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Martina Nußbaumer und Peter Stuiber, 19.12.2019

Botendienste in der Stadt

Knochenjob in Pink

Vor der Motorisierung wurden Nahrungsmittel und Speisen oft zu Fuß zu den KundInnen transportiert – in Holzbutten oder Säcken. Im dichten Stadtverkehr der Gegenwart setzt man verstärkt auf Fahrradlieferdienste. Um dieses Phänomen zu dokumentieren, wurde nun ein „Foodora“-Rucksack in die Sammlung des Wien Museums aufgenommen. Kuratorin Martina Nußbaumer erklärt, wie es dazu kam.

Peter Stuiber:

Wie kommt es zur Idee, einen „Foodora“-Rucksack in die Sammlung aufzunehmen? Was macht den Rucksack als Objekt interessant?

Martina Nußbaumer:

Die pinken „Foodora“-Transportrucksäcke, die man zwischen 2015 und 2019 auf den Rücken von hunderten, mit pinken Trikots und Helmen ausgestatteten Fahrradkurieren sehen konnte, haben in den letzten Jahren stark das Stadtbild Wiens geprägt. Sie stehen zum einen exemplarisch für den Boom von Online-Essensbestellungen, den Wien – wie andere große Städte auch – seit den frühen 2010er Jahren erlebt. Zum anderen stehen sie – als zentrales Arbeitsutensil der überwiegend männlichen Kuriere – auch exemplarisch für neue Formen der Organisation von Lohnarbeit über digitale Plattformen. Wenn man als Kurier für Online-Lieferdienste arbeitet, registriert man sich auf der Plattform und bekommt über eine App Aufträge für die Abholung und Lieferung von Speisen aufs Handy übermittelt; Smartphone, Internet und meistens auch das Fahrrad muss man selbst bereitstellen.

PS

Somit ein klassisches Beispiel von prekärer Arbeit…?

MN

Ja, durchaus, denn nur ein Bruchteil dieser neuen DienstleisterInnen im sog. Plattformkapitalismus arbeitet angestellt. Ein großer Teil ist prekär beschäftigt. Die Transportrucksäcke erzählen somit nicht nur von Transformationen städtischer Mobilität und Esskultur, sondern auch von der Transformation städtischer Ökonomien und Arbeitswelten. Und deshalb haben wir schon länger überlegt, einen solchen Rucksack in die Sammlung aufzunehmen. 

PS

Gab es jetzt einen konkreten Anlass? Warum „Foodora“?

MN

Als im Frühjahr 2019 bekannt wurde, dass sich „Foodora“-Eigentümer „Delivery Hero“ entschieden hat, die Marke „Foodora“ aufzugeben und in der ebenfalls zum Konzern gehörenden Marke „Mjam“ aufgehen zu lassen, haben wir beschlossen, noch schnell einen dieser Rucksäcke für das Museum zu sichern, bevor sie aus dem Stadtbild verschwinden. Man könnte natürlich genauso gut einen Rucksack eines anderen Anbieters – „Mjam“ oder „Lieferservice“ – in die Sammlung aufnehmen. Aber da allein im Frühjahr 2019 rund 600 der geschätzt 1000 FahrradbotInnen in Wien für „Foodora“ unterwegs waren, haben wir uns für einen Rucksack dieser Firma entschieden. Das Verschwinden der Marke „Foodora“ ist typisch für die Markenbereinigungs- und Monopolisierungsprozesse, die in diesem sehr umkämpften Markt stattfinden. Auch „Uber Eats“ hat sich im Frühjahr 2019 aus Wien zurückgezogen.

PS

Von wem hat das Museum den Rucksack sowie Helm und T-Shirt bekommen?

MN

Den Transportrucksack haben wir auf Anfrage direkt aus dem Materiallager der Firma als Schenkung bekommen – die Rucksäcke werden dort zusammen mit Trikots und Helmen an die FahrerInnen ausgegeben, ein Rucksack kann dabei öfter seinen Träger oder seine Trägerin wechseln. Einem Fahrer oder einer Fahrerin persönlich zugeordnet werden kann dieser konkrete Rucksack nicht; er steht gleichsam als Stellvertreter für alle Rucksäcke, die auf den Rücken von rund 600 „Foodora“-Fahrerinnen und Fahrern im Frühjahr 2019 in der Stadt unterwegs waren und mittlerweile durch die grünen Rucksäcke von „Mjam“ ersetzt wurden.

PS

In welchem Ausstellungskontext könnte ein solcher Rucksack gezeigt werden?

MN

Einen solchen Rucksack könnte man in jeder Ausstellung zeigen, in der es um sich verändernde Arbeitswelten und Dienstleistungen, neue Esskulturen in der Stadt, urbane Mobilität und Transport geht. Man könnte das Objekt dann mit Erfahrungsberichten von FahrerInnen oder künstlerischen Auseinandersetzungen zum Thema kombinieren. Fahrradlieferdienste, die mit Briefbotendiensten in den USA im späten 19. Jahrhundert begonnen haben, haben eine lange Tradition und werden auch sicherlich in der Stadt der Zukunft – Stichwort klimaschonender Transport von Waren – eine wichtige Rolle spielen. Generell sind Fahrradkurier-Dienste ein zutiefst städtisches Phänomen: Das Zustellen von Essen, Briefen oder Paketen per Fahrrad zahlt sich ja nur bei kurzen Distanzen und großer Bevölkerungsdichte aus, wie der Arbeitssoziologe Benjamin Herr in seinen Studien erklärt.

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PS

Welche Verbindungen gibt es zwischen Fahrradbotendiensten heute und ähnlichen Phänomenen in der Vergangenheit?

MN

In der Sammlung des Wien Museums gibt es unzählige Darstellungen von Dienstleistungen und Gewerben, die mit Tragen und Schleppen in vergangen Jahrhunderten zu tun haben: Darstellungen von Wanderhändlern und Handwerkern, die bepackt mit Waren und Werkzeug KundInnen suchen, Darstellungen von Marktfrauen, die mit Gemüsekörben zum Markt ziehen, Darstellungen von Trägerinnen mit Wasserschaffeln am Kopf oder Kohleträgern, die schwere Säcke mit Kohle schultern, Darstellungen von Sesselträgern. Meist handelt es sich um idealisierte Zeichnungen und Gemälde, die wenig von den tatsächlichen Anstrengungen, die mit diesen Tätigkeiten verbunden waren, erzählen. Auch der „Foodora“-Rucksack erzählt erst auf den zweiten Blick von den körperlichen Anstrengungen, die mit diesem Job verbunden sind: dem Schleppen, dem stressigen Navigieren durch den dichten Stadtverkehr, den durchschnittlich 80 bis 120 Kilometern Wegstrecke, die ein Fahrradbote laut Benjamin Herr pro Tag bei jedem Wetter zurücklegt.

PS

Aktuelle Stadtentwicklungen anhand von Objekten festzumachen bzw. diese in die Sammlung zu bringen, scheint ein unendlich weites Feld zu sein. Wie schafft man hier, punktgenau zu selektieren?

MN

Das Sammeln von Dingen, die über aktuelle Entwicklungen erzählen, ist tatsächlich eine Herausforderung. Zum einen bräuchte man oft mehr zeitliche Distanz, um die langfristige Bedeutung von bestimmten Phänomenen beurteilen zu können. Zum anderen verschwinden viele Dinge rasch, wenn man sie nicht gleich fürs Museum sichert. Wir können heute z. B. nicht mehr jene Sammlungslücken schließen, die dadurch entstanden sind, dass die Alltagskultur der Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert kaum in Museen gesammelt wurde. Aus meiner Sicht braucht es eine gut definierte Sammlungsstrategie und klar abgesteckte Sammelprojekte – aktuell sammeln wir z. B. stark zu Fragen, die uns auch für die neue Dauerausstellung beschäftigen, und da gehören neue Arbeitswelten dazu. Dass ein Gegenstand, den man gerade noch verwendet hat, ins Museum kommt und vielleicht gleich ausgestellt wird, ist für viele natürlich irritierend. Umso wichtiger ist es, dann gut zu vermitteln, wofür er steht und warum man gerade ihn ausgesucht hat.

Literaturhinweis: Benjamin Herr, Ausgeliefert. Fahrräder, Apps und die neue Art der Essenszustellung, ÖGB Verlag 2018.

Martina Nußbaumer studierte Geschichte, Angewandte Kulturwissenschaften und Kulturmanagement in Graz und Edinburgh und ist seit 2008 Kuratorin im Wien Museum. Ausstellungen, Publikationen und Radiosendungen (Ö1) zu Stadt- und Kulturgeschichte im 19., 20. und 21. Jahrhundert, Geschlechtergeschichte sowie zu Geschichts- und Identitätspolitik.

 

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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