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Michaela Lindinger und Peter Stuiber, 7.10.2019

Biografie über Hedy Lamarr

„Sie ist immer nur instrumentalisiert worden“

Den einen gilt Hedy Lamarr als große Schauspielerin, den anderen als geniale Erfinderin, die WLAN und Mobilfunk den Weg bereitet hat. Doch was davon ist wahr? Michaela Lindinger, Kuratorin im Wien Museum, nähert sich in ihrem neuen biografischen Buch der Hollywood-Schauspielerin, die 1914 in Wien geboren wurde und als schönste Frau der Welt Karriere machte. Ein Gespräch über Klischees, Fakten und Projektionen.

PETER STUIBER

Wie lange schon hast Du Dich mit Hedy Lamarr beschäftigt? Wie kam es zu der Biografie?

MICHAELA LINDINGER

Meine Großmutter hat mir schon als Kind Fotoalben und Programme von Filmen mit Hedy Lamarr gezeigt und erzählt, dass sie aus Österreich stamme und in Hollywood Karriere gemacht habe. Das Thema begleitet mich also schon sehr lange. Aber das Buch ist eigentlich keine klassische Biografie, sondern eine biografische Annäherung mit einzelnen Themenschwerpunkten. Ich wollte wissen, ob Lamarr tatsächlich eine einflussreiche Erfinderin war und wie es mit ihrer Filmkunst bestellt ist.  

PS

In Europa bekannt geworden ist sie ja als junge Hauptdarstellerin in dem Film „Ekstase“, in dem sie sieben Sekunden lang nackt auf der Leinwand zu sehen war.

ML

„Ekstase“ ist mit großen Inseraten beworben worden, es war ein programmierter Skandal. Doch das wirkliche Problem war nicht, dass Lamarr nackt zu sehen war. Dass in einer Szene der weibliche Orgasmus in Großaufnahme zu sehen war, das war der eigentliche Skandal. Und die Filmhandlung war sensationell: Eine Frau, die sich nimmt, was sie will, die ihre Sexualität auslebt, mehrere Männer nur zum Sex hat - und nicht dafür am Ende bestraft wird. Das war für damalige Verhältnisse revolutionär! Der Regisseur Gustav Machatý hat bei dieser Rolle alles aus Hedy Lamarr rausgeholt, das war ganz sie. Dass heute behauptet wird, sie sei die erste Nackte in der Filmgeschichte gewesen, ist natürlich Unsinn. Es gab schon davor im regulären Kino Nacktszenen, ganz abgesehen davon, dass es schon früher Pornofilme gab.

PS

Das Buch fokussiert bei den Filmen stark auf die Zeit bis 1937, als Lamarr noch in Europa war – warum? 

ML

Weil die amerikanischen Filme, in denen sie mitgespielt hat, aus meiner Sicht komplett unbedeutend sind, da spielt sie im Grunde immer nur eine Rolle. Sie hat zwischen 1938 und 1945 kriegswichtige Filme gemacht und war ein Jahr lang die berühmteste Frau in den USA. Aber danach folgte der amerikanische Albtraum mit Psychopharmaka und Schönheitsoperationen. Das Scheitern war vorprogrammiert.

PS

Und ihr schauspielerisches Talent?

ML

Schon die amerikanischen Kritiker haben erkannt, dass sie keine außergewöhnliche Schauspielerin war. Doch ihre Schönheit, ihre Augen – all das genügte, um berühmt zu werden. Ich fürchte, sie hat gewusst, dass sie nicht so talentiert war. Doch es hilft ja nichts, und es war und ist übertrieben, von ihr zu viel zu verlangen. Sie muss ja nicht alles sein. Sie hat unglaublich viel erreicht, war eine sehr zielstrebige, selbstbewusste Frau und wurde als Schauspielerin berühmt. Das sollte doch eigentlich genügen.

PS

Lamarr hat im Krieg gemeinsam mit dem Avantgarde-Musiker George Antheil ein Patent angemeldet, wie man mittels Frequenzsprüngen die Funkfernsteuerung von Torpedos vor dem Feind schützen kann. Im digitalen Zeitalter wird sie als Vorreitern von WLAN und Mobilfunk gesehen – zurecht?

ML

Die Erfindung war letztlich nicht wichtig und schon gar nicht kriegsentscheidend. Die Idee mit den Frequenzsprüngen gab es schon vorher, das Patent von Lamarr und Antheil hatte militärisch keinen Wert. Doch das amerikanische National Inventors Council warb mit der berühmten Schauspielerin und erhoffte sich, dass davon Männer animiert werden, eigene kriegswichtige Patente zu entwickeln und damit die Kriegsanstrengungen der USA zu unterstützen. Sie war das Zugpferd und wurde letztlich immer nur instrumentalisiert. Vor einiger Zeit gab es einen Dokumentarfilm namens Bombshell, der Lamarr zu einer technischen Koryphäe machen wollte, die sie definitiv nicht war. Sie war hochintelligent, doch zugleich agierte sie dann auch wieder naiv. Nicht zu vergessen sind jedenfalls ihre Verdienste im Kampf gegen den Faschismus von Amerika aus, ihr Engagement in den Hollywood-Star-Zügen („Stars Over America“), ihre Auftritte, bei denen sie mehr Kriegsanleihen verkauft hat als fast alle anderen. Da hat sie schwer gearbeitet – und später dafür naiverweise vom Staat Ausgleichszahlungen eingefordert.

PS

Was bleibt eigentlich von einer Person übrig, die von so vielen Mythen verdeckt wird?

ML

Als ich Lamarrs Autobiografie das erste Mal gelesen habe, wurde mir klar, dass es sich wirklich um eine Total-Mystifikation handelt. Wenn man sich biografisch so einer Person nähert, muss man Schicht und Schicht abtragen. Mein Buch ist ja keinesfalls umfassend, es gäbe noch sehr viel weiterzuforschen, vor allem, wenn ihre Kinder in den USA Material zur Verfügung stellen würden.

PS

Kommt man irgendwann zu dem Punkt, wo man die „echte“ Lamarr trifft?

ML

Wenn man ihre Filmrollen und Interviews ansieht, die sie später gegeben hat, oder die Filme über sie, bekommt man schon ein ziemlich adäquates Bild. Sie war eine Frau, die von sich selbst extrem überzeugt war. Die auf eine rigide Art versucht hat, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Und für die Geld immer extrem wichtig war. Denn sie hat als Kind den ganzen Wohlstand eines großbürgerlichen Elternhauses erlebt. Doch als ihr Vater Mitte der 1930er Jahre plötzlich gestorben ist, war die Sicherheit mit einem Schlag weg. Dann hieß es: Heirate reich, damit Du durchkommst. Das hat sie geradezu manisch befolgt, wie man weiß. Sie war ja insgesamt sechsmal verheiratet. Ihren Kindern hat sie von ihren jüdischen Wurzeln übrigens nie erzählt - vermutlich auch, um sie und sich selbst zu schützen.

PS

Wie war ihr Verhältnis zu ihrer Heimatstadt Wien?

ML

Ihre Sehnsucht nach Wien ist gestiegen, je länger sie in Amerika war. Nach dem Krieg wollte sie nur noch heim, sie sehnte sich nach dem Sacher, Schönbrunn und der Hofreitschule, nach dem Hochglanz- und Touristen-Wien. Wie eine Amerikanerin, die als Touristin hier war. Man hat das Gefühl, sie redet von einer Stadt, die es so nicht gab. Sie kam übrigens nur einmal zurück, für ein paar Tage, im Jahr 1955, mit ihrem damaligen Ölmilliardärsgatten. Sie besuchte den Ruderclub ihres Vaters und fuhr dann nach Salzburg zu den Festspielen. Wien hat sich offiziell lange Zeit gegenüber Hedy Lamarr so ignorant verhalten wie gegenüber den meisten Emigranten und Emigrantinnen. Erst auf Initiative von Lamarrs Kindern kam es zur Benennung eines Weges im 12. Bezirk nach ihr, und auch die Bestattung der Asche in einem Ehrengrab hat sich in die Länge gezogen.

PS

Du bist als Kuratorin zuständig für die Hermesvilla und bist eine ausgewiesene Kaiserin Elisabeth-Expertin. Hedy Lamarr hat einmal Elisabeth als ihr Vorbild bezeichnet – und ausgerechnet nach dem Skandalfilm „Ekstase“ in einem seichten Sisi-Stück die Kaiserin gespielt. Siehst Du irgendwelche Parallelen zwischen den beiden Frauen?

ML

Ich könnte mir schon vorstellen, dass Hedy Lamarr, die sich ja als Darstellerin mit dem Leben der Kaiserin beschäftigen musste, vor allem in späteren Jahren Parallelen zu ihrem eigenen Leben gesehen hat. Die Fremdbestimmung durch Männer, die Schwierigkeiten mit den Kindern, die Ausbruchsversuche, die nicht klappen wollten. Und das außergewöhnliche Aussehen, das die Legenden um beide Frauen bis heute so nachhaltig bestimmt. Trotzdem war ich sehr überrascht, dass die alte Hedy Lamarr ausgerechnet Kaiserin Elisabeth als ihr Vorbild genannt hat.

Die Hedy Lamarr-Biografie von Michaela Lindinger ist im Molden Verlag erschienen und wird am 22. Oktober um 18.30 im Wien Museum MUSA präsentiert.

Michaela Lindinger, Kuratorin, Autorin. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Ägyptologie und Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien. Seit 1995 kuratorische Assistentin, seit 2004 Kuratorin im Wien Museum. Ausstellungen und Publikationen zu biografischen und gesellschaftlichen Themen, Frauen- und Gender-Geschichte, Porträts, Wien-Geschichte, Tod und Memoria, Mode.
 

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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