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Thomas Keplinger, 28.6.2024

Verborgener Cobenzl

Im Eiskeller der Geschichte

Der Blick über Wien, die Wanderwege, das Weingut oder der Streichelzoo: Es gibt viele Gründe, auf den Cobenzl zu gehen. Dort findet man auch einige Relikte, die von der jahrhundertelangen Geschichte des Ortes erzählen – bis hin zur Nutzung im Zweiten Weltkrieg und danach.

Der 1741 in Ljubljana geborene Philipp Graf von Cobenzl war ein österreichischer Politiker, der 1776 die ehemaligen Besitztümer der drei Jahre zuvor enteigneten Jesuiten am Latisberg erwarb. Deren Hütten ließ er zu einem Landhaus umbauen und errichtete in der Nähe eine Meierei, die landwirtschaftliche Produkte des Guts in der Stadt verkaufte. Die Umgebung gestaltete Cobenzl im Stile eines englischen Landschaftsgartens mit Brunnen, Baumtempeln und einer geheimnisumwitterten Grotte. Selbst Mozart war von den verspielten Anlagen begeistert und hielt sich gerne hier auf.

1809 verwüsteten napoleonische Belagerungstruppen das Landhaus, die Meierei und den Garten. Ein Jahr darauf starb Cobenzl, worauf Baron Franz Simon Pfaffenhofen die Grundstücke kaufte. Auch er führte bauliche Erweiterungen durch: Das Landhaus wurde zu einem Schloss vergrößert und zu einem Hotel umgebaut, außerdem ließ er Obstgärten und Glashäuser anlegen.

Südlich des Hauptgebäudes ist in obiger Karte am Kreuzungspunkt zweier Gartenwege eine längliche rot umrahmte Fläche zu erkennen. Meines Erachtens handelte es sich dabei um ein Gewächshaus, dessen Reste noch heute in der Natur zu entdecken sind. Das erste Bild unten zeigt den kurzen Zugangsweg von Osten, der links und rechts der Bildmitte von niedrigen moosbewachsenen Ziegelmauern eingefasst wird. Das zweite Bild zeigt die Grundmauern des von mir angenommenen Gewächshauses. Ob ich mit dieser Vermutung Recht habe oder nicht, wird möglicherweise eines fernen Tages die Wiener Stadtarchäologie feststellen.

Auf Baron Pfaffenhofen folgte zwischen 1835 und 1855 Carl Freiherr von Reichenbach, der einige Jahre zuvor das Paraffin erfunden hatte und nun chemische Forschungen im Schloss durchführte. Als er immer weiter in esoterische Gefilde abglitt, litt sein Ruf und er verarmte zusehends, weshalb er das Gut verkaufen musste. Der neue Besitzer war Johan Freiherr von Sothen, der 1854 die Sisi-Kapelle am Himmel errichten ließ und nach außen hin als Wohltäter galt. Seine Arbeiter behandelte er jedoch schlecht und so kam es, dass ihn im Jahre 1881 sein ehemaliger Förster erschoss, nachdem er den Landarbeitern im Zuge einer Typhusepidemie die Inanspruchnahme medizinischer Hilfe verweigert hatte.

Bauliche Reste des Schlosses und Gartens verbergen sich noch heute im Wald. Nicht mehr zugänglich ist der unterirdische Eiskeller, dessen Eingang vor einiger Zeit vermutlich aus Sicherheitsgründen zugeschüttet wurde. Hoffentlich wurden zuvor die zahllosen Feuersalamander ausgesiedelt, die in dem steinernen Bauwerk zu entdecken waren.

Auch oberirdisch blieb vom einstigen Prunkbau einiges erhalten: Steinmauern, eingebrochene Gewölbe und Hangstützmauern ragen als Relikte der noblen Vergangenheit aus dem feuchten Erdboden:

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Zwischen 1887 und 1907 folgte erneut eine Nutzung des Schlosses als Hotel. Betreiber war ein Konsortium der Allgemeinen österreichisch-holländischen Baugesellschaft. Der Erfolg blieb aus, worauf die Gesellschaft die Liegenschaft an die Stadt Wien verkaufte, die hier hauptsächlich Ackerbau und Milchwirtschaft betrieb, um mit den Produkten die städtische Bevölkerung zu versorgen. Erst zwischen 1910 und 1912 entstanden nun das Kaffeerestaurant und die Gebäude beim heutigen Parkplatz, die seit einigen Jahren den Tourist:innen als „Schloss Cobenzl“ verkauft werden. Das echte auf die Jesuiten, Graf von Cobenzl und Baron Pfaffenhofen zurückgehende Schloss hingegen befand sich auf der Wiese im Bereich der Aussichtsterrasse am Wanderweg in Richtung Kreuzeiche. Diese Terrasse ist übrigens kein Baurelikt des Schlosses. Sie entstand wohl erst in den 1960er Jahren als Überbauung der zum originalen Baubestand des Schlosses gehörigen Freitreppe.

Ab Jänner 1911 verpachtete die Stadt Wien das Schloss und das Kaffeerestaurant an Karl Ludwig Pertl und Hans Taubinger. Nachdem deren zehnjähriger Pachtvertrag ausgelaufen war, stand der Betrieb einige Monate still, bis Hans Hübner das Schlosshotel ab 1. Juni 1921 übernahm.

Der Betreiber des Kursalons und des Rathauskellers führte es vorerst bis in die NS-Zeit hinein. Noch am 1. Juni 1941 künden Zeitungsannoncen vom geöffneten Hotel im Wienerwald. Kurz darauf zeigten sich die Auswirkungen des Kriegsbeginns gegen die Sowjetunion. Zur Genesung und Pflege verwundeter Soldaten wurden nun entsprechende medizinische Einrichtungen geschaffen. Mitte Juli 1941 forderte die Standortkommandantur Wien auf Grundlage des Reichsleistungsgesetzes das Schlosshotel Cobenzl zur Errichtung des Reserve-Lazaretts XXIV an und nahm es mit sofortiger Wirkung in Anspruch. Nachdem ein Teil des Mobiliars, das sich im Besitz der Stadt Wien sowie der Pächterin des Hotels Marie Hübner befunden hatte, ausgelagert worden war, nahm das Reserve-Lazarett seinen Betrieb auf.

Im Oktober 1942 folgte die nächste Anforderung eines Gebäudes für militärische Zwecke. Ab 1. Dezember dieses Jahres sollten Einheiten der 16. Flakbrigade in die dem Schloss vorgelagerten Gebäude der Meierei und des Kaffeerestaurants einziehen. Der Betrieb des Reserve-Lazaretts im Schlosshotel blieb davon unberührt.

Mitte September 1943 kam der Luftwaffenführungsstab zu dem Entschluss, zur Koordination der Tag- und Nachtjäger im Bereich der damaligen "Alpen- und Donau-Reichsgaue" sowie des "Protektorats Böhmen und Mähren" die Dienststelle „Jagdfliegerführer Ostmark“ einzurichten. Zu diesem Zweck wurde das Schlosshotel Cobenzl in Anspruch genommen, was das Ende des Reserve-Lazaretts XXIV bedeutete. Etwa vier Monate später waren alle Umbauten durchgeführt und die technische Einrichtung fertiggestellt, sodass Gotthard Handrick seinen Gefechtsstand als Jagdfliegerführer beziehen konnte.

Er befehligte das im Dezember 1943 aufgestellte Luftnachrichtenregiment 218, dessen 1. Abteilung drei Kompanien am Cobenzl stationierte. Es waren dies eine Funksprech- und Fernschreib-Betriebskompanie, eine Funkkompanie und eine Telegrafenbaukompanie, deren erste Aufgabe darin bestand, den Befehlsstand einzurichten. Dazu gehörte neben dem Aufbringen eines grauen Tarnanstriches an den Fassaden auch die Anlage eines Luftschutzstollens hinter dem Schloss. Es ist allerdings anzunehmen, dass nicht nur Soldaten der Wehrmacht, sondern hauptsächlich Zwangsarbeiter:innen für den Bau dieses Stollens herangezogen wurden. Auch dieses unterirdische Relikt der Schlossgeschichte wurde vermutlich aus Sicherheitsgründen zugeschüttet.

Da nicht alle Mannschaften und Offiziere im Schlosshotel einquartiert werden konnten, erfolgte die Aufstellung einiger Baracken unterhalb des Verbindungsweges zwischen Schloss und Meierei. Die Standorte der Baracken sind heute noch im Wald erkennbar.

Auch für die dort lebenden Soldaten musste bezüglich des Luftschutzes Vorsorge getroffen werden, was man durch die Errichtung von Luftschutzdeckungsgräben bewerkstelligte. Zwei dieser splitter- und trümmersicheren Bauwerke sind bis heute im Wald erhalten geblieben:

Ab Mai 1944 komplettierte eine Flugmelde-, Auswerte- und Betriebskompanie die erste Abteilung des Luftnachrichtenregiments. Kurz vor Einrücken der Roten Armee setzte sich die gesamte Abteilung gen Westen ab.

Ab Oktober 1945 fanden die Baracken weitere Verwendung als Lager für sogenannte Displaced Persons (DP). Unter diesem Überbegriff verstand man alle Menschen, die in der NS-Zeit aus anderen Ländern hierhergekommen oder verschleppt worden waren und nun in ihre Heimatländer zurückkehren sollten. Sie bestanden hauptsächlich aus Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiter:innen oder KZ-Häftlingen, aber auch aus „Volksdeutschen“, die ihre Heimat verlassen hatten, um im Deutschen Reich zu leben.

Im Lager am Cobenzl quartierten die amerikanischen Besatzungsbehörden bis zu 1.300 jugoslawische und zu einem geringeren Teil auch rumänische „Volksdeutsche“ ein, die in Zeitungen als fanatische Nationalsozialisten bezeichnet wurden. Zu ihrer medizinischen Versorgung betrieb die Stadt Wien eine Krankenbaracke und stellte einen Lagerarzt zur Verfügung. Bis Herbst 1950 übersiedelte ein Großteil der Leute in Lager in Simmerung und Hütteldorf. Nur noch etwa 300 von ihnen lebten zu diesem Zeitpunkt im einstigen Schlosshotel. Die meisten Baracken waren bereits abgetragen und an den neuen Standorten wieder aufgebaut worden.

Etwa ab 1947 nahm die Unternehmerfamilie Hübner das Restaurant am Cobenzl wieder in Betrieb. Durch die Verwendung des Schlosses als DP-Lager beschränkte sich der Betrieb allerdings auf das Café und das Restaurant beim Parkplatz. Das Schloss selbst wurde 1966 abgerissen, nachdem es nach Abzug der „Volksdeutschen“ leer gestanden hatte.

 

Quellen und Literatur:

ANNO – Zeitschriftendatenbank der Österreichischen Nationalbibliothek

Amtsblatt der Stadt Wien

Akten des Wiener Stadt- und Landesarchivs

Christian Hlavac, Wiener Parkgeschichten. Von Gärtnern, Kaisern und Grünoasen (Wien 2021)

Renato Schirer, Der Aufbau der Jägerführung im südöstlichen Reichsgebiet (öfh-Nachrichten 2016)

 

Thomas Keplinger hat Geschichte an der Universität Wien studiert. Er betreibt das detailhistorische Forschungs- und Dokumentationsprojekt „Worte im Dunkel“. Darin widmet er sich in Form eines Blogs Beschriftungen, Graffiti, Schildern, Aushängen, Zeichnungen und Symbolen des Zeitraums zwischen 1932 und 1955, die noch heute dort anzutreffen sind, wo sie einst angebracht oder aufgehängt wurden.

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Kommentare

Hanna Tiechl

Es gibt ein verzauberndes, lesenswertes Buch zum Thema Reichenbach "Der Zauberer vom Cobenzl" von Bettina Balaka. Wobei der hier gebrachte hervorragende Beitrag Lust macht einer Führung zu folgen.... Danke.

Fritz Zeilinger

Spannend wie ein Krimi - inklusive Spurensuche ;-)

Peter MULACZ

Baron Reichenbach war ein überaus erfolgreicher Chemiker, Verfahrenstechniker, Industrieller und Naturforscher (bedeutende Meteoritensammlung, Herbarium).
Seine Experimente bzgl. des "Od" wurden und werden kontroversiell beurteilt; "esoterisch" sind sie gewiß nicht zu nennen: nicht alles, was ein Grenzgebiet der Wissenschaft darstellt, ist esoterisch (d.h. eine Sache des Glaubens, eine Pseudoreligion.

Wichtig ist aber, festzuhalten, daß sein wirtschaftlicher Niedergang in seinen letzten Lebensjahren nichts, aber gar nichts, mit seinen grenzwissenschaftlichen Experimenten zu tun hatte, sondern ganz banale Ursachen hatte -- einfach eine Pechsträhne, wie sie auch sonst manchmal im Leben aufritt.

Es begann mit Problemen mit dem von ihm 1854/1857 erworbenen Eisen- bzw. Stahlwerk in Ternitz, 1857 fand in Indien der Sepoy-Aufstand statt, weswegen Indien die bestellten, in Ternitz gefertigten Eisenbahnschienen stornierte und diese am europäischen Markt zu schlechten Bedingungen verschleudert wurden, um wenigstens den Verlust zu minimieren, ferner gab es eine Dürreperiode in Galizien, sodaß das Holz von seinem dortigen Gut Nisko nicht auf dem Wasserweg befördert werden konnte, und durch eine Revolution in Polen und den Ostseekrieg fehlten Reichenbach schließlich drei Jahreseinnahmen des Gutes Nisko, sodaß er die Bankkredite nicht mehr bedienen konnte und 1867 das Schloß nach mehr als dreißig Jahren verkaufen mußte.

Im Vergleich zu seinen früheren Besitztümern war er zwar verarmt, aber er war gewiß nicht am Bettelstab gelandet.

Helmut Rauscher

Danke, ein sehr interessanter Artikel mit vielen Details, die ich bisher nicht gekannt habe.
Danke auch für die Bilder von nicht oder nur schwer zugänglichen Relikten.