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Michaela Lindinger und Andrea Ruscher, 12.4.2023

Michaela Lindinger über Marie Antoinette

Eine Zahnspange für die Königin

In ihrer neuen Biografie über Marie Antoinette beschreibt Michaela Lindinger, Kuratorin im Wien Museum, die ikonische Habsburgerin aus überraschenden Blickwinkeln. Im Interview erklärt sie, welche Unterschiede es zwischen den Höfen in Wien und Versailles gab, warum Marie Antoinette in französischen Adelskreisen aneckte und wer den schlechten Ruf der „Ausländerin“ befeuerte. 

Andrea Ruscher

Du steigst in Marie Antoinettes Biographie mit einem Kapitel zu Zahngesundheit und Lächeln ein. Warum hast du das herausgegriffen?

Michaela Lindinger

Weil das sonst nirgends vorkommt. Mich hat die Frage schon lange interessiert, warum Marie Antoinette eine Zahnregulierung gehabt hat. In Wien, in Österreich oder im habsburgischen Raum war das völlig unüblich. Für eine Erklärung muss man ins Paris des 18. Jahrhunderts schauen: Die ganze Stadt war voller Zahnärzte. Da sind Ersatzzähne eingeschraubt worden, Zahnregulierungen und die erste Kieferorthopädie sind aufgekommen. Und wenn man sich fragt, warum sich plötzlich so viele Leute die Zähne machen lassen wollten, stößt man wiederum auf das große Lesepublikum der Zeit: Es hat noch nie zuvor so viele Leute gegeben, die Lesen und Schreiben konnten. Die ersten Bestseller, wie „Julie oder Die neue Heloise“, oder „Pamela“ oder „Clarissa“ – die haben alle so merkwürdige Namen – haben das 18. Jh. dominiert. Teilweise waren sie derart vergriffen, dass sie nur stundenweise verliehen wurden. Teenager haben sich in Gruppen getroffen, draußen im Grünen, und haben die Geschichten nachgespielt. Emotionen und das Lächeln sind da im Mittelpunkt gestanden. Lächeln war „in“ im Paris des 18. Jahrhunderts. Rousseau hat geschrieben, Lächeln, Vernunft und Sentimentalität – das ist der Inbegriff der Aufklärung. Und dafür ist Marie Antoinette zum Rolemodel geworden, genau das war ihre Welt.

Andrea Ruscher

Wie hat der französische Trend des Lächelns Marie Antoinette in Wien erreicht?

Michaela Lindinger

Ihre Mutter Maria Theresia hat versucht, ihre Tochter so französisch wie möglich zu erziehen, um sie gut auf das Leben am Hof in Versailles vorzubereiten. Weil Maria Theresia den französischen Trend des schönen Lächelns gekannt hat, hat sie einen Zahnarzt aus Paris nach Wien geholt, damit die junge Marie Antoinette eine Zahnregulierung bekommt. Was Mutter und Tochter aber beide nicht gewusst haben: In Paris war Lächeln modern und gern gesehen, aber in Versailles war es komplett „out of place“. Marie Antoinette hat generell ein individualistisches geistiges Leben geführt, das für Paris gepasst hätte, aber nicht für Versailles – und das war ein Grundproblem.

Andrea Ruscher

In Maire Antoinettes Jugend am Wiener Hof ist ihre Lernschwäche auffällig. Wie wichtig war eine gute Ausbildung für eine zukünftige Königin?

Michaela Lindinger

Gut gebildet zu sein war nicht wichtig als Königin. Da war nur wichtig, dass man zu ganz bestimmten Zeiten erscheint, aber auch das hat Marie Antoinette nicht gemacht. Sie war für heutige Begriffe definitiv schlecht gebildet. Mit 14 Jahren konnte sie nicht gut lesen und schreiben. Ich würde sie auch als faul bezeichnen, sie hat sich einfach für andere Dinge als klassische Bildung interessiert. Sie ist in Wien lieber zu Musik- oder Tanzstunden gegangen. Später hat sie genau das auch in Versailles gepflogen: das Theater, die Oper, aber nicht die französische Oper, sondern eher die neue deutsche Oper mit einer moralischen Handlung. Sie war auch hier wieder ganz modern und hat ihr Interesse aus Wien mitgebracht. Einer der bedeutendsten Opernkomponisten der Zeit, Christoph Willibald Gluck, ist ihr Musiklehrer in Wien gewesen.

Andrea Ruscher

Maria Theresia war jedenfalls nicht zufrieden mit der Leistung ihrer Tochter in Sachen Bildung. Wie kann man das Mutter-Tochter-Verhältnis der beiden insgesamt charakterisieren?

Michaela Lindinger

Streng! Maria Theresia war eine Mutter und Regentin, die alles unter Kontrolle haben wollte und definitiv auch sehr viel unter Kontrolle hatte. Sie hat nicht so viele Kinder gehabt, weil sie kinderlieb war, sondern weil sie das Habsburgerreich immer weiter ausdehnen und ihre Kinder überall in Machtpositionen verteilen wollte. Außerdem hat sie gewusst, dass sicher viele von ihren Kindern sterben werden. Die Mediziner haben damals riesige Fortschritte gemacht, aber sie konnten nicht alles heilen und die Kindersterblichkeit war einfach sehr hoch. Das hat Maria Theresia getroffen und es hat auch Marie Antoinette getroffen.

Andrea Ruscher

Du schreibst die Töchter des Wiener Hofes waren „Opfer der Politik“. Was ist damit gemeint?

Michaela Lindinger

Maria Theresia hat das selbst so gesagt. Als zum Beispiel eine Tochter gestorben ist, die ursprünglich als Ehegattin in Neapel vorgesehen war, hat Maria Theresia schon eine Woche später die nächste Tochter als deren Ersatz präsentiert. Opfer der Politik waren die Mädchen auch deswegen, weil sie überhaupt nicht bestimmen konnten, wen sie heiraten oder wohin sie heiraten. Bis auf eine. Das war Maria Theresias Lieblingstochter, Marie Christine, sie konnte über ihr Leben einigermaßen frei verfügen und einen Mann heiraten, dem sie sich zugetan fühlte. Alle anderen waren von Anfang an für bestimmte geographische Gebiete vorgesehen. Dort wurden sie dann hin platziert. Wie gut oder schlecht es ihnen dort gegangen ist, war Maria Theresia völlig egal.

Andrea Ruscher

Marie Antoinette kommt somit nach Versailles. Wie kann man den Unterschied zwischen dem Leben in Wien und in Versailles beschreiben?

Michaela Lindinger

Es war eine andere Welt. Der Wiener Hof ist vom aufgeklärten Absolutismus geprägt gewesen: Das sieht man jetzt vielleicht nicht an Maria Theresia selbst, aber an ihren Beratern. Sie hat Berater an ihren Hof geholt, von denen sie gewusst hat, dass sie nicht ihre eigenen, rückwärtsgewandten Werte vertreten. Viele ihrer Berater waren sogar in freimaurerischen Kreisen aktiv und das war sicher nichts, was sie persönlich unterstützt hätte. Aber sie hat sie trotzdem engagiert, weil sie gewusst hat, dass es notwendig ist, um auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Entwicklung zu sein. So etwas wäre in Versailles unmöglich gewesen. Das ganze französische System war an der Vergangenheit orientiert. Ludwig XIV. und sein Regime sind unter Ludwig XV. und auch unter Marie Antoinettes Ehemann, Ludwig XVI., einfach kritiklos fortgesetzt worden. Marie Antoinette – ein Kind, das in dem relativ aufgeklärten Wien aufgewachsen ist – hat diese Welt überhaupt nicht verstanden. Genauso wenig haben die Leute in Versailles verstanden, wie sie agiert: Dass hier ein Mädel kommt, das immer lacht, das jedem die Hand schüttelt, egal welchen gesellschaftlichen Rang die Person hat. Dass später Friseure, Designer, lauter bürgerliche Leute teilweise mit schlechtem Ruf ein- und ausgegangen sind, ohne jegliche Vorbehalte, dass es keine Adeligen sind – all das hat nur für Kopfschütteln gesorgt.

Andrea Ruscher

Im Alter von 18 Jahren bestieg Marie Antoinette den Königsthron neben ihrem Gatten Ludwig XVI. – wie füllte sie die Rolle als Königin aus, konnte sie die politischen Beziehungen zwischen Österreich und Frankreich beeinflussen?

Michaela Lindinger

Am Anfang lebt sie vor allem als Partygirl mit ihrer Jugendclique, die sie um sich versammelt hat. Dass sie politisch eingegriffen hat, war erst viel später, nämlich in der Revolutionszeit, als der König selbst unter Alkoholismus und Depressionen gelitten hat. Um 1790-92 ist sie zu Versammlungen erschienen und hat die Ansichten des Königs vertreten. Das Königspaar war damals schon eingesperrt, ist aber pro forma um seine Einschätzungen gebeten worden. Hin und wieder hat Marie Antoinette auch früher versucht sich einzubringen, weil sie von Maria Theresia per Brief darum ersucht worden ist. Pflichtschuldig hat sie den Standpunkt der Mutter vertreten und sich bemüht, österreichfreundliche Minister einzusetzen. Sie hat aber bald verstanden, dass sie als Ausländerin in einem fremden Land keinen Erfolg damit haben kann. 

Andrea Ruscher

Wie wurde sie schließlich zur Staatsfeindin Nummer Eins in der Französischen Revolution?

Michaela Lindinger

Der Grund war nicht so sehr ihre Rolle als Königin, sondern ihre Rolle als Frau. Ihr ganzes Auftreten war von dem einer Königin weit entfernt. Das war das erste Mal in der Geschichte Frankreichs, dass eine Königin sich überhaupt bemerkbar gemacht hat und gesehen worden ist. Ihre Vorgängerin Maria Leszczynská ist vielleicht einmal im Jahr bei irgendeiner religiösen Zeremonie aufgetreten, kein Mensch hat jemals über die Königin gesprochen. Und jetzt hat plötzlich die ganze Welt über die französische Königin gesprochen. Das hat im Endeffekt dazu geführt, dass Marie Antoinette in der Revolution als „Erzhure“, als „Wölfin“, als „Erztigerin“ beschimpft worden ist. Wäre sie im Hintergrund geblieben, wie frühere Königinnen, wäre sie der Festnahme in der Revolution wohl auch nicht entgangen, aber es hätte diesen Schauprozess und die Hinrichtung wahrscheinlich nicht gegeben.

Andrea Ruscher

Welche Rolle spielte die Presse in ihrem Niedergang?

Michaela Lindinger

Die abschätzige Art, wie Marie Antoinette dargestellt wird, geht nicht zuerst auf die Revolutionspresse zurück, sondern auf ihre eigene, allernächste Umgebung: Ihre angeheirateten, französischen Großtanten haben sie von Anfang an stark kritisiert, weil sie grundsätzlich gegen die Präsenz einer Habsburgerin am Hof gewesen sind. Sie haben sie als l’Autrichienne bezeichnet, was auf Französisch „die Österreicherin“, aber auch die „andere Hündin“ heißen kann. Es waren also zuallererst die Hochadeligen, die ihren Ruf geschädigt haben, zum einen weil sie eben aus Wien war und zum anderen weil sie sich geriert hat als freiheitsliebende, aufgeklärte Frau. Das hat nicht in das System Versailles gepasst. Dieses Bild der widerständigen Frau hat die revolutionäre Massenpresse in der Folge übernommen und Marie Antoinette ist angeprangert worden, ihren Mann aus den Angeln zu heben und die Monarchie abzuschaffen.

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Andrea Ruscher

Marie Antoinette wird bis heute als Modekönigin bezeichnet. Warum wurde ihr auch das zum Verhängnis?

Michaela Lindinger

Dass Marie Antoinette sich so sehr mit Mode identifiziert hat, ist auf große Kritik im Hochadel gestoßen. Sie sollte nicht irgendwelche modischen Kleider tragen, sondern einfach Kleider, die ihren Status als Königin bzw. Dauphine unterstreichen. Das hat Marie Antoinette aber vollkommen abgelehnt. Gleich zu Beginn ihrer Zeit am französischen Hof hat sie zum Beispiel das grand corps, ein ganz spezielles Korsett der französischen Prinzessinnen, abgelehnt und damit für Entsetzen gesorgt. Auch Maria Theresia hat immer wieder an Marie Antoinette geschrieben, bitte schick mir doch ein Bild von dir, aber nicht in diesen modischen Gewändern, sondern als Königin. Marie Antoinette hat aber genau das gehasst und Élisabeth Vigée-Lebrun als ihre Porträtistin ausgewählt. Das war eine total widerständige Self-Made-Frau, über die man sich in Paris das Maul zerrissen hat. Marie Antoinette war das alles egal, sie hat Frauen um sich versammelt, die ähnlich gedacht haben wie sie.

Andrea Ruscher

Zum Abschluss muss ich noch die berühmteste Anekdote auf den Prüfstand stellen. Was ist dran an Marie Antoinettes angeblicher Aussage: Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen?

Michaela Lindinger

Also sie hat es definitiv nicht gesagt. Es stimmt, dass es eine Habsburgerin gesagt hat, es war Maria Teresa, eine Infantin aus der spanischen Linie. Sie war die Frau von Ludwig XIV. und eine relativ weltfremde Person. Rousseau schreibt von einer großen Prinzessin, die gesagt habe, wenn das Volk kein Brot habe, dann solle es doch Brioche essen. Als er das geschrieben hat, war Marie Antoinette noch ein Kind in Wien, er muss sich also auf Maria Teresa bezogen haben. Aber die Anekdote fügt sich eben gut in die Legendenbildung um Marie Antoinette und hat sich festgesetzt. Genau dem will ich in meinem Buch entgegenwirken. 

Michaela Lindingers neues Buch ist die einzige aktuelle deutschsprachige Biografie über Marie Antoinette. Sie ist im Molden Verlag anlässlich des 230. Jahrestags der Hinrichtung Marie Antoinettes erschienen. 

Michaela Lindinger, Kuratorin, Autorin. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Ägyptologie und Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien. Seit 1995 kuratorische Assistentin, seit 2004 Kuratorin im Wien Museum. Ausstellungen und Publikationen zu biografischen und gesellschaftlichen Themen, Frauen- und Gender-Geschichte, Porträts, Wien-Geschichte, Tod und Memoria, Mode.
 

Andrea Ruscher ist Teil der Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum. Sie studierte Globalgeschichte und war zuvor am Österreichischen Kulturforum Kairo und in der C3-Bibliothek für Entwicklungspolitik tätig. 

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Kommentare

Brigitte Kraft

Danke für dieses das Klischee so aufbrechende und hochinformative Interview! Das Buch sollte in jedem guten Geschichtsunterricht verwendet werden.