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Christian Hlavac, 22.4.2023

200 Jahre Wiener Volksgarten

Geometrisches Grün für alle

Wer den eigenen Geburtstag feiert, kennt das genaue Datum. Im Falle des Wiener Volksgartens ist das auf den ersten Blick nicht ganz einfach. Denn obwohl er der erste im Großraum Wien war, der eigens für das Volk errichtet wurde, hat die Eröffnung im Jahr 1823 weder in den damaligen Zeitungen und Zeitschriften Widerhall gefunden noch in der Geschichtsschreibung deutliche Spuren hinterlassen.

Die Lösung des Rätsels ist einfach und gleichzeitig unspektakulär: Ohne viel Aufsehen und ohne große Feier machte man am späten Nachmittag des 1. Mai 1823 den Volksgarten nahe der Wiener Hofburg der Öffentlichkeit erstmals zugänglich, wie in einem Akt des zuständigen Obersthofmeisteramts und in einer kurzen Notiz von Ende Juni 1823 in der in Leipzig erschienenen Zeitung für die elegante Welt zu lesen ist. Zusätzlich hilft uns die Nachricht von Franz Carl Weidmann, der in seinem Beitrag über die Verschönerungen Wiens in der Zeitschrift Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst Ende April 1823 davon spricht, dass die Anlage des Gartens „ihrer Vollendung mit raschen Schritten“ entgegen gehe.

Dass die Grünanlage am 1. Mai 1823 noch nicht den Vorstellungen aller Nutzer entsprochen haben wird, zeigt sich in der erwähnten Notiz in der Zeitung für die elegante Welt: „Bis jetzt ist das neue Kaffeehaus der schönere Theil davon, denn der gegenüber erbaute Tempel mit Canovaʼs letztem Meisterwerk, Theseus den Centaur erlegend, ist noch nicht geöffnet, und dem Garten fehlt es an dem, was ihn erst zum Garten bildet, an Gras und belaubten Bäumen.“

Jede Gartenbesitzerin und jeder Gartenbesitzer weiß: Ein Garten braucht Zeit, denn Bäume wachsen nicht innerhalb von Tagen und Wochen in den Himmel. Dies war auch im Volksgarten so. Andererseits lobte der österreichische Schriftsteller und Journalist Moritz Gottlieb Saphir bereits Mitte Juli 1823 im Journal Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens den Volksgarten, der „sicher zu einer der hervorragendsten Verschönerungen, die die Kaiserstadt ihrem angebetheten Beherrscher verdankt“, gehöre.

Eine Sprengung und die Folgen

Dass der „Garten für das Volk“ nahe der Hofburg überhaupt existiert, hat mit einer Machtdemonstration Napoleon Bonapartes zu tun, der 1809 vor dem Abzug seiner Truppen die sogenannte Burgbastei sprengen ließ. Kaiser Franz (1768–1835) nutzte den frei gewordenen Raum vor der Hofburg für eine große Umplanung, die auch aufgrund des Wiener Kongresses erst Jahre später verwirklicht wurde. Einerseits sollte ein eigener privater Garten für den Kaiser entstehen, andererseits eine öffentlich zugängliche Grünfläche. Die Überlegung, einen Garten für das Volk anzulegen, wurde bereits früh in der Öffentlichkeit bekannt. So berichtete der Arzt Joseph August Schultes nach seiner Wien-Reise 1817 von einem Park „für die Wiener“ dicht am Burgtor, der dank der „Huld ihres Kaisers […] zu ihrer Erholung und Unterhaltung geöffnet haben wird.“ An der damals geführten Diskussion, welchen Garten man an welchem Standort anzulegen habe, beteiligte sich auch die k. k. Hofgartendirektion, die im März 1817 in einem Schreiben an das k. k. Obersthofmeisteramt meinte, der vom Kaiser vorgesehene Platz für einen Obst- und Blumengarten solle eben nicht als Hofgarten verwendet, sondern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, da „alle Einwohner Wiens für eine […] mit der herrlichsten Aussicht nach der Welt geschmückten öffentlichen Promenade, seiner Majestät ewigen Dank zahlen würden.“

 

Ein Begriff setzt sich durch

Von der Detailplanungsphase an, die spätestens 1817 begonnen hatte, bis in das Frühjahr 1823 hinein wurde der neue öffentliche Garten innerhalb des k. k. Obersthofmeisteramts und des k. k. Fortifikationsbauamts unter der Bezeichnung „Publicums Garten vor der k. k. Burg“ geführt. Anscheinend erst mit der Eröffnung am 1. Mai 1823 setzte sich in der Verwaltung und im allgemeinen Sprachgebrauch der noch heute gebräuchliche Name „Volksgarten“ durch. Dieser neue Grünraum dürfte für den Adel und die Bürgerschaft der engen, damals noch befestigten Stadt rasch an Bedeutung gewonnen haben. Wie es in einer anonymen Schrift von 1824 heißt, wurde er so populär, „daß er vorzugsweise zu jenen Erhohlungsplätzen gerechnet werden kann, welche von der gebildeten Welt besucht werden“.

Mit ein Grund für die hohe Akzeptanz dieser neuen Grünfläche war sicher die Existenz des sogenannten Zweiten Cortiʼschen Kaffeehauses, eines vom im Tessin geborenen Architekten Pietro Nobile entworfenen und noch heute bestehenden halbkreisförmigen Kolonnadenbaus. Der Namensgeber für dieses Etablissement, der aus Bergamo stammende bürgerliche Kaffeesieder Pietro Corti, hatte es im Frühjahr 1823 eilig gehabt. Wie er in mehreren Zeitungsinseraten bekanntgab, wollte er bis zum 1. Mai – also dem Tag der Eröffnung – sein neues Kaffeehaus, „in dem neu angelegten öffentlichen Garten vor der k. k. Burg“ fertiggestellt haben. In diesem Gebäude bot Corti nun „warme und kalte Getränke nebst Erfrischungen das ganze Jahr hindurch“ an. Während des ganzen Sommers bekomme man hier „alle bisher bekannten vorzüglicheren Gattungen natürlicher Mineral-Wässer, und nahmentlich auch das neu entdeckte Herrschaft Königswarter-Stahlwasser, um billige Preise“, sowohl becherweise als auch in Krügen. Den Baukonsens für seinen „Salon im Volksgarten“ hatte man ihm jedoch erst kurz vor der Eröffnung, nämlich am 28. April 1823, ausgestellt.

Corti konnte in seinem neuen Salon auf ein Stammpublikum zählen, schließlich betrieb er seit Mai 1819 im an den Volksgarten anschließenden sogenannten Paradeisgartl ein Etablissement, das als Erstes Cortiʼsches Kaffeehaus in die Geschichte eingegangen ist und 1872 anlässlich der Vergrößerung des Volksgartens abgebrochen wurde.

Mit dem Bau des zweiten Kaffeehauses erfüllt man auch die Forderung von Gartentheoretikern und -praktikern jener Zeit. So hatte der deutsche Gartenkünstler und erfahrene Praktiker Friedrich Ludwig von Sckell in seinem 1818 erstmals erschienenen Werk „Beiträge zur bildenden Gartenkunst für angehende Gartenkünstler und Gartenliebhaber“ gefordert, dass in Volksgärten auch „Gebäude im guten Geschmack“, wo Erfrischungen und Speisen eingenommen werden können, errichtet werden müssten.
 

Ein Tempel und seine Schätze

Der ästhetisch zentrale Punkt des Volkgartens ist hingegen noch heute der Theseustempel, bei dessen Betrachtung man bei gleißendem Licht die Augen schließen muss, so hell leuchtet seine Bleiweißoberfläche, die der von 2008 bis 2011 erfolgten Renovierung geschuldet ist. Namensgebend für dieses antik wirkende Gebäude ist die sogenannte Theseusgruppe. Im Jahre 1804 hatte Napoleon Bonaparte diese monumentale Skulpturengruppe des Sieges von Theseus über den Kentauren Eurytion beim berühmten Bildhauer Antonio Canova für den Mailänder Corso beauftragt. Sie war zur Glorifizierung Napoleons bestimmt. Nach der Niederlage und Verbannung Napoleons erwarb sein Schwiegervater, der österreichische Kaiser Franz, die damals noch nicht ganz vollendete Plastik anlässlich seines Romaufenthaltes bei einem Besuch im Atelier des Bildhauers. Nun erhielt die Skulptur eine neue, gegenteilige Bedeutung: Sie stand fortan symbolisch für die Überwindung der revolutionären Gefahr und den Sieg über den französischen Kaiser durch das Haus Habsburg-Lothringen.

Nach der Vollendung der Bildhauerarbeit im Jahr 1819 gelangte die Skulptur aus Carrara-Marmor nach Wien. Schon nach dem Erwerb des Kunstwerkes durch Kaiser Franz war der bereits erwähnte Pietro Nobile beauftragt worden, ein Gebäude in Form eines griechischen Tempels als architektonische Hülle für die Skulpturengruppe zu entwerfen. Der erst nach der Eröffnung des Gartens fertiggestellte Bau ist eine verkleinerte Version des Hephaistos-Tempels am Rande der Agora von Athen. Man kennt ihn auch unter dem Namen Theseion oder Theseum, da man einst glaubte, die Knochen des griechischen Helden Theseus seien hier begraben; und so nannten auch einige frühe Beschreiber der Wiener Kopie dieses Bauwerk „Theseum“. Der Originalbau weist in der Länge 13 Säulen auf, den Tempel in Wien kürzte man in der Länge um drei Säulen. Der Grund dürfte ein ästhetischer gewesen sein: Das Gebäude wäre unverhältnismäßig groß für den Platz geworden. Auch in diesem Fall unterstützten Gartentheoretiker und -praktiker jener Zeit die Errichtung eines solchen Gebäudes.

Der bereits erwähnte Friedrich von Sckell zählte 1818 auf, welche „Verzierungen“ in Volksgärten angebracht seien, darunter auch „schöne Tempel der alten Kunst“. Nur sollten diese „nicht kleinlich ausgeführt werden und als Muster der höhern und reinern Baukunst erscheinen.“

Der Tempel im Volksgarten diente wie geplant als Aufstellungsort der Skulpturengruppe, welche besichtigt werden konnte. Der Niedersachse Friedrich Karl von Strombeck schrieb nach seiner Wienreise 1838, dass die Theseusgruppe im hinteren Teil des Tempels aufgestellt sei und ihre „vorzüglichste Beleuchtung durch die Thür bekömmt“. Er beklagte jedoch ausdrücklich die Aufstellung, da man die Bildhauerarbeit nicht von der Rückseite beschauen könne. Auch der Journalist und Schriftsteller Franz Carl Weidmann hatte bereits 1823 diese eingeschränkte Sicht auf das Kunstwerk bemängelt.

Antikensammlung im Volksgarten

Der Tempel war nicht nur Ausstellungsraum für die Theseusgruppe, sondern nahm auch im Untergeschoß die kaiserliche Antikensammlung aus Grabungsfunden auf, die nur im Sommer jeweils am Freitag von 10 bis 13 Uhr zugänglich war. Die Besucher fanden dort antike Büsten, unter anderem des römischen Kaisers Claudius, ein 1816 in Stixneusiedl gefundenes Mithrasrelief, Opferaltäre und Steinplatten mit Inschriften aus Petronell und Aquileia (Friaul) sowie Sarkophage. Mit der Unterbringung der antiken Sammlung aus verschiedenen Gegenden der österreichischen Monarchie wurde der Theseustempel als Nationalmonument aufgewertet. Die antiken Funde in den damals sogenannten Katakomben des Theseustempels wurden jedoch aufgrund von Beschädigungen bereits 1841 entfernt, und der Keller diente fortan als Lagerraum für die Cortiʼschen Kaffeehäuser.

In die Katakomben gelangte man jedoch nicht über den zentralen Innenraum des Tempels, sondern über ein, heute nicht mehr existierendes kleines separates Gebäude, das den Eingang zur Treppe enthielt. Rund um das Gebäude – ein bedeutendes Beispiel des „Greek Revival“ in Österreich – standen einst große Säulenpappeln, die aufgrund ihres Wuchses an mediterrane Zypressenhaine und die einstigen Baumpflanzungen beim Hephaisteion in Athen erinnern sollten. Im 1824 anonym erschienenen Werk „Wienʼs Verschönerung besonders durch das neue Burgthor, den Kaisergarten und den Volksgarten“ hüllten laut Autor die „sanft rauschenden Pappeln“ den Tempel „in ein heiliges Dunkel“. Alle Säulenpappeln verschwanden um 1863; sie wurden gefällt. Einerseits dürfte diese schlanke, sehr rasch wachsende Pappelvarietät aus der Mode gekommen sein, andererseits steigt aufgrund des schnellen Wachstums dieser Bäume nach rund vier Jahrzehnten die Gefahr von Windbruch stark an.

Debatte über die Gartengestaltung

Entgegen der damals vorherrschenden Mode des Landschaftsgartens wurde der nach Plänen des Elsässers Louis Rémy angelegte Volksgarten im regelmäßigen Stil mit Alleepflanzungen konzipiert. Der bekannte englische Gartenkünstler und Gartenschriftsteller John Claudius Loudon hatte in seinen in den 1820er- und 1830er-Jahren erschienenen Werken, die auch ins Deutsche übersetzt wurden, dafür plädiert: „Geometrische Szenerie“ sei die beste Form für einen öffentlichen Garten, wenn nur wenig Fläche zur Verfügung stünde. Und so finde man – so Loudon – öffentliche Gärten, mit wenigen Ausnahmen, in allen Ländern und zu allen Zeiten im geometrischen Stil angelegt.

Ein weiterer Grund für den regelmäßigen Stil wird die – im Gegensatz zu landschaftlichen Anlagen – bessere Überwachungsmöglichkeit gewesen sein. Dies klingt auch bei der Beschreibung des Wiener Volksgartens durch Franz Heinrich Böckh aus dem Jahr 1823 an: „Englische Anlagen sind, hinsichtlich der großen Volksmenge, der in denselben möglicher Weise vorkommen könnenden Unsittlichkeiten und Unfüge auf ausdrücklichen allerhöchsten Befehl, als nicht anwendbar, verworfen worden.“ Ein weiteres Argument sprach ebenfalls für einen regelmäßigen Stil, wie Friedrich Ludwig von Sckell 1818 zum Thema Volksgärten festhielt: Dass nämlich in diesen „das Volk auf einmal in Masse gesehen werden kann und daher auch in solchen Alleen einen weit imposantern Anblick gewährt, als in den allerschönsten Schlangen-Wegen der Naturgärten.“

Der Volksgarten wächst

Anlässlich der Errichtung der Ringstraße wurde der Volksgarten zwischen 1863 und 1865 vergrößert und gleichzeitig umgestaltet. So verschwand jener Wall, der den Volksgarten vom Paradeplatz (dem heutigen Heldenplatz) abschloss, und die den Garten umschließende Kurtine. Die durch den Abriss der Befestigungsanlage gewonnene neue Fläche in Richtung der Vorstädte wurde auf eine Art ergänzt, die uns heute fast nicht mehr erkennen lässt, dass dieser Gartenteil erst 40 Jahre nach der Eröffnung des ursprünglichen Gartenteils hinzugekommen ist. Die letzte Erweiterung erfolgte 1883 mit jenem Streifen entlang der Löwelstraße, in dem 1907 das Elisabeth-Denkmal errichtet wurde.

Auch wenn wir die Vergrößerungen und Veränderungen im Laufe von zwei Jahrhunderten nicht ausblenden sollten, bleibt eine Tatsache bestehen: Der unter Denkmalschutz stehende Volksgarten ist die erste für die Öffentlichkeit entworfene und bestimmte Grünfläche Wiens und gleichzeitig ein frühes Beispiel für eine solche Anlage in Europa.

 

Literatur und Quellen:

Christian Hlavac: Wiener Parkgeschichten. Wien 2021

Hellmut Lorenz, Anna Mader-Kratky (Hrsg.): Die Wiener Hofburg 1705–1835. Die kaiserliche Residenz vom Barock bis zum Klassizismus. Wien 2016

Jochen Martz: „Waren hier die alten Wälle?“ Zur Genese und Entwicklung der gärtnerischen Nutzung auf dem Gelände der fortifikatorischen Anlagen im Bereich der Wiener Hofburg. In: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, LXIV Jg. (2010), Heft 1/2, S. 116–127

Akten des Österreichischen Staatsarchivs

 

Über den Volksgarten als Ort des „Anbandelns“ im Biedermeier gibt´s hier einen Magazin-Beitrag.

Christian Hlavac studierte Landschaftsplanung an der Universität für Bodenkultur Wien und Architektur an der TU Wien. Er arbeitet als Landschafts- und Gartenhistoriker sowie als Publizist. Im September erschien sein neues Buch „Lilienfeld. Von weißen Mönchen und weißem Sport“ im Christian Brandstätter Verlag.

 

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Kommentare

Irmgard Maier

Ein wirklich hervorragender und aufschlussreichen Beitrag zu 200 Jahre Wiener Volksgarten!
Schön, dass das Wien Museum in der Zeit des Umbaus so viele interessante Themen in dieser Form bietet. Ich freue mich schon sehr auf die Wiedereröffnung des Museums und bin schon sehr gespannt....