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Sándor Békési und Peter Stuiber, 2.5.2023

Ausstellung zur Geschichte der Wiener Ansichtskarte

Totgesagte leben länger

Die Ausstellung „Großstadt im Kleinformat“ widmet sich der Geschichte der Ansichtskarte in Wien, die um 1900 einen ersten Boom erlebte, nach der Jahrtausendwende zunächst von elektronischen Medien zurückgedrängt wurde, aber in jüngster Zeit ein Revival erfahren hat. Kurator Sándor Békési erzählt im Interview von Moden und Medien, Sammlern und Motiven sowie Vorder- und Rückseiten.

Peter Stuiber

Postkarten sind als Einzelobjekte oft in historischen Ausstellungen zu finden. Wie kam es zur Idee, das Medium selbst als Thema für eine Ausstellung zu nehmen?

Sándor Békési

Ein kulturwissenschaftliches Interesse an dem Medium Ansichtskarte gibt es hierzulande seit den 1990er Jahren. Die erste Ausstellung dazu hat der Fotohistoriker Anton Holzer in Innsbruck kuratiert: Dabei ging es um den Blick aufs Gebirge am Beispiel der „Drei Zinnen“. Mittlerweile gehört es quasi zum Standardprogramm für ein Stadt- oder Landesmuseum, das Thema Ansichtskarte aufs Programm zu setzen. Denn erstens handelt es sich um ein beim Publikum beliebtes Medium, und zweitens ist die Ansichtskarte als Bild- und Textdokument eine kulturhistorisch ergiebige Quelle, zu der es immer mehr Forschung gibt.

PS

Und wie bist Du als Historiker zu dem Thema gekommen?

SB

Über die österreichische Kulturlandschaftsforschung ab Mitte der 1990er Jahre. In diesem Projekt habe ich gemeinsam mit der Umwelthistorikerin Verena Winiwarter die Wahrnehmung von Landschaft am Beispiel von Kitzbühel und Eisenerz untersucht – anhand von Ansichtskarten. Auch meine Diplomarbeit hat sich dann mit diesem Medium und mit diesem Ansatz beschäftigt, am Beispiel einer gerade verschwindenden Landschaft – des Neusiedler Sees. Und topographische Ansichtskarten sind schließlich einer der Sammlungsbestände, die ich hier im Museum seit 2004 als Kurator betreue.

PS

Was ist der Unterschied zwischen Ansichtskarte und Postkarte?

SB

Beide Begriffe werden heutzutage synonym verwendet. Genau genommen ist aber eine Postkarte nicht illustriert und wurde in Österreich-Ungarn als weltweit erstem Land im Jahr 1869 offiziell als Correspondenzkarte mit großem Erfolg eingeführt. Illustrierte Postkarten sind hingegen privatwirtschaftliche Erzeugnisse, die sich erst Jahre später parallel dazu entwickelt hatten. Ich halte mich meist an den Begriff Ansichtskarte, der bereits um 1900 verbreitet war, und verwende den Ausdruck Postkarte nur, wenn der Kontext klar ist.

PS

Auf welchen Schwerpunkt setzt die Ausstellung?

SB

Die Ansichtskarte gehört zu den wichtigsten populären Bildmedien seit rund 130 Jahren und hatte anfangs eine enorme inhaltliche Bandbreite. Es gab um 1900 praktisch kaum Thema, das man nicht auf Postkarten finden konnte, von Werbung über Kunst und Karikatur bis hin zur Erotik und Propaganda. Die meistverbreitete Gattung wurde im Lauf der Zeit aber die topografische Postkarte, und auf dieses Thema konzentriert sich die Ausstellung. Wir zeigen aber nicht nur Gebäude oder Straßen an sich, das wäre ja eintönig und dieser Sparte der Ansichtskarte auch nicht gerecht. So sind in der Ausstellung auch Ereignisse zu sehen, die sich im Stadtbild und im kollektiven Gedächtnis niedergeschlagen haben, vom Eisstoß über den Brand der Rotunde bis zum Einsturz der Reichsbrücke. Wir zeigen aber auch heutige Gratispostkarten oder die kunstvollen Karten der Wiener Werkstätte. Unser Thema ist sozusagen die topografische Ansichtskarte „mit offenen Rändern“. Man könnte aber über Ansichtskarten eine zehnmal so große Ausstellung machen.

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Hochwasser bei Nußdorf, 1897, Verlag C. Ledermann jun., Wien Museum

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Mariahilfer Straße im Ersten Weltkrieg, 1915 Zeichnung: Geo Gerlach, Verlag Brüder Kohn, Wien, Wien Museum

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„Justizpalast nach dem Brand“, 1927 IRIS-Kunstverlag, Wien, Wien Museum

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Feier bei der Arbeiter-Olympiade im Prater-Stadion, 1931, Fotograf: unbekannt, Wien Museum

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Artillerie gegen Gemeindebau und mit Wolkenretusche, 1934 Postkartenverlag Donauland, Wien, Wien Museum

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Brand der Rotunde im Prater, 1937 Postkartenverlag Donauland, Wien, Wien Museum

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PS

Wer sich für die Topografie Wiens interessiert, kommt also bei der Ausstellung voll auf seine/ihre Kosten…

SB

Im Mittelpunkt steht die Darstellung der Stadt auf Postkarten, ihre Konjunkturen und Konstruktionsweisen. Ich wollte aber nicht nur eine Bildgeschichte der Ansichtskarte, sondern auch die kulturelle Praxis dahinter zeigen. Deswegen behandeln wir auch Themen wie Vermarkten und Sammeln oder die Kommunikation mittels Postkarten. Mit diesem Kontext sind auch heutige Bildpraktiken im Bereich Social Media besser einzuschätzen. Wie hat sich diese plötzliche Bilderflut um 1900 präsentiert? Und auf welche Weise „lebt“ die Ansichtskarte in elektronischen Medien heute weiter?

PS

In der Ausstellung werden über 700 Karten gezeigt. Das ist doch eine ganze Menge, oder?

SB

Ja, in einschlägigen Ausstellungen ist es gar nicht selbstverständlich, dass man eine so große Anzahl von Ansichtskarten unterschiedlichster Druckverfahren im Original zeigt. Das war nicht nur kuratorisch und gestalterisch, sondern auch konservatorisch eine Herausforderung. Zum einen ging es darum, dieses relativ kleine und im Grunde gleichförmige Medium so zu präsentieren, dass die BesucherInnen nicht ermüden. Gleichzeitig bedeutete die adäquate Betreuung und Unterbringung dieser Anzahl von Objekten für meinen Kollegen Tobias Hofbauer, der die Assistenz übernommen hat, und das Restaurierungsteam, allen voran Andreas Gruber und Christoph Fuchs, einen enormen Aufwand. In Summe versucht die Ausstellung den Spagat, die Ansichtskarte als serielles Massenprodukt, aber auch als einzelnes Dokument und Kunstobjekt zu präsentieren.

PS

Allein schon in unserer Online Sammlung finden sich über 10.000 Ansichtskarten. Warum kann man damit nicht das Thema der Ausstellung abdecken?

SB

Die Ausstellung basiert auf der Ansichtskartensammlung des Wien Museums, ist aber ergänzt um zahlreiche, auch dreidimensionale Leihgaben aus Privatsammlungen sowie dem Technischen Museum Wien. Das Museum besitzt wohlgemerkt auch große Postkartenbestände zu nicht-topographischen Themen und ebenso einzelne bemerkenswerte Objekte zur sozialen Praxis dieses Mediums. Und unsere topographischen Ansichtskarten stellen mittlerweile eine durchaus repräsentative Auswahl dar. Gleichzeitig ist diese Sammlung im Vergleich zu großen Privatsammlungen immer noch relativ klein. Generell können öffentliche Sammlungen eine solche Ausstellung kaum alleine ausrichten. Dazu gehörten auch Vertreteralben, Sammelboxen oder etwa ein Spiegelschrift-Lesegerät. Daher war es wichtig, dass wir als Unterstützung der Ausstellung Prof. Walter Lukan und Helfried Seemann gewinnen konnten. Beide Sammler brachten neben ihren Leihgaben auch ihre Expertise hier vielfach ein.

PS

Heute kennt man die Ansichtskarte vor allem als touristisches Medium, das im digitalen Zeitalter an Bedeutung verloren hat und dann in anderer Form teilweise ein Revival erfährt. Kannst Du kurz einen Einblick geben, welche Bedeutung die Ansichtskarte um 1900 hatte?

SB

Ansichtskarten gab es vereinzelt schon ab den 1880er Jahren als touristisches Medium, aber so richtig begonnen hat der Boom erst in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland und anderen Ländern. Es war eine Art Bildrevolution, weil man nun relativ günstig nicht nur touristische Motive erwerben konnte, sondern auch solche aus dem eigenen Bezirk oder aus der Straße, in der man lebte. Und viele kommunizierten mittels illustrierter Postkarte auch im Alltag und innerhalb der Stadt, was damals postalisch leichter möglich war. Das war eine Praxis der schnellen Bild- und Textbotschaften, die uns heute aus den Social Media geläufig ist.

PS

Und das Sammeln?

SB

Das Sammeln war ein wichtiger Teil der Ansichtskartenbegeisterung um 1900. Man holte über Sammlervereine oder Kartentausch gleichsam auch die weite Welt ins eigene Wohnzimmer. Eine ganze Industrie hat nicht nur Ansichtskarten produziert, sondern auch das fürs Sammeln benötigte Zubehör in Form unterschiedlichster Sammelboxen oder Alben. Man gab Anzeigen auf: Wenn mir jemand eine Postkarte schickt, bekommt eine von mir als „Revanche“. Nach dem Ersten Weltkrieg ging diese Art Sammelleidenschaft zurück, und die Ansichtskarte bekam immer mehr mediale Konkurrenz: durchs Telefon oder durch Illustrierte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde dann ihre touristische Funktion beherrschend. Dadurch schränkte sich auch die Motivvielfalt ein. Erst in den letzten zehn, fünfzehn Jahren gibt es vermehrt kreative Versuche, Postkartenbilder der Stadt jenseits touristischer Stereotype zu produzieren, die auch für den lokalen Markt interessant sind.

PS

Die persönlichen Nachrichten auf Ansichtskarten spielten lange Zeit in der Forschung kaum eine Rolle. Warum hat sich das geändert?

SB

Diese waren früher höchstens bei prominenten Persönlichkeiten interessant. Im topografischen Bereich hat man lange Zeit nur die Bilder der Postkarte beachtet. Erst in letzter Zeit hat man in den Kultur- und Sozialwissenschaften damit begonnen, auch die Mitteilungen der gewöhnlichen AbsenderInnen zu untersuchen. Insofern war die Crowdsourcing-Kampagne des Wien Museums im Jahr 2021/21 nicht nur museologisch innovativ. Damit konnten wir fast 2000 Ansichtskarten auch von der sogenannten „Rückseite“ her erschließen und einzelne auch in der Ausstellung themenbezogen verwenden. Die gesamte „Textgalerie“ der Mitteilungen wird zudem auf einem Bildschirm zum Durchblättern zur Verfügung stehen.

PS

Gab es dabei Überraschungen?

SB

Die Ansichtskarte steht ja im Ruf, klischeehaft zu sein. Und zwar nicht nur in Bezug auf das Motiv, sondern auch bei den Mitteilungen. Man erwartet sich „Schöne Grüße aus Wien“ oder „Das Wetter ist schön“. Dabei waren viele persönliche Nachrichten vor allem aus früheren Phasen des Mediums recht lang, und die Bandbreite reichte von banalen Mitteilungen wie „Ich gehe morgen auf den Markt und kaufe dies und jenes“ bis hin zur Nachricht von der Front, wer verletzt wurde oder gestorben ist. Was sich bestätigt hat: Die meisten privaten Texte nehmen nicht Bezug auf das Bild. Wobei das auch nicht heißt, dass es völlig egal war, welches Bild man verschickt. Die Botschaft der Ansichtskarte ergibt sich letztlich aus der Kombination von Bild, Überschrift und persönlicher Mitteilung.

PS

Wie wird es mit der Ansichtskarte weitergehen?

SB

Sie wurde schon mehrmals totgesagt, so nach dem Ersten Weltkrieg oder auch ab den 2000er Jahren. Doch es gibt sie noch immer, und der Markt scheint sich nach Corona erholt zu haben. Und nicht zu vergessen: Die Ansichtskarte verlagert sich gerade auch in elektronische Medien: Etwa indem man sein/ihr eigenes Bild hochladen und das dann in Form einer Postkarte mit eigenem Text verschicken kann. Oder das Beispiel einer Rückkopplung: Wenn Instagram-Motive sogar als „echte“ Grußkarten gedruckt und verkauft werden. Das Format Postkarte erweist sich bislang als erstaunlich robust – physisch, digital oder auch nur als Metapher. Sie ist Teil unseres kulturellen Gedächtnisses geworden: Eine bestimmte Art und Weise, die Welt zu sehen und sie darzustellen, die nicht immer visuelle Gemeinplätze oder Kitsch enthält.

Die Ausstellung Großstadt im Kleinformat. Die Wiener Ansichtskarte ist bis 24. September im Wien Museum MUSA zu sehen.

Sándor Békési studierte Geschichte, Geographie sowie Wissenschaftstheorie und -forschung in Wien und ist seit 2004 Kurator am Wien Museum im Sammlungsbereich Stadtentwicklung und Topografie. Zahlreiche Publikationen und Forschungsarbeiten zum Thema Stadt-, Umwelt- und Verkehrsgeschichte.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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