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Plakate als Zeitzeugen
Werbung für die Ewigkeit
Die Plakatsammlung der Wienbibliothek umfasst rund 450.000 Plakate, jene im Folkwang über 350.000. Da wird einem garantiert nie fad. Warum eigentlich nicht – abgesehen von der Stückzahl?
Zu allererst gefällt mir, dass das Plakat fast immer ein öffentliches Medium ist. Man*frau kann es sich zwar zuhause aufhängen, aber das ist nicht sein ursprünglicher Zweck. Es ist dazu bestimmt, allen – zum Zeitpunkt des Aushangs am Ort des Aushangs – zugänglich zu sein. Die Botschaften können von der Gesellschaft in der Öffentlichkeit gelesen werden, auch wenn nicht immer alle die Zielgruppe sind. Diese öffentliche Zugänglichkeit führt dazu, dass es ein uns allen vertrautes Medium ist. Daher haben die meisten Menschen gegenüber Plakatsammlungen und -Ausstellungen keine Schwellenangst. Ganz im Gegensatz zu Ausstellungen zeitgenössischer Kunst oder Sammlungen Alter Meister. Beim Plakat fühlen sich alle kompetent – und das finde ich schön! Das machen sich wiederum Künstler:innen zu Nutze, wenn sie das Plakat als Medium ihrer künstlerischen Praxis wählen. Doch das führt uns hier vom Thema weg.
Was fasziniert Dich noch, abgesehen von der Niederschwelligkeit?
Die Vielfältigkeit des Mediums und derer, die sich damit beschäftigen. Plakate sind Zeitzeugen. Sie „erzählen“ u.a. von (fast) verschwundenen Produkten wie Flüssigschuhsohlen oder Schnurlostelefonen, sie halten das jeweils gängige Familienbild fest, ohne dass das der eigentliche Werbeinhalt, sie zeigen Bilder von tiefverschneiten Schneelandschaften, die es bald so nicht mehr geben wird, oder legen Zeugnis ab von den üblichen Fortbewegungsmitteln, Kleidungsstilen, ganz allgemein von der Zeit, der sie entstammen.
Jetzt könnte man einwenden: Das tun Fotografien auch. Oder Kunstwerke. Oder Illustrierte.
Ja, das stimmt. Doch die Intention ist jeweils eine andere. Das Plakat hat einen Werbeauftrag zu erfüllen. Es gibt eine:n Auftraggeber:in, dem/der man*frau den Entwurf vorlegen muss und erst nach Bestätigung beginnt die Produktion. Und dann wäre da noch das Format: ein 24-Bogen-Plakat kann im wahrsten Sinn des Wortes überwältigend sein.
Kommen wir von Inhaltlichen zum technischen Aspekt von Plakaten. Der steht ja meistens gar nicht im Fokus.
Und das, obwohl die Entwicklung der Druck- und Produktionstechnik stets großen Einfluss auf die Entwicklung der Entwürfe hatte! Denken wir etwa an das Wäscheplakat. Noch Ende der 1960er Jahre konnten Spitze und Feinstrumpfhose fotografisch nicht sauber in günstigen Drucktechniken reproduziert werden, und so wurden die Plakatsujets zwar fotografiert, aber dann von Grafiker:innen malerisch umgesetzt. Die Farbwelten auf den Plakaten haben sich verändert, nicht nur der Mode folgend, sondern auch aufgrund der Entwicklung der Farbenindustrie. Große Veränderungen gab es auch bei der Abbildung von Haut am Plakat: Bis in die 1980er Jahre siehst Du jedes Haar und jede Pore, heute ist das hingegen alles retuschiert – die Fotobearbeitungsmöglichkeiten haben sich stark weiterentwickelt.
Viele Gebrauchsgrafiker:innen haben heute Kultstatus, etwa Joseph Binder oder Hermann Kosel. In anderen Fällen ist wiederum so gut wie nichts über die Gestalter:innen bekannt. Wie kommt es dazu? Ist es gut, zwischen den Highlights der Werbegrafik und der anonymen Masse zu unterscheiden?
Das möchte ich gerne mit der Architektur vergleichen: Es gibt „signierte“ Häuser, also Häuser an denen die Architekt:innen dranstehen, aber die meisten Häuser, an denen wir täglich vorbeigehen, sind anonyme Werke. Es gibt Länder, in denen es mehr verbreitet war, zu signieren – Häuser, aber auch Plakate. Sobald Dinge für den täglichen Gebrauch bestimmt sind, Teil des Alltags sind, in großen Stückzahlen produziert werden, werden sie anders rezipiert. Und dann ist es natürlich auch eine Frage der Persönlichkeit, denn es gibt Architekt:innen und Grafiker:innen, die ihren Namen zur Marke machen, und andere legen keinen Wert darauf. Ich denke, es kommt am Ende des Tages auf den einzelnen Entwurf an. Es gibt fantastische, anonyme Plakate und Entwürfe von Stargrafiker:innen, die man*frau getrost kein zweites Mal anschauen braucht.
Frauen wurden oft lange nicht genannt, dabei war die Grafik durchaus einer der künstlerisch-kreativen Bereiche, wo sie noch eher Zugang erhielten bzw. wo sie ihn früher erkämpfen konnten als anderswo…
Ja, genau. Zum einen hat das wohl mit der gerade besprochenen, allgemeinen Praxis der Namensnennung zu tun, zum anderen mit dem Phänomen, dass die Atelierleitung überwiegend bei Männern lag und die dann gerne auch mal den Entwurf der Mitabeiter:innen signiert haben. Aber auch Frauen, die signiert haben, haben ihren Namen oft so verändert (oder abgekürzt), dass er unisex klingt, wie z.B. Frizzi Weidner – solange Männer allgemein als kompetenter galten, sicher eine kluge Überlegung.
Wer ist denn sonst noch am Plakat beteiligt?
Da sind neben den Grafiker:innen zuallererst die Auftraggeber:innen, die Drucker:innen und die Plakatierer:innen. Zum Zeitpunkt des Entstehens ist jedes Plakat ein Werbemittel, egal ob es für ein Produkt, eine politische Idee oder ein Theaterstück wirbt. Dann kommen für die überdauernden Exemplare die Sammler:innen: Wer sammelt wann warum welche und wieviele Plakate? Neben Privatsammlern sind es Institutionen, also Museen, Archive, Bibliotheken und andere Gedächtnisinstitutionen, die Plakate aus unterschiedlichsten Motivationen sammeln. Etwa, um als Dokument zu dienen, so zum Beispiel als „Beweis“ für die Existenz einer fast vergessenen Band auf einem Konzertplakat. Oder aber als historische Quelle, wenn es darum geht, die politischen Programme und Botschaften von Parteien zu untersuchen. Oder eben aufgrund ihrer künstlerischen Qualität, nicht zuletzt auch als Vorbildersammlung für Studierende des Grafikdesigns.
Wer nutzt Plakatsammlungen am ehesten?
Genutzt werden die Sammlungen von Forschenden verschiedenster geistes- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen, Geschichte, Soziologie, Politik-, Musik- oder Religionswissenschaften etc., aber ebenso von Fernsehen und Presse zur Bebilderung von Beiträgen, von Leuten im künstlerisch-kreativen Bereich, die mit Reproduktionen Neues erschaffen, etwa Set-Designer:innen für Dreharbeiten und Bühnenbildner:innen zur Ausstattung.
An Auswahl mangelt es ja nicht. Ist die Größe mancher Sammlungen nicht auch ein Problem?
Eine der größten Herausforderungen bei der Arbeit mit einer Plakatsammlung größeren Umfangs liegt darin, der Sammlung konservatorisch gerecht zu werden. Eine Plakatsammlung versucht, ein ephemeres Druckerzeugnis für die Ewigkeit zu erhalten. Plakate sind (meist) auf billigstem Papier mit den günstigsten Techniken/ Farben bedruckt oder beschrieben bzw. bezeichnet. Schließlich sind sie ja ursprünglich dazu bestimmt, im Stadtraum für wenige Wochen auf ihre Botschaft aufmerksam zu machen und dann den Weg allen Irdischen zu gehen. Um eine Sammlung für die Forschung und Nutzung – auch online – zugänglich und attraktiv zu machen bzw. zu halten, muss sie erschlossen und stetig erweitert werden. Für große Plakatsammlungen – ich spreche hier von Sammlungen über 100.000 Plakaten – eine Freude und Bürde zugleich. Wie erschließt man*frau die Sammlung? Nach welchen Regelwerken? Von allem muss es Abbildungen geben! Wie erweitert man*frau die Sammlung? Durch Geschenke? Ankäufe?
Du warst 16 Jahre lang Plakat-Sammlungsleiterin in der Wienbibliothek. Im Deutschen Plakat Museum des Museum Folkwang in Essen erwartet Dich ab Jänner auch eine riesige Sammlung, allerdings mit anderem Schwerpunkt, nämlich deutsche Plakate von der Weimarer Republik über BRD und DDR bis in die Gegenwart. Worauf freust Du Dich am meisten?
Am meisten freue ich mich darauf, die Sammlung entdecken zu dürfen! Die Plakate im Original vor Ort im Depot anzuschauen – das ist ein Rausch an Formen und Farben, und je mehr man*frau gesehen hat, umso besser wird es! Dann entsteht ein Bild im Kopf und die Zusammenhänge werden sichtbar. Das ist wie wenn man eine neue Stadt erobert. Zuerst kennt man den Hauptbahnhof und ein paar U-Bahnstationen, dann streift man durch die Straßen und plötzlich verbinden sich die Punkte und eine Karte entsteht im Kopf.
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