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Ilse Helbichs Wien der Zwischenkriegszeit – Teil 3
Dienstag: Waschtag
Vom wöchentlichen Waschtag merken die Hausbewohner wenig: nur wenn sie am halbgeöffneten Fenster der unterirdischen Waschküche vorbeigehen, kreuzt ein weißgraues Dampffähnchen ihren Weg.
Als sie etwa vierzehn ist – das ist das Alter, wenn Bruder und Cousin während der Sommerferien als Zimmererlehrlinge eingesetzt werden und jeden Morgen in ihren blauen Arbeitsanzügen die hundert Meter hinüber in die Firma spazieren –, verlangt die Mutter von ihr, dass sie die Hausarbeit in Küche und Keller kennenlernt. Also beginnen ihre Sommerferien ebenfalls mit einer Art Praktikum, meist an der Seite der Mizzi.
Heute ist Dienstag und da muss sie in die Waschküche.
Schon als sie über die Stiege ist und den Vorkeller betritt, schlägt ihr Dampf und Lärm entgegen: ein Rumoren und Klatschen, ein Wasserplätschern, jedoch kein Menschenlaut, kein Husten, kein schweres Atmen, und natürlich kein Singen – aber sie hat hier auch kein fröhliches Wäschermädelgeträller erwartet.
In der Waschküche ist die Waschfrau, die Frau Riedel, schon an ihrem Geschäft. Sie deutet dem Lehrling, dass sie die Leintücher, die im Wäschebottich eingeweicht sind, auswringen und hinüber in den Waschtrog befördern solle.
Das ist harte Arbeit, ein nasses Leintuch ist schwer und ungefüge in den Händen, aber sie schafft es. Das Leintuch darf ja noch triefen, das macht es bei der Frau Riedel auch.
Aus dem holzbefeuerten kupfernen Waschkessel wird jetzt heißes Wasser in den Trog geschüttet, dann kommen die Reibbürsten zum Einsatz: Breite für Breite des Leintuches wird im Trog aufgelegt und mit Bürste und Schichtseife mit aller Kraft bearbeitet.
Wenn sie dazwischen aufschaut, ist gegenüber das nasse Gesicht der Frau Riedel ganz nah, einige Strähnen sind ihr aus dem dünnen Haarknoten geglitten, ihr Gesicht ist ganz weiß und wie aufgedunsen, das kommt wohl von dem vielen Wasser, mit dem sie an jedem Wochentag zu tun hat.
Leintuch um Leintuch, Kopfpolster, Fensterpolster, Handtücher, Hemden, Leibwäsche.
Sie hat nicht gewusst, dass sie so viele Leintücher und Überzüge verbrauchen – vielleicht hat die Mutter auch das gemeint, als sie gestern Abend sagte: »Da unten in der Waschküche kannst du viel lernen.«
Sie ist froh, als die Mizzi kommt und der Frau Riedel ihre Jause bringt: dicke Wurstbrote und Milchkaffee in dem für die Frau Riedel bestimmten blitzblauen Häferl, das seinen angestammten Platz in der Küchenkredenz ganz oben links hat.
Während die Frau Riedel schnell und stumm isst, steigt der Lehrling zum Atmen hinauf in den Garten und wundert sich, dass der sich auch heute so ruhig ausbreitet wie sonst.
Rasch pflückt sie sich ein paar reife Ribisel vom Strauch und steigt zögernd wieder hinunter in die Waschküche.
Jetzt kommt die Arbeit, die sie bald zu fürchten lernt: aus der im Kessel kochenden Lauge werden am langen Wäschestab die einzelnen Stücke gefischt und mit weit vorgestreckten Armen die zwei Schritte hinüber zum Waschtrog getragen.
Es ist gar nicht leicht, die im Kessel ineinander verschlungenen Stücke auseinanderzutreiben. Wenn das dampfende Stück glücklich drüben im Trog gelandet ist, fängt die Mühe wieder an, denn da hinein hat die Frau Riedel zwar kaltes Wasser geschüttet, das sich jedoch schnell durch die aus der Kochlauge gefischten Stücke erwärmt, und wenn jetzt die Wäscherumpel zum Einsatz kommt und jedes Stück sorgfältig und Stelle für Stelle durchgerumpelt wird, muss man sehr Acht geben, um sich nicht die Hände zu verbrühen, ehe dann endlich das so bearbeitete Stück im ersten Schwemmbottich landen darf.
Die Frau Riedel scheint gegen die Hitze unempfindlich zu sein. Der Lehrling sieht nie, dass sie ihre Hände hastig zurückzieht, sie lässt auch Dampf oder Schweiß oder beides einfach übers Gesicht rinnen, während der Lehrling sich immer wieder mit dem Ärmel über Stirn und Wangen wischen muss.
Das Wäscheschwemmen ist dann eine Erleichterung, zweimal in warmem und dann noch einmal in kaltem Wasser, und als sie meint, dass jetzt die Arbeit vorbei ist, stehen da noch zwei kleinere Schaffe, eines mit Stärke, denn die Herrenhemden werden gestärkt, damit sie beim Bügeln spiegelglatt werden und die Façon halten, und im anderen Schaff ist Wäscheblau, das gibt den Kleidungsstücken einen bläulichen Stich, sodass sie, wenn sie endlich trocknen dürfen, im wörtlichen Sinne leuchtend weiß wirken.
Das Auswringen der Leintücher danach ist wieder eine unerwartet harte Arbeit, alles Wasser muss jetzt heraus, aber da hilft ihr Frau Riedel, und während sie das Leintuch nur auf ihrer Seite festhalten muss, dreht die am anderen Ende den triefnassen Stoff zu immer engeren Wirbeln ein, das Wasser rinnt nur so weg und klatscht auf den nassen Steinboden, jetzt sagt die Frau Riedel: »So geht es leichter als allein«, und dann endlich tragen sie die weidengeflochtenen Wäschekörbe hinauf und stellen die im Geräteschuppen wartenden Pflöcke in ihre Löcher und spannen den Strick über die Wiese und hängen die Stücke an Holzkluppen auf, die Leintücher hängen noch lange nass und schwer über dem Gras. Zum Glück ist es jetzt Mittag und sie darf gehen.
Nachmittags flattern die trockenen Hemden und Tuchentüberzüge schon im Wind und sind wirklich sehr weiß, und die Mizzi geht jetzt und nimmt Stück für Stück ab und legt sie schön zusammengefaltet in den Wäschekorb. Morgen wird das Mädchen bügeln lernen.
Der Text stammt aus dem Buch „Vineta“ von Ilse Helbich, das 2013 im Literaturverlag Droschl erschienen ist. Wir danken der Autorin und dem Verlag für die Publikationsgenehmigung. Zwei weitere Texte daraus sind bereits erschienen: Eislaufplatz und Gassenbuben.
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Kommentare
Ich bin 1947 geboren und habe diese Art von Waschtag noch selber aktiv miterlebt. Wahrlich anstrengend !
Ich kann Herrn Josef57 nur beipflichten; wie körperlich anstrengend und auch zeitintensiv es war, allein die Wäsche in Ordnung zu halten, können sich heute viele Jüngere absolut nicht vorstellen.
Mein Bruder hat für meine Mutter (Jg. 1928) eine riesige Zange aus Holz gebaut, um eben das Herausfischen der heißen Wäschestücke aus dem Bottich zu erleichtern. Ich selber (jetzt 60) bin als kleines Mädchen mit der Mutter zur "Rolle" (Kaltmangel) gegangen, ca. 10 min Fußweg mit den Körben voll getrockneter Wäsche, und ich erinnere mich, dass es mir unheimlich war, ich vor dem lauten Geräusch der Walzen Angst hatte und mich davor graulte, diese Tätigkeit später mal selber machen zu müssen.
Der Beitrag - interessant wie fast alle Beiträge in den Magazinen - hat mich daran erinnert, wie meine Mutter (Jahrgang 1910) Wäsche gewaschen hat. Die Waschküche lag neben dem Dachboden, Trog, Rumpel und Waschblau sind mir noch gut erinnerlich. Dann wurde die Wäschestücke auf dem Dachboten, auf dem lange Leinen gespannt waren, mit Kluppen aufgehängt. Ich durfte (musste) assistieren. Mich faszinierte allerdings der weite Ausblick von den Dachbodenluken. - Im nahe gelegenen Haus, in dem meine Großmutter wohnte, war die Waschküche im Untergeschoss und konnte durch einen kleinen Hof erreicht werden. Jugenderinnerungen!
Vielen Dank für diesen Beitrag!
Viele Personen haben diese Tätigkeiten - unter schwierigen Bedingungen schon vergessen - oder noch nie gehört!
Meine Mutter (geb: 1919) war auch dabei.
Vielen Dank an diese Generation!