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Werner Michael Schwarz und Susanne Winkler, 12.3.2024

Der Prater als Labor der Freiheit und Gleichheit

Als der Geist aus der Flasche gelassen wurde

Am 15. März eröffnet das Pratermuseum an einem neuen Standort mitten im Prater. Anlass für einen Rückblick auf die Anfänge des Freizeitareals, das 1766 unter Joseph II. allen zugänglich gemacht wurde. Welche Motive standen hinter diesem Schritt? Und was hat die Gründungsgeschichte mit heute zu tun?

Was ist der Prater? Um die Einzigartigkeit des Geländes seinen Leser:innen zu vermitteln, zählte Adalbert Stifter in seinem bekannten, 1844 erschienenen Text Der Prater mehrere mögliche Definitionen auf, um sie sofort wieder zu verwerfen. Es sei kein „Park“, keine „Wiese“, kein „Garten“, kein „Wald“ und auch keine „Lustanstalt“. Es sei alles das „zusammengenommen“ und vermutlich, so lässt sich diese Aufzählung interpretieren, noch viel mehr. Stifter verweigerte eine topografisch-historische und statistische Beschreibung des Geländes, einen gelehrten Blick von oben, und führte stattdessen zum Beweis seiner These die Leser:innen gleich in das Geschehen. Denn, so der Autor implizit, man muss den Prater gesehen und erlebt haben, um diesen zu begreifen. Seine Tour, die in der Erzählung einen ganzen Tag in Anspruch nimmt, von morgens bis spätabends dauert und so Teil einer Rhetorik wird, mit der Vollständigkeit wie Subjektivität betont werden, führt an einzelne Orte, zur Hauptallee, zum Wurstelprater, zur Feuerwerkswiese, zu einsamen Wald- und Wiesenpartien. Nur zu einem geringen Teil spielen die äußerlichen Merkmale der verschiedenen Orte eine Rolle, fast ausschließlich werden sie im Text durch ausführliche Beschreibungen davon hergestellt, wie und von wem sie genutzt werden.

Stifter, und hier lässt sich eine direkte Verbindungslinie zu den Raumtheorien von Henri Lefebvre oder Michel de Certeau ziehen, versteht den Prater durch die Summe seine Nutzungen oder die „Gesamtheit der Bewegungen, die sich in ihm entfalten“. Um das zu betonen, verzichtet er im Gegensatz zu vielen Autor:innen auf die Verwendung einer starken Metapher wie Paradies oder Zaubergarten und vermittelt die Einzigartigkeit des Geländes durch die Addition sachlicher, aber einander ausschließender Begriffe und skizziert ihn so als eigentlich unwirklichen Ort.

Ort für alle

Springen wir aber an den Ursprung zurück, zum Gründungstext und zur Öffnung des Praters im Jahr 1766. Menschenliebe und Kalkül bilden die beiden Pole der Interpretation, wenn es um die Motive geht, die hinter der Öffnung des Praters für die Allgemeinheit stehen. Für zeitgenössische Bewunderer und Bewunderinnen Kaiser Josephs II., wie Michael Denis, den Verfasser der Ode auf den Prater (1766), war der Fall eindeutig. Für den aufgeklärten Priester bedeutete das Geschenk des Kaisers eine soziale wie eine politische Tat. Sie brachte alle Menschen in den Genuss der Annehmlichkeiten des Praters und hob das Unrecht auf, das durch die Privilegierung der Aristokratie bestanden hatte.

In der historischen Interpretation  spielt hingegen das Kalkül eine wichtige Rolle, durch die Schaffung von Erholungsräumen die Produktivität zu steigern und im Sinne einer biopolitischen Maßnahme die Gesundheit der Bevölkerung und die hygienischen Verhältnisse der stark wachsenden Stadt zu verbessern. So gesehen stand die Öffnung des Praters unmittelbar mit der Etablierung eines neuen Zeitsystems in Verbindung, das die kirchliche Festtagsordnung ablöste und um Arbeit organisiert ein modernes Verständnis von Freizeit begründete, das auch die Idee der besonders rekreativen Kraft der Natur reflektierte. In Begriffen der Freizeitsoziologie zählt der Prater so zu den neuen Räumen der Rekreation und Kompensation, mit denen die zunehmenden Anforderungen, die die Arbeitsdisziplin an die Menschen stellte, ausgeglichen werden sollten. Die Anerkennung dieser Bedürfnisse vermittelt zugleich ein von mathematisch-statistischem Denken gelenktes Verständnis von öffentlicher Wohlfahrt im 18. Jahrhundert.

Kein Einzelphänomen in Europa

Die Öffnung des Praters war aus dieser Perspektive kein singuläres Ereignis, wie das von Zeitgenoss:innen oft gesehen wurde. Auch gibt es Hinweise darauf, dass das Areal zumindest in Teilen bereits vor 1766 für breitere Schichten der Bevölkerung zugänglich war. Ab dem 17. Jahrhundert wurden in vielen europäischen Städten fürstliche Jagdgebiete und Gärten für die Allgemeinheit geöffnet, anfänglich zur herrschaftlichen Repräsentation, später aus der Einsicht der Notwendigkeit von Räumen zur Regeneration. Beispiele dafür sind die Villa Borghese in Rom, die Tuilerien in Paris, New Spring Gardens in London oder der Tiergarten in Berlin. Selbst in Wien war der Prater kein Einzelphänomen, denn auch die Festungswälle und das Glacis wurden in dieser Zeit als Erholungsräume adaptiert und in den 1770er Jahren der Augarten sowie Schloss Schönbrunn für die Allgemeinheit geöffnet. Dennoch ist der Prater anders, wofür sowohl die Existenz eines öffentlichen Gründungsdokuments wie auch dessen Inhalte sprechen. Das „Avertissement“, das am 9. April 1766 im Wiener Diarium erschien, benennt mit knappen Worten die Adressat:innen, den Umfang der Widmung, die möglichen Nutzungen und die dafür vorgesehenen Bedingungen.

Es kommt einer Verfassung für das Gelände gleich, man könnte zugespitzt von der ersten modernen Verfassung in Österreich sprechen, die bereits die wesentlichen Leitlinien der vielfältigen und vielschichtigen Nutzungsgeschichte des Praters vorzeichnet. Die Adressat:innen werden als „jedermann“ angesprochen, der Umfang der Widmung schließt das gesamte Gelände mit Ausnahme der „abgelegenen Orte und dicken Waldungen“ mit ein, die Nutzungen werden nur exemplarisch genannt und lassen betont andere Möglichkeiten zu.

Die Freiheit, hier zu „spazieren“, zu „reiten“ oder zu „fahren“, wird im Sinn der aufgeklärten Gesellschaftsphilosophie nur vom Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme und der Einhaltung allgemeiner moralischer Verhaltensweisen begrenzt. Der Prater wird als ein Territorium definiert, in dem die Menschen über gleiche Rechte verfügen und auch die Arten, dieses zu nutzen, als gleichberechtigt anerkannt werden. Das Besondere an diesem Gründungstext sind die vagen und offenen Formulierungen und die Zurückhaltung, Ziele, Vorgaben oder Einschränkungen klar zu benennen. Unter kaiserlicher Oberaufsicht wird der Prater so als eine Art soziales Versuchsfeld vermittelt, auf dem die konkreten Nutzungen und die dafür geltenden sozialen Regeln erst einer künftigen Praxis überantwortet werden.

Unter Annahme der utilitaristischen Motive des Kaisers und der Vorstellungen von moderner Staatlichkeit erscheint der Prater nicht nur als ein Raum der Rekreation und Kompensation, sondern auch der Innovation und Partizipation. Das impliziert eine Theorie der aufgeklärten Verfasser, dass das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Schichten und Stände unter den Bedingungen ihrer Gleichberechtigung sowohl soziale Angleichungsprozesse anstoßen als auch unbekannte Kräfte freisetzen und so Neues hervorbringen kann, das vom ‚demokratischen‘ Territorium Prater auf die Stadt oder das ganze Land positiv auszustrahlen im Stand ist. In diesem Sinn ist der Prater (noch) kein idealer Ort oder eine bereits verwirklichte Utopie, sondern ein Zwischenraum, man könnte auch sagen ein Labor, in dem beobachtet werden kann, wie die Ideale von Freiheit und Gleichheit auf die Gesellschaft wirken und wie die bis dahin voneinander abgeschlossenen unterschiedlichen sozialen ‚Substanzen‘ mit- und aufeinander reagieren.

Für das Experiment wurde ein von der Stadt klar abgegrenzter Raum ausgewählt, der sich durch die Launen der Donau selbst ständig in Veränderung befand, sich auch im metaphorischen Sinn als halbe Wildnis einer Zivilisierung empfahl und der zwischen Alltag und Fest nur zu bestimmten Zeiten frequentiert wurde, sodass das Risiko unerwünschter Reaktionen wohl als gering und beherrschbar erachtet wurde. Dass kirchliche Interessen im Gründungstext offenbar bewusst und provokant unberücksichtigt blieben, vermittelt, wer aus der Sicht der Verfasser diesen Überlegungen und Zielen im Weg stand. Beschwerden des Wiener Erzbischofs führten allerdings schon bald dazu, dass der Prater erst ab zehn Uhr vormittags, nach den Messzeiten, von der breiten Bevölkerung aufgesucht werden durfte. Bis zum Juni 1766 setzten sich die aristokratischen und kirchlichen Kritiker des Gründungsdokuments so weit durch, dass ein zweites Avertissement nun einen ganz anderen Ton anschlug und vor allem Pflichten und Verbote betonte. Dennoch, der Geist war aus der Flasche.

Eröffnung Pratermuseum

Das neue Pratermuseum ist ab 15. März an einem neuen, zentralen Standort (Prater 92, Straße des 1. Mai) geöffnet. Die Erzählung der Geschichte des Praters startet im Foyer mit einem monumentalen Panoramabild des Vergnügungsparks und der weitläufigen Wiesen- und Waldlandschaft des grünen Praters. In den darüberliegenden Geschossen befinden sich faszinierende historische Objekte – darunter Ringelspiel- und Kasperlfiguren, Teile einer Grottenbahn oder frühe Spielautomaten. Pläne, Modelle, Fotos, Eintrittskarten, Programmhefte und Plakate ergänzen die Präsentation.

Publikationen zum Pratermuseum

Zur Eröffnung erscheint der Ausstellungskatalog „Der Wiener Prater. Ein Ort für alle“ (Hg.: Werner Michael Schwarz, Susanne Winkler; 124 Seiten / 19 €) sowie der Sammelband „Der Wiener Prater. Labor der Moderne“ mit 70 Fachbeiträgen von über 50 Autor:innen (Hg. Werner Michael Schwarz, Susanne Winkler; 448 Seiten / 45 €). Die Publikationen sind vor Ort im Pratermuseum sowie im Wien Museum Shop am Karlsplatz und online erhältlich. Der hier publizierte Text ist eine stark gekürzte Fassung der Einleitung zum Sammelband.

Literatur und Quellen

Eva Berger: Menschen und Gärten im Barock. Das Leben und Treiben in Lustgärten vornehmlich in der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt Wien, Worms 2013

Michel de Certeau: Kunst des Handelns, Berlin 1988, S. 218.

Richard Kurdiovsky: Freizeit und Kontrolle in Prater und Augarten. Öffentliche Freiräume im Wien des 18. Jahrhunderts, in: INSITU 2 (2022), S. 243f.

Horst W. Opaschowski: Pädagogik und Didaktik der Freizeit, Opladen 1990.

Klaus Müller-Richter: Phantasmagorien des Praters. Ein Versuch über urbane Raum-, Geh-, Schreib- und Sehweisen, in: ders., Siegfried Mattl, Werner Michael Schwarz (Hg.): Felix Salten: Wurstelprater. Ein Schlüsseltext der Wiener Moderne, Wien 2004, S. 147–161

Adalbert Stifter: Der Prater, in: ders.: Aus dem alten Wien. Zwölf Studien von Adalbert Stifter, hg. v. Otto Erich Deutsch, Leipzig 1909

Gerhard Tanzer: Spectacle müssen seyn. Die Freizeit der Wiener im 18. Jahrhundert, Wien/Köln/Weimar 1992, S. 260f.

Werner Michael Schwarz, Historiker, Kurator am Wien Museum. Publikationen, Ausstellungen und Lehre mit Schwerpunkt Stadt-, Medien- und Filmgeschichte. 

Susanne Winkler, Historikerin, Kuratorin am Wien Museum. Publikationen und Ausstellungen mit Schwerpunkt Stadt- und Fotografiegeschichte.

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