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Bernhard Hachleitner, Alfred Pfoser, Katharina Prager, Werner Michael Schwarz, 22.6.2023

Österreich in den Jahren 1933–1934

Die Zerstörung der Demokratie

Im März 1933 wurde von der Regierung Dollfuß das Österreichische Parlament ausgeschaltet. Bis zum Februar 1934 erfolgte Schritt für Schritt die Demontage der demokratischen Institutionen, die Verweigerung von Grund- und Freiheitsrechten, der Abbau des Sozialstaates und die Aushebelung des Roten Wien. Ein Rückblick anlässlich der Ausstellung „Die Zerstörung der Demokratie“ in der Wienbibliothek im Rathaus.

In ihrer klassischen Studie zum Austrofaschismus haben die Politikwissenschaftler Emmerich Tálos und Walter Manoschek zwei Phasen in dessen „Konstituierungsprozess“ unterschieden. Eine „Latenzphase“, die sie von 1932 bis März 1933 ansetzen, und eine darauf folgende „Übergangsphase“ von März 1933 bis zum Inkraftsetzen der Verfassung des „christlichen, deutschen Bundesstaates auf ständischer Grundlage“ im Mai 1934. In der „Latenzphase“ spitzt sich mit der ökonomischen auch die politische Krise in Österreich zu, und mit ihr wächst die Bereitschaft der Regierung, einer Koalition aus christlichsozialer Partei, Heimatblock und Landbund, ohne Parlament zu regieren, dieses „auszuschalten“. Kurt Schuschnigg wird mit diesen Überlegungen und unter Verwendung dieses Begriffs bereits im Juni 1932 in den Ministerratsprotokollen zitiert.

Anfang Oktober dieses Jahres testete die Regierung mit dem Einsatz des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes an einer eigentlich wenig brisanten Angelegenheit die Reaktionen der Opposition auf diktatorische Maßnahmen, insbesondere jene der Sozialdemokratischen Partei. Deren Abgeordnete reagierten alarmiert, sprachen die Intentionen der Regierung als „Verfassungsbruch“ klar an, appellierten an den Bundespräsidenten Wilhelm Miklas und forderten ihre Wählerschaft auf, „sich zur Verteidigung des demokratischen Kampfbodens der Arbeiterklasse und der gewerkschaftlichen Rechte der Arbeiterklasse bereitzuhalten“.

Explizit hielten sie ihre Reaktionen aber im Rahmen der parlamentarischen Oppositionsarbeit, gingen nicht auf die Straße oder drohten mit Streik. Noch im selben Monat gaben die Zusammenstöße von Nationalsozialisten und Sozialdemokraten beim Arbeiterheim Simmering, bei denen vier Menschen getötet und viele verletzt wurden, der Regierung den Anlass, Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Die Nationalsozialisten ließen rund um den dreitägigen ‚Gauparteitag‘, der Anfang Oktober abgehalten wurde und bei dem u. a. Hermann Göring bei einer Kundgebung auf dem Heldenplatz sprach, die politische Gewalt, insbesondere gegenüber Juden und Jüdinnen, weiter eskalieren.

Die so bezeichnete „Latenzphase“ hat für Tálos und Manoschek allerdings eine lange Vorgeschichte, die sie im engeren Sinn bis zum Justizpalastbrand und dem Polizeimassaker an den Demonstrantinnen und Demonstranten zurückführen. Der christlichsoziale Bundeskanzler Ignaz Seipel förderte die Heimwehren, auf der anderen Seite erhielt der Republikanische Schutzbund zumindest auf dem Papier Pläne für ein offensives Vorgehen. Die Heimwehren „verwarfen“ 1930 mit dem Korneuburger Eid explizit den „westlich demokratischen Parlamentarismus“ und den „Parteienstaat“, propagierten stattdessen die „Selbstverwaltung der Stände und der Wirtschaft“ und sahen darin keinen Widerspruch zu einer „starken Staatsführung“. Beinahe karikierend „anerkannten“ sie anstelle der drei Gewalten der demokratischen Verfassung den „Gottglauben“, den „eigenen harten Willen“ und das „Wort der Führer“. Dennoch verschafften sie der christlichsozialen Regierung ausgerechnet im Parlament die notwendigen Mehrheiten, und viele dieser Schlagworte, Slogans und Behauptungen finden sich bereits ab April 1933 in öffentlichen Reden von Engelbert Dollfuß.

Zu dieser Vorgeschichte zählen auch die Kulturkämpfe, die insbesondere seit Mitte der 1920er-Jahre um Geschlechterrollen, Körperkulturen, Sexualität, Familienplanung, Kunst oder schlicht nur um Geschmack geführt wurden, und in denen die katholische Kirche als Gegnerin liberaler und sozialistischer Ideale eine herausragende Rolle spielte. Käthe Leichter hat in ihrer kritischen Reflexion der sozialdemokratischen Taktik seit der Ausschaltung des Parlaments die Bedeutung dieser Kämpfe allerdings relativiert und stattdessen den „Haß“ der bürgerlichen Parteien vor allem auf die arbeits- und sozialrechtlichen Reformen der frühen Republik und des ‚Roten Wien‘ zurückgeführt: „Unsere revolutionären Worte hätten sie wenig gestört, unsere Reformen, die den Profit und den Machtbereich der Unternehmer im Betrieb eingeschränkt haben, haben ihre Nervosität geweckt.“ Die Infragestellung individueller Freiheitsrechte und pluraler Lebensstile war (und ist), wie Tamara Ehs in dem für diesen Band geführten Gespräch argumentiert, ein probates Mittel, um grundsätzlich und breit gegen Demokratie und Parlamentarismus zu mobilisieren. Die wirtschaftliche Krise wiederum bot Gelegenheit, die sozialen Reformen nicht nur abzubauen, sondern diese für sie auch verantwortlich zu machen. 1932/33 hatte das Wort „Revolutionsschutt“ in Regierungsreden und -artikeln Hochkonjunktur. Ursprünglich zugeschrieben wird dieser Begriff Ignaz Seipel, der mit diesem Schlagwort unter anderem einen Abbau des Mieterschutzes gefordert hatte.

Und schließlich zählen zu der von Tálos und Manoschek konstatierten Vorgeschichte die Wahlergebnisse, die ab 1930 der christlichsozialen Partei und ihren Koalitionspartnern schwere Niederlagen zugunsten der Nationalsozialisten einbrachten und einen baldigen Machtverlust als wahrscheinlich erscheinen ließen. Die Sozialdemokraten hielten ihre Anteile, wurden so in Relation stärker und schienen nur noch einen Schritt von einem Wahlsieg entfernt, der sie an die Regierung bringen sollte. Irritierenderweise gelang es jenen, die der Demokratie, dem Parlamentarismus und den Grund- und Freiheitsrechten kritisch bis feindlich gegenüberstanden, diese als „republikanisch“, als Ergebnisse des Untergangs des Habsburgermonarchie, zu diskreditieren und dabei die eigenen, weit in die Monarchie zurückreichenden Ursprünge zu negieren. Viele der Spitzenpolitiker quer durch alle Fraktionen waren bereits in der Monarchie im Parlament, in Landtagen oder Gemeinderäten vertreten gewesen. Es zeigt sich hier, dass es nicht um eine Rückkehr in das System der späten Monarchie ging, sondern dass auch die Rechte, wie sie 1867 im Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger formuliert wurden, sistiert werden sollten. Es ging um die Rückkehr in eine imaginierte Vergangenheit vor der Französischen Revolution, wie Dollfuß später explizit formulieren sollte und worauf sich sein Konzept des „Ständestaats“ bezog, das ökonomische und gesellschaftliche Realitäten einer modernen Industriegesellschaft ignorierte. Es ging dabei vor allem um die Konstitution einer vorgeblich homogenen österreichischen, katholischen Gemeinschaft, die breite Teile der Bevölkerung ausschloss.

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Eindrücke vom Allgemeinen Deutschen Katholikentag, der von 7. Bis 12. September 1933 in Wien stattfand; Fotos: R. Roth, Wien Museum

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Eindrücke vom Allgemeinen Deutschen Katholikentag, der von 7. Bis 12. September 1933 in Wien stattfand; Fotos: R. Roth, Wien Museum

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Eindrücke vom Allgemeinen Deutschen Katholikentag, der von 7. Bis 12. September 1933 in Wien stattfand; Fotos: R. Roth, Wien Museum

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Eindrücke vom Allgemeinen Deutschen Katholikentag, der von 7. Bis 12. September 1933 in Wien stattfand; Fotos: R. Roth, Wien Museum

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Die zweite Phase in ihrem Modell des Konstituierungsprozesses des Austrofaschismus sehen Tálos/Manoschek als „Übergangsphase“, die vom März 1933 über den Bürgerkrieg 1934 bis in den Mai dieses Jahres reicht. Auf diesem Zeitraum liegt auch der Fokus dieses Sammelbands, der anlässlich einer Ausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus erscheint. In den politischen, oft im Exil erschienenen Analysen von Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, insbesondere aus den Reihen der politischen Linken, wie Otto Bauer, Julius Deutsch,11 Otto Leichter, Ilona Duczynska, oder in Reflexionen von außen, bei Eric Rowe Gedye, Naomi Mitchison oder John Gunther, ist diese Phase von herausragender Bedeutung. Auch in Autobiografien (insbesondere von Frauen) und in literarischen Texten wird dieser Zeitraum oft als persönlich besonders einschneidend erinnert. In der jüngeren zeithistorischen Forschung trat diese erste Phase der Diktatur allerdings in den Hintergrund: weil der Fokus auf dem Bürgerkrieg 1934 lag, wie bei der einflussreichen Ausstellung „Die Kälte des Februar“, die 1984 in der Koppreiterremise in Meidling gezeigt wurde, oder das Politische hinter das Kulturelle gerückt wurde, wie in der Ausstellung „Kampf um die Stadt. Wien um 1930“, die das Wien Museum 2009/10 im Künstlerhaus zeigte, oder weil sie im Modell von Tálos/Manoschek tatsächlich einen „Übergang“ bedeutete, bevor sich der Austrofaschismus zumindest für knapp vier Jahre konstituieren konnte.

Anton Pelinka hat in seiner rezenten Auseinandersetzung mit dem Faschismus-Begriff die österreichische Diktatur zwischen 1933 und 1938 als „Faschismus, aber weniger“ oder als „Faschismus? Ja aber“ charakterisiert und die Einschränkungen mit der „Machtergreifung von oben“, mit der „programmatischen Leere“ des Regimes, das zwar auf Feindbilder (Sozialdemokratie, Liberalismus, Parlamentarismus) rekurrierte, aber keine eigene politische Theorie besaß, oder nicht zuletzt mit einer nicht vollständigen Durchsetzung des Führerprinzips argumentiert. Einflussreiche Kräfte wie die katholische Kirche unterstützten zwar die Diktatur, waren aber nicht bedingungslos ergeben und blieben ein eigenständiger Machtfaktor.

Der vorliegende Band knüpft wieder stärker an der zeitgenössischen Betroffenheit an, versucht, minutiös die einzelnen Schritte bei der Zerstörung der Demokratie ab dem März 1933 nachzuzeichnen, mit Positionen, Erfahrungen und Schicksalen von Akteuren (seltener auch Akteurinnen) und Betroffenen zu verweben und die verzweifelten Versuche der sozialdemokratischen Opposition, die Regierung von diesem Weg abzubringen, darzustellen. Die nationalsozialistische Bedrohung klar vor Augen, gingen die Zugeständnisse bis zur Selbstaufgabe, erscheinen nicht in erster Linie als „Schwäche“, wie das zeitgenössisch oft empfunden und dargestellt wurde, sondern, wie man retrospektiv mit großer Klarheit weiß, als ein Gebot der politischen Vernunft. In Summe soll so die Gewalt in Erinnerung gerufen werden, mit der politisches Handeln, persönliche Freiheitsrechte und sozialer Schutz sukzessive eingeschränkt und schließlich weitgehend außer Kraft gesetzt wurden.

Es beginnt mit der Wiedereinführung der Zensur, den Einschränkungen des Versammlungsrechts, setzt sich mit dem Verbot von Organisationen und Parteien, dem Verbot von Wahlen, der Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs, Angriffen auf den Sozialstaat und die Rechte der Arbeitnehmenden, dem Kampf gegen das ‚Rote Wien‘, der Wiedereinführung der Todesstrafe, Verhaftungen Oppositioneller fort und führte schließlich in den Februar 1934.

Die Darstellung der einzelnen Schritte der Zerstörung der Demokratie zeigt, was Demokratie ausmacht, wie die einzelnen Elemente ineinander verwoben sind und welche Warnsignale es gibt, die zeigen, dass eine Regierung einen autoritären Kurs einschlägt. Am Beginn stehen nicht Maschinengewehre und Panzer, sondern bürokratische Verordnungen, von denen manche allein harmlos erscheinen mögen, in der Summe aber fatale Wirkung haben. Der Fokus auf die einzelnen Schritte zeigt auch, dass es klar benennbare Akteure bei der Zerstörung der Demokratie gab, die aufseiten der Regierung zu finden sind: vor allem Dollfuß und Schuschnigg, Fey und Starhemberg. Sie setzten die konkreten Maßnahmen, wenngleich sie auch selbst unter Druck standen: durch prekäre Mehrheitsverhältnisse, die außenpolitische Anbindung an das faschistische Italien und den Druck aus dem nationalsozialistischen Deutschland.

Wie widersinnig es war, dem Nationalsozialismus durch die Ausschaltung des Parlaments begegnen zu wollen, wie eine zentrale Legitimationsstrategie des Regimes lautete, erkannten auch zeitgenössische Kommentare aus dem bürgerlichen Lager. Am 9. März schrieb die Neue Freie Presse, der Bundesregierung an sich freundlich gesinnt: „Wenn man das Parlament nicht gelten läßt, die Abgeordneten mehr oder minder als Belästigung von sich schiebt, muß da nicht erst recht das Hakenkreuz den politischen Gewinn einstreifen? Auf diese Weise findet ja ihre Parlamentsfeindlichkeit die beste Bestätigung. Wie sollten sie dort achten, wo die Regierung und ihre Mehrheitsparteien so wenig Respekt zeigen. […] Dreht euch nicht um, die Diktatur geht um.“ Der Bürgerkrieg war nicht der Beginn, sondern der Endpunkt der Zerstörung der Demokratie in Österreich.

 

Hinweis: Dieser Text ist ein Auszug aus der Einleitung zum Katalog „Die Zerstörung der Demokratie“, der anlässlich der gleichnamigen Ausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus erschienen ist. Die Ausstellung, die in Kooperation mit dem Wien Museum entstand, ist bis 16. Februar 2024 zu sehen. Der Katalog ist im Residenz Verlag erschienen und kostet 35 Euro.

Bernhard Hachleitner, Historiker und Kurator. Hat seine Dissertation zum Wiener Praterstadion verfasst. Zahlreiche Publikationen und Ausstellungen zu Wiener Populärkulturen, insbesondere Sport. Zuletzt: Die Wiener Austria im Nationalsozialismus. Wien/Köln/Weimar 2019 (mit Matthias Marschik/Rudolf Müllner und Johann Skocek); Victor Th. Slama: Plakate Ausstellungen Masseninszenierungen. Wien 2019 (Hg. mit Julia König).

Alfred Pfoser, Dr. phil., ist Germanist und Historiker, war stellvertretender Direktor der Wienbibliothek im Rathaus und Leiter ihrer Druckschriftensammlung. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört die Erste Republik. Jüngste Buchpublikationen: „Die erste Stunde Null" (zusammen mit Andreas Weigl), Wien 2017, „Otto Wagner Tagebuch 1915-1918" (zusammen mit Andreas Nierhaus), Wien 2019.

Katharina Prager ist Historikerin und Kulturwissenschaftlerin und leitet an der Wienbibliothek im Rathaus den Bereich Forschung und Partizipation/Wien Geschichte Wiki. Zahlreiche Projekte, Ausstellungen sowie Artikel und Bücher zu Wien 1900 (speziell zu Karl Kraus), zu Biografieforschung (mit Fokus auf Gender und Digitalisierung) sowie zu Exil und Migration. Zuletzt erschienen: (Hg. mit Simon Ganahl), Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung (2022).

Werner Michael Schwarz, Historiker, Kurator am Wien Museum. Publikationen, Ausstellungen und Lehre mit Schwerpunkt Stadt-, Medien- und Filmgeschichte. 

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