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Andreas Nierhaus und Benjamin von Radom, 13.6.2024

Das Grand Hotel National in der Taborstraße

Revolutionär auf allen Ebenen

Das 1848 eröffnete Grand Hotel National in der Taborstraße setzte für Wien neue Maßstäbe – u.a. mit einer Art Air Condition, Warmwasser auf allen Etagen, einem Personenaufzug und einem Dachgarten. Das Werk der Architekten Christian Friedrich Ludwig Förster und Theophil Hansen nahm die Innovationsfreude der Ringstraßenzeit vorweg und zählt zweifellos zu den Schlüsselbauten der Wiener Architekturgeschichte. Doch nun droht ein Umbau. 

Der Karmeliterplatz in der Wiener Leopoldstadt besitzt einen geschlossenen historischen Baubestand: Die frühbarocke Kirche, klassizistische Bürgerhäuser und Palais, historistische Zinshäuser und, an der Ostseite, mit der Adresse Taborstraße 18, ein stattliches Gebäude, das auch an der Ringstraße stehen könnte.

Das ehemalige „Grand Hotel National“ wurde im Revolutionsjahr 1848 eröffnet. Als erstes modernes Großhotel Wiens setzte es neue Standards in der technischen Ausstattung und im Komfort der Gäste. Dieses von der Forschung übersehene Schlüsselwerk der Wiener Architektur des 19. Jahrhunderts war eine Art „Generalprobe“ für die zehn Jahre später begonnene Ringstraße und gewährte einen Blick in die Zukunft großstädtischen Bauens. Nach dem Auszug der meisten Mieter steht das einzigartige Gebäude mittlerweile weitgehend leer. Seine Zukunft ist ungewiss und es ist zu befürchten, dass es einem grundlegenden Umbau zum Opfer fällt, von dem kaum mehr als die Fassade und die Hauptstiege verschont bleiben würden. Höchste Zeit also, auf der Basis historischer Fakten an die außergewöhnliche architekturhistorische und kulturgeschichtliche Bedeutung dieses Hauses zu erinnern. Lässt sich die drohende Zerstörung vielleicht noch abwenden?

Ein ambitionierter Bauherr und sein experimentierfreudiger Architekt

An der Stelle des „Grand Hotel National“ befand sich schon zuvor ein traditionsreicher Beherbergungsbetrieb, das 1678 erstmals erwähnte Gasthaus „Zum Goldenen Ochsen“. Auf einem Stich aus der berühmten Serie von Wien-Ansichten des Verlags Artaria & Co. von 1783 ist es im Vordergrund von Kirche und Kloster der Barmherzigen Brüder zu sehen: ein einstöckiger Bau, dessen Ecken durch Erker mit Zwiebelhauben betont wurden – ähnlich dem schräg gegenüberliegenden, 1911 demolierten Haus „Zum Goldenen Hirschen“, das als Wohnhaus der Familie Strauß in die Musikgeschichte eingegangen ist. Beide Bauten gingen wohl auf das späte 16. oder frühe 17. Jahrhundert zurück und waren charakteristische Beispiele der frühneuzeitlichen Profanarchitektur der Wiener Vorstädte, die im Lauf des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sukzessive von der wachsenden Großstadt verschluckt wurde.

Als der Besitzer des Goldenen Ochsen, der Gastwirt Carl Much, 1842 verstarb, verpachtete seine Witwe Rosina den Betrieb an Philipp Klier, den sie später auch heiratete. Klier hatte große Ambitionen und beauftragte 1846 den Architekten und Unternehmer Christian Friedrich Ludwig Förster (1797–1863) mit Planungen für einen großzügigen Neubau. Förster, ein heute zu Unrecht fast vergessener Pionier der Architektur des 19. Jahrhunderts in Wien, hatte an der Akademie der bildenden Künste in München studiert und lebte seit 1818 in Wien, wo er einige Zeit lang Assistent von Pietro Nobile war und sich 1826 mit der Gründung einer „Artistischen Anstalt“ als Publizist selbstständig machte. 1836 gründete er mit der „Allgemeinen Bauzeitung“ die für Jahrzehnte maßgebliche Architekturzeitschrift im deutschsprachigen Raum. Ab 1840 errichtete er in der Inneren Stadt repräsentative und technisch innovative Wohnhäuser für bekannte Wiener Bankiers wie Pereira (1844, Renngasse 6) und Rothschild (1847, Renngasse 3), sowie im Haus der Frau Manetti auf dem Haarmarkt die erste verglaste Passage im deutschsprachigen Raum (1843, bei Rotenturmstraße 16).

Auch in der Leopoldstadt war Förster bereits durch mehrere Bauten aufgefallen: 1839 hatte er die monumentale dampfbetriebene Zinnersche Zuckerfabrik (Franzensbrückengasse 17) errichtet und im selben Jahr die in Gemeinschaft mit Moritz Geiß betriebene Zinkgussfabrik samt „Artistischer Anstalt“ (Taborstraße 52); 1843 war schließlich die Eisenkonstruktion der Winterschwimmhalle des Dianabades – des ersten überdachten Schwimmbads auf dem Kontinent – vollendet worden.

Auch Försters nicht verwirklichte Pläne waren visionär: sein privat finanziertes Stadterweiterungsprojekt von 1839 nahm die Ringstraßenplanung vorweg, und mit dem Entwurf für Arbeiterwohnhäuser von 1848 sollten erstmals in Wien hochwertige und kostengünstige Unterkünfte für die neue, emporstrebende gesellschaftliche Klasse errichtet werden. Mit Förster engagierte der Gastwirt Philipp Klier den experimentierfreudigsten Architekten der Stadt – für eines der innovativsten Bauprojekte der damaligen Zeit. Angesichts der ambitionierten Planung ist zu vermuten, dass Förster nicht allein als planender Architekt fungierte, sondern auch finanziell an dem Projekt beteiligt war.

Die Ateliergemeinschaft mit Theophil Hansen

Im Jahr 1846, als die Planungen für das Hotel National begannen, startete Förster auch eine Ateliergemeinschaft mit dem dänischen Architekten Theophil Hansen (1813-1891), der zuvor in Athen unter anderem 1842/43 das Haus Dimitriou (das heutige Hotel Grande Bretagne) und 1843-46 die Sternwarte errichtet hatte. Zu den ersten gemeinsamen Arbeiten von Förster und Hansen zählten die 1846-49 erbaute evangelische Gustav-Adolf-Kirche in der Gumpendorfer Straße, das Palais des Eisenbahnunternehmers und Eisenfabrikanten Franz Klein in Brünn von 1846/47, das sich durch den demonstrativen Einsatz von Gusseisen an der Fassade auszeichnete, das Baron Rieger’sche Haus (1847-49, Riemergasse 2) und das Haus der Frau Susanna Wagner – der Mutter des Architekten Otto Wagner (1846/47, Göttweihergasse 1).

Bis heute ist nicht klar, wie sich Förster und Hansen die Arbeit im Atelier aufteilten. Förster war vor allem in entwurfs- und bautechnischen Fragen sowie hinsichtlich des Einsatzes innovativer Materialien und Konstruktionsweisen versiert, Hansen in Hinblick auf die künstlerische Gesamtgestaltung und den Entwurf der Ornamente. Und ähnlich dürfte auch die Planungsarbeit für Philipp Kliers Projekt in der Taborstraße erfolgt sein: Förster kümmerte sich um den Entwurf des Gebäudes, einen funktionalen und effizienten Grundriss ebenso wie die optimale vertikale Erschließung, Hansen war für den Schmuck der Fassaden wie auch der Interieurs verantwortlich, mit dem sich der Bau von seiner Umgebung abhob.

An der Stelle des traditionsreichen Gasthauses zum Goldenen Ochsen und in Reichweite des 1838 eröffneten Nordbahnhofes sowie der Dampfschiff-Anlegestelle an der Donau errichteten Förster und Hansen ab 1846 das erste moderne Grand-Hotel Wiens, das nach den Worten seiner Erbauer in technischer und architektonischer Hinsicht alles in Wien Bekannte in den Schatten stellen sollte. So heißt es in einem zur Eröffnung 1848 publizierten Bericht von dem „Riesen-Hotel“, es besitze 486 Fenster in vier Etagen, elf Höfe, und auf dem Dach eine als „fliegender Garten“ gestaltete und mit Gartenhäusern und Springbrunnen ausgestattete Terrasse, „auf welcher 4000 Menschen speisen können“. An Stelle eines Dachstuhls besaß der Bau ein 5000 m2 großes, mit Asphalt abgedichtetes Flachdach, das von einer Balustrade eingefasst war. Der Dachgarten, eine der augenfälligsten Attraktionen des Hauses, wurde als ein „Konzentrierungspunkt für ein zahlreiches Publikum“ beworben, der „ganz Wien und dessen Umgebung überblicken läßt und ein herrliches Panorama darbiethet“.

Wäschereinigung in zwei Stunden

Neu war auch, dass es im Haus einen eigenen „Wartsaal“ gab, in dem sich die „Passagiere“ bis zur Bereitstellung ihrer Zimmer aufhalten konnten. Die Stiegen und Gänge wurden mit „erwärmter Luft“ geheizt und mit Frischluft versorgt, und die 200 „Passagier-Zimmer“ konnten „im heißesten Sommer, ganz nach Belieben der Bewohner, durch eigene Ventiles abgekühlt werden“ – Air Condition avant la lettre! Durch die Zentralheizung gab es kein offenes Feuer in den Zimmern, was die Brandgefahr reduzierte. Die Beheizung erfolgte durch acht im Keller an strategischen Punkten aufgestellte Öfen. In jeder Etage befanden sich Badezimmer, Trinkbrunnen sowie Toiletten – eine Neuigkeit der damaligen Zeit, eine Dampfmaschine diente zur Erhitzung des Wassers und der Versorgung aller Etagen mit fließendem kaltem und warmem Wasser. Die Dampfmaschine diente darüber hinaus „zum Kochen, Holzspalten, zum Waschen und Reinigen der gesammten Wäsche der Passagiere und des ganzen Hotels, zum Trocknen und Glätten dieser Wäsche, so daß in nöthigen Fällen die Wäsche der Passagiere in zwei Stunden mittelst Dampf gereinigt, getrocknet und zum Anziehen bereit seyn kann.“

Damit verfügte das Haus über seine eigene, technisch innovative Energiequelle – ein damals absolut neuartiges Konzept. Eine weitere erstaunliche Neuerung war der dampfbetriebene erste Personenaufzug Wiens, der die Besucherinnen und Besucher in alle Stockwerke bringen konnte – fünf Jahre vor der ersten Präsentation des modernen Aufzugs durch Elisha Otis in New York und neun Jahre vor der Errichtung des ersten dokumentierten Personenaufzugs in einem Haus am Broadway. Der Lift im Hotel National war dabei keine bloße technische Attraktion, sondern insbesondere für „Personen, welchen das Steigen schwerfällt“ gedacht – ein früher Versuch, Barrierefreiheit im Bauen zu gewährleisten. Der Aufzug wird in späteren Berichten über das Hotel nicht mehr erwähnt. Möglicherweise wurde die Maschine defekt und nicht wieder in Betrieb genommen. Stiegenhaus und Keller wurden jedenfalls in Hinblick auf den Einbau des Aufzugs konzipiert.

Die Zimmer selbst waren mit „Sammet, Seide und Damast“ kostbar ausgestattet, die Wände und Plafonds „wahrhaft elegant“ bemalt, und allein für die Roßhaarpolsterung der Möbel und Betten wurden Ausgaben in der Höhe von 16.000 Gulden kolportiert. Eiserne Betten „neuester Façon“ sollten einen damals neuen Begriff von Hygiene gewährleisten. Für die Gesundheit der „Passagiere“ sorgte ein im Haus etablierter Arzt. Das Hotel enthielt außerdem einen Speisesaal im Erdgeschoß und einen im ersten Stock, einen „Thee- und Kaffee-Salon“, ein „Lese-Cabinet“ mit den „gesuchtesten und beliebtesten Journale und Zeitungen des In- und Auslandes“. Mehrere Geschäfte, darunter ein Herrenschneider und ein Hutgeschäft, sollten die Bedürfnisse der „reisenden Damen und Herren (…) in großer Auswahl exact, elegant und billig“ befriedigen. Klier und Förster definierten das Hotel damit als einen multifunktionalen Komplex mit unterschiedlichen Dienstleistungsbereichen. Eine besondere Einrichtung war ein im ganzen Haus geplantes Kommunikationssystem in Form eines Sprachrohres, das „in der umfangreichen Localität binnen Secunden jedem Wink eines Gastes Gewährung verschaffen wird.“ Jahrzehnte vor der Erfindung des Telefons wurden zu jener Zeit bereits Experimente für neue Methoden der Kommunikation gemacht, über die damals in den Tageszeitungen zu lesen war – die Planer des Hotel National wollten auch in diesem Bereich den Komfort der Gäste durch die neuesten technischen Errungenschaften erhöhen. Zehn Jahre nach der Eröffnung besaß das Haus dann seine eigene Telegrafenstation, wodurch das Hotel und seine Gäste mit der gesamten Welt verbunden waren. Es handelte sich dabei um eine der ersten Telegrafenstationen Wiens – lange vor dem erst 1870 eröffneten Grand Hotel an der Ringstraße, das meist als erstes Hotel Wiens mit einer Anlage dieser Art bezeichnet wird.

Das Hotel wurde am 30. Mai 1848, mitten während der Revolution, als „Klier’s National-Gasthof“ bzw. „Grand Hotel National“ eröffnet. Seinen Namen erhielt es, wie eine Zeitung im Herbst desselben Jahres zu berichten wusste, aufgrund der Verköstigung zahlreicher Deputationen der revolutionären Nationalgarde – es wurde also sogleich zu einem historischen Ort der jüngsten politischen Ereignisse, und es ist gut möglich, dass dies Teil der Werbestrategie des Gastwirtes und seines Architekten war. Die Anregung zur Namensgebung kam möglicherweise aus Triest, wo man im März 1848 das „Hotel Metternich“ unter großem Jubel in „Hotel National“ umbenannt hatte.

Architektur für die Großstadt

Revolutionär wie der Name war nicht nur die Haustechnik, sondern auch die Architektur des Gebäudes. Der mächtige fünfgeschoßige Bau mit Fassaden zur Taborstraße und zur Schmelzgasse brachte einen anderen Maßstab in das gewohnte Stadtbild – es waren die neuen Dimensionen der im Entstehen begriffenen Großstadt des 19. Jahrhunderts, die sich hier in der Vorstadt ankündigte, weil im beengten Stadtzentrum für Bauten dieser Art kein Platz gewesen wäre. Hier konnte man ahnen, wie sich Wien in den nächsten Jahren entwickeln würde. Die Fassaden erhielten eine einheitliche Gliederung, die der Zellenstruktur der dahinterliegenden „Passagierzimmer“ entsprach: Gesimse trennen die einzelnen Geschoße voneinander, in den Feldern unter den zurückhaltend gerahmten Fenstern sind Reliefs mit Putten, Tieren und Akanthus-Ranken angebracht, die in jedem Geschoß individuell gestaltet sind. Im vierten Stock wird die Fassade von Pfeilern gegliedert, zwischen denen die Fenster rahmenlos eingeschnitten sind. Darüber sitzt ein Kranzgesims, das von Konsolen in Gestalt weiblicher Köpfe getragen wird. Die Attikabalustrade diente als Begrenzung des Dachgartens, dessen Vegetation auf alten Ansichten wie eine Bekrönung des Bauwerks wirkt. Die Portalachse an der Taborstraße wird in der Vertikalen durch Doppelfenster hervorgehoben, deren Sturz unterschiedlich gestaltete Karyatiden tragen.

Karyatiden für alle Stockwerke

Als repräsentative architektonisch-skulpturale Hoheitszeichen gehen diese weiblichen Trägerfiguren auf die griechische Antike zurück und fanden am Erechtheion auf der Athener Akropolis (um 420-406 v. Chr.) ihre klassische, später häufig kopierte, zitierte und variierte Ausprägung. Sie sollten bald zu einem „Markenzeichen“ Theophil Hansens werden, der sie an zahlreichen Bauten wie dem Palais Epstein, dem Palais Ephrussi oder dem Parlamentsgebäude einsetzte. Die Anordnung der vier Karyatiden entlang der zentralen vertikalen Achse des Gebäudes ist in dieser Form jedoch einzigartig: denn in der Regel stehen Karyatiden nebeneinander, um etwa das bedeutendste Geschoß eines Gebäudes auszuzeichnen, wie an Hansens Palais Sina am Hohen Markt (demoliert) oder dem Haus Walfischgasse 12 von Carl Tietz. In unserem Fall, wo es darum ging, ein Hotel mit gleichrangigen Stockwerken zu „charakterisieren“, wie sich die Zeitgenossen ausdrückten, werden Bedeutung und Prestige durch die vertikal angeordneten Karyatiden auf alle vier Geschoße verteilt. Neben den Karyatiden finden sich an der Fassade noch zahlreiche weitere Motive nach Vorbildern von der Akropolis, die Hansen während seines Athen-Aufenthaltes im Original studiert hatte.

Höchst außergewöhnlich ist auch der Grundriss des Komplexes: Motiviert durch den unregelmäßigen Zuschnitt des Baugrundes mit einem stumpfen Winkel an der Ecke Taborstraße / Schmelzgasse fand Förster zu einer völlig neuen, zugleich räumlich logischen und spannungsreichen Lösung: er bildete die beiden innenliegenden Trakte des Gebäudes, die parallel zur Taborstraße und zu dem um einen rechteckigen Hof organisierten Bauteil an der Schmelzgasse verlaufen, zu einem trapezförmigen Hof aus, dessen Stirnseite im Halbkreis schließt.

Diese Grundrisslösung ist für Wien einzigartig und gewährleistete zugleich auf allen Ebenen eine großzügige und logische Erschließung des großen Komplexes. Durch das Hautportal und die Einfahrt an der Taborstraße konnten Kutschen in den trapezförmigen Hof und weiter in den kleineren rechteckigen Hof gelangen und den Hotelkomplex ohne kompliziertes Wendemanöver durch das Tor in der Schmelzgasse wieder verlassen. Standplätze für die Kutschen befanden sich im zweiten Hof, die Stallungen waren – wie häufig im Wien jener Zeit – im Keller untergebracht. Vertikal wird das Gebäude durch drei Stiegenhäuser erschlossen, die individuell gestaltet sind und dadurch den Gästen die Orientierung in dem riesigen Bau erleichtern sollten. Korridore zwischen allen Stiegenhäusern sorgten für größere Sicherheit im Fall einer notwendigen raschen Evakuierung. Die repräsentative dreiläufige Hauptstiege wird von mächtigen dorischen Säulen und Pfeilern getragen.

Das originale Gußeisen-Geländer aus Stäben mit Ranken-Ornamenten ist erhalten, die Treppen waren einst mit einem eindrucksvoll großen Teppich belegt, worauf Löcher in den Stufen hindeuten. Die Korridore vor den ehemaligen Hotelzimmern sind dem Grundriss entsprechend halbkreisförmig gerundet, was zu neuartigen räumlich-visuellen Effekten führt. Eine Herausforderung für den Architekten war die Versorgung des riesigen Gebäudes mit natürlichem Tageslicht: Gewährleistet wird dies durch ein komplexes System von elf Lichtschächten sowie zwei mit Glasdächern versehenen Stiegenhäuser, durch die Tageslicht in jedem Raum des Hotels, Korridor oder Badezimmer gelangt.

Die Kaiserin im Fotoatelier

Mitten in den Wirren der Revolution eröffnet, war der Betrieb des Hotels in der unsteten Zeit nach 1848 vermutlich schwierig, worauf eine Versteigerung von Inventargegenständen im Jahr 1850 hindeutet. (Vielleicht wurde der Bau aus diesem Grund von Förster nicht umfangreich publiziert, was dazu führte, dass er von der kunsthistorischen Forschung übersehen wurde.) Doch schon im Jahr darauf konnte ein neues Kaffeehaus eröffnet werden, das mit pompejanischen Wandmalereien und Tischen, deren Füße „aus der Förster’schen Gießerei“ stammten, ausgestattet war. Das „Café National“ oder „National-Kaffeehaus“ war für seine große Auswahl an Zeitungen bekannt und galt als einziges Café der Stadt, in dem die Londoner „Times“ auflag. Jahrzehnte später galt es als eines der ersten Nachtcafés von Wien, die als Orte der Anbahnung zwischen Prostituierten und potenziellen Freiern dienten, wie in Josef Schranks Geschichte der Prostitution in Wien von 1886 nachzulesen ist. Nach dem Tod von Philipp Klier im Jahr 1852 wurde das Hotel von seinen Erben, Thomas Much und Michael Mayer („Much & Mayer“) weitergeführt.

Zu jener Zeit wurde es zu einem Schauplatz der österreichischen Fotogeschichte. Im Wien jener Zeit war es üblich, dass sich Fotografen in Hotels etablierten, wo man auf internationale Kundschaft hoffen konnte – im Fall des Grand Hotel National bot die Dachterrasse zudem den idealen Ort für ein Fotostudio, war doch das Medium in seiner Frühzeit auf Tageslicht angewiesen. Von 1853 bis 1862 hatte hier der Fotograf Carl von Jagemann (1819-1883) sein Atelier, 1858 wird ein „neuerbauter Glas-Pavillon“ auf der Dachterrasse erwähnt, der vom Fotoatelier C. L. Harmsen genutzt wurde. 1862 erbaute Försters Sohn Heinrich ein geräumiges Atelier für den Fotografen Emil Rabending (1823-1886), der es von 1862 bis 1867 nützte.

Am 17. März 1866 entstanden hier die berühmten Fotografien von Kaiserin Elisabeth, die sie im ungarischen Krönungskleid, in einem weißen Seidenkleid mit Samtmieder sowie in einem schwarzen Samtkleid zeigen, wobei ihr Schottischer Hirschhund „Houseguard“, wie Zeitungsberichte überliefern, durch die Anwesenheit der Hauskatze zu einem aufmerksamen Blick animiert werden sollte, was augenscheinlich gelang. 

In weiterer Folge ließen sich auch die Entourage der Kaiserin und zahlreiche Mitglieder der Aristokratie von Rabending fotografieren. Von 1867 bis nach 1875 war der Fotograf Fritz Luckhardt (1843-1894) im Atelier eingemietet. Die Räumlichkeiten des Fotoateliers – eines der größten und modernsten seiner Zeit – bestehen bis heute. Es handelt sich dabei vermutlich um das älteste in Wien erhaltene Glaswand-Fotografenatelier.

Niedergang nach dem „Anschluss“ 1938

Um die Jahrhundertwende war die große Zeit des Hotels vorüber. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein Teil des Gebäudes in Folge der Wohnungszuteilungsverordnung der Gemeinde Wien zu Wohnungen umgewandelt, der Hotelbetrieb blieb jedoch bestehen. Zahlreiche jüdische Vereine nutzten die Räumlichkeiten für Veranstaltungen. So trug der Kraftsportklub des späteren österreichischen Olympiasiegers im Gewichtheben, Robert Fein, am 8. April 1934 im Saal des Hotels seine Klubmeisterschaft im Stemmen aus, und am 27. Dezember 1936 gab die jüdische Kleinkunstbühne „Der Pojaz“ eine Benefizvorstellung zugunsten des jüdischen Wohltätigkeitsvereines „Brüderlichkeit“. Das Hotel war Treffpunkt des Wiener Amateur-Schach-Klubs und Sitz der Schachsektion der Hakoah sowie des Wiener Schachspielvereins. Im Marmorsaal des Hotels wurden zahlreiche Konzerte, darunter jüdische Liederabende, veranstaltet. Im April 1937 fand hier eine Konferenz der Vertreter der österreichischen Kultusgemeinden statt, die sich der Bekämpfung der „seelischen und materiellen Not“ der jüdischen Jugend in Österreich widmete.

Nach dem „Anschluss“ wurde das Haus, das sich damals im Besitz von Isidor Guttmann befand, „arisiert“. Von der Beschlagnahmung waren auch das Kaffeehaus sowie der „Verein Jüdischer Schauspieler“ und der „Jüdisch-Humanitäre Hilfsverein Treue Brüder“ betroffen, die dort ihren Sitz hatten. Ab 1941 scheint im „Wiener Adressbuch“ („Lehmann’s Wohnungsanzeiger“) das „Polizeipräsidium Abteilung I“ als alleiniger Nutzer auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude in Wohnungen umgewandelt und 1957 an den ursprünglichen Besitzer restituiert, dessen Familie den Hotelbetrieb wiederaufzunehmen versuchte. 1958 wurde eine neue Werbebroschüre für das Hotel gedruckt, doch kurz darauf verloren die Eigentümer einen „Monsterprozess“ gegen die Mieter. Die neue Eigentümerin, Erica Gutman (Erika Maria Guttmann, 1921-2002) ließ das Gebäude in den 1980er-Jahren umfangreich renovieren und bemühte sich um eine Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands der Fassade, deren ornamentaler Schmuck nach dem Zweiten Weltkrieg stark reduziert und durch Spritzputz überdeckt worden war. Seit damals wurden keine wesentlichen Restaurierungsmaßnahmen mehr getätigt.

Zerstörung oder Rettung in letzter Minute?

2016 wurde bekannt, dass das seit 2009 im Eigentum der Barmherzigen Brüder stehende Gebäude abgerissen werden sollte. Proteste, an denen sich auch die Autoren dieses Beitrags beteiligten, waren die Folge. Trotz eines internen Gutachtens, das den Schutz des gesamten Gebäudes befürwortete, stellte das Bundesdenkmalamt 2018 lediglich die Straßenfassaden, die Haupteinfahrt, das große Stiegenhaus und das ehemalige Kaffeehaus unter Denkmalschutz, nachdem die Eigentümer versucht hatten, einen Abbruch durchzusetzen. Die Teilunterschutzstellung ist in den Augen der Autoren eine bedauerliche Fehlentscheidung, denn das Haus als Ganzes ist ein kulturgeschichtliches und architektonisches Denkmal ersten Ranges. Neben dem eindrucksvollen Hof sind aktuell etwa der Keller, das Lichtschacht-System sowie zahlreiche andere architektonische Details von der Zerstörung bedroht. Nicht zuletzt würde auch das historische Fotoatelier, ein für die Wiener Fotogeschichte hochbedeutender Ort, einem Umbau zum Opfer fallen.

Da er beim Bau des Grand Hotel National auf keine Vorbilder zurückgreifen konnte, erfand Förster die neue Bauaufgabe des großstädtischen Luxushotels hier quasi im Alleingang. Die vielen technischen Innovationen sollten dazu dienen, die Ansprüche einer bis dahin nicht bekannten, neuen Art von Kunden – der Hotelgäste – zu erfüllen. Das Grand Hotel National markiert damit den Beginn der Kulturgeschichte des modernen Hotels in Europa.

In der Verbindung von Architektur, Ingenieurbaukunst und Technologie manifestierte sich in diesem Bau zugleich auf eindrucksvolle Weise jenes umfassende Streben nach Innovation, das für das 19. Jahrhundert charakteristisch ist, aber im Bereich der Architektur wenig später von der Macht der Geschichte und den historischen Stilen überfrachtet werden sollte. Erst Jahrzehnte später wurde dieser Weg mit der Proklamation einer konsequent aus Funktion, Konstruktion und Material entwickelten „Modernen Architektur“ durch Otto Wagner fortgesetzt. Unter diesen Gesichtspunkten kann man das Grand Hotel National, das bedeutendste existierende Bauwerk Försters, als ein vergessenes Pionierwerk, als einen Schlüsselbau bezeichnen, der einen zentralen Platz in der Geschichte der Architektur des 19. Jahrhunderts in Wien und darüber hinaus verdient hat. Umso notwendiger erscheint es, diesen Bau nicht als verstümmeltes Stückwerk, sondern als Ganzes zu erhalten und eine adäquate Nutzung dafür zu finden. Noch ist es nicht zu spät.

Quellen

Der Wanderer, 24. Juli 1846, S. 699; Ludwig Förster: Die Bauthätigkeit in Wien im Jahre 1847, in: Allgemeine Bauzeitung 13 (1848), Ephemeriden, S. 243; Allgemeine Theaterzeitung, 17. Juni 1848; Wiener Abend-Zeitung, 3. Juni 1848; Intelligenzblatt zur Wiener Zeitung, 3. Juni 1848; Didaskalia. Blätter für Geist, Gemüth und Publicität, Nr. 189, 10. Juli 1848, o.S; Laibacher Wochenblatt zum Nutzen und Vergnügen, 5. September 1848, S. 287; Der Humorist, 26. Februar 1851, S. 223-224; Pest-Ofener Localblatt, 28. September 1854; Wiener Zeitung, 19. März 1858, S. 21; Gemeinde-Zeitung, 20. März 1866.
 

Literatur

Eva Berger: „Zum Vergnügen der Gäste“. Der Dachgarten des 1847 bis 1848 erbauten Hotel National in Wien als Beitrag eingedenk des Klimawandels, in: Die Gartenkunst 2024/1, S. 1-6.

Monika Faber: Kaiserin im Grand Hotel, in: Wiener Zeitung, 21./22. September 2019, S. 40.

Michaela Hlousa-Weinmann: Hotelneubauten im Umfeld der Wiener Weltausstellung 1873. Der erste „Hotel-Bauboom“ in Wien, Mag.-Arb. Univ. Wien 2000.

Olga Kronsteiner: Erstes Grandhotel Wiens: Bedrohter Prototyp, in: Der Standard, 8. Juli 2017, https://www.derstandard.at/story/2000060962871/erstes-grandhotel-wiens-bedrohter-prototyp (aufgerufen am 8.5.2024)

Ute Petritsch: Hotel National in Wien, Dipl.-Arb. TU Wien 2006.

Josef Schrank: Die Prostitution in Wien in historischer, administrativer und hygienischer Beziehung, 1. Band: Die Geschichte der Prostitution in Wien, Wien 1886.

Paul Weindling: „That’s not fair, Daddy“. On Being a Second and Third-Generation applicant to the Austrian General Settlement Fund, in: S:I.M.O.N. – Shoah: Intervention. Methods. Documentation 3 (2016) 2, 83-102. simon.vwi.ac.at/images/Documents/Coming-to-Terms/2016-2/2016-2_Coming-to-Terms_Weindling/CTT_Weindling01.pdf (aufgerufen am 8.5.2024)

Andreas Nierhaus, Kunsthistoriker und Kurator für Architektur und Skulptur im Wien Museum. Forschungsschwerpunkte: Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts, Medien der Architektur. Ausstellungen und Publikationen u.a. über die Wiener Werkbundsiedlung, die Ringstraße, Otto Wagner, Richard Neutra und Johann Bernhard Fischer von Erlach.

Benjamin von Radom forscht zur Geschichte der Architektur mit Schwerpunkten auf Theophil Hansen und seiner architektonischen Sprache, Karyatiden und weiblichen Tragefiguren im 19. Jahrhundert, Fassadenornamentik, Geometrie der Wiener Secession. Veröffentlichung: „Frauen, die Bauten tragen: Aufstieg und Fall der Karyatiden“ (hebräisch), in: Sharon Gordon, Rina Peled (Hg.): „Wien um 1900: Blüte am Rand eines Abgrunds“ (hebräisch), Jerusalem 2019. Benjamin von Radom studierte Kognitionswissenschaften und war als Fernsehregisseur, als Entwickler von Fernsehformaten und Digital-TV-Unternehmer tätig.

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Kommentare

Gerhard Ptacek

Dieser Artikel, samt Fotos und Darstellungen, liest sich überaus interessant und lebendig. Natürlich gilt es nicht nur dieses Gebäude zu erhalten, es braucht auch eine neue Nutzung. Vielleicht eine art Museum über die Geschichte des Hotelwesens im Allgemeinen und über das Haus im Besonderen?

Binder Karin

ich finde es auch sehr schade, dass Gebäude mit solch enormen technischen Errungenschaften und hervorragender Architektur dem "Zeitgeist" geofert werden sollen. Die Erhaltung alten Naturgutes ist ein wichtiger Teil der Wiener Stadtgeschichte. Siehe das Gebäude in der Mariahilferstr. Fehlinvestitionen und Wucher sind in vielen Fällen für das Stadtbild kein Pluspunkt-

dr.ottfried hafner

Ich habe Ihren Beitrag mit besonderem Interesse gelesen.

Dieses Haus darf nicht zerstört werden.

Gründen wir ein Komitee zur Rettung des
Grand Hotels Förster-Hansen.

Helmut Rauscher

Danke! Sehr interessanter Artikel.
Eine Generalsanierung wäre wünschenswert.