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Zur Geschichte der Arena Wien
Von der Kuhweide zum Kulturverein
Wien zählt seit kurzem wieder zwei Millionen Einwohner:innen. Das letzte Mal, dass die Bevölkerungsdichte diesen Höhepunkt erreichte, war um 1900. Im 19. Jahrhundert zogen, durch die rasanten baulichen Entwicklungen in der Stadt, zahlreiche Arbeiter:innen aus allen Ecken der Monarchie nach Wien und schufen u.a. die Prachtbauten und -straßen der kaiserlichen Residenzstadt, obwohl sie selbst in bitterer Armut leben mussten.
Mit dem Bevölkerungswachstum änderten sich auch die Anforderungen an die tägliche Versorgung. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war deutlich geworden, dass die bestehende Infrastruktur für die schnell wachsende Stadt nicht mehr ausreicht und außerdem veraltet war. Die industrielle Entwicklung war zwar schon seit langem im Gange, doch Wien wurde zu einem großen Teil noch immer von Gemüsebauern, Handwerksbetrieben und Fleischern mit privaten Schlachtstätten in Innenhöfen oder an Brücken versorgt. Die Tiere kamen aus den Kronländern und wurden in der Stadt auf öffentlichen Straßen zu den Fleischhauern getrieben. Die Stadt suchte nach zeitgemäßen Lösungen und fand sie in anderen europäischen Großstädten, vor allem Paris.
Dort hatte Napoleon in kurzer Zeit fünf große Schlachthöfe nach bewährtem französischen System erbauen lassen. Neu war daran der sogenannte Schlachthauszwang per Gesetz, der das Schlachten außerhalb der städtischen Schlachtanlagen verbot. Ein Schritt zu mehr Hygiene in der Stadt war damit getan.
Nach umfangreichen Studienreisen ließ das Wiener Stadtbauamt 1848 zwei für Wien neuartige Schlachthofanlagen errichten. Eine in Gumpendorf und eine in St. Marx am östlichen Stadtrand. Der rege Reise- und Handelsverkehr führte dort seit der Antike über die spätere Simmeringer Hauptstraße, die Landstraßer Hauptstraße und den Rennweg und wurde zur Kontrolle und Mautabgabe an den Stadtgrenzen gebündelt. Das St. Marxer Tor war die östliche Einlassstelle und entwickelte sich von einer mittelalterlichen Kapelle (St. Markus) mit Siechenhaus zum späteren Bürgerspital. Im 18. und im beginnenden 19. Jahrhundert entstanden neben den Versorgungseinrichtungen Viehstände samt Schlachtstätte.
Die Anhöhe bot viel Platz und Durchlüftung und ließ das unliebsame Gewerbe an den Rand der Stadt und der Gesellschaft verschwinden.
Die Stadt baute weitere Schlachthäuser, da auch in Österreich der Schlachthauszwang eingeführt wurde. St. Marx wurde mehrmals stark erweitert und entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zum größten Schlachthof und Viehmarkt Europas, dem St. Marxer Central-Viehmarkt mit Platz für zigtausende Tiere. Und eine Brauerei. Doch auch dieser gigantische Versorgungskomplex reichte nicht aus und am untersten Ende des Zentralviehmarktes, am heutigen Franzosengraben, wurde der Bau einer neuen Schweineschlachtstätte geplant.
Der Bauplatz des neuen Schweineschlachthauses, dessen denkmalgeschützte Reste die heutige Arena bilden, befindet sich in einem ehemaligen Überschwemmungsgebiet, das erst dauerhaft bebaut werden konnte, als die Donauregulierung 1884 abgeschlossen war. Jahrhundertelang formte das Wasser dort Flüsse, Bäche und Inseln, die zum Teil als Kuhweiden benutzt wurden. Die Arena war sozusagen mal eine Insel.
Nach Jahren des Verhandelns und Planens wurde das neue städtische Schweineschlachthaus 1908-10 unter der Leitung des Bauingenieurs Max Fiebiger auf aufgeschüttetem Terrain errichtet. Die hinteren Hallen (Stallungen, Schlachthallen, Darmwäscherei) bestanden nur bis Ende der 1970er Jahre. In der angrenzenden Durchfahrt konnten die Schweinehälften in Autos verladen oder weiter in die beiden großen Kühlhallen gebracht werden. Auch die Kühlhallen sind nicht mehr existent und markieren den Platz des heutigen Open Air Geländes.
Die heutige große Halle beherbergte Kessel- und Maschinenhaus, Werkstätten und Lager. Das Gebäude der Sterilisierungsanstalt, der langgestreckte, niedrige Bau, wo heute die kleine Halle und der Dreiraum weiteren, kleineren Konzerten Platz geben, wurde 1926 um die sogenannte Freibank erweitert.
Fleisch, das von seuchenverdächtigen oder verunfallten Tieren stammte, musste gesondert behandelt und in ausschließlich dafür vorgesehenen Verkaufsstellen – der Freibank, verkauft werden. Einkommensschwächere, von Armut Betroffene, kauften dort günstiges Fleisch, das genießbar gemacht wurde und nicht mit dem üblichen Schlachtbetrieb in Berührung kommen durfte.
Trotz hohem technischen und hygienischen Niveau veränderte sich vieles immer schneller, es folgten neue wissenschaftliche Erkenntnisse, neue Gesetze, Adaptierungsmaßnahmen. Bald nach dem Ersten Weltkrieg konnte das neue Schweineschlachthaus nicht mehr mithalten. Vor allem in den USA waren die riesigen, mehrstöckigen Schlachtfabriken, die aus den Handwerker:innen des Fleischergewerbes Arbeiter:innen unterster Klasse machten, durch ihre rationalisierte Fließbandarbeit ein maßgebendes Vorbild für die Industrialisierung der Schlachtung. Fleischimporte wurden billiger.
Nach der Wiederinstandsetzung des Schlachthauses nach dem Zweiten Weltkrieg gingen Schlachtungen im Allgemeinen so stark zurück, dass viele Schlachthöfe geschlossen wurden. 1997 wurden schließlich auch die Schlachtungen am Zentralviehmarkt beendet. Eine Brache fand hier eine Heimstatt, so entstand durch Umnutzung und Neubebauung Neu Marx.
Und wie kam es zur Arena-Bewegung? Und was hat sie für den Denkmalschutz geleistet? Was konnte sie für die Jugendkultur und für die Kulturpolitik der Stadt Wien nachhaltig bewirken?
Wien war in den 1970er Jahren eine konservative, zubetonierte Stadt. Die traditionsreiche Hochkultur wurde nach wie vor gefördert; die Alternativ-, Sub- und Jugendkultur ging leer aus. Feste gesellschaftliche Normen, Arbeitslosigkeit und Chancenlosigkeit lösten Frustration bei der Jugend und unter den Kunst- und Kulturschaffenden aus. In Musik, Literatur, Theater oder bildender Kunst fanden sie ihren Ausdruck. Dafür brauchte es nicht nur Platz in der Gesellschaft, sondern auch einen physischen Ort.
Als in den Nachkriegsjahrzehnten europaweit zahlreiche Industrieanlagen stillgelegt wurden, boten sich Möglichkeiten an, diese Gebäude zu erhalten und anderweitig zu gebrauchen. In ganz Europa engagierten sich Menschen, die sich für kulturelle Umnutzungen und die Belebung ihrer Stadtteile einsetzten. Manchmal durch Bürger:innenbeteiligung, manchmal leiser, manchmal laut.
Die Arena-Bewegung geht auf die alternative Kulturinitiative Festwochen Arena zurück. Sie lief parallel zu den Wiener Festwochen bereits 1970. Als die Veranstaltung 1976 bereits zum zweiten Mal im ehemaligen Kontumazmarkt und Seuchenhof an der Döblerhofstraße im Bezirk Landstraße stattfand und man von den Verkaufs- und Abrissplänen durch den Finanz- und Immobilienspekulanten Leopold Böhm, dem Erben der Modekette Schöps, erfuhr, beschlossen die „Arenaut:innen“ spontan zu bleiben. Das Warten, Suchen und Bitten nach einem dauerhaften Platz für Alle von Allen sollte spontan enden.
Die Gelegenheit war perfekt.
Der Kontumazmarkt und Seuchenhof war 1916-1922 etwas abseits und getrennt von der großen Zentralviehmarkt-Anlage, ebenfalls von Bauingenieur Max Fiebiger, erbaut. Der achtmal größere Kontumazmarkt (Kontumaz = Quarantäne) war für die Beherbergung und Schlachtung von Tieren, die aus seuchenverdächtigen Gebieten kamen, errichtet worden.
Die Größe des später so genannten Auslandsschlachthofs bot allen Vorstellungen und Bedürfnissen Platz. Im Juni 1976 wurde das gesamte Gelände besetzt und spontan für neue Bedürfnisse adaptiert, nach den Ideen derer, die zur Besetzung geblieben, und jener, die extra zur Hilfe kamen. Innerhalb von drei Monaten entstanden zahlreiche kulturelle und soziale Einrichtungen wie ein Literaturcafé, ein Frauenhaus, Werkstätten, Bühnen, Ateliers, Galerien, eine Volksküche, ein Kinderhaus oder ein Teehaus. Gemeinsam leben, gemeinsam schaffen – so lautete das Motto.
Auch obdachlose Kinder und Menschen, die aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen waren, wurden aufgenommen und arbeiteten mit. Experimentelle Literatur fand einen Platz, unangepasste bildende Kunst, widerständige Lieder und Revolutionstheater erweiterten und bereicherten das graue Wien. Die Medien berichteten beinahe täglich, und die Bevölkerung spendete Essen, Geld- und Sachleistungen. Konservative sehnten sich allerdings beim Anblick der langhaarigen Unbequemen nach vergangenen Zeiten.
Das Gelände wurde schließlich im Oktober 76 geräumt und die Gebäude abgerissen. Die Besetzer:innen verstummten dennoch nicht und setzten ihre Demonstrationszüge in der Stadt fort. Die Stadtregierung trat daher in Verhandlungen mit den „Arenaut:innen“, die ihre Forderungen präzise darlegten, was eine fundierte Basis für Gespräche bot. Bevor die Wahl auf das heutige Arena-Gelände fiel, wurden das Schloss Neugebäude und eine Meidlinger Lederfabrik angeboten. Beides wurde von Seiten der „Arenaut:innen“ abgelehnt. Auch das heutige Areal fand zunächst keinen Zuspruch, wurde aber letztlich unter mehreren Bedingungen angenommen.
Dieses als Inlandsschlachthof bezeichnete ehemalige Schweineschlachthaus befand sich aber in teils nicht betretbarem Zustand. Und die von hunderten BesetzerInnen übriggebliebene Kleingruppe Unerschrockener sollte mit Teilabrissen und Behinderungsaktionen aus dem 1977 übergebenen Schlachthaus vertrieben werden.
Einer aus der kleinen Gruppe an Besetzer:innen war Dieter Schrage, ein als „Berufsjugendlicher“ bezeichneter deutscher Kulturwissenschaftler und -aktivist, der Texte zur basisdemokratischen Selbstverwaltung von Kulturvereinen und die heute noch gültigen Vereinsstatuten des Vereins Forum Wien Arena verfasst hat. Er brachte die Arena-Bewegung als erster Obmann in eine neue Zeit an einem neuen Ort.
2026 wird die Arena ihr 50-jähriges Jubiläum feiern. Jährlich führt sie rund 200 Veranstaltungen und 30 Open Airs durch, subventioniert und unterstützt von der Stadt Wien. Doch der Anfang war schwer und erst nach drei Jahren der notdürftigen Sanierungsmaßnahmen konnte 1980 mit dem regulären Veranstaltungsbetrieb begonnen werden.
Bereits zu Beginn traten die Größen der österreichischen Literatur- und Musikszene auf. Internationale Bands kamen dazu. Allein bis 1992 traten z.B. Bad Religion, Black Sabbath, Faith No More, John Lee Hooker, Little Richard, Nirvana, Sepultura, Screaming Jay Hawkins, Nick Cave, Tracy Chapman, Iggy Pop oder Van Morrison auf. Auch die Festwochen Arena. Die heimische Punkszene war mit Bands wie Chuzpe, die Böslinge oder Stefan Weber (Drahdiwaberl) vertreten. Später kamen unter anderem Motörhead, Ringo Starr, Alice Cooper, Slayer, Billy Idol, Thin Lizzy, Moby oder Blondie hinzu.
„Alle, die mittun, können mitbestimmen.“ und „Wir arbeiten gemeinsam. Wir feiern gemeinsam.“ – das waren die Leitsätze, trotzdem kennzeichneten weitere Probleme den Beginn des neuen Kulturvereins. Es musste Stück für Stück gelernt werden, was gelebte Basisdemokratie, antiautoritäre Selbstverwaltung für einen laufenden Kulturbetrieb bedeuten. Gesprächsintensive, stundenlange Plena führten oft zu keinen Entscheidungen und kurze Zeit gab es sogar zwei befeindete Vorstände.
Trotz der Hürden entstanden auch periodisch wiederkehrende Veranstaltungen: Das Iceberg, das Arena Sommerkino, das Mainframe, der Circus, die Bierwoche, zum Schluss die Roadtrip-To-Outta-Space-Reihe. Außerdem Deutschkurse, Lehrlingsausbildung und größere Benefizveranstaltungen (Bock auf Kultur, Nacht gegen Armut mit Patti Smith) – aber auch kleinere wie z.B. für die Operation eines Arena-Hundes.
Spektakuläre Sportveranstaltungen wie Freerunning, BMX oder Snowboard Contests, Skatefest, Wrestling oder die cyberpunkige Performancekunst von DNTT-Feuerzirkus oder Mutoid Waste Company brachten noch mehr Veranstaltungsvielfalt. Kleineren Bands wird mit dem kleinsten Konzertraum, dem Arena Beisl, oderdem Dreiraum und Proberäumen weiterhin Unterstützung geboten.
Das zuvor ebene Open Air Gelände, das erst durch den Abriss der historischen Kühlhallen nach dem Einzug entstand, wurde in den 1990ern abgegraben, später die große Halle um- und dann eine neue, größere Open Air Bühne aufgebaut. Die Bühne erfuhr ihre letzte, technische Adaptierung 2023 durch eine neue Soundanlage, die die Stadt Wien subventionierte.
Ohne die einstige Besetzung würde es die Arena nicht geben. Vielleicht in anderer Ausführung an einem anderen Ort. Aber die Umnutzung der historischen Industrieanlage hat die Architektur gerettet. Diese zahlreichen nachfolgenden Bewegungen erkannten darin das Potential zur Definierung eines neuen Kulturbegriffs mit Symbol- und Vorbildcharakter. Vielzählige Unterschutzstellungen und kulturelle und soziale Umnutzungen folgten. Vieles ist der Arena Wien ähnlich; nichts steht in einer Reihe mit ihr. Seit 1997 stehen die Gebäude auch auf Grund der „weitgehend vollständig erhaltenen Sichtziegelfassaden“ unter Denkmalschutz.
Sichtziegelbauweise findet man im Wien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr häufig, vor allem an kommunaler und industrieller Architektur. Die durch die rohen Ziegel geprägten Fassaden wurden durch variantenreiche Ziegelfriese, Zierbänder und -formen, optisch gegliedert und ästhetisch gestaltet. In unmittelbarer Umgebung z. B. die Gasometer des ehemaligen Gaswerks. Und an den Gebäuden in der Arena. Besonders bemerkenswert ist eine bestimmte, momentan nur in der Arena vorkommende Friesform: Der Arena-Fries, der durch 45° über Eck gestellte Ziegel in 3 Reihen eine stilisierte Blume oder ein Kreuz (je nach Schattenwirkung) zeigt.
Die Frage nach dem Architekturvorbild der großen Halle lässt sich leichter lösen. Die deutlich in zwei niedrigere „Seitenschiffe“ und das mittlere, höhere „Hauptschiff“ aufgeteilte Fassade weist auf die Bauweise einer Basilika hin. Im Zuge des Historismus wurde der basilikale Aufriss vielfach in der Industriearchitektur, oft an Maschinenhäusern, verwendet. Eine Anbetung der Maschinen des industriellen Zeitalters.
Trotz der Besonderheiten des Areals der Arena Wien ist sie kein (Freilicht-)Museum, sondern ein lebendiges Denkmal zur Stadtgeschichte. Der Verein bemüht sich, den Charakter auch in seinen Einzelteilen zu bewahren und in den Betrieb einzugliedern. Nachts wird die fehlende Pförtnerhausuhr an ihre Originalstelle projiziert, ein alter Aufzugsmotor durch Beleuchtung in den Gastraum integriert oder neue Beeteinfassungen mit dem Arena-Fries versehen.
Die Besonderheit und Notwendigkeit des Fortbestands des Areals und des Vereins zeigt sich nicht nur durch die Geschichte, sondern auch durch ihre Betreiber:innen und durch die Anerkennung der Bevölkerung. Auf Rebellion und Leidenschaft gebaut, entwickelte sich die Arena zum größten alternativen Kultur- und Jugendverein: „Entertainment & Confrontation“ für Alle!
Hinweis: Zum 50-Jahr-Jubiläum der Arena 2026 wird eine große Publikation zur Geschichte des Areals erscheinen. Das Publikatiosprojekt wird von der Autorin dieses Beitrags koordiniert.
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Nur zur Information: 1975 habe ich als Student der Wr. Filmhochschule einen Dokumentarfilm über den ehemaligen Rindschlachthof mit dem Titel "Schlachthof St. Marx" gemacht, der meines Wissens als DVD im Wiener Stadt- und Landesarchiv zur Verfügung steht.