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Astrid Göttche und Hans-Peter Hutter, 21.11.2024

Wärmestuben und Cooling Center

Ein gegensätzliches Paar

Kälte betrifft oft die Ärmsten, das war früher nicht anders als heute. Deshalb wurden im 19. Jahrhundert – zunächst aus privater Initiative – im Winter Wärmestuben eingerichtet. Gerade in jüngster Vergangenheit ist auch die Hitze in Wien als Bedrohung für die Bevölkerung hinzugekommen. Ein Beitrag aus dem neuen Buch „Klima wandelt Wien. Rück- und Ausblicke auf unser Stadtleben“.

Eine Tasse Suppe, ein Stück Brot, eine Sitzgelegenheit im Warmen, stickige Luft und dichtes Gedränge. Das erwartete Besucher:innen einer Wärmetube im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Denkt man an Cooling Center von heute, also an klimatisierte, ruhige Räumlichkeiten, in denen man mit Wasser versorgt wird, so ist der Gegensatz offenkundig: Wurden Wärmestuben einst zum Schutz vor Kälte eingerichtet, so bieten Cooling Center von heute eine Möglichkeit zur Abkühlung in Zeiten von Hitzeperioden. In Hinblick auf die Temperaturentwicklung Wiens und die damit verbundenen Herausforderungen stehen die beiden Einrichtungen klar an entgegengesetzten Enden des Spektrums. Gleichzeitig spiegeln sich in ihnen die Veränderungen der Temperaturkurve und die Auswirkungen der steigenden Temperaturen in Wien speziell in den letzten Jahren besonders drastisch wider. Mehr als diesen Gegensatz scheinen die beiden Einrichtungen nicht gemein zu haben. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass es mehr Parallelen zwischen Wärmestuben und Cooling Centers gibt, als auf den ersten Blick gedacht.

„Der Winter steht vor der Thüre“: Mit dieser Schlagzeile wandte sich Anfang November 1881 der Vorstand des Wiener Wärmestuben- und Asylvereins,später alsWiener Wärmestuben- und Wohltätigkeitsverein bekannt, über eine Reihe von Zeitungen an die Wiener Bevölkerung. Als Appell an den Wohltätigkeitssinn der Bewohner:innen gerichtet, war es ein Aufruf, dem Verein beizutreten und mit einem Geldbeitrag seine gemeinnützige Arbeit zu unterstützen. Im Winter davor hatte der neu gegründete Verein vier Wärmestuben – in der Inneren Stadt, auf der Landstraße, auf der Wieden und am Alsergrund – eröffnet und damit laut eigenen Angaben rund 156.000 Frierenden eine Zuflucht geboten. Vielleicht, so die Annahme, war es auch ein Verdienst der Institution, „daß im letzten Winter die Selbstmorde und Verbrechen abgenommen haben“. Ziel war es daher, in sämtlichen Wiener Bezirken Wärmestuben einzurichten und damit die zu erwartende Not zu lindern. Und diese Not war im Wien des 19. Jahrhunderts groß.

Besonders in der Hoch- und Spätgründerzeit gehörten Zuwanderung, Arbeitslosigkeit, aber auch Wohnungsmangel und Delogierungen zu den größten Unsicherheitsfaktoren, die das Leben in Wien prägten. Wer nicht einer privilegierten Schicht angehörte, war von der ständigen Gefahr des sozialen Abstiegs in Armut und Obdachlosigkeit bedroht. Ein großes Problem stellte dabei der Wiener Wohnungsmarkt dar. Zum einen herrschte in der rasch expandierenden Stadt ein steter Mangel an Wohnraum, vor allem am Mittel- und Kleinwohnungsmarkt. Andererseits griff die kapitalistisch ausgerichtete Wohnungspolitik jener Zeit oft tief und unerwartet in den Alltag vieler Bewohnerinnen und Bewohner ein. Mietpreise konnte ohne Angabe von Gründen vom Vermieter jederzeit nach oben gesetzt werden. Nicht selten waren Mieten für einige Zeit im Voraus zu bezahlen. Wer das nicht konnte, der musste gehen. Kündigung, Delogierung und Umzug zählten daher zu den Alltagserfahrungen vieler Menschen.

Ein Sozialsystem, wie wir es heute kennen, gab es damals nicht, der kommunale Wohnbau war so gut wie nicht vorhanden, von Mieterschutzgesetzen keine Rede. Folglich oblag es neben wenigen städtischen Einrichtungen vor allem Wohltätigkeitsvereinen wie dem Wiener Wärmestuben- und Asylverein sowie religiösen Organisationen, die „Enterbten des Glücks“ zu unterstützen, ganz gleich, ob es sich um Männer oder Frauen, Kinder, Senior:innen oder Familien handelte.

Bis zur Jahrhundertwende verschärfte sich die soziale Not in Wien und erreichte um 1910 einen negativen Höhepunkt. 1908 berichtete der Journalist Max Winter im Stil einer Undercoverstory, was es bedeutete, in einer Wärmestube Unterschlupf zu finden. Schon längst waren Wärmestuben als Obdachlosenasyle zu einer ständigen Einrichtung in der Stadt geworden. Wer kein Dach über dem Kopf hatte, der bekam mit etwas Glück nicht nur einen Platz zum Aufwärmen untertags, sondern auch einen Schlafplatz in der Nacht. Dieser inkludierte allerdings kein Bett. Eine Wärmestube bestand aus langen Reihen von Bänken. Einer Kette gleich reihten sich die Bedürftigen aneinander und verbrachten die Nacht als „Schlafkünstler“ im Sitzen. Das Ablegen von Unterkleidung und Schuhen war verboten, es herrschte Rauchverbot und gab keine Möglichkeit, sich in einem Bad zu reinigen. „Aufseher“ und „Wärter“ sorgten für die Einhaltung der Regeln. Nur Kindern wurden Liegeplätze (auf dem Boden!) in der Nähe eines Ofens zugestanden. Dem Bericht Max Winters zufolge, dessen Daten und Informationen sich mit jenen der Wiener Rathauskorrespondenz vom 18. Jänner 1908 decken, besuchten Mitte Jänner 1908 innerhalb einer Woche 86.294 Personen bei Tag und 4.911 Personen bei Nacht die sechs Wärmestuben des Wiener Wärmestuben- und Wohltätigkeitsvereins. Ein ähnliches Bild skizzierten der Journalist Emil Kläger und der Amateurfotograf Hermann Drawe, die im selben Jahr ihre Beobachtungen der sozialen Not in dem Buch Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens festhielten.

Wiewohl die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche des 20. Jahrhunderts zu vielen Verbesserungen führten, haben Wärmestuben heute immer noch nicht ausgedient. Kalte Winter gibt es nach wie vor, Bedürftigkeit ebenfalls. So wundert es nicht, dass 2023 mehr als 17.500 Menschen Wärmestuben besuchten, darunter drei Frauen- und eine Jugendwärmestube. Das Rote Kreuz, ebenso wie die Caritas, zahlreiche Wiener Pfarren und andere Kirchen stellten dabei nicht nur für wohnungslose Personen eine Anlaufstelle dar. Auch Menschen, die aufgrund gestiegener privater Heizkosten einen warmen Aufenthaltsort suchten, eine warme Mahlzeit oder einfach Gesellschaft in Zeiten der Einsamkeit, waren hier willkommen.

Schlechte Bausubstanz und fehlende Dämmung

Erstaunlich ist weniger, dass Wärmestuben heutzutage nach wie vor gebraucht werden, als vielmehr, dass es mit Cooling Centern und Coolen Zonen mittlerweile Einrichtungen in Wien gibt, die im Sommer Schutz vor Überhitzung bieten. Dabei ist Abkühlung – so wie das Aufwärmen in Wärmestuben – mittlerweile zu einer zentralen Frage der Gesundheit geworden. Im Grunde geht es in beiden Fällen um Schutz vor äußeren, widrigen Wetterverhältnissen, mit denen Teile der Bevölkerung nicht mehr oder nur sehr schlecht zurechtkommen. Das betrifft vordringlich Bewohner:innen, deren Wohnräume inmitten städtischer Hitzeinseln liegen und die sich bei Hitzewellen – bedingt durch schlechte Bausubstanz und fehlende Dämmung – unerträglich aufheizen. Cooling Center und Coole Zonen sollen daher all jenen dienen, die in ihrem Zuhause, ihrer näheren Umgebung oder am Arbeitsplatz kaum eine Möglichkeit haben, heißen Temperaturen zu entfliehen, und folglich ein erhöhtes Risiko für hitzebedingte gesundheitliche Beeinträchtigungen haben. Und diese Gruppe wird wachsen. Angesichts der Prognosen, dass Wien immer längeren und heißeren Hitzeperioden entgegensieht, ist davon auszugehen, dass immer mehr Menschen in Zukunft eine Auszeit von der Hitze suchen werden. Hinzu kommt, dass die Anzahl potenziell vulnerabler (älterer) Personen aufgrund demografischer Entwicklungen weiter zunimmt.

Cooling Center bei Hitzewarnung

Das erste Cooling Center, das in Wien 2018 eröffnet wurde, wurde vom Roten Kreuz eingerichtet und steht seither jedem und jeder unentgeltlich zur Verfügung, sobald eine Hitzewarnung ausgesprochen wird. Dies geschieht dann, wenn an drei aufeinanderfolgenden Tagen eine mittlere gefühlte Temperatur von über 35 Grad Celsius und in der Nacht Temperaturen von über 20 Grad herrschen. In diesem Fall bietet das Cooling Center einen klimatisierten größeren Raum, in dem man sich im Sitzen oder Liegen ausruhen, Wasser trinken und abkühlen kann. Die zugrunde liegende Intention ist durchaus zu begrüßen. Die Lage des Centers in einem Einkaufszentrum am nördlichen Stadtrand von Wien ist jedoch diskutabel. Denn gerade für vulnerable Gruppen, die besonders unter der Hitze leiden – also Personen mit Vorerkrankungen, sozial isoliert lebende Menschen, Ältere und Kinder –, sind weitere Strecken bis zu einem Einkaufszentrum oft kaum zu bewältigen.

In Ländern, in denen Cooling Center eine längere Tradition haben, beispielsweise in den USA, befinden sich „Coole Zonen“ oft in Bibliotheken oder anderen öffentlichen Räumen. In Wien wird neben klimatisierten Einkaufszentren immer wieder die Nutzung von Kirchen diskutiert, deren dicke Mauern ideal vor Hitze schützen. Zudem verteilen sich die fast 300 Kirchen Wiens gut über das gesamte Stadtgebiet. Der Weg zu diesen kühlen Räumen wäre dadurch in vielen Fällen vergleichsweise kurz, selbst wenn sich nicht jede Wohnung oder Arbeitsstelle in unmittelbarer Nähe zu einem Sakralbau befindet. Wenig überraschend knüpfen sich an solche Überlegungen jedoch rasch Fragen der Religionszugehörigkeit, der Sicherheit oder gar Ruhestörung, ob sich also Betende durch den Besuch von Menschen gestört fühlen, die sich rein zur Abkühlung in eine Kirche einfinden. Damit verbunden sind auch ganz praktische Fragen wie Öffnungszeiten und Personalagenden.

All diese Überlegungen zeigen, dass es immer einfacher ist, eine Maßnahme zu formulieren, als die Umsetzung bis ins Detail zu planen und auszuführen. In Wien wurde das Angebot an kühlen Räumen mittlerweile um drei Einrichtungen ergänzt, wobei zwei „Coole Zonen“ von der Stadt Wien betrieben werden und zentral im Stadtgebiet liegen. Das ist ein Anfang, wird aber nicht reichen. Denn eines ist sicher: In einer Zwei-Millionen-Stadt wie Wien werden wohl einige Dutzende solcher „Coolen Räume“ notwendig sein, um den theoretischen Bedarf in Zukunft zu decken.

Interessant ist bei der Beschäftigung mit „Coolen Räumen“ die soziale Komponente des Themas. Erhebungen, die sich mit Blick auf die thermische Situation in Wien der Frage nach geeigneten Standorten von Cooling Centern widmeten, haben eine wichtige Erkenntnis zutage gefördert. Dort, wo die Hitze im urbanen Raum am höchsten und damit die Bevölkerung am stärksten betroffen ist, spiegelt sich auch die soziale Ungerechtigkeit unserer Gesellschaft am stärksten wider. So beeinträchtigt die Hitze Menschen in dicht bebauten früheren „Arbeitervierteln“ viel mehr als in „gut betuchten“ Vierteln mit einem hohen Anteil an Grünflächen. Wirtschaftlich schwächer gestellten Bewohnerinnen und Bewohnern fehlt zudem häufig die Möglichkeit, den unerträglichen Temperaturen mit einem Wochenendausflug aufs Land zu entkommen. Umso wichtiger ist es daher, ein Angebot von Coole Zonen dort zu schaffen, wo es sozial Schwächeren nur schwer möglich ist, Abkühlung in ihrer näheren Umgebung zu finden – und das unentgeltlich.

Diese Beobachtung deckt sich mit strategischen Maßnahmen, die in den USA bereits gesetzt wurden. Dort richtete man Cooling Center als erstes in Gegenden ein, in denen sich viele Haushalte keine Klimaanlage leisten konnten. Abgesehen von der Frage, ob jeder Haushalt mit einer Klimaanlage ausgestattet sein sollte, wurde das Ausrollen von Cooling Centern als Antwort auf die herrschende soziale Ungleichheit gesehen. Bei allen Anpassungen an den Klimawandel ist es daher wichtig, auf die soziale Verträglichkeit von Maßnahmen zu achten. Denn es ist belegt, dass privilegierte Bevölkerungsschichten letztlich von den Auswirkungen des Klimawandels weniger betroffen sind als sozial Schwächere. Und das macht die Thematik noch schwieriger, als sie ohnehin bereits ist. Cooling Center sind nur ein Stein im Anpassungspuzzle vieler Maßnahmen. Es ist ein notwendiger und sinnvoller Puzzlestein – wenn klug umgesetzt.

 

 

Dieser Text stammt aus dem Buch „Klima wandelt Wien. Rück- und Ausblicke auf unser Stadtleben“, das von Astrid Göttche und Hans-Peter Hutter im Auftrag des Wien Museums anlässlich der Ausstellung „Winter in Wien. Vom Verschwinden einer Jahreszeit“ geschrieben wurde und im Leykam-Verlag erschienen ist. Die Publikation (Grafische Gestaltung: Larissa Cerny) verbindet Rückblicke auf die vergangenen zwei Jahrhunderte mit fundierten Prognosen für die nähere Zukunft: Wien, wie es war, ist – und bald sein könnte. Erhältlich im Shop des Wien Museums und im Buchhandel.

LITERATUR:

Literatur historisch

Max Winter: Eine Stunde in der Wärmestube, in: Arbeiter-Zeitung, 19.1.1908, S. 7f.

Franz Micheu, Rudolf Eigl (Red.): Wiener Rathaus-Korrespondenz, 18.1.1908.

Emil Kläger, Hermann Drawe: Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens. Ein Wanderbuch aus dem Jenseits, Wien 1908.

Michael John: Wohnverhältnisse sozialer Unterschichten im Wien Kaiser Franz Josephs, Wien 1984.

Michael John: Obdachlosigkeit – Massenerscheinung und Unruheherd im Wien der Spätgründerzeit, in: Hubert Ch. Ehalt, Gernot Heiß, Hannes Stekl (Hg.): Glücklich ist, wer vergisst …? Das andere Wien um 1900, Wien/Köln/Graz 1986, S. 173–194.

Hannes Haas (Hg.): Max Winter. Expeditionen ins dunkelste Wien. Meisterwerke der Sozialreportage, Wien 2006.

Werner Michael Schwarz, Margarethe Szeless, Lisa Wögenstein (Hg.): Ganz unten. Die Entdeckung des Elends. Wien, Berlin, London, Paris, New York (Ausstellungskatalog Wien Museum), Wien 2007.

Marion Krammer, Andreas Nierhaus, Margarethe Szeless: Das Wiener Zinshaus. Bauen für die Metropole, Wien 2023.

Katholische Kirche, Erzdiözese Wien: Caritas und Pfarren öffnen 42 Wärmestuben, 6.12.2023, https://www.erzdioezese-wien.at/site/home/nachrichten/article/116544.html.

 

Literatur umweltmedizinisch

Adams QH, Chan EMG, Spangler KR, Weinberger KR, Lane KJ, Errett NA, Hess JJ, Sun Y, Wellenius GA, Nori-Sarma A (2023): Examining the optimal placement of cooling centers to serve populations at high risk of extreme heat exposure in 81 US Cities. Public Health Rep 138: 955–962.

Hutter H-P (Hg.) (2022): Gesundheit in der Klimakrise. Auswirkungen. Risiken. Perspektiven (Aspekte der Wissenschaft), 2. Aufl., Wien.

Kim K, Jung J, Schollaert C, Spector JT (2021): A Comparative assessment of cooling center preparedness across twenty-five U.S. Cities. Int J Environ Res Public Health 18: 4801.

National Center for Healthy Housing (NCHH) (2024): Cooling Centers by State. Emergency Preparedness and Response: Extreme Heat, nchh.org/information-and-evidence/learn-about-healthy-housing/emergencies/extreme-heat/cooling-centers-by-state/.

Wiener Rotes Kreuz (2024): Cooling Center, www.roteskreuz.at/wien/cooling-center.

Astrid Göttche studierte Kunstgeschichte sowie Geschichte, Germanistik und Theaterwissenschaft an den Universitäten Wien und Hamburg. Im Zentrum ihrer Forschungstätigkeit und Publikationen stehen Themen der Wiener Stadt- und Kulturgeschichte sowie der österreichischen Gartengeschichte.

Hans-Peter Hutter ist Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie, Schwerpunkt Umwelt- und Präventivmedizin, sowie Ökologe am Zentrum für Public Health der MedUni Wien. Im Zentrum seiner Arbeit stehen wissenschaftlich fundierte Risikoabschätzungen, die verständ liche Vermittlung von Umweltrisiken und sein Engagement gegen die zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit.

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