
Ilse Aichinger bei einem Treffen der Gruppe 47 mit Heinrich Böll (l.) und Günther Eich (r.), 1952, Foto: Ullstein Bild / picturedesk.com
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Ilse Aichinger und der Wiener Kurier
Die Toten tun uns nichts!
Am 1. September 1945 erschien im Wiener Kurier Ilse Aichingers Erzählung „Das vierte Tor“. Die Zeitung bereicherte seit einer Woche die österreichische Medienlandschaft und wurde „von den amerikanischen Streitkräften für die Wiener Bevölkerung“ herausgegeben. Verantwortlicher Kulturredakteur war Zeno Liebl, Chefredakteur der Schriftsteller Oskar Maurus Fontana. Früh versuchten die Alliierten über die Verbrechen der Nazis, über die Shoah aufzuklären. Die von ihnen herausgegebenen Zeitungen spielten dabei eine zentrale Rolle. Als sogenannter „Mischling Ersten Grades“ hat die junge Schriftstellerin miterleben müssen, wie ihre Familie ermordet wurde, und was die jüdischen Wiener:innen während der Nazi-Zeit in ihrer Stadt erdulden mussten. Davon erzählt ihr 1948 erschienener Roman „Die größere Hoffnung“. Doch schon 1945 konnte sie im Wiener Kurier davon erzählen. Sicherlich auch dank Zeno Liebl.
Im Süden Wiens
Verlässt man über Breitenfurt Wien kommt man nach Hochroterd. Die Gegend im Süden der Stadt ist idyllisch, überall sieht man auf kleinen, von Hecken und Bäumen umzäunten Wiesen Pferde, Reiter:innen. In Hochroterd steht ein Bauernhaus, heute ein Reithof. Das Haus war einst der Wohnort Anna Freuds. Sie lebte dort gemeinsam mit Dorothy Tiffany Burlingham, einer Amerikanerin, ebenfalls Kinderanalytikerin. Deren Großvater hatte übrigens das Juweliergeschäft Tiffany & Co in New York gegründet. Von 1931 bis 1938 dauerte das Glück bei Wien. Dann musste Anna Freud flüchten.
„Gekauft“ hat in Folge das Haus der Industrielle Otto Sweceny für seine Frau Charlotte, deren Bruder Mitbesitzer des Manz-Verlags war. In Charlotte Sweceny Haus in Hochroterd traf sich eine Freundesrunde. Es waren informelle Zusammenkünfte in Wien lebender Intellektueller, die keine oder nicht mehr ganz so große Sympathien für die Nazis hegten. Zum Kreis zählten Charlotte Swecenys Liebhaber, der Schriftsteller Alexander Lernet-Holenia, zählten die Journalisten Zeno Liebl und Milan Dubrović, der spätere Chefredakteur der Zeitschrift „Der Turm“ Egon Seefehlner, ein gewisser Otto Löcker, Direktor bei Semperit und seine Frau Elisabeth, deren eigentlicher Lebensgefährte besagter Zeno Liebl war. Was das alles mit Ilse Aichinger oder den Alliierten zu tun hat? Auf den ersten Blick nichts. Und doch irgendwie alles. Zuerst zu den Alliierten.
Von der Schweiz und der Türkei aus organisierte der US-amerikanische Geheimdienst OSS Informant:innennetzwerke in Nazideutschland. Solche Netzwerke existierten auch in Wien. Es waren Widerstandsgruppen, bestehend aus liberalen Katholik:innen, Kommunist:innen, Monarchist:innen, sogenannten Mischlingen, Sozialdemokrat:innen, von den Nazis enttäuschten Ex-Nazis. Eine Gruppe war die Maier-Messner-Gruppe rund um den katholichen Priester Heinrich Maier und den austro-brasilianischen Industriellen und Semperit-Generaldirektor Franz Josef Messner. Diese informierten über Kuriere die OSS über kriegswichtige Produktionsstätten und diverse wissenschaftliche Fortschritte in Nazis-Deutschland. Die Gruppe flog, verraten durch einen V-Mann, auf, viele ihrer Mitglieder wurden von den Nazis ermordet. Bei den Gestapo-Verhören fiel der Name Zeno Liebl als zu Rekrutierender und Otto Löcker dürfte zu den Sympathisant:innen gezählt haben. War also der Freundeskreis, der sich im idyllischen Bauernhaus im Süden von Wien zu Gesprächen traf, tatsächlich Vorfeld eines Informations- also Spionagenetzwerkes der Alliierten?
Zeno Liebl wurde nach der Befreiung Mitbegründer der antifaschistischen und überparteilichen Zeitung „Neues Österreich“, wo nur eindeutige Nazigegner:innen mitwirken konnten, und bald Kulturchef vom „Wiener Kurier“. Und im Wiener Kurier wird am 1. September 1945 Ilse Aichingers erste Publikation, die Erzählung „Das vierte Tor“ abgedruckt, die Geschichte über einen ganz anderen Süden Wiens, einen Süden, der Fragen aufwerfen hätte sollen, Fragen, welche nicht gestellt wurden… 1942 – die letzten jüdischen Kinder Wiens sind zum Tor Vier des Zentralfriedhofs, dem jüdischen Teil, unterwegs:
„Wohin führt das vierte Tor?“ – Fragen Sie doch die Kinder mit den scheuen, klugen Gesichtern, die eben – beladen mit Reifen, Ball und Schultasche – von der letzten Plattform abgesprungen sind. Sie tragen keine Blumen in den heißen Händen und sind nicht geführt von Vater, Mutter und Großtante wie andere Kinder, die man behutsam zum erstenmal einweiht in das Mysterium des Todes! Nicht wahr – das erschüttert Sie ein wenig und Sie fragen neugierig:
„Wohin geht ihr?“
„Wir gehen spielen!“
„Spielen! Auf den Friedhof? Warum geht ihr nicht in den Stadtpark?“
„In den Stadtpark dürfen wir nicht hinein, nicht einmal außen herum dürfen wir gehen!“
„Und wenn ihr doch geht?“
„Konzentrationslager!“ sagt ein kleiner Knabe ernst und gelassen und wirft seinen Ball in den strahlenden Himmel. Sie frösteln und haben plötzlich ein leises beklemmendes Gefühl in der Herzgegend, fast bereuen Sie es, gefragt zu haben! Doch ein unerklärliches Etwas zwingt Sie, die Unterhaltung fortzusetzen:
„Ja, habt ihr denn gar keine Angst vor den Toten?“
„Die Toten tun uns nichts!“
Versunken und verloren
Wenn man bedenkt, dass der Wiener Kurier an diesem 1. September 1945 nur vier Seiten dick war und Ilse Aichingers Erzählung doch fast eine halbe Seite einnahm, und wenn man bedenkt, dass der Wiener Kurier erst seit dem 27. August 1945 erschien, in einer Auflage von über 150.000 Stück, dann kann man sich ein Bild machen, welch Gewicht diese erste Publikation der jungen Dichterin erhielt, und wie wichtig es den Amerikanern, der Redaktion, Zeno Liebl war, über die Nazi-Verbrechen aufzuklären.
Ilse Aichinger kam aus dem Untergrund, aus dem sieben Jahre nicht gewollt sein, eigentlich aus dem Tot-sein-sollen. Sie hatte zwar keinen Gelben Stern tragen müssen, als „Mischling Ersten Grades“, ihre Mutter Berta, eine der ersten Ärztinnen Österreichs, jedoch schon. Ihre Familienmitglieder mütterlicherseits mussten als Juden und Jüdinnen ab September 1941 den Gelben Stern tragen. Nur Ilse Aichingers Zwillingsschwester Helga und ihre Tante Klara Kremer hatten sich, auch dank der Hilfe der Quäker, noch rechtzeitig aus Nazi-Deutschland retten können.
Am 6. Mai 1942 erlebte Ilse Aichinger, wie ihre geliebte Großmutter Gisela Kremer und ihre Tante Erna Kremer, eine einst gefeierte Geigenvirtuosin, und ihr Onkel Felix mit Lastwägen, so wie 1.000 andere Menschen, aus dem Sammellager in der Schule Kleine Sperlgasse 2a, zum Aspanger Bahnhof gebracht wurden. Es war der 21. von 47 Transporten zwischen dem 20. Oktober 1939 und dem 9. Oktober 1942 aus Wien in die Vernichtungsstätten der Nazis im Osten Europas. Jeder Transport bedeutete den Tod von 1.000 Menschen.
Ilse Aichinger war zur Schwedenbrücke geeilt, wo sie noch ein Mal kurz Tante und Großmutter erblickte. Ihren Onkel hatte sie im dichten Gedränge der deportierten Menschen auf den Ladstwägen nicht mehr sehen können. Die Wiener:innen wurden nach Minsk deportiert und bei Maly Trostinec am 11. Mai ermordet, in Gruben geworfen, die um den 4. Mai ausgehoben worden waren. Ilse Aichinger war 20 Jahre und sechs Monate alt. Ein halbes Jahr später war Ilse Aichinger volljährig und bot somit keinen Schutz mehr für ihre Mutter, die so lange nicht deportiert wurde, solange sie die Sorgepflicht für ihre minderjährige Tochter hatte. Ab Oktober 1942 lebte die Zwangsarbeiterin Berta Aichinger unter ständiger Angst deportiert zu werden, und musste schließlich als U-Boot untertauchen…
Am 20. September 1943 schrieb Ilse Aichinger in ihr Tagebuch:
Und wenn auch in meinen Träumen über die Schwedenbrücke unentwegt Lastwagen mit verlorenen Menschen rollen werden – seit damals, so laufe ich doch mit offenem Haar und einem wilden glücklichen Gesicht über sie hinweg und meine Augen strahlen über die hell-grünen, zitternden Pappeln hin zu den blauen, dämmrigen Bergen. Und dann sind alle Versunkenen und alle Verlorenen wieder da! (zit. in: Fässler, 70)
Ilse Aichinger lebte mit ihrer Mutter, wartete ab, wann sie mit ihr endgültig zu den Versunkenen und Verlorenen zählen werden. Und sie schrieb am Küchentisch in einer der vielen Wohnungen, in der sie nach und nach lebten, an ihrer Geschichte, der Geschichte der Kinder Wiens, die ermordet werden sollen und wurden, sie schrieb an „Die größere Hoffnung“, ihrem Roman, der 1948 bei Bermann Fischer erscheinen wird. Den Titel für ihre Erzählung hatte sie schon 1943 in ihrem Tagebuch notiert. Dann kam die Befreiung im April 1945…
Die Förderin
Und nun zurück nach Hochroterd. Förderin, Freundin der jungen Dichterinnen wurde nach der Befreiung Elisabeth Löcker, bald Liebl. Sie war der „eigentliche Mittelpunkt“ des Freundeskreises in Hochroterd, wie der Schauspieler Axel von Ambesser anmerkte. In Wien wohnten sie und ihr Mann Otto Löcker in der Gottfried-Keller-Gasse 13, wohin auch bald Zeno Liebl zog. Nach 1945 wird Ilse Aichinger häufiger Gast bei den Liebls sein.
Elisabeth Löcker-Liebl, geborene Euler, war Deutsche, aus Frankfurt, Industriellentochter, hatte bei Karl Jaspers Philosophie studiert. Nach 1945 wird sie mit einem anderen Stammgast aus Hochroterd, mit Egon Seefehlner, die Zeitschrift Der Turm aufbauen, eine Zeitschrift, in der Ilse Aichinger in den nächsten Jahren immer wieder Auszüge aus ihrem Roman vorab drucken lassen wird. Der Turm war eine Zeitschrift, die dem katholischen, bürgerlichen, liberalen und antinazistischen Lager zuzurechnen ist. Die Zeitschrift erschien bis 1948. Egon Seefehlner wird übrigens 1945 neben der Zeitschrift auch eine Partei mitbegründen, die ÖVP. In den folgenden Jahrzehnten sollte er u.a als Direktor der Wiener Staatsoper das musikalische Leben Wiens mitprägen. Viele Jahrzehnte später wird Ilse Aichinger über die Zeitschrift in einem Interview sagen, dass sie zwar kompliziert und hochgestochen gewesen sei, es aber als erlösend empfand, dass es den Turm gegeben hat. Zeno Liebl war seinerseits nicht nur leitender Kulturredakteur des Wiener Kurier sondern auch Chefredakteur der vom französischen Pressedienst herausgegeben Zeitschrift Europäische Rundschau, in der Ilse Aichinger ebenfalls publizierte. Ilse Aichinger publizierte in einigen Wiener Zeitschriften, und so wie Elisabeth Löcker-Liebl, auch im linken Plan, wo im Juli 1946 der „Aufruf zum Mißtrauen“ erschien.
Nur, wollte man die breite Öffentlichkeit erreichen, so war dies einzig über Tageszeitungen wie dem Wiener Kurier möglich. In diesem erschienen 1946 zwei Beiträge Ilse Aichingers. So wurde am 3. April 1946 ihr Brief an Stefan Zweig abgedruckt, ein „gewissermaßen ins Jenseits gerichteten Brief“, in dem sie den „Dank jener Jugend“ zu Ausdruck bringt „der Stefan Zweig auch in schwerer Zeit durch seine Dichtung ein Helfer und Tröster war.“ (Wiener Kurier vom 3.4.1946, 4) Am 18. Mai erschien „Geliebter Feind!“, eine kleine Hymne auf die Befreier, auf die GIs. (Wiener Kurier vom 18.5.1946, 10) Dann war es schon vorbei, mit der Publikationsmöglichkeit, auch weil man Fontanas Redaktion ein Ende setzte, die, wie es in der internen Kritik hieß: „The paper was heavy with culture and light on Facts.“ (Krammer, 74)
Dafür wurde im Februar 1949 im Wiener Kurier über Ilse Aichinger geschrieben, erschien eine Rezension über „Die größere Hoffnung“: „Die Autorin hat die qualvolle Stimmung der Hitler-Zeit meisterhaft heraufbeschworen, wenn auch in einem symbolischen Stil, der manchmal an Kafka erinnert, manchmal ganz in Expressionismus verfällt, aber stets von gewaltiger Wirkung ist.“ Doch ein Satz in derselben Rezension weist auch auf den Grund hin, wieso Ilse Aichinger Wien 1950 verlassen wird:
„Dieses Buch schreit nach Dramatisierung. Es ergäbe einen Film ohnegleichen. Natürlich wird sich in der österreichischen Filmindustrie niemand finden, der ihn dreht.“ (Wiener Kurier vom 4.2.1949, 4)
Die Verbannten
Ilse Aichinger, die eine passionierte Kinogeherin war, sah zwar nicht ihren Roman verfilmt, erhielt aber immerhin Förderpreise, trat mit der literarischen Prominenz der Stadt bei gemeinsame Lesungen auf, publizierte in den Zeitschriften Plan, Neue Rundschau, Europäische Rundschau, der Turm, war kurzum erfolgreich. Doch wieso verließ Sie 1950 Wien, genauso wie drei Jahre nach ihr ihre Freundin Ingeborg Bachmann Wien verlassen sollte? Und viele andere mehr. Milo Dor trug zehn Jahre nach dem Exodus die Gründe für diesen zusammen. Milo Dor hatte als Jugendlicher in Belgrad Widerstand gegen die Nazis geleistet, weshalb er als Zwangsarbeiter nach Wien verschleppt worden war, wo er ab 1944 in Schutzhaft saß. Nach der Befreiung blieb er in Wien, wurde Schriftsteller, publizierte u.a. im Plan und war als Freund und auch als Vermittler zur Gruppe 47 für Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger von besonderer Bedeutung. 1962 brachte er „Die Verbannten“ heraus, eine Anthologie die auch den Namen „Die Überlebenden“ oder „Die Freunde“ hätte tragen können. Seine einleitenden Worte vermitteln auch sofort für und gegen wen der Sammelband veröffentlicht wurde und erklären, was die jungen Autor:innen vertrieben hat:
an den schlechten Geschmack eines Publikums, das noch immer an den Autoren des ruhmlos untergegangenen „tausendjährigen Reichs“ mit rührender Liebe hängt und sich in Zweifelsfällen mit schlafwandlerischer Sicherheit für den Kitsch entscheidet.
An die Ignoranz der Wirtschaftswundermanager, deren einzige Lektüre das Telephonbuch ist, die Kunst mit Kunstgewerbe verwechseln und Tapeten für Bilder halten, an die Kostgänger der herrschenden Cliquen, die ihr unverdientes Geld lieber in Weinkeller als in eine Bibliothek anlegen,
an die Literaturprofessoren unserer Provinz, deren Horizont sich mit ihrem bevorzugten Kleidungsstück – der kurzen Lederhose – vollkommen deckt,
[…] an alle, die nur in einem Opernbesuch den Höhepunkt des künstlerischen Genusses sehen […] Heute leben [die Verbannten] in Paris, Rom, Hamburg oder Lenggries im Exil, sie leben in der ländlichen Verbannung oder mitten in Wien in einer Art „innere Emigration“. Viele von ihnen sind in Deutschland und anderen Ländern bekannt, aber nicht in ihrer Heimat, zumindest nicht nach ihren wichtigeren Werken. Daß es sich hier um eine ganze Generation handelt, ist bisher nur wenigen aufgefallen.
Paris, das war Paul Celan, Rom, Ingeborg Bachmann, Lenggries, Ilse Aichinger. Die Anthologie wird eröffnet mit zwölf Gedichten Ingeborg Bachmanns. Paul Celan ist ebenfalls mit vielen Gedichten vertreten, Ilse Aichinger mit ihrer Erzählung „Spiegelgeschichte“. Milo Dor hat Texte von mehr als 30 Autor:innen versammelt, darunter Jeannie Ebner, Christine Lavant, Christine Busta, Marlene Haushofer.
Veränderte Unveränderlichkeit
In den ersten Jahren nachdem sie Wien verlassen hatte, waren Elisabeth Löcker und Zeno Liebl „wahrscheinlich die wichtigsten Bezugspersonen für Ilse Aichinger in Wien.“ (Straub, 216) Die Schriftstellerin wird in den 1990er-Jahren wieder nach Wien zurückkehren. Ich habe sie erlebt, wie sie jeden Sonntag ins Burgkino ging, um sich den „Dritten Mann“ anzusehen.
In den 2000er-Jahren schrieb sie häufig regelmäßig in der Tageszeitung Der Standard ihr Journal des Verschwindens und über Unglaubwürdige Reisen. Und in Ilse Aichingers XXV. Journal des Verschwindens vom 19. April 2001, konnte man lesen:
Leider gab es letzten Sonntag um 14.45 keinen Third Man im Burgkino. Gegen 17 Uhr war es dann gleichgültig, er wäre ohnehin – wieder einmal von Major Calloway im Kanalnetz nahe dem Stadtpark niedergestreckt – bis zum nächsten Sonntag wieder untergetaucht.
Und einige Zeilen weiter:
Während des Krieges landeten wir so oft wie möglich am vierten Tor. Parkbänke und die Bänke am Ring waren „nur für Arier“. Ein jüdischer Ziegenhirte trieb am Friedhof einige, vermutlich auch jüdische Ziegen vorbei. Er trug die blaue Jacke über der Schulter, den Judenstern verdeckt. „An die Haut kann ich ihn nicht heften“, sagte er ganz vergnügt, „die Ziegen tragen auch keinen.“ Im Dritten Mann sieht man statt der Ziegen Alida Valli von der Beerdigung des Orson Welles dem Tor zugehen, Joseph Cotten als Holly Martins folgt ihr, er geht zögernd an ihr vorbei und wird vermutlich von Trevor Howard mitgenommen, der ihn nach der Zeit fragt: „Two thirty“ ist die letzte Aussage.[…] Heute sind der Zentralfriedhof (alle Tore), die Auswahl der Bestattungsformen, des Grabschmucks […] und der Lokale für die Trauergäste der veränderten Unveränderlichkeit angeglichen. Auch der Enttäuschung über die für uns nach dem Kriegsende offen gelegten bleibenden Mediokrität politischer Instanzen.
Literatur:
Helga und Ilse Aichinger: Ich schreibe für Dich und jedes Wort aus Liebe. Briefwechsel, Wien-London 1939-1947. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Nikola Herweg. Wien 2021.
Ilse Aichinger: Die größere Hoffnung. Roman. 12. Auflage. Frankfurt a.M. 2012.
Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger und Günter Eich: halten wir einander fest und halten wir alles fest! Der Briefwechsel. Herausgegeben von Irene Fußl und Roland Berbig. München, Berlin, Zürich 2011.
Simone Fässler: Von Wien her, auf Wien hin. Ilse Aichingers „Geographie der eigenen Existenz“. Wien, Köln, Weimar 2011
Marion Krammer: Rasender Stillstand oder Stunde Null?: Österreichische PressefotografInnen 1945-1955. Wien 2022.
Wolfgang Straub: Die Netzwerke des Hans Weigel. Wien 2016.
C. Turner: The CASSIA Spy Ring in World War II Austria: A History of the OSS's Maier-Messner Group. Jefferson 2017









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