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Andreas Nierhaus, David Schreyer, Peter Stuiber, 16.12.2019

Auf den Spuren von Richard Neutra

Expedition in Kalifornien

Ab 13. Februar zeigt das Wien Museum MUSA die Ausstellung „Richard Neutra. Wohnhäuser für Kalifornien“.  Passend dazu ist soeben eine Publikation erschienen, die den Fokus auch auf Neutras Zeitgenossen richtet. Grundlage dafür war eine intensive Forschungsreise, die Wien Museum-Kurator Andreas Nierhaus und der Architekturfotograf David Schreyer unternommen haben. Ein Gespräch.

Peter Stuiber:

Wann und wie lange wart Ihr unterwegs, um das Material für dieses Buch und die Ausstellung zusammenzutragen?

Andreas Nierhaus:

Wir waren insgesamt fünf Wochen in Kalifornien unterwegs, den Hauptteil der Zeit haben wir in Los Angeles verbracht. Die von der Kunstsektion des  Bundeskanzleramtes finanzierte Forschungsreise fand im Frühsommer 2017 statt - also in der Übergangszeit von „June Gloom“ zur „Summer Heat“. Das Wetter war eigentlich zu schön, um wahr zu sein.

PS

Die Reise kam im Zuge eines Forschungsprojektes zustande. Welche Ausgangsüberlegungen gab es dazu? Was war die konkrete Motivation?

AN

Uns ist aufgefallen, dass Richard Neutra, der global gesehen wohl prominenteste und einflussreichste österreichische Architekt der Moderne, in seiner eigenen Heimat kaum bekannt ist – und das wollten wir ändern. Seine Bauten haben uns von Anfang an fasziniert: Neutra hat nicht nur ein über Jahrzehnte hinweg konsistentes architektonisches System entwickelt, das unterschiedlichen gestalterischen Herausforderungen angepasst werden konnte ... 

David Schreyer:

... er hat auch gezeigt, wie man ohne hohen technologischen Aufwand baulich auf extreme Klimabedingungen, im Speziellen auf Hitze, reagieren kann und mit geschickten Raumkonfigurationen an sich kleine Häuser groß werden lässt. Vor Ort in Los Angeles haben wir festgestellt, dass wir Neutras Bauten im Kontext des Werks seiner Zeitgenossen betrachten müssen, um es verstehen zu können. Nicht nur, dass es direkte oder indirekte Einflüsse gibt; sein Werk ist vor allem eines: extrem stringent – sowohl formal als auch inhaltlich. Und das erklärt sich durch die Konfrontation mit Bauten seiner Zeitgenossen dann quasi von selbst.

PS

Wie kam es zu der Auswahl der Häuser? Welche standen im Fokus? 

DS

Wir kamen mit einer „Shortlist“ von zirka 80 Häusern nach Kalifornien. Direkt nach unserer Ankunft haben wir begonnen, diese Orte aufzusuchen. Allein dadurch ergab sich der Link zu weiteren Häusern, die für unser Thema interessant erschienen. Wir haben bewusst nicht die berühmten Häuser – etwa das Kaufmann Desert House in Palm Springs – aufgesucht, sondern die kleinen, weniger bekannten, die uns aber für heutige Fragen des Wohnens weitaus relevanter erschienen.

PS

Die Häuser, die Ihr besucht habt, sind nicht öffentlich zugänglich. War es denn absehbar, ob man zu einer relevanten Anzahl von Häusern überhaupt Zutritt erhält?

AN

Das Forschungsprojekt war von Anfang an als Experiment, oder besser: als eine Art Expedition angelegt. Wir wussten am Anfang nicht, was dabei herauskommen wird. Wie wird das Wetter sein? Wer wird uns die Tür öffnen? Der Zufall war ein Faktor, den wir ernst genommen haben. Aber bei einer Erstauswahl von 80 Häusern war uns klar, dass wir innerhalb von fünf Wochen auf eine respektable Zahl an tatsächlich besichtigten und fotografierten Bauten kommen werden. Dafür waren wir aber auch rund um die Uhr unterwegs. Auch wenn es unglaubwürdig klingt: Strand und Sonne gab`s nur ein einziges Mal.

PS

Wie herausfordernd war die Organisation dieser Reise? Wie schafft man es, eine derartige Menge an Terminen zu koordinieren? Welche Hürden tun sich da auf?

AN

Es war vor allem sehr viel Schreibarbeit. Und man musste darauf eingestellt sein, viele viele Kilometer mit dem Auto durch diese manchmal endlos scheinende Stadt zu fahren. Unser Tagesablauf sah in der Regel so aus, dass wir am Vormittag Kontakte geknüpft, die umfangreiche Korrespondenz erledigt und Besichtigungstermine organisiert haben. Am Nachmittag fuhren wir dann zu den Häusern, und während David die Bauten fotografiert hat, habe ich Interviews mit den BewohnerInnen geführt – und sie danach bei Laune gehalten, bis David seine Arbeit abgeschlossen hatte.

PS

Gab es besondere Momente oder Begegnungen, die Euch überrascht bzw. beeindruckt haben?

DS

Am Tag nach unserer Ankunft haben wir zu Fuß „unser“ Viertel am Silver Lake erkundet. Eine Gegend, in der besonders viele Häuser der „kalifornischen Moderne“ erhalten sind – noch, denn die Gentrifizierung führt nicht selten dazu, dass diese relativ kleinen Häuser auf extrem wertvollen Grundstücken abgetragen und lukrativere Immobilien errichtet werden. Im Vorgarten des wunderbaren McIntosh House von Richard Neutra trafen wir auf die Schauspielerin Ann Magnusson. Sie hat sofort begriffen, worum es uns geht, und uns ihre Unterstützung angeboten. Ihr Mann, der Architekt John Bertram, wurde für uns vor Ort die wichtigste Kontaktperson. Aber auch das Abendessen mit den beiden im McIntosh House war ein besonderes Erlebnis.

AN

Mir fällt noch ein, dass uns die Schauspielerin Kelly Lynch in ihrem Haus in Lone Pine in tadellosem Deutsch begrüßt hat – und uns gleich mitgeteilt hat, dass sie das bei ihrer Freundin Cordula Reyer gelernt hat. Überhaupt hat mich die Gastfreundschaft und Offenheit der Menschen in Los Angeles besonders beeindruckt. Dass der ehemalige Gouverneur von Kalifornien ein Österreicher ist, hat nicht geschadet, im Gegenteil.

PS

Bei Architekturfotografie spielt das Wetter eine große Rolle. Auf den Fotos, die entstanden sind, ist immer Sonnenschein. Eine glückliche Fügung?

DS

Für mich als Architekturfotograf spielt das Wetter ein große Rolle. Ich betrachte die Situation ganzheitlich und entscheide dann, bei welcher Witterung ich dem jeweiligen Gebäude begegne. Fotografieren kann man ja grundsätzlich immer, bei Regen, bei Nebel und auch bei Sonnenschein. Eine Triebfeder für unser Projekt waren Texte von Richard Neutra, in denen er die Vegetation rund um seine Häuser, deren Wirkung auf Raumklima und Atmosphären im Haus erläutert. Daher war immer klar, dass wir zu dem Zeitpunkt vor Ort sein werden, in dem die Vegetation ihre größte Wirkung erzielt: im Frühsommer. Und in dieser Zeit herrschen im Wüstenklima von L.A. Hitze und Sonne.

PS

Es ging ja ganz offensichtlich darum, die heutige Architektur „im Einsatz“ zu zeigen, im „echten Leben“. Gab es Beschränkungen, Vorbehalte oder Überlegungen, wie weit man da gehen kann? Wieviel Inszenierung bleibt trotzdem? Und außerdem: Wie schnell musstet Ihr sein?

DS

In unser beider Arbeit – als Fotograf wie auch als Kurator – geht es immer darum, Architektur, egal aus welcher Epoche, zu vermitteln – und Menschen dafür zu begeistern. Wie begeistert man jemanden für eine gute Wohnsituation? Wir glauben, indem man ein konkretes Angebot schafft, sich gedanklich in die Situation zu begeben. Nach dem Motto, aha: Hier lese ich die Zeitung zum Schwarztee, während dort der Hund um den Couchtisch kreist. Es ist meine grundsätzliche Haltung, sich nicht vor den Spuren des Lebens zu fürchten. Mit vorbereiteter Inszenierung hat das wenig zu tun, vielmehr möchte ich sehr schnell auf Situationen und Begebenheiten reagieren und aus diesen für viele Menschen spannende Bilder entstehen lassen.

PS

Ihr seid mit einem Vorwissen dorthin gefahren, mit Erwartungen und Bewertungen. Haben sich diese verändert? Was denkt Ihr jetzt über diese Architektur? Gab es „Aha“-Erlebnisse? Welche neuen Schlüsse konntet Ihr ziehen?

AN

Wir alle kennen die Häuser von Richard Neutra durch die großartigen, aber eben auch ikonischen Fotografien von Julius Shulman, mit dem er über 30 Jahre lang zusammengearbeitet hat. Also in der Regel in abstrahierendem, vereinheitlichendem und ästhetisierendem Schwarz-Weiss, idealisiert, dazu die glückliche amerikanische Kleinfamilie als Staffage. Der reale Stadtraum spielt bei diesen Fotos keine Rolle, die Häuser sind ja in der Regel hinter dichten Hecken verborgen. Sie stehen also in einer neutralen mediterranen Welt, und zugleich wissen wir, dass Los Angeles eine einzige stadtplanerische, gesellschaftliche und verkehrstechnische Zumutung ist. Wie passt das zusammen? Wenn man in diesen Häusern sitzt, vergisst man den Moloch rundherum – das war wohl schon zu Neutras Zeit so. Man muss die Häuser in ihrer realen Umgebung sehen, um diesen Widerspruch zu begreifen. Man kann und soll Neutras Vorstellungen natürlich nicht 1:1 auf die Gegenwart übertragen, das wäre anachronistisch. Aber der uns heute rührend naiv erscheinende Optimismus, dass der Architekt der Menschheit etwas Gutes tun kann und muss – und der hohe gestalterische Anspruch, der daraus entsteht, täten heute manchmal nicht schlecht.

 

Das Buch „Los Angeles Modernism Revisited. Häuser von Neutra, Schindler, Ain und Zeitgenossen“ (Hg. David Schreyer, Andreas Nierhaus) ist bei Park Books erschienen und in unserem Online Shop sowie im Wien Museum MUSA erhältlich. Die Publikation wird am 17. Dezember 2019 um 18.30 Uhr im Wien Museum MUSA präsentiert. Die Ausstellung „Richard Neutra. Wohnhäuser für Kalifornien“ ist von 13. Februar bis 20. September 2020 im Wien Museum MUSA zu sehen.

Andreas Nierhaus, Kunsthistoriker und Kurator für Architektur und Skulptur im Wien Museum. Forschungsschwerpunkte: Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts, Medien der Architektur. Ausstellungen und Publikationen u.a. über Otto Wagner, die Wiener Ringstraße, die Wiener Werkbundsiedlung.

David Schreyer, Architekturfotograf, ausgebildeter Architekt. Arbeitet mit Architektur- und Kunstschaffenden, KuratorInnen und Institutionen an Bildserien, Publikationen und Ausstellungen. www.schreyerdavid.com

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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