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Selma Burke und Hans Böhler
Harlem Inspirations
Ein Porträt in schwarz-weiß, von schräg oben aufgenommen, ein eindringlicher Blick in Richtung des Fotografen. Das ist das Zeugnis eines Aufeinandertreffens der US-amerikanischen Bildhauerin Selma Burke (1900–1995) und des Wiener Fotografen Robert Haas (1898–1997) im Jahr 1942. Die Geschichte dahinter enthüllt überraschende Aspekte des künstlerischen Austausches zwischen Wien und New York, gibt aber auch Rätsel auf. Eine Spurensuche.
Auf der Rückseite des Fotos ist mit Bleistift vermerkt: „American Sculptress / Burke (?) / 1942 / (friend of Böhler)“. Der Urheber des Fotos, Robert Haas, kam auf der Flucht vor den Nationalsozialisten 1939 nach New York. Er kannte sein Fotomodell zu dem Zeitpunkt wohl kaum und kam nur durch seinen Bekannten Hans Böhler (1884–1961) mit ihr in Kontakt. Er war schon zwei Jahre zuvor in die USA geflohen. Böhler war ein Wiener Maler und Grafiker sowie Secessionsmitglied, bekannt für seine expressionistischen Porträts: kräftige, mit Kreide gezeichnete Akte genauso wie Ölgemälde, die durch ihre intensive Farbigkeit bis heute bestechen. Viele davon stellen Jazzkonzerte oder feiernde Menschen in den Bars von Harlem dar. Zwischen 1936 und 1950 lebte Böhler in den USA und war mitten im Geschehen, er beobachtete die Szenen, die er dann auf Leinwand bannte. In einem Interview anlässlich seines 75. Geburtstages erinnerte er sich: „New Yorker Luft hat etwas ganz Eigenes. […] Ich habe viele Leute kennengelernt, und habe gute Freunde unter den Malern. Die Stadt gefällt mir sehr. Ich bin ein Großstadtmensch, wie mir scheint. Und New York ist ja par excellence die Großstadt und auch wunderschön. Vom Wasser aus diese Türme zu sehen, ist einzigartig.“
Denkt man nun an die New Yorker Kunstszene Mitte des 20. Jahrhunderts, kommen den meisten wahrscheinlich zuerst Namen wie Jackson Pollock oder Willem de Kooning in den Sinn – sie waren Vorreiter der sogenannten New York School, die ab den späten 1940er Jahren mit ihrem abstrakten Expressionismus für Aufregung sorgte. Eine Vielzahl an Künstler:innen, die während des Zweiten Weltkriegs aus Europa flohen, bewegten sich in diesem Umfeld. Das waren Vertreter:innen des Surrealismus aus Paris, des Bauhaus oder auch des russischen Konstruktivismus. Hans Böhler scheint seine Inspiration allerdings aus der Umgebung einer anderen New Yorker Avantgarde-Bewegung gezogen zu haben: Seit den 1920er Jahren war die Harlem Renaissance in vollem Gange und bestimmte noch immer das künstlerische Geschehen im nördlichen Teil der Metropole. Afroamerikanische Künstler:innen aus dem Süden der USA pilgerten geradezu nach Harlem. Literat:innen, Musiker:innen und Kunstschaffende aller Sparten entwickelten dort ihre gemeinsame künstlerische Sprache. Es ging ihnen um Selbstbestimmung, um Schwarze Identität, die sich gegen Rassismus und gesellschaftliche Unterdrückung zur Wehr setzte.
Böhlers Verbindung zur Harlem Renaissance bringt uns wiederum zur Frau am Foto zurück: Selma Burke. Sie war Bildhauerin und eine der führenden Frauen der Bewegung. Die beiden hatten sich aber nicht erst in New York kennengelernt, sondern ihre Wege kreuzten sich schon in den 1930er Jahren in Wien.
Selma Hortense Burke wurde 1900 in Mooresville, North Carolina, als siebentes von zehn Kindern geboren. Ihr Interesse an Kunst und ganz spezifisch an der Bildhauerei entstand früh. Während sie als Kind noch Käfer einfing und deren Köpfe nachformte, schuf sie später das Porträt des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, das bis heute das Zehncentstück ziert. Ganz geradlinig war ihr Weg dahin allerdings nicht.
Obwohl Kunst in ihrer Familie hoch geschätzt wurde, haben es Burkes Eltern doch als essentiell für die Absicherung ihrer Tochter angesehen, dass sie eine praktische Ausbildung absolviert. So schloss sie nach der High-School die Ausbildung zur Krankenpflegerin ab und arbeitete einige Jahre in diesem Beruf. 1935 wandte sie sich aber doch ihrer Leidenschaft für Skulpturen zu, zog nach New York und belegte dort Kunstklassen. In dieser Zeit traf sie auch den Dichter Claude McKay (1890-1948). Er war einer der frühesten Vertreter der Harlem Renaissance und machte Burke mit einer Vielzahl von Künstler:innen der Szene bekannt. Die beiden heirateten, es dürfte aber eine schwierige Beziehung gewesen sein, die bald in einer Scheidung endete. Burkes Karriere tat das keinen Abbruch, sie studierte, erhielt Stipendien und reiste schließlich nach Europa, um ihre Studien dort zu vertiefen.
Einer ihrer Stopps war Wien. Zwischen 1935 und 1937 verbrachte sie immer wieder einige Monate hier. Sie studierte den Umgang mit Keramik bei dem Wiener Werkstätte-Künstler Michael Powolny (1871–1954). Aber sie wusste sich auch abseits des Studiums gut zu unterhalten: Sie kaufte sich ein gebrauchtes Motorrad und erkundete die Gegend rund um Wien, wann immer sie Zeit dafür fand. Außerdem lernte sie bald Hans Böhler kennen – und verliebte sich in ihn. Die beiden wurden ein Paar und er nahm sie mit in die Kreise der Wiener Secession. Böhler arbeitete an seiner Malerei und porträtierte Burke mit schwarzer Kreide. Burke entwickelte ihre Bildhauerei weiter und schuf eine Büste von Böhler. Burke kreierte hauptsächlich Büsten und Torsos, ihre Skulpturen können als neoklassisch bezeichnet werden. Kritiker:innen sahen in ihrem Werk ein Verschmelzen ihrer persönlichen Erfahrung als afroamerikanische Frau mit dem Kunsthandwerk, das sie sich in den avantgardistischen Schulen der USA und Europas angeeignet hatte. Ihre Skulpturen waren reduziert und konzentrierten sich mehr darauf, Interpretationsflächen zu schaffen als den menschlichen Körper realitätsgetreu wiederzugeben.
Die Zeit in Europa endete früher als erhofft für Burke. Der Rassismus in der Wiener Öffentlichkeit wurde durch den aufsteigenden Nationalsozialismus immer größer, und Burke entschied sich 1937 in die USA zurückzukehren. Dort konnte sie ihre Karriere erfolgreich fortführen. Ein Höhepunkt war mitunter, dass ihre Büste von Franklin D. Roosevelt zur Vorlage für den Münzdruck des „dime“ wurde. Außerdem setzte sie bis zu ihrem Tod 1995 Maßstäbe in der Lehre an Kunsthochschulen und der künstlerischen Erziehung von Kindern.
Das Band zwischen Burke und Böhler war auch nach ihrer Rückkehr in die USA nicht abgerissen, denn auch Böhler war seit 1936 in den USA. Die Quellen zur Verbindung der beiden werden ab diesem Zeitpunkt aber immer dünner. In den ersten Jahren in New York war ihre Beziehung vermutlich noch romantisch geprägt und ihre Kreise überschnitten sich. In diesem Kontext trat Burke wohl auch vor die Linse des Fotografen Robert Haas. Auch er hatte vor den Nationalsozialisten fliehen müssen und war nun in New York ansässig. Vielleicht versah er sein Porträt von Burke 1942 noch mit einem Fragezeichen hinter ihrem Namen. Vielleicht blieb es bei einer flüchtigen Bekanntschaft. Vielleicht fand aber auch ein tiefgreifender Austausch zwischen ihnen statt. In der Sammlung des Wien Museums findet sich neben dem Porträtfoto jedenfalls auch eine Negativserie von Fotos, die Haas von Burkes Skulpturen anfertigte.
Es sind dezente Spuren, aber sie vermitteln doch, dass durch individuelle Kontakte ein Austausch zwischen den Avantgarde-Bewegungen in Wien und Harlem bestand. Es war ein Austausch zwischen Künstler:innen, die aus unterschiedlichen Gründen verfolgt und unterdrückt wurden und dennoch nach ihrem selbstbewussten künstlerischen Ausdruck strebten.
Das Haus der Geschichte Österreich widmet am Donnerstag, den 20. Februar, Selma Burke eine Abendveranstaltung.
Jimmy Berg, Hans Böhler: Bericht über und Interview mit dem österreichischen Maler Hans Böhler bei der Ausstellung in New York anlässlich des 75. Geburtstages, Österreichische Mediathek https://www.mediathek.at/atom/1FCE65F9-1A9-000D7-000063DA-1FCDD81D
Black Art Auction: Selma Burke (1900-1995), 2024, issuu.com/msmodular72/docs/120_selma_burke_pages
Melva Delores Burke, Mallory Johnson: Dr. Selma Burke. A National Treasure. Interview, 1990, https://digital.mooresvillenc.gov/digital/collection/oral_history/id/160/
Rebecca Giordano: „The Art of Living”. Selma Burke’s Progressive Art Pedagogies from the New Deal to the Black Arts Movement. In: Panorama. Journal of the Association of Historians of American Art 7, Nr. 2 (Herbst 2021), doi.org/10.24926/24716839.12771.
Haus der Geschichte Österreich: Anders sichtbar. Die Künstlerin Selma Burke in Österreich. Kuratiert in Zusammenarbeit mit Christian Kravagna.
Amy Helene Kirschke: Women artists of the Harlem Renaissance, 2014.
Sonja Menches: Hans Böhler. Am Puls des Jazz, 2022. https://www.gieseundschweiger.at/exhibitions/14-hans-boehler-1884-1961-.-am-puls-des-jazz-bilder-aus-dem-spatwerk/
The Metropolitan Museum of Art: The Harlem Renaissance and Transatlantic Modernism, Feb-Juli 2024, New York https://www.metmuseum.org/exhibitions/the-harlem-renaissance-and-transatlantic-modernism
Spelman College Archives: Slema H. Burke Papers
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