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Wasserkunst
Die Originalfiguren des Donnerbrunnens am Neuen Markt
Im Jahr 1737 erhielt der Bildhauer Georg Raphael Donner vom Magistrat der Stadt Wien den Auftrag zur Neugestaltung des für die städtische Wasserversorgung zentralen Brunnens auf dem Mehlmarkt, dem heutigen Neuen Markt. Donner hatte sich mit seinem Vorschlag, die Figuren aus Gründen der Haltbarkeit aus einer Blei-Zinn-Legierung herzustellen, gegen seinen Konkurrenten, den Steinbildhauer Lorenzo Mattielli, durchgesetzt. Der Auftrag umfasste zunächst nur die Mittelgruppe mit der Personifikation der Providentia (Vorsehung) und vier mit Fischen ringenden Putti auf dem Sockel. Sie wurde in der Werkstatt des Bildhauers in Pressburg (Bratislava) modelliert, gegossen, Ende 1738 auf der Donau nach Wien gebracht und im Jänner 1739 aufgestellt. Das Bassin schuf der Steinmetzmeister Johann Georg Sebastian Knox.
Wohl von Anfang an war geplant, die Mittelgruppe um vier am Beckenrand lagernde Flussfiguren zu ergänzen. Ihr Guß erfolgte diesmal im städtischen Gußhaus in Wien, und schon am 4. November 1739, dem Namenstag Kaiser Karls VI., konnte der vollendete Brunnen der Öffentlichkeit übergeben werden.
Als das erste von der Stadtverwaltung in Auftrag gegebene profane Kunstwerk im öffentlichen Raum war das Brunnenensemble Ausdruck des Selbstbewusstseins der Reichshaupt- und Residenzstadt, die jedoch ihre bürgerliche Selbstständigkeit längst an den Landesfürsten verloren hatte. Die zentrale Figur der Providentia (Vorsehung) verkörpert die durch die Errichtung des für die Wasserversorgung der Inneren Stadt bedeutsamen Brunnens dokumentierte „gute Regierung“ des Wiener Magistrats. In der Linken hält sie eine Schlange als Symbol der Weisheit, mit der rechten Hand stützt sie sich auf einen Schild mit einem Januskopf, der zugleich in die Vergangenheit und in die Zukunft blickt – ein Sinnbild des umsichtigen Handelns der Stadtverwaltung. Die vier Flussfiguren stellen die vier wichtigsten Zuflüsse der Donau in Österreich (gemeint sind die historischen Kronländer Nieder- und Oberösterreich) – Enns, March, Traun und Ybbs – dar. Die Donau selbst ist nicht dargestellt, aber gewissermaßen im Wasser des Brunnens präsent.
Anregungen für die Komposition des Ensembles aus erhöhter Mittelfigur und am Beckenrand lagernden Personifikationen von Flüssen erhielt Donner vom Augustusbrunnen in Augsburg, gelangte aber zu einer künstlerisch völlig eigenständigen Lösung, die eine der bedeutendsten Brunnenanlagen Europas darstellt.
Die Mittelgruppe ist von einer mächtigen, aufwärts gerichteten Drehbewegung bestimmt, die im schraubenartigen Säulenstumpf des Sockels anhebt und sich in der Providentia konsequent fortsetzt. Ihre gleichermaßen elegante und natürlich wirkende Drehung folgt dem im Manierismus entwickelten Prinzip der Allansichtigkeit („figura serpentinata“) und entspricht damit auch der Aufstellung in der Mitte eines Platzraumes. Die vier Putten am Sockel ringen in wild bewegtem Spiel mit typischen Fischen heimischer Gewässer (Hecht, Huchen, Karpfen, Wels).
Die vier diagonal zur Mittelgruppe positionierten Personifikationen der Flüsse zeigen höchst unterschiedliche Möglichkeiten, sich am Rand eines Bassins niederzulassen: Während die weiblichen Figuren (March und Ybbs) wie Quellnymphen in relativ geschlossenem Umriss ruhig am Beckenrand lagern, greifen die männlichen Figuren stark in den Raum aus: Die Enns ist als würde- und zugleich kraftvoller alter Fährmann dargestellt, der ein Ruder in der Rechten hält und sein linkes Bein lässig über die Brunneneinfassung baumeln lässt.
Die Traun dagegen – die wohl außergewöhnlichste Figur des Ensembles – wird durch einen athletischen nackten Jüngling dargestellt, der gerade im Begriff ist, einen im Becken schwimmenden Fisch mit dem Dreizack zu fangen und dabei die Grenze zwischen dem realen Platzraum und der Sphäre des Kunstwerks überwindet: Das linke Bein hat er angewinkelt auf den Beckenrand gelegt, das ausgestreckte rechte ist federnd am Boden vor dem Brunnen abgestützt, der Oberkörper über den Rand des Bassins gebeugt, der Blick konzentriert auf die Beute gerichtet. Wie die Glieder des Körpers den Raum auszumessen scheinen, so erschließt sich die Figur – noch stärker als die anderen, ebenfalls allansichtigen Skulpturen des Brunnens – dem Betrachter / der Betrachterin erst in der Bewegung um sie herum.
Obwohl die Figuren von einer eigens bestellten Wache vor Beschädigungen geschützt wurden, war das empfindliche Metall wenige Jahrzehnte nach der Fertigstellung des Brunnens offenbar bereits so schadhaft, dass die Flussfiguren am Beckenrand 1773 entfernt werden mussten. Dass dahinter die von Kaiserin Maria Theresia eingesetzte, berüchtigte „Keuschheitskommission“ stand, ist jedoch eine Legende. Vielmehr sollten die schon damals als Kunstwerke hochgeschätzten Figuren durch Kopien ersetzt werden. Später entschloss man sich zu einer Restaurierung durch den Bildhauer Johann Martin Fischer, die 1801 mit der Wiederaufstellung der Figuren abgeschlossen war. 1871/73 wurden dann sämtliche Figuren vor Ort durch Bronzeabgüsse der k.k. Kunsterzgießerei ersetzt, die jedoch in der Oberflächenwirkung nicht an die Originale heranreichen.
Die originalen Brunnenfiguren landeten für Jahrzehnte im Depot, 1913 war geplant, sie in der zentralen Halle des neuen Historischen Museums der Stadt Wien auf der Schmelz aufzustellen, dessen Bau jedoch nach dem Ersten Weltkrieg unterblieb. 1921 gelangten die Figuren als Leihgaben an das neu gegründete Barockmuseum und wurden im Marmorsaal des Unteren Belvedere aufgestellt, wo sie mit einer Unterbrechung während der Bergung im Zuge des Zweiten Weltkriegs auch nach der Schließung des Museums 2007 verblieben.
Die erste dokumentierte Restaurierung der Flussfiguren erfolgte im Zuge ihrer Neuaufstellung 1801 durch Johann Martin Fischer. 1900 wurden sämtliche Brunnenfiguren in Vorbereitung ihrer Aufstellung im neuen Historischen Museum der Stadt Wien von Wilhelm Köke restauriert, 1920 kam es im Vorfeld der Leihgabe an das Barockmuseum zu einer neuerlichen Restaurierung, diesmal durch Robert Pfeffer; eine weitere Restaurierung durch die Erzgießerei AG ist 1922 belegt. Während der kriegsbedingten Bergung kam es zu schwersten Schäden an den Figuren, die zwischen 1949 und 1951, wiederum durch Robert Pfeffer, behoben wurden. Nach der Wiederaufstellung im Marmorsaal des Unteren Belvedere erfolgte die vorerst letzte Restaurierung durch Josef und Viktor Hammer. Die nächste umfassende Restaurierung, die zahlreiche Schäden beheben, ansonsten aber das überlieferte Erscheinungsbild bewahren wird, ist für 2021/22 geplant.
Über den Abbau der Figuren des Donnerbrunnens im Unteren Belvedere hat Pavel Cuzuioc diesen Film gedreht.
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