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Michaela Lindinger, 17.10.2023

Eine Erinnerung an Waluliso – jetzt auch im Wien Museum

Der „Apostel“ von Wien

Gekannt hat ihn jeder. Wie er eigentlich hieß, wusste kaum jemand. Die Rede ist von Waluliso, der heute vielen kein Begriff mehr ist. Dank einer Schenkung sind kürzlich einige Gegenstände aus dem Besitz des „Friedensapostels“ in die Sammlung des Wien Museums gekommen. Aus diesem Anlass: Eine Erinnerung an einen Eigenbrötler, der selbst Michail Gorbatschow begeisterte.

Herr Ludwig Weinberger kam kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges, im Juli 1914, in Ottakring zur Welt. Die Familienverhältnisse waren trist, der kleine Bub musste hauptsächlich in Kinderheimen aufwachsen. Trotz abgeschlossener Buchbinderlehre schaffte er es nicht ins bürgerliche Leben. Bereits in den 1930er-Jahren vagabundierte er durch Wien. Das tat er auch noch 50 Jahre später, mit ungleich größerem Erfolg. Waluliso, wie er sich nun nannte, war als „Friedensapostel“ auf der halben Welt berühmt.

Weltverbesserer wie Weinberger zog es häufig in die Großstadt an der Donau. In ähnlichem Aufzug wie Waluliso machte etwa 100 Jahre früher ein Deutscher auf sich aufmerksam. Er nannte sich zwar nicht „Apostel“ wie Waluliso, aber „Prophet“ klang auch nicht schlecht. Der an sich als Porträtmaler ausgebildete Karl Wilhelm Diefenbach wurde aufgrund von „unsittlichem Verhalten“ aus München mehr oder weniger verjagt und versuchte anschließend sein Glück in Wien. Man kann ihn als ersten Kommunarden bezeichnen. Seine Groß-WG begründete er auf dem Himmelhof im heutigen 14. Bezirk. Der Erfolg des alternativen Wohn- und Lebensprojekts erwies sich als überschaubar. Diefenbach zog weiter ins damalige Aussteigerparadies Capri.

In den Jahren um 1900, als Diefenbach mit großem medialen Trara in seiner fürstlichen Villa am Himmelhof siedelte, sprach der vielleicht direkte Vorläufer Walulisos im Rathaus in der Kanzlei von Bürgermeister Lueger vor. Der Hebammensohn, Naturheiler und Freikörperkultur-Aktivist Florian Berndl war mit den Modernisierungsplänen der Stadtregierung nicht glücklich. Er hatte das Gänsehäufel als Naturlandschaft für sich entdeckt und lebte dort mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen ein naturnahes Leben in einer selbst erbauten Hütte. Gebadet hat die Familie zusammen mit männlichen und weiblichen Fans in den Donauauen – was rasch Moralisten auf den Plan rief. Außerdem führte der in selbst fabrizierter Badehose oder Wollkutte – je nach Wetterlage - gekleidete Berndl eine Kantine, für die ihm, so die Stadtbeamten, die Konzession fehlte. In Wahrheit wollte man die Naturistenkolonie weghaben, die Insel sollte in die Verwaltung der Gemeinde Wien überführt werden. Schließlich gründete der aus dem Gänsehäufel vertriebene Berndl 1904 die Kleingartensiedlung „Neu-Brasilien“ – nach dem damals dort weitläufig vorhandenen weißen Sandstrand.

Rückzugsort Lobau

Die Lobau mit ihren Wassertümpeln und Altarmen galt als Versteck für Außenseiter aller Art. In den 1930er-Jahren konnte man den späteren Waluliso häufig hier antreffen. Wie von Berndl empfohlen badete er nackt und fand dort nicht nur Gleichgesinnte, sondern hatte auch – wie einst Diefenbach auf einem Berg im Morgenrot – sein Erweckungserlebnis. Die Freikörperkultur, seit den 1880er-Jahren im Zug der Lebensreformbewegung vor allem in deutschsprachigen Gebieten auf dem Vormarsch, das war sein Ding. Auf dem Kopf trug er ein selbst hergestelltes „Kontaktkranzerl“, denn er hatte festgestellt, dass er mit dieser Zierde leichter mit Leuten ins Gespräch kam. Wie Diefenbach und Berndl verfasste auch der „Wickerl“ seine Manifeste zum naturgemäßen Leben, die er fleißig in Form von Flugblättern unters Volk zu bringen suchte. Beim Nacktbaden – wo sonst - kam ihm die Idee zu einem neuen Namen: Waluliso – Wasser – Luft – Licht – Sonne.

Und wieder war es die Stadtregierung, die an der Donau große Pläne wälzte. In den betonseligen 1970er-Jahren ging es darum, die Neue Donau als Entlastungsgerinne zu verbauen, um die Stadt von Hochwässern zu befreien. Waluliso zeigte sich uneinsichtig, war doch das Rückzugsgelände der Naturisten in der Lobau dadurch ganz konkret bedroht. Er machte zahlreiche schriftliche Eingaben an die zuständigen Beamten im Rathaus und tauchte in regelmäßigen Abständen höchstpersönlich dort auf. Rasch galt er als lästiger Eigenbrötler, als Sonderling und Verrückter, der sich dem städtebaulichen Fortschritt entgegenstellte. Doch 16.000 Unterschriften, die er gesammelt hatte, waren nicht wenig und stolz konnte er verkünden: „Auf der Donauinsel in Wien braucht man keine Badehose mehr!“ Die längst eingestellte „Arbeiter-Zeitung“ lobte ihn etwas überzogen als „Retter der Lobau“ und auch andere Medien brachten den älteren Herrn in „Toga“, der den Weidenkranz schön langsam durch einen fast antiken Lorbeerkranz ersetzte, auf ihre Titelseiten. Waluliso war ein politischer Faktor geworden, mit dem man plötzlich rechnen musste. Ruhe gab er keine.

Unterwegs in aller Welt

Neben seinem Kampf für die Nacktbadezone auf der Hirscheninsel hatte er bis zu seiner Pensionierung als Schildermaler gearbeitet. Im Ruhestand blieb ihm endlich mehr Zeit für (politischen) Aktivismus: Mit einem Stab, auf dem gelegentlich ein Apfel steckte, in der Hand und einer selbst gebastelten, weiß angestrichenen Taube auf der Schulter gab er nun den Friedensapostel. Wie der um 1900 berühmteste Wiener nach dem Kaiser, Peter Altenberg, klapperte er in braunen Reformsandalen durch die Innenstadt. Bei jedem Wetter konnte man ihn auf der Kärntner Straße oder auf dem Stephansplatz predigen hören.

Oft ging es um den Kalten Krieg, das Wettrüsten, die Pershing 2. Die weißen Tauben seien müde, sang der norddeutsche Liedermacher Hans Hartz. Waluliso entsprach dem Zeitgeist, verteilte seine Äpfel an Touristenkinder und posierte auch gern für in- und ausländische Pressefotografen. Wenn ihn jemand anpöbelte und als „Irren“ verunglimpfte, konnte er aggressiv werden. „Was ist falsch am Frieden?“, schrie er dann und packte den Gegner am Kragen. Seine Hauptbotschaften „Friiiieeeede“ oder „Liiiieeeebe“ trug er selbstgemalt und aufgenäht vorne und hinten auf seiner „Toga“. Unterwäsche sei überbewertet, fand er. Sein Hang zur Selbstdarstellung würde aus ihm heute wohl einen Internetstar machen. Diskutieren war mit ihm nicht möglich, Argumenten konnte der formal kaum Gebildete nicht wirklich folgen und seine Predigten blieben stereotyp mit den immer gleichen Worten, einstudierten Gesten und dem starren Grinsegesicht. Und doch schaffte er es, fast auf der ganzen Welt bekannt zu werden. Mit Empfehlungsschreiben der Stadtväter Leopold Gratz und später Helmut Zilk in der Tasche reiste er in Zeiten von Glasnost und Perestrojka als „Sonderbotschafter des Friedens“ zu Gipfeltreffen nach Genf, Reykjavik, Moskau und Washington.

Sein Foto schaffte es in viele Zeitungen. Prince Charles, nach eigenen Angaben am naturnahen Leben sehr interessiert, schrieb ihm einen Brief und fragte, wie es ihm gehe. Sogar beim Papstbesuch trat Waluliso in seiner jesusartigen Verkleidung auf – was nicht bei allen Gläubigen gut ankam. Als der Palästinenser-Politiker und Friedensnobelpreisträger Jassir Arafat zu politischen Gesprächen in Wien eintraf überreichte ihm Waluliso einen Olivenzweig.

Dass es keinen SPÖ-Maiaufmarsch ohne Waluliso gab muss kaum extra erwähnt werden. Man kann sich fragen, wie der an sich mittellose Ludwig Weinberger das alles finanziert hat. Gewohnt hat er in einer Einzimmerwohnung in der Wehrgasse im 5. Bezirk. Er sammelte Spenden, verkaufte Autoaufkleber mit seinem Namen (obwohl er gegen Autos war), posierte als Werbeträger (obwohl er gegen Kommerz war). Gezeichnet von Altersbeschwerden verbrachte Waluliso seine letzte Lebenszeit im Pensionistenheim. Er starb 1996, mit 82 Jahren.
 

Wiener Außenseiter

Ein Begräbnis im gläsernen Sarg, wie sich Waluliso das gewünscht hatte, wurde es nicht, aber immerhin kam die Stadt Wien für seine Bestattung auf dem Zentralfriedhof auf. Dass man sich noch Jahrzehnte an ihn erinnern wird, wie Waluliso sich sicher war, daraus wurde ebenfalls nichts. Jüngere wissen mit dem Namen nichts anzufangen. Mit seinem Rückzug ins Heim verschwand er nicht nur aus dem Stadtbild, sondern rasch auch aus der kollektiven Erinnerung.

Die dem Kunsthandwerk zugeneigte Familie Litschauer aus Biedermannsdorf hatte Waluliso gut gekannt und nahm sich seines Nachlasses in der Wehrgasse an. Die beiden älteren Leute leben in einem Haus mit schönem Garten und blitzsauberer Garage, wo ein Großteil dieses Nachlasses bis heute lagert; fast wie ein „Waluliso“-Museum. Dankenswerterweise hat Herr Georg Litschauer dem Wien Museum einige von Waluliso selbst hergestellte Objekte, die typisch für ihn und sein Wirken in Wien waren, überlassen.

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Waluliso zählt zur langen Reihe von „Wiener Originalen“, die im Leben vielleicht nicht allzu viel Glück hatten, aber heute Inhaber von Ehrengräbern sind, wie etwa Florian Berndl. Für Waluliso gab es zwar kein Ehrengrab, die Stadt Wien pflegt aber seine letzte Ruhestätte. Zu Walulisos Vorläufern gehört auch der sogenannte Messias der Lobau, der Ex-Hauptmann der k.k.-Armee Peter Waller (1891-1971). Dieser plante mit Arbeitslosen aus allen Teilen der Monarchie ein Reich in Äthiopien. In der Lobau verkündete er vor Zehntausenden Auswanderungswilligen seine Heilslehre. Die Wochenzeitschrift „Übersee“, ein Blatt, das über Kolonisation, Auslandswirtschaft und Verkehr informierte, überließ ihm über 15 Jahre lang eine eigene Rubrik: „Die Wardanieri-Bewegung“. 1928 begann in Mauer der lange Marsch von 140 abenteuerlich uniformierten Leuten. Sie wollten nach Abessinien. An der italienischen Grenze war Endstation, da die Behörden „dem Zug der Irren“, so ein Zeitungsbericht, die Einreise verweigerten. Waller ging 1935 als „Großfürst“ in Pension. Drei Jahre später wurde er vorübergehend wieder aktiv und schrieb nach dem „Anschluss“ 1938 an die Reichskanzlei, er hätte eine Leibwache für den „Führer“ anzubieten, zusammengesetzt aus den Ureinwohnern von Ecuador, das er selbst bereist hatte. Ob aus Berlin jemals eine Antwort kam, ist bisher unerforscht.

An einem wenig aufregenden Ort beim Kraftwerk Freudenau erinnert ein Ponton an das einstige, wandelnde Wiener Wahrzeichen Ludwig Weinberger: Die Waluliso-Brücke über die Neue Donau. Freuen würde ihn dies wahrscheinlich nicht. Weinberger hatte sich für einen hölzernen Steg eingesetzt, der von der Donauinsel über die Neue Donau zur Hirscheninsel führen sollte, wo sich das von ihm so sehr verteidigte FKK-Gelände befand. Dieses hatte jedoch dem Ausbau des Entlastungsgerinnes weichen müssen. 

Michaela Lindinger, Kuratorin, Autorin. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Ägyptologie und Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien. Seit 1995 kuratorische Assistentin, seit 2004 Kuratorin im Wien Museum. Ausstellungen und Publikationen zu biografischen und gesellschaftlichen Themen, Frauen- und Gender-Geschichte, Porträts, Wien-Geschichte, Tod und Memoria, Mode.
 

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Kommentare

Jörg Schwan

Herzlichen Dank für diesen wunderbaren Artikel über den unvergesslichen Waluliso. In den Achtziger Jahren verweilte ich als junger Mann in der bezaubernden Stadt Wien und hatte das außerordentliche Glück, Waluliso persönlich zu erleben.
Menschen wie er haben die Welt mit ihren einzigartigen Aktionen zweifelsohne bereichert. Sein Erbe lebt weiter, und ich konnte nicht umhin, in Nostalgie zu schwelgen, als ich diese Artikel gelesen habe. Waluliso trat in mein Gedächtnis wie ein lebendiges Bild, und seine Aktionen verdienen ohne Zweifel einen würdigen Platz in der Geschichte.

Seine zeitlosen Botschaften von einst sind auch heute von ungebrochener Aktualität und erinnern uns daran, dass die Kraft des kreativen Ausdrucks und des sozialen Engagements niemals verblasst. Möge sein Andenken weiterhin leuchten und uns inspirieren, die Welt mit offenen Herzen und originellen Ideen zu bereichern.

Gerti Katzinger

Als ich als Landei 1973 in die große Stadt kam, traf ich ihn häufig auf der Kärntnerstraße an. Was wäre wohl in Zeiten von Socialmedia aus ihm geworden. 🤔

Helmut Rauscher

Danke für diesen interessanten Artikel.
Es ist schade, dass Waluliso so bald in Vergessenheit geraten ist.

Christa Hlozek

Hab ihn noch selber gesehen .Finde es toll das das dem Museum etwas zugenommen ist.Danke an die Spender bin froh das man an ihn erinnert .