
Augustin-Verkäufer Jones, Foto: Didi Sattmann, 2005
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Mehr als eine Zeitung. 30 Jahren Augustin
Von Beziehungsarbeit und Bodenhaftung
Ihr seid beim Augustin normalerweise für Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit zuständig – und jetzt plötzlich in die Rolle von Kurator:innen geschlüpft. Mit welchen Erwartungen seid ihr an das Ausstellungsmachen herangegangen?
Für mich ist das wie ein Dejavu. Ich habe schon oft beim Augustin Dinge gemacht, die ich davor noch nie gemacht habe – und diesmal ist es eben, eine Ausstellung zu kuratieren. Ich habe mich auf dieses Abenteuer eingelassen, ich bin bei so etwas nicht ängstlich, sondern schmeiß‘ mich rein! Zum Glück habe ich aber mit Oke und Henrie zwei Kurator:innen an meiner Seite, die schon mehr Erfahrung mitgebracht haben.
Neues zu machen, gehört bei Vereinsarbeit einfach immer dazu. Wir sind alle zusätzlich in verschiedenen Arbeitsgruppen organisiert und in Projekten tätig, die außerhalb des eigenen Bereichs liegen. Ich habe schon vor meiner Zeit beim Augustin Ausstellungen gestaltet, wusste also worauf ich mich einlasse. Allerdings habe ich noch nie mit so einer großen Institution wie dem Wien Museum zusammengearbeitet, wo es viele Strukturen zu berücksichtigen gibt. Außerdem waren meine früheren Ausstellungen stärker künstlerisch orientiert.
Wie würdest du die Ausstellung „Mehr als eine Zeitung. 30 Jahre Augustin“ beschreiben, wenn sie „weniger künstlerisch“ ist?
Es gibt schon künstlerischer Elemente, wie die Soundinstallation von Lens Kühleitner. Aber insgesamt ist die Ausstellung eher historisch und dokumentarisch angelegt. Wir haben viel Archiv-Recherche betrieben und versucht, die Geschichte des Vereins und der Verkäufer:innen für Außenstehende aufzubereiten.

Wie hat es sich angefühlt in die Tiefen des Augustin-Archivs vorzudringen?
Ja, das war tatsächlich eine spannende Sache. Ich bin seit 1999 dabei und habe vieles selbst miterlebt. Die Archivarbeit war in gewisser Weise eine Reise durch Erinnerungen. Phasenweise war das natürlich auch sehr traurig, weil viele Verkäufer:innen schon verstorben sind. Aber ich bin am Ende zu dem Schluss gekommen, dass wir 30 Jahre lang etwas verdammt Cooles gemacht haben. Die letzten Jahre haben sich bei uns im Team vor allem um finanzielle Diskussionen gedreht. Es hat gutgetan, jetzt den Fokus wieder in eine andere Richtung zu lenken und zu sehen, was wir schon alles geschafft haben und worauf wir stolz sein können.
Ich bin noch nicht so lange beim Augustin, erst seit eineinhalb Jahren. Für mich war es deshalb total interessant, durch die Recherche den Verein in der Tiefe kennenzulernen. Dabei habe ich auch gemerkt, dass heute vieles anders läuft, einige Sachen sind verloren gegangen. Der Aktivismus direkt auf der Straße hat früher radikaler gewirkt. Andererseits waren Arbeitsstrukturen weniger klar als sie es heute sind. Überrascht hat mich außerdem, dass schon früh ein Bewusstsein für Themen da war, die bis heute relevant sind. In der Zeitung wurden feministische, queere Themen aufgegriffen, als sie noch weit weg vom Mainstream waren. Genauso war Antirassismus-Arbeit von Anfang an da, zum Beispiel durch den Fußballclub „Schwarz-Weiß Augustin“.
Sind es diese Erkenntnisse, die ihr in der Ausstellung transportieren wollt?
Nicht nur. Einerseits wollen wir die Vereinsgeschichte mit all dem Aktivismus und der Sozialarbeit zeigen. Aber ich sage immer, den wichtigsten Part machen die Verkäufer:innen aus. Der Augustin ist keine normale Zeitung, sondern ein großes Ganzes, zu dem jede einzelne Verkäuferin und jeder einzelne Verkäufer dazuzählen.
Viele Menschen in Wien sehen „ihre“ Augustin-Verkäufer:innen jeden Tag. In der Ausstellung soll ein Raum sein, in dem sich die Verkäufer:innen nicht nur in dieser Situation, sondern in ihrer Vielschichtigkeit zeigen und ihre Perspektiven teilen können.

Foto: Mario Lang, Augustin, 2007

Foto: Mario Lang, Augustin, 2015
Die Ausstellung findet in der Community Gallery des Wien Museums statt. In eurem Fall besteht die Community aus einem Verein und über 500 ganz unterschiedlichen Personen, die das Kriterium teilen, den Augustin zu verkaufen. Wie habt ihr versucht, all diese Menschen in die Ausstellung einzubinden?
Das ist uns tatsächlich gut gelungen, weil die Verkäufer:innen wirklich Vertrauen in den Augustin haben. Unsere Sozialarbeiter:innen machen tagtäglich viel Beziehungsarbeit im Vertriebsbüro. Wenn wir dann sagen, „Hey, wir finden das gut und wollen das gern machen“, kommt ganz schnell ein „Ja“ und sie sind schon an Board.
Trotzdem muss man auch sagen, dass wir die Verkäufer:innen nicht so stark einbeziehen konnten, wie wir es idealerweise gewollt hätten. Sie kommen in Videos vor, Objekte aus ihrem Verkaufsalltag werden ausgestellt, und sie führen mit uns gemeinsam Gruppen durch die Ausstellung. Aber damit sie auch am Kuratieren teilhaben könnten, hätten wir viel mehr Zeit und Ressourcen gebraucht. Für viele wäre es zeitlich auch gar nicht möglich, sie verkaufen zum Beispiel den ganzen Tag und können sich diese Zeit für Projektarbeit – selbst wenn sie bezahlt wird – nicht herausnehmen. Bei vielen geht es um das Überleben. Wir dagegen sind durch unsere Anstellung im Verein in der privilegierten Situation, Zeit zu haben, um über Ausstellungskonzepte nachdenken zu können. Ich glaube, unsere Aufgabe als Kurator:innen war es, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Verkäufer:innen ihre eigenen Inhalte zeigen können.
Man muss auch berücksichtigen, dass Augustin-Verkäufer:innen in den meisten Fällen eine andere Tagesstruktur haben als wir im Büro. Da gibt es keine Geschäftszeiten und mit uns vereinbarte Termine wahrzunehmen, ist nicht so wichtig, wenn sich zum Beispiel zum selben Zeitpunkt ein gutes Fenster zum Verkaufen auftut.

Stills aus den Videoporträts in der Ausstellung: Susi Gollner, Augustin-Verkäuferin seit fast 30 Jahren, Video: Fedor Shmelkin

Perpetua Chdimma Ifem, Augustin-Verkäuferin und Influencerin, Video: Fedor Shmelkin

Viano Apogo, Augustin-Verkäufer U-Bahn-Station Volkstheater, Video: Fedor Shmelkin

Jasmina, Augustin-Verkäuferin seit 2016, Video: Fedor Shmelkin
Zum Abschluss, was hat euch selbst zum Augustin gebracht bzw. dort gehalten?
Ich bin über unsere Kollegin Henrie zum Augustin gekommen. Wir haben in anderen Projekten zusammengearbeitet und sie hat mich auf die offene Stelle im Fundraising aufmerksam gemacht. Geblieben bin ich, weil ich hier Berührungspunkte zu so vielen unterschiedlichen Menschen habe, weil ich über die Redaktion und Sozialarbeit mit wichtigen Themen konfrontiert bin, und weil wir hier immer neue Sachen ausprobieren. Aber der Job kommt auch mit viel Verantwortung.
Das Lustige ist, dass ich schon 1996, als der Augustin noch ziemlich neu war, begonnen habe die Zeitung zu kaufen. Ich habe das Projekt bereits damals faszinierend gefunden. 1999 hat dann der Augustin seine Leser:innen eingeladen, die Covers zu beurteilen. Ich war bei dieser Veranstaltung und hatte sehr viel zu sagen und Robert Sommer hat sich meine Nummer notiert. Ein paar Monate später hat er mich angerufen und gefragt, ob ich die neue Eventbeilage – in der Folge „Strawanzerin“genannt – gestalten möchte. Ich habe das neben zwei anderen Grafikjobs gemacht. Als ich dann meine Kinder bekommen habe, musste ich mich entscheiden. Für mich war schnell klar, dass ich beim Augustin bleibe. Ich wollte nicht weiter Werbegrafik für große Konzerne machen. Letztendlich bin ich so lange geblieben, weil mich der Augustin am Boden hält. Auch wenn mich privat etwas beschäftigt, wird das immer schnell in Relation gesetzt. Ja, durch die Verkäufer:innen habe ich immer ein Gefühl der Bodenhaftung.


Die Ausstellung „Mehr als eine Zeitung. 30 Jahre Augustin“ ist vom 18. September bis zum 23. November 2025 in der Community Gallery im Wien Museum zu sehen. Der Eintritt ist frei.
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