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Gerhard Milchram und Tabea Rude, 7.3.2023

Gisela Eibuschitz – die erste Uhrmacherin Österreichs

Im Räderwerk der Zeit

1902 erlangte eine junge Wienerin weltweit Aufmerksamkeit. Sie hatte etwas geschafft, was viele ihrer Zeitgenossen weder für möglich noch für eine Frau angemessen hielten – sie war Uhrmachermeisterin geworden. Und das gegen den erbitterten Widerstand der Uhrmacher-Genossenschaft.

Zeitungen in den USA, in Großbritannien und auf dem europäischen Kontinent berichteten anerkennend und mit Bewunderung über die erst 19jährige Uhrmacherin Gisela Eibuschitz. Deren erstaunliche Berufskarriere nahm mit einem familiären Unglück ihren Anfang: 1892 verstarb Giselas Vater Ignaz unerwartet im Alter von 47 Jahren. Die neunjährige Tochter wurde damit zur Halbwaise, ihre Mutter Marie, eine geborene Fingerhut, zur Witwe. Ignaz Eibuschitz war einer von vielen jüdischen Migranten gewesen, die im 19. Jahrhundert nach Wien kamen und die jüdische Gemeinde der Stadt zur größten der Monarchie machten. Mit Fleiß und Geschick etablierte er im 3. Bezirk am Rennweg 47 ein Uhrmachergeschäft. 1883 wurde ihm das Bürgerrecht der Stadt Wien verliehen: sichtbares Zeichen eines sozialen Aufstiegs.

Denn um das Bürgerrecht zu erhalten, musste man belegen können, genügend finanzielle Mitteln zum Unterhalt einer Familie zu haben und unbescholten sein. Für Gewerbetreibende war damit, unabhängig von ihrer Steuerleistung, auch das aktive und passive Wahlrecht verbunden und damit die Möglichkeit eröffnet, sich an politischen Prozessen zu beteiligen.

Denn um das Bürgerrecht zu erhalten, musste man belegen können, genügend finanzielle Mitteln zum Unterhalt einer Familie zu haben und unbescholten sein. Für Gewerbetreibende war damit, unabhängig von ihrer Steuerleistung, auch das aktive und passive Wahlrecht verbunden und damit die Möglichkeit eröffnet, sich an politischen Prozessen zu beteiligen.

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Da Witwen auch ohne formelle Ausbildung und Gewerbeberechtigung die Betriebe ihrer verstorbenen Ehemänner weiterführen durften, übernahm nun Marie das Uhrmachergeschäft und sicherte so vorerst den Betrieb. Da es keinen männlichen Nachkommen gab, plante sie aber eine spätere Übergabe an die Tochter. Dazu war allerdings eine formelle und von der Uhrmacherinnung anerkannte Ausbildung und die entsprechenden kommissionellen Prüfungen notwendig. Die Voraussetzungen erschienen prinzipiell gut: Denn Gisela interessierte sich tatsächlich für das Handwerk und hatte wahrscheinlich schon als Kind ihremVater bei der Arbeit zugesehen und vielleicht auch immer wieder mitgeholfen. Im Alter von 15 Jahren wollte sie „der eigenen Vorliebe“ und dem „Rat der Mutter“ folgend, eine Ausbildung zur Uhrmacherin machen. Ihr gesetzlicher Vormund und Onkel, der Hof- und Gerichtsadvocat Dr. Siegfried Eibuschitz, meldete Gisela daher bei der Uhrmachergenossenschaft als Lehrling an. Dabei stieß er auf unerwartet heftigen Widerstand.

Erst behauptete die Genossenschaft, dass es einen Beschluss gäbe, keine weiblichen Lehrlinge aufzunehmen und man unterstellte der Mutter „Mitgift-Bereicherung“. Damit war gemeint, dass Gisela zwar die Lehre machen und danach die gesetzlich vorgesehene Zeit als Gehilfin in der familieneigenen Uhrmacherwerkstätte verbringen würde, um danach die Uhrmacherei eigenständig betreiben zu können. In den Vorstellungen der Innung natürlich nicht selbst, sondern mit einem Ehemann, der möglicherweise keine Gewerbeberechtigung hätte und somit durch die „weise Vorsicht der Schwiegermama eine unbezahlbare Zugabe zur Mitgift ins Haus“ brächte, wie die Innung unterstellte. Nicht im Entferntesten würde die Frau Mama daran denken, „ihr unter den besten Verhältnissen und zur zukünftigen Dame erzogenes Kind an den Werktisch zu setzen, wo es sich schrecklich rauhe Hände holen könnte“.

Die Uhrmacherinnung hielt es für unmöglich, dass Frauen die technischen Zusammenhänge in einer mechanischen Uhr verstehen könnten. Nur Männern traute man zu, die komplexen Strukturen zu verstehen und daraus die notwendigen Schlüsse zum Bau einer Uhr zu ziehen. Zwar gestand man Frauen zu, unter männlicher Anleitung eine Uhr zusammenbauen zu können, vor allem dann, wenn es um so weibliche Eigenschaften wie „Zartheit, Gleichmässigkeit, Genauigkeit und Eleganz der Formen“ gehe. Aber im Großen und Ganzen hielt die Uhrmachergenossenschaft Frauen für ungeeignet und wollte nur „männliche Kräfte walten lassen“.

Die Genossenschaft rechnete nicht mir der Beharrlichkeit von Gisela und ihrer Familie. Zwar wurde ein Einspruch des Onkels von der Gewerbebehörde abgelehnt, aber eine Eingabe an die Statthalterei hatte Erfolg. Diese beschied, „dass nach den ausdrücklichen Vorschriften des Gewerbegesetzes der Zugang zu diesem Gewerbe (Uhrmacher) allen Bewerbern ohne Unterschied des Geschlechtes offen und Fräulein Eibuschitz als Lehrling ordnungsgemäß“ aufzunehmen sei. Doch die Uhrmachergenossenschaft wollte nicht so einfach aufgeben und vor allem mit Gisela auch keinen Präzedenzfall schaffen. Daher wandte sie sich in letzter Instanz an das dafür zuständige Ministerium für Inneres. Aber auch das Ministerium schloss sich der Rechtsauffassung der Statthalterei an, und daher musste man sich zähneknirschend dem Urteil fügen. Damit konnte Gisela nach einem langen und harten Kampf ihre Uhrmacherlehre beginnen. Ein für die Frauen im Uhrmachergewerbe bahnbrechender Schritt, wie das Wiener Tagblatt urteilte.

Die 15jährige begann ihre Lehre unter den vorurteilsbehafteten Blicken der Genossenschaft, ihrer Lehrlingskollegen und des Direktors der Uhrmacherschule in Karlstein. Trotz dieser schwierigen Bedingungen schaffte sie es, sich durchzusetzen und zu überzeugen. 1902 wurde sie freigesprochen und der Vorsteher der Genossenschaft, Wilhelm Bauer räumte ein, „dass er mit seiner ursprünglichen Weigerung im Unrecht gewesen“ sei. Der Schulinspektor lobte die ausgezeichneten Leistungen und das gute Zeugnis. Nationale und internationale Zeitungen berichteten.

Ein Happy End könnte man meinen. Aber trotz dieses Erfolges blieb die Genossenschaft bei ihrer Haltung und veröffentlichte im Neuen Wiener Tagblatt einen Artikel „Gegen die weiblichen Uhrmachergehilfen“ und bekräftigte, dass die Genossenschaft weiter auf ihren Standpunkt beharren werde, Frauen vom Uhrmachergewerbe fernzuhalten.

Beharrlich war aber auch Gisela. Nach zwei weiteren Jahren erhielt sie ihr Meisterrecht. 1906 konnte sie im Zentralblatt des Bundes österreichischer Frauenvereine stolz festhalten, dass sie sich „noch heute des Rufes der ersten und einzigen Uhrmacher-Meisterin in Österreich“ erfreue.

Leider wissen wir wenig über ihren weiteren Lebensweg. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Julius Schwitzer führte sie ab 1927 ein Geschäft auf der Dominikanerbastei. Die Ehe wurde allerdings 1929 geschieden und wir wissen nicht, ob sie weiterhin selbstständig tätig war. 1937 finden wir Gisela noch in der „Jüdischen Gefährdetenfürsorge“, einer Einrichtung der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, die sich um jüdische Strafgefangene kümmerte, engagiert. 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland gehörte Gisela Schwitzer (Eibuschitz) zu jenen, die es nicht schafften, das Land zu verlassen. Am 14. September 1942 wurde sie nach Maly Trostinec deportiert, wo sie sofort nach ihrer Ankunft ermordet wurde.

Literatur und Quellen:

 

Gisela Eibuschitz; Wie ich Uhrmacher-Meisterin wurde, in: Der Bund. Zentralblatt des Bundes österreichischer Frauenvereine, April 1906, 1. Jg. Nr. 5, S. 5

Gerhard Milchram, Tabea Rude; „The feminisation of the horological craft”. Gisela Eibuschitz and Kitty Herz, forgotten Jewish pioneer horologists, in: Antiquarian Horology March 2022, S. 241 – 254

N.N.; Die Verweiberung der Uhrmacherei, in: Österreichisch-Ungarische Uhrmacher-Zeitung, März 1898, 17. Jg., S. 17

N.N.; Die erste Uhrmachergehilfin. Die Frauenfrage in der Wiener Uhrmachergenossenschaft, in: Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 6. Juli 1902, S. 5

N.N.; Gegen die weiblichen Uhrmachergehilfen, in: Neues Wiener Tagblatt, 27. Juli 1902, S. 8

Österreichisch-Ungarische Uhrmacherzeitung Mai 1898,  17. Jg., Nr. 3, S. 30-31

N.N.; Ein Jubiläum. Die Jüdische Gefährdetenfürsorge, in: Die Wahrheit. Deutschösterreichische Wochenschrift für jüdische Interessen, 53 Jg., Nr. 3, 22. Jänner 1937, S. 6.

Gerhard Milchram, Studium der Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Studien- und Forschungsaufenthalte in Israel, Absolvent der internationalen Sommerakademie für Museologie der Universitäten Klagenfurt, Wien, Graz und Innsbruck, ab 1993 Kulturvermittler und wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1997–2010 Kurator im Jüdischen Museum Wien. Seit 2011 Kurator im Wien Museum.

Tabea Rude lernte das Uhrmacherhandwerk in Pforzheim und studierte dann Restaurierung für Uhren und dynamische Objekte an der University of Sussex. Seit 2017 ist sie für die Uhrensammlung zuständig. Sie ist besonders interessiert an elektrischen Uhren und Zeitdienstanlagen zwischen 1850 und 1950, publiziert hat sie zu dem Thema im britischen peer-reviewed Antiquarian Horological Journal. Sie begeistert sich außerdem für historische Kunststoffisolierung, taktische Intervallzeitmessung in Konvoys auf See im 1. und 2. Weltkrieg und Feueralarmtelegraphie.

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Kommentare

Redaktion

Sehr geehrte/r UK,
Danke für die Erwähnung von Marie von Ebner-Eschenbach, deren Erlernung des Uhrmacherhandwerkes Sie hier richtigerweise erwähnen. Sie hatte Unterricht bei dem Wiener Uhrmacher Karl Hartel genommen und ließ sich später von dem Wiener Uhrmacher Alexander Grosz beraten.
Allerdings hat sie nie eine reguläre Ausbildung genossen und hatte auch nie vor, diesen Beruf auszuüben.
Uns hat im übrigen sehr verwundert, dass von ihr keine einzige Aussage, Erwähnung oder gar Unterstützung zu Gisela Eibuschitz aufzufinden war. Vielleicht hattte sie sich dabei als Ehrenmitglied der Uhrmachergenossenschaft auch zurückgehalten.
In diesem Zusammenhang wollen wir gerne auf unsere beiden Publikationen hinweisen in denen wir uns auch ein wenig mit der Rolle von Marie Ebner-Eschenbach beschäftigen.
Zuallererst auf: Milchram / Rude, "The feminisation of the horological craft". Gisela Eibuschitz and Kitty Herz, forgotten Jewish pioneer horologists, in: Antiquarian Horology, Vol. 43, No. 2, June 2022, pp. 241-253. (Das online leider nicht zugänglich ist. Wir können Ihnen aber gerne den Text zukommen lassen) Und dann noch zu Alexander Grosz, der Ebner-Eschenbach nach dem Tod von Karl Hartel beraten hat. (In diesem Falle online zugänglich, hier der Link):
https://ahs.contentfiles.net/media/documents/Milchram_and_Rude_on_Alexander_Grosz_HR_wm6.pdf
Für den Artikel über Gisela Eibuschitz fanden wir allerdings vor allem die Geschichte Giselas wichtig, die sich in der ihr feindlichen Umgebung durchsetzen musste und anders als Ebner-Eschenbach von der Uhrmacherinnung überhaupt nicht hofiert und geschätzt wurde.
Mit freundlichen Grüßen und herzlichen Dank für Ihr Interesse und Rückmeldung zu unserem Text.
Gerhard Milchram und Tabea Rude

UK

Erstaunlich, dass Sie in Ihrem Artikel nicht Marie von Ebner-Eschenbach erwähnen, die schon 1879 in Wien eine Ausbildung als Uhrmacherin absolvierte und 1880 mit dem Roman Lotti die Uhrmacherin, in dem sie ihre eigenen Erfahrungen verarbeitete, sehr erfolgreich war. Ich kann mir vorstellen, dass Gisela Eibuschitz sich von diesem Roman hat ermutigen lassen.

Katinka

Danke für diesen sehr lesenswerten Artikel!
Herzliche Grüße
Katinka