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Ursula Storch und Peter Stuiber, 25.11.2019

Schenkung Marie-Louise von Motesiczky

Selbstporträt im Spiegel

2007 fand im Wien Museum eine Retrospektive der österreichischen Malerin Marie-Louise von Motesiczky (1906-1996) statt. Mehr als zehn Jahre danach hat der Marie-Louise von Motesiczky Charitable Trust dem Museum eine Reihe von Werken der bedeutenden Künstlerin überlassen. Ein Interview mit der Vizedirektorin des Wien Museums, Ursula Storch.

Ihr Leben umspannte ein ganzes Jahrhundert, ihr Werk spiegelt eine brüchige Welt zwischen Wien und London. Marie-Louise von Motesiczky (1906-1996) wuchs in einer wohlhabenden und kunstsinnigen jüdischen Wiener Unternehmerfamilie auf, ihre Mutter Henriette war eine geborene von Lieben – und damit auch eng verwandt mit den Familien Todesco und Gomperz. In den 1920er Jahren begann Motesiczky mit expressionistischer Malerei, nach der Vertreibung aus Österreich 1938 wuchs im Londoner Exil ihr sehr eigenständiges Werk weiter.

Peter Stuiber:

Wie kam es 2007 zur großen Motesiczky-Ausstellung im Wien Museum?

Ursula Storch:

Es gab bereits  1966 zum 60. Geburtstag in der Secession eine erste Ausstellung ihrer Werke in Österreich.  Aus diesem Anlass kaufte die Stadt Wien ein Motesiczkys Poträt von Elias Canetti an. Als sie dann 1996 im Alter von 90 Jahren starb, wurde ein Trust gegründet, der eine große Ausstellung organisiert hat, die an mehreren Orten Station machte. Neben der Tate Liverpool, dem Frankfurter Museum Giersch und der Southampton City Art Gallery wurde diese Schau im Wien Museum gezeigt, weil wir von der Malerin bereits etwas in der Sammlung hatten. Bei dieser Ausstellung gab es für alle Stationen einen Grundstock von Bildern, der jeweils schwerpunktmäßig ergänzt wurde.

PS

Wie war damals das Echo?

US

Die Ausstellung hat dazu beigetragen, dass sie deutlich bekannter wurde. Vom Trust wurden in der Folge einige Gemälde zum Verkauf angeboten, das Wien Museum hat 2010 ein Stillleben aus dem Jahr 1930 angekauft, auf dem ein Photo zur Familiengeschichte abgebildet ist. Für uns ist Motesiczky nicht nur als Malerin interessant, sondern auch aufgrund ihres Umfelds, ihrer Netzwerke, wie sie gelebt hat. In der Familie spielte Kultur ja eine immens wichtige Rolle. Hugo von Hofmannsthal war in ihre Mutter verliebt, der Bruder Karl hatte mit Heimito von Doderer zu tun, Max Beckmann war ein Freund der Familie.

PS

Und wie kam es zu der Schenkung ans Wien Museum?

US

Wir sind 2018 vom Marie-Louise von Motesiczky Charitable Trust kontaktiert worden. Um seinem Stiftungszweck gerecht zu werden, hat er einigen Museen Werke als Schenkung angeboten – neben fünf britischen und einem irischen Museum auch dem Leopold Museum und dem Wien Museum. Wir durften aus dem künstlerischen Nachlass fünf Ölgemälde, fünf Zeichnungen und ein bemaltes Kästchen mit einem Selbstporträt aussuchen. Dazu kamen dann gleichsam als Draufgabe noch zwei Malerpaletten und drei Fotos.  Dem Archiv der Tate Britain wurden übrigens 350 Dokumente aus dem Nachlass übergeben, weshalb die dortige Archive Gallery sogar in Marie-Louise von Motesiczky Gallery dauerhaft umbenannt wurde.

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PS

Nach welchen Kriterien wurden die Werke fürs Wien Museum ausgesucht?

US

Das Bild „Glashaus in der Hinterbrühl“ aus dem Jahr 1925 haben wir ausgesucht, weil in der Hinterbrühl die Sommerfrische-Residenz der Familie war, mit der Motesiczky viele Erinnerungen verbunden hat. Selbstporträts spielen in ihrem Werk eine große Rolle, daher ist es toll, dass wir nun ein Selbstporträt im Spiegel haben, das um 1976 entstanden ist. Dazu kommt ein faszinierendes Porträt ihrer Mutter, die sie ebenfalls oft abgebildet und bis zu ihrem Tod in hohem Alter zu Hause gepflegt hat. Und dann noch zwei Stillleben, wie sie für Motesiczky typisch waren, eines davon entstanden in ihrem Todesjahr 1996. Damit können wir anhand der Stillleben aus unserer Sammlung ihre künstlerische Entwicklung vom deutschen Expressionismus hin zu ihrer eigenständigen Bildsprache zeigen.

PS

Wie kam Motesiczky überhaupt zur Malerei?

US

Als sie 14 Jahre alt war, hat sie Max Beckmann kennengelernt und daraufhin beschlossen, Künstlerin zu werden. Sie hat dann vorwiegend an privaten Kunstschulen in Wien und Paris und 1927/28 an Beckmanns Städelschule studiert. An den frühen Sachen sieht man den Einfluss des deutschen Expressionismus ganz deutlich. 

PS

Motesiczky ist zeitlebens in London geblieben. Welche Rolle spielte Wien nach der Vertreibung durch die Nazis?

US

Sie ist zwar nicht mehr dauerhaft zurückgekommen, aber sie hat Wien sozusagen mit in die Emigration genommen. In ihren Bildern spiegeln sich immer wieder Erinnerungen an die Jugendzeit in Wien und in der Hinterbrühl. Im Exil hatte sie auch primär Kontakte zu anderen Emigranten wie Ernst Gombrich, Oskar Kokoschka oder Elias Canetti.  

PS

Mit Canetti verband sie ja eine äußerst schwierige Beziehung… 

US

Sie hatte mit ihm eine sehr unglückliche Liebesbeziehung über Jahrzehnte, mit immer wiederkehrenden Zurückweisungen von seiner Seite. Vor einigen Jahren ist der sehr aufschlussreiche Briefwechsel zwischen Canetti und Motesiczky erschienen. Insofern ist unser Porträt, das die Stadt 1966 angekauft hat, etwas Besonderes. Und dass wir jetzt aus dem Nachlass auch zwei zeichnerische Studien zu diesem Gemälde erhalten haben, freut uns natürlich enorm.

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Die Ausstellung„The Marie-Louise von Motesiczky Display“ ist in der Archive Gallery der Tate Britain in London noch bis 22. März 2020 zu sehen. Informationen zum Leben und Werk der Künstlerin finden sich auf der Website des Marie-Louise von Motesiczky Charitable Trust.

Ursula Storch, Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Wien, seit 1992 Kuratorin und seit 2008 stellvertretende Direktorin im Wien Museum. Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zu kunst- und kulturhistorischen Themen aus der österreichischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. 
 

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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