatten. Sie stellten Tinkturen und Heilmittel in einem eigenen Laboratorium mit eigenartig anmutenden Geräten her. 

Getrocknete Krokodile und Mumienhände

Die Apotheker suchten ihren Werkstätten (die zunächst für Kundschaft zugänglich waren) einen Hauch des Geheimnisvollen und Wunderbaren zu verleihen. Sie umgaben sich mit dämonisch wirkenden Gegenständen und fremdländischen Naturalien wie getrockneten Krokodilen, riesigen Schildkröten und exotischen Kugelfischen. Aufschriften auf Tiegeln wiesen auf magische Drogen hin, wie Mumienhände, Rhinozeroshörner, Elchklauen, Straußeneier und ähnlichem. Wie eine Apotheke des Spätmittelalters ausgesehen hat, ist uns nur auf Gemälden oder Zeichnungen erhalten. Man verwendete Regale mit Holz- und Tongefäßen zur Aufbewahrung der Essenzen, Waagen, die eine genaue Dosierung ermöglichten, Mörser aus Eisen oder Bronze zum Zerkleinern der Rohstoffe. In der Offizin befand sich ein Arbeitstisch, auf dem die Rezepturen zubereitet werden konnten.

Dem Arzt Theophrast Bombast von Hohenheim, besser bekannt unter dem Namen Paracelsus, ist ein weiterer Fortschrittsschub zu verdanken. Er gilt als großer Erneuerer der Medizin und als Begründer der pharmazeutischen Chemie. Er stellte Versuche mit Metallen und ihren Salzen an und prüfte sie auf ihre Verwendbarkeit in der Heilkunde. Als genauer Kenner der Volksarzneien wusste er um die Verwendung verschiedener Naturheilmittel. Darauf fußten seine chemischen Untersuchungen und Experimente. Ein ­wichtiger Bereich geht auf seine Forschungen und Betrachtungen zurück. Paracelsus wollte spezifisch wirksame Inhaltsstoffe von Pflanzen durch alkoholische Auszüge (Tinkturen und Extrakte) und Destillation ermitteln. Er trat gegen die Wahnideen der Alchimie auf und meinte, die Alchimisten sollten nicht Gold, sondern wirksame Arzneimittel herstellen. Er war der Meinung, dass es gegen jede Krankheit ein spezifisches Heilmittel gibt. 

Der Apotheker des 17. Jahrhunderts hatte nun neben seiner Tätigkeit mit Pflanzen auch eine chemische auszuüben, sein neuer Arbeitsplatz sollte ab nun das Chemielabor sein. Da der Fachbereich Pharmazie im Laufe der Zeit immer komplizierter geworden war, mussten zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Frankreich und Italien Vorlesungen an einer Universität besucht werden, um das Wissen zu vervollständigen. Die Ausbildung der Pharmazeuten erfolgte bis ins 19. Jahrhundert nach handwerklichem Brauch, vom Lehrling und Gesellen zum Meister. Die Anforderungen an den Berufsanwärter waren hoch, Lateinkenntnisse blieben Voraussetzung zum Verständnis der reichlich vorhandenen lateinischen Literatur. 

Aus dem Jahr 1404 ist eine der ersten Wiener Apothekerordnungen bekannt, in der für heutige Zeiten selbstverständliche Dinge verlangt werden: Visitationspflicht, ärztliche Rezeptur, Taxierung der Medikamente, vorgeschriebene Praxis für Apotheker, Verbot der Ausübung einer ärztlichen Praxis, Ausübung des ­Berufs nur mit Bewilligung der medizinischen Fakultät und eine Universitätsausbildung und -prüfung für den Besitz und die Führung einer Apotheke. Allerdings konnte sich der Stadtrat über diese und einige andere nachfolgende Entwürfe nicht einigen.

10 Apotheken im Apothekerviertel

Um die Auseinandersetzungen um eine Apothekerordnung zu beenden, legte der Habsburger Kaiser Ferdinand I. als Landesherr 1564 die erste, 26 Punkte umfassende Ordnung für Wien fest, in der auch die Anzahl der in Wien erlaubten Apotheken auf 10 beschränkt ist. Diese Apotheken befanden sich hauptsächlich im Bereich Graben – Rossmarkt – Stephansplatz –  Rotenturmstraße, sodass man in Wien vom „Apothekerviertel“ sprach. Im frühen 18. Jahrhundert sind die Wiener Apotheker zu einem Collegium oder Gremium pharmaceuticum zusammengefasst, der jeder Apotheker angehören musste. Aufgabe dieser Gremien war die Beaufsichtigung der Mitglieder, die Bekanntmachung von Gesetzen und Verordnungen und die Mitwirkung bei der Aufnahme und Freisprechung der Apothekerlehrlinge. 1782 wurde das Wiener Apothekergremium wegen Lieferung unechter Medikamente an die Armee von Joseph II. aufgehoben.

Mit Hofentschließung vom 31. 8. 1782 wurde es jedem „ordentlichen gelernten und examinierten Apotheker“ nach vorheriger Überprüfung durch die medizinische Fakultät gestattet, in und vor der Stadt eine Apotheke zu eröffnen. Die Folge war eine vermehrte Gründung von Apotheken in den Vorstädten und Vororten. Zuständig für die Bewilligung war das jeweilige Kreisamt. 

Das Aussehen dieser Apotheken hatte sich Ende des 18. Jahrhunderts gründlich geändert. Im Geiste der Aufklärung und auf Grund der Fortschritte in der Medizin und den Naturwissenschaften erfolgte ein völliger Wandel in der Arzneitherapie, das sich auch im Aussehen der Apotheken niederschlug. Aus den Apotheken wurden die Kuriositäten, die bunten Fayencen und Zinnbüchsen verbannt und durch einfach und zweckmäßig gestaltete Gefäße aus Glas oder Porzellan ersetzt. Die geheimnisvoll wirkende Offizin wandelte sich und wurde zu einem schlichten aber freundlich wirkenden Verkaufsraum. 

Kernstück des Betriebes war nach wie vor der Raum für die Herstellung und Abgabe der Arzneien, die Offizin, mit dem Rezepturtisch in der Mitte, auf dem die Apothekerwaage und sonstige Kleingeräte standen, die für die Rezepturarbeiten notwendig waren. An den Wänden befanden sich Arzneischränke, im unteren Teil mit Schubladen unterschiedlicher Größe versehen, darüber waren teils offene, teils mit Glastüren verschlossene Regale, in denen sich, nach Größe und Alphabet geordnet, Flaschen und sonstige Behältnisse aus Glas, Porzellan, ­Fayence oder Holz befanden. Zu den Nebenräumen gehörten die Materialkammer für größere Vorräte und ein Laboratorium, ausgestattet mit einem Herd, Destillierapparat, Mörsern, Schneidbrettern, Sieben, Tinkturpressen u. a. Außerdem gehörte zur Einrichtung einer Apotheke ein Kräuterboden und ein Arzneikeller.

Die Universitätsausbildung für Apotheker wurde in Österreich erst im 19. Jahrhundert verpflichtend. Heute ist das Apothekenwesen durch das Apothekengesetz geregelt. Durch die Errungenschaften der pharmazeutischen Industrie beginnt Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine Umstellung der Apotheken. Anstatt Arzneimittel selbst herzustellen, beschäftigt sich die Apotheke zunehmend mit der Prüfung der Qualität und Identität von Arzneimitteln und der Beratung.

„Wilde Arisierungen“ 

Eine gravierende Änderung bei den Besitzverhältnissen brachte der „Anschluss“  1938 mit sich. Für viele der jüdischen Pharmazeuten und Pharmazeutinnen bedeutete es die Aufgabe ihres Berufes. Die Apothekenbesitzer verloren das Recht, die Apotheke zu führen, die zum Betrieb einer Apotheke benötigten Konzessionen wurden entzogen. Schon im Mai 1938 begannen die „wilden Arisierungen“ der jüdischen Apotheken, bar jeder Gesetzgebung durch NS-Behörden und ohne Befehl aus Berlin. Um den jüdischen Besitzern keine Möglichkeit zu geben, selbst nach Käufern zu suchen und die Apotheke gewinnbringend verkaufen zu können, übertrug man die kommissarische Verwaltung der „nichtarischen Apotheken“ einer einzigen Person, dem Leiter des Pharmazeutischen Referats beim österreichischen Ministerium für soziale Verwaltung, dem Parteigenossen und SA-Obersturmbannführer Mr. Edwin Renner. Allein in Wien musste Renner für 84 Apotheken neue Besitzer finden. Die Verteilung erfolgte an Berufskameraden, die „Illegale“ gewesen, das heißt, Mitglieder der NSDAP während der Zeit waren, als diese in Österreich unter das Verbotsgesetz fiel, und nun „belohnt“ werden konnten. Die Apotheken mussten zu behördlich festgesetzten, weit unter dem Verkehrswert liegenden Preisen, etwa zehn bis 15 % des eigentlichen Wertes, verkauft werden. Mit 31. Jänner 1939 waren alle Konzessionen und auch die Berufserlaubnis der jüdischen Pharmazeuten erloschen. 

Nach Ende des Nationalsozialistischen Terrors begann für viele geflohene Apothekerfamilien der Kampf um die Rückstellung des entzogenen Vermögens. Die Grundlage dafür waren die von der Regierung beschlossenen Rückführungsgesetze. In Summe wurden in Wien 55 arisierte Apotheken an ihre Besitzer oder deren Erben zurückgestellt. Es sollte jedoch bis in die 1960er Jahre dauern, bis alle Verfahren abgeschlossen werden konnten. Das große Leid, das den jüdischen Apothekern und ihren Familien widerfahren ist, vermag indes keine Wiedergutmachung zu tilgen.

Anmerkung:

Dieser Beitrag ist die gekürzte Version eines Textes, der in der Publikation „Medizin in Wien. Spitäler und Apotheken im Wandel der Zeit“, die im Sutton Verlag erschienen ist. Das Thema bildet auch den Schwerpunkt beim diesjährigen Tag der Wiener Bezirksmuseen am 13. März 2022.

Hans W. Bousska, Prof., Studium an der Universität Wien, Volksskunde, Völkerkunde, Kunstgeschichte, Geschichte.  Pädagoge, Kustos im Bezirksmuseum Meidling, Schwerpunkt: Regionalgeschichte im Kontext der Geschichte Wiens und Österreichs. Zuständig für die Internetseite www.bezirksmuseum.at. Erstellung von Radio- und Mitarbeit bei Fernsehsendungen, Autor zahlreicher Bücher, Redakteur der Zeitschrift „Meidling, Blätter des Bezirksmuseums“, Vorträge über geschichtliche Themen in Zusammenarbeit mit Bezirksmuseum/Volkshochschule. Seit 2008 zuständig für die Gestaltung des Tages der Wiener Bezirksmuseen und die jeweils erscheinenden begleitenden Publikationen.

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