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Ausstellung Mid-Century Vienna
Das Bunt der grauen Orte
Was war die Initialzündung zu diesem Rechercheprojekt, das nun in Buchform und als Ausstellung präsentiert wird?
Da ich mich sehr für Typografie im öffentlichen Raum – z. B. alte Schriften oder deren Spuren – interessiere, hat mir jemand den Tipp gegeben, dass im 21. Bezirk bei Renovierungsarbeiten eine Jugendstil-Hausbeschriftung aufgetaucht sei. Ich bin dort hingefahren und als ich auf der Wagramer Straße ausgestiegen bin, dachte ich mir: Hier sieht’s ja aus wie in den 50er Jahren! Seit diesem Tag hat mich das Thema nicht losgelassen, innerhalb von drei Wochen hatte ich so viel recherchiert und gesehen, dass klar war: Das wird ein Buch. Nach weiteren vier Wochen hatte ich eine Zusage vom Falter-Verlag, mit dem ich bereits ein Buch über Ghostletters gemacht habe. Das alles ging ganz schnell, obwohl oder vielleicht auch gerade weil es in der Zeit des ersten Lockdown begonnen hat.
Sieht man einmal von der Begeisterung für Fifties- und Sixties-Möbel ab: Viele Menschen empfinden die Bauten der Nachkriegszeit oft als grau, bedrückend und bieder, nur gewisse Einzelbauten, wie etwa die Stadthalle, genießen allgemein einen guten Ruf…
Erstens ist es heute vermutlich bunter als damals, und zweitens hängt es sehr von der Stimmung ab. Um ein Beispiel zu nennen: Ich war am 1. Jänner um 10 Uhr vormittags in der Siedlung Am Schöpfwerk, konkret im älteren Teil. Es wirkte alles total trostlos. Doch im Frühjahr blühen dort die Magnolien, und die Anlage hat etwas Parkähnliches. Dass all diese Orte grau sind, ist mir ein viel zu pauschales Urteil.
Die grauen Orte sozusagen bunt zu zeigen, ist wohl auch fotografisch eine Herausforderung. Welche Ästhetik wolltet Ihr haben, um zugleich attraktiv, andererseits nicht nostalgisch zu wirken?
Es handelt sich um klassische Architekturfotografie, wie man sie kennt. Es geht um eine wahrheitsgemäße Wiedergabe, nicht nüchtern, aber klar. Das heißt auch: durchgehende Schärfe, keine Weitwinkel. Fotografiert aus einem Blickwinkel, den auch der Betrachter einnehmen kann, damit es einen Wiederkennungswert gibt. Wir haben aber bewusst vermieden, Menschen oder Autos zu zeigen. So kann man sicher besser vorstellen, wie diese Räume oder Gegenden damals gewirkt haben.
Ist das nicht einigermaßen schwierig? Die Orte sind ja auch oft nicht gleichgeblieben, etwa durch Zubauten.
Wir sind immer zu zweit fotografieren gegangen. Ich war dabei Stephans Assistent und habe vor allem unzählige COVID-Tafeln fürs Fotografieren abnehmen und danach wieder anbringen müssen. Es gibt aber natürlich auch Orte, die im Lauf der Zeit derart umgestaltet wurde, dass letztlich zu wenig der ursprünglichen Architektur sichtbar blieb, um sie in unsere Auswahl aufzunehmen. Insgesamt haben wir über 60 Aufnahmetage absolviert an über 100 Locations.
Wie hat sich die COVID-bedingte Situation auf Euer Vorhaben ausgewirkt?
Wir mussten natürlich immer Tests dabeihaben und bei manchen Orten war es langwierig, zu Fotografiegenehmigungen und –Gelegenheiten zu kommen. Aber letztlich war die Ausnahmesituation für das Projekt sehr hilfreich, denn dadurch entstanden Gelegenheiten, die es sonst nicht gegeben hätte. Zum Beispiel im Café Weidinger, in dem sonst immer Vollbetrieb herrscht. Viele Verantwortlichen der Locations konnten sich in der Schließzeit für uns Zeit nehmen und haben uns unglaublich unterstützt. Dadurch konnten wir uns optimal auf unsere Arbeit fokussieren und entdeckten so immer neue Details.
Warst Du von Anfang an ebenso begeistert vom Thema wie Tom?
Ich habe einen direkten familiären Bezug zu den 50er Jahren. Mein Großvater und mein Vater haben in der Firma EKOS gearbeitet, die mit einer typischen Einbauküche dieser Zeit gut verdient hat. Ich hatte immer einen Hang zu den 50ern.
In der Nachkriegszeit kamen vor allem jene Architekten zum Zug, die schon zuvor gebaut hatten, die Emigranten und die Jungen kamen nicht zum Zug. Die Kontinuität von der Zwischenkriegszeit über das NS-Regime bis zum Wiederaufbau ist ziemlich erschreckend. Wie wichtig war der politische Aspekt des Themas für Euch?
Bei der Recherche stößt man sehr rasch darauf, wie bieder vieles war, wie problematisch auch das gesellschaftliche Konzept ist, das dahintersteckt. Es hat sich für mich das Bild einer ambivalenten Gesellschaft ergeben, die sehr mit sich beschäftigt war. Aber ich bin nicht angetreten, um darüber ein Urteil zu fällen. Ziel des Projekts war ja in erster Linie, zu zeigen, wie präsent diese Zeit im heutigen Stadtbild noch immer ist.
Wie kann man sich die Recherche der Orte vorstellen?
Ich bin sehr systematisch vorgegangen. Zum einen habe ich die Publikationen aus der Zeit durchgeackert und viel online recherchiert, zum anderen habe ich die Bezirke zu Fuß durchkämmt. Ich kann mich gut an einen Tag erinnern, an dem ich 16 Kilometer durch Nebengassen in Favoriten gegangen bin. Der Lockdown hat sich ja dazu angeboten, Wien völlig neu zu entdecken, bekannte Orte ebenso wie unbekannte.
Das Wien Museum hat beim Auffinden von Orten auch eine Rolle gespielt – indem via Instagram um Tipps gebeten wurde. Wie viel davon konntet Ihr verwenden?
Es gab über 600 Postings auf Instagram. Davon natürlich einige, die wir schon kannten. Aber auch einige Geheimtipps, darunter solche, die nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind und die wir dann fotografieren konnten, wie etwa eine originale Atelierwohnung, die in den 50er Jahren von einem Filmarchitektenpaar eingerichtet wurde. Viele haben natürlich auch die Kunst am Bau fotografiert, wobei wir uns nicht auf das Thema konzentriert haben.
Welche Mischung aus Bekanntem und Unbekanntem erwartet das Publikum bei der Ausstellung bzw. im Buch?
Wahrscheinlich ist es ca. 50:50. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ein Buch zu diesem Thema erscheint. Aber die meisten Publikationen werfen Streiflichter auf einzelne Gebäude oder Architekten. Wir aber wollten eine möglichst große Bandbreite zeigen, von Schulbauten und Kindergärten, die eine wichtige Rolle in der Zeit spielen, bis hin zu Freizeitanlagen, Lokalen und Geschäften, Garagen oder vermeintlich banalen Orten wie einem Umspannwerk.
Wo habt Ihr am meisten gestaunt?
Es ist schwierig, da einzelne Orte herauszugreifen, weil wirklich viel Überraschendes dabei war. Eine einzigartige Location war sicher der riesige Wasserspeicher für Wien, der sich allerdings nicht in Wien befindet, sondern in Neusiedl am Steinfeld. Wir zählen ihn aber eindeutig zur Wiener Infrastruktur. Die ehemalige Schaltzentrale der Anlage sieht aus wie in Raumschiff Enterprise, mit Bakelit-Schaltern und alten Telefonen. Dort hat sich bis heute nichts verändert. Beeindruckt hat mich auch Karl Schwanzers Gestaltung der Neuen Gruft. Das war übrigens auch ein Vorteil am Lockdown: Dass man an Orten, die normalerweise sehr belebt sind, in Ruhe fotografieren kann. Dadurch entdeckt man viel mehr Details, als wenn man unter Zeitdruck arbeiten muss.
Eine meiner Lieblingslocations war das Atominstitut beim Prater, dessen Lehrsäle und Bibliothek noch nahezu im Originalzustand genutzt werden. Natürlich waren die Orte, wo man normalerweise nicht hinkommt, besonders spannend, etwa auch die Senderanlage Bisamberg. Es gab immer wieder Momente, in denen einem der Mund offenbleibt. Und wenn es nur ein spontan geöffnetes Abstellkammerl im Filmcasino ist…
Wie war die Reaktion der Leute, die an solchen Orten arbeiten oder wohnen?
Die meisten kannten die Geschichte des Ortes genau und haben sich über unser Interesse sehr gefreut, waren richtig stolz darauf.
Es ist uns viel Sympathie entgegengebracht worden. Die Leute haben uns viel ermöglicht, ob seitens großer Institutionen oder von kleinen Unternehmen. Man kennt ja z.B. die Zwergerlbahn im Prater, die aus den 50er Jahren stammt. Sie ist vielleicht nicht besonders aufregend, wenn man damit fährt, aber wenn man auf den höchsten Punkt der Anlage steigen darf, um zu fotografieren – dann ist das was ganz Besonderes.
Mid-Century Vienna 1950–1965
Die Ausstellung „Mid-Century Vienna 1950–1965“ ist von 23. September 2021 bis 9. Jänner 2022 am Bauzaun des Wien Museum (Wien Museum Karlsplatz Open Air) zu sehen. Mehr über die Ausstellung auf unserer Website. Zum Thema ist auch ein gleichnamiges Buch von Tom Koch im Falter Verlag erschienen.
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