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Andreas Suttner, 23.7.2021

Die Reichsbrücke – ein Bauwerk des Austrofaschismus

Das eingestürzte Wiener Wahrzeichen

Als vor 45 Jahren, am 1. August 1976 gegen 5 Uhr früh, die Reichsbrücke einstürzte, ging damit ein nationales Symbol verloren, mit dem die Wiener*innen emotional verbunden waren.

Die sachlich monumentale Kettenbrücke mit prägnanter Silhouette war neben dem Stephansdom und dem Riesenrad das dritte Wahrzeichen der Stadt. Da sie als einzige Donaubrücke Wiens auch den Zweiten Weltkrieg nahezu unversehrt überstanden hatte, erschien der Einsturz noch unbegreiflicher. In den Tagen nach dem Unglück kamen daher viele Schaulustige, um sich persönlich von der Realität des Einsturzes zu überzeugen und Erinnerungsfotos zu schießen.

Dass es sich bei der Reichsbrücke um ein Infrastrukturbauwerk handelte, das in der Zeit der Diktatur des Dollfuß-/Schuschnigg-Regimes (1933/34-1938) geplant und ausgeführt wurde, ist heute weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis der Österreicher*innen verschwunden. Zum Zeitpunkt der Katastrophe, rund 40 Jahre nach dessen Bau, war es innerhalb der Bevölkerung aber noch weitgehend präsent.

1933 hatte sich der umstrittene christlich-soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß an politische Vorbild- und Konkurrenz-Systeme in Europa – das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland – angelehnt, als er durch einen Staatsstreich gegen den österreichischen Nationalrat die Erste Republik zu Fall brachte und fortan diktatorisch regierte. Der Gründungsmythos der Zweiten Republik und die These des „ersten Opfers Nazideutschlands“ blendeten die Jahre des Austrofaschismus zwar weitgehend aus, spielten aber durch die fehlende Aufarbeitung in der politischen Auseinandersetzung der Parteien weiterhin eine große Rolle. Deswegen verwundert es nicht, dass es kurze Zeit nach dem Einsturz zu Schuldzuweisungen und Untergriffen zwischen den traditionellen politischen Lagern, der Sozialistischen Partei Österreichs und der Österreichischen Volkspartei, kam. Während den Sozialdemokraten grobe Fahrlässigkeit bei der Wartung des Bauwerks vorgeworfen wurde, stellte diese die 1937 fertig gestellte Brücke als „Pfusch“ der damaligen „schwarzen“ Stadtregierung hin.

„Schwarzes Wien“ als Kontrapunkt

Für das Rote Wien (1919-1934), das nach dem ersten Weltkrieg durch freie Wahlen von den Sozialdemokraten dominiert wurde, bedeutete der politische Umsturz das Ende der fortschrittlichen Sozialpolitik sowie des umfangreichen Gemeindebauprogramms. Der autokratisch regierende Bundeskommissär für Wien, Richard Schmitz, beseitigte den demokratischen Gemeinderat und errichtete die autoritär strukturierte Wiener Bürgerschaft. Er wurde 1934 von Dollfuß zum Bürgermeister ernannt und präsentierte ein Sofortprogramm für die nunmehr bundesunmittelbare Stadt Wien, das als bewusster Kontrapunkt zur Baupolitik des Roten Wien gesetzt wurde.

Das diktatorische Regime hatte sich den Umbau zur Verkehrsstadt vorgenommen. Ein „schwarzes“ Wien sollte, angekurbelt von öffentlichen Geldern, auf privatwirtschaftlicher Grundlage entstehen. Dazu zählten Assanierungspolitik genauso wie ein forciertes Straßenbauprogramm – beispielsweise die Errichtung der Wientalstraße – und ein Siedlungsprogramm an den Rändern der Stadt. Ein weiteres Ziel war, die Stadt für den zunehmenden Tourismus attraktiv zu machen. Kernprojekt war hier die Wiener Höhenstraße im Westen der Stadt, mit der ein Bauvorhaben aus der Kaiserzeit wiederbelebt wurde.

Großer Wert wurde bei der verkehrstechnischen Erschließung der Stadt auch auf die Sanierung und den Neubau von Brücken gelegt. Das Glanzstück der Brückenbautätigkeit in Wien sollte die neue Reichsbrücke über die Donau werden. Die alte Reichsbrücke war, 1868 unter dem Namen Reichsstraßenbrücke geplant, von 1872-1876 errichtet worden. Kurz vor der Eröffnung wurde sie in Kronprinz-Rudolf-Brücke umbenannt, um 1919, nach dem Zusammenbruch der Monarchie, ihren dritten Namen Reichsbrücke zu bekommen. In der Ersten Republik war sie durch das zunehmende Verkehrsaufkommen bereits völlig ausgelastet. Als um 1930 Schäden entdeckt wurden, hatte man anfangs noch über eine Generalsanierung und einen Umbau nachgedacht. Dieser wurde aber Zugunsten eines Neubaues verworfen.

Ausschlaggebend dafür waren zwei Gründe. Erstens die zukünftige städtebauliche Ausgestaltung Wiens und der Gebiete über der Donau. Die Brücke lag an einer wichtigen Verkehrsachse und verband die Innere Stadt mit dem über der Donau liegenden internationalen Flugplatz in Aspern. Zweitens wurde das Baugewerbe im Austrofaschismus als Schlüsselindustrie zur Bekämpfung der sehr hohen Arbeitslosigkeit gesehen, die seit der Wirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre weitgehend explodiert war. Dazu wurde ein bereits im Roten Wien initiiertes System von Arbeitsbeschaffungs- und Notstandsprogrammen ab 1934 österreichweit mit anleihenfinanzierten, arbeitsintensiven Großprojekten wie der Großglockner Hochalpenstraße, Höhenstraße und Brückenbauten ausgeweitet und propagandistisch verwertet.

Der Bau der drittgrößten Kettenbrücke Europas wurde am 26. Februar 1934, kurz nachdem Bundesheer und Heimwehr die Sozialdemokratische Arbeiterpartei in den Februarkämpfen ausgeschaltet hatten, begonnen. Ausgeführt wurde ein Wettbewerbsentwurf aus dem November 1933, der die Jury aufgrund seiner Monumentalität, Wirtschaftlichkeit und technischen Ausführung überzeugte. Für die baukünstlerische Ausgestaltung zeichneten die Architekten Siegfried Theiss und Hans Jaksch verantwortlich. Sie waren bereits beim Prestigeprojekt der konservativen Bundesregierung im Herzen des Roten Wien, dem Hochhaus in der 1., Herrengasse 6-8 (1931-1932), mit der Durchführung beauftragt worden. Der Entwurf für die Stahlkonstruktion der Reichsbrücke stammte von namhaften österreichischen Stahlbaufirmen und Bauunternehmungen. Unter Beiziehung von Clemens Holzmeister, Stararchitekt des Austrofaschismus, hatte sich auch das Regime Ende Dezember 1933 für das Projekt entschieden. Da die Finanzierung in der Wirtschaftskrise problematisch war, wurde vertraglich festgelegt, dass die Stadt Wien ein Drittel und der Bund zwei Drittel der Kosten zu übernehmen hatte.

Augrund von Verzögerungen dauerte der Bau fast vier Jahre. In erster Linie mussten kurzfristige Umplanungen vorgenommen werden, da es nicht nur Schwierigkeiten mit den Bodenverhältnissen bei der Pfeilerfundierung gab, sondern auch bei der Verankerung der Ketten. Zusätzlich überschattete ein Schiffsunglück mit mehreren Toten am 11. Juni 1936 die Bauarbeiten. Der Dampfer „Wien“ zerbrach aufgrund ungünstiger Strömungsverhältnisse am Brückenpfeiler des Neubaus. Der Rohbau war nach dem Schließen der Ketten am 16. November 1936 fertig gestellt. Im Frühjahr 1937 konnte mit der Betonierung der sechsspurigen Fahrbahn und der Montage der Gehsteige begonnen werden. Eine Belastungsprobe der graugrün gestrichenen Brücke vom 1. bis 3. Oktober 1937 bildete den Abschluss der Bauarbeiten.

Die Eröffnung am 10. Oktober 1937 wurde als Propagandaereignis inszeniert und die Ansprachen der Spitzen des Dollfuß-/Schuschnigg-Regimes live im Radio, das als Propagandamedium einen hohen Stellenwert hatte, übertragen. Durch die Instrumentalisierung des Großprojektes für das Arbeitsbeschaffungsprogramm sollte ein Ausgleich mit der 1934 niedergeworfenen Arbeiterschaft gefunden werden. Gleichzeitig wurden die technische Leistungsfähigkeit des Regimes und die Ideologie des Österreichertums, eine Variante der deutschen Volkstumsideologie, herausgestrichen. Die Verwobenheit der katholischen Kirche mit dem Austrofaschismus zeigte sich an der obligatorischen Einweihung der Brücke durch Kardinal Theodor Innitzer.

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Die Reichsbrücke konnte aufgrund ihrer markanten Ausgestaltung bis zum sogenannten „Anschluss“ kurzzeitig zum Symbol des austrofaschistischen „neuen Österreich“ werden. Sie reihte sich aber langfristig als drittes Wahrzeichen Wiens in die Liste der Sehenswürdigkeiten der Stadt ein und überstand politisch unstete Zeiten. Bis das Bauwerk 1976 in voller Länge einstürzte, hatte es sowohl die Eingliederung ins „Dritte Reich“, als auch den Zweiten Weltkrieg und die Befreiung Wiens im April 1945 fast unversehrt überdauert. Nach dem Staatsvertrag erhielt die Brücke-der-Roten-Armee (1946-1956) wieder ihren alten Namen und konnte als Reichsbrücke auch wieder ein Symbol für ein nunmehr demokratisches Österreich werden.

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Die „scheene Leich“ des Wahrzeichens wurde von der Bevölkerung Wiens in der üblichen Manier, mit offen gezeigter Trauer und guter Nachrede, begangen. Diese Emotionen sollten, gemeinsam mit den Bildern des Einsturzes, die Erinnerung an das Bauwerk mit der außergewöhnlichen Silhouette bis heute nachhaltig prägen.

Die 1980 eröffnete, 866 m lange moderne dritte Reichsbrücke mit sechsspuriger Straße und einer zweiten Funktionsebene für Fußgänger und U-Bahn, prägte aufgrund ihrer Schlichtheit das Stadtbild nicht so stark wie ihre Vorgängerin und konnte deren Popularität nicht erreichen.

Literatur:


Magistrat der Stadt Wien (Hrsg.), Überblick über die Brückenbautätigkeit der Stadt Wien in den Jahren 193- 1936 unter dem Bürgermeister Richard Schmitz, Wien im Aufbau, Wien, 1937.

Alfred Pauser, Brücken in Wien – Ein Führer durch die Baugeschichte, Wien, 2005.

Peter Payer, Die Reichsbrücke: Zur Geschichte eines Mythos, in: Walter Hufnagel (Hrsg.): Querungen. Brücken – Stadt – Wien, Kufstein, 2002, S. 111–122.

Friedrich Schneider, Die Reichsbrücke 1876-1986– Die schicksalhafte Geschichte eines 110-jährigen Donauüberganges, Wien, 1987.

Andreas Suttner, Das schwarze Wien – Bautätigkeit im Ständestaat 1934-1938, Wien, 2017.  (Online abrufbar)

Andreas Suttner ist Zeithistoriker und spezialisiert auf Stadtgeschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt Wien.

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