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Werner Michael Schwarz, 20.7.2023

Weltausstellung 1873 – Wien als Stadt des Fortschritts

Im Zeitalter der Maschine

Bei der Weltausstellung 1873 ließen sich Modernisierungen in vielen Sparten bestaunen: Die Neue Freie Presse druckte Sonderausgaben direkt vor Publikum, Ärzte aus aller Welt tauschten sich aus, Bildungsmodelle standen zur Diskussion – und das gesamte Treiben wurde fotografisch festgehalten. Wien präsentierte sich als fortschrittliche Metropole. In den Hintergrund rückte dabei, dass viele der zur Schau gestellten Innovationen auf den Idealen der blutig niedergeschlagenen Revolution von 1848 gründeten. 

Die Wiener Weltausstellung fand 25 Jahre nach der Revolution in Wien statt, die zwar im Oktober 1848 blutig niedergeschlagen worden war, in ihrem Verlauf hatten sich aber bereits viele der später dominanten Ideale und Akteur:innen gezeigt. Das liberale Bürgertum forderte eine Verfassung und einen Anteil an der politischen Macht, radikale Demokrat:innen traten für ein allgemeines Wahlrecht ein, die stark wachsende Schicht der Arbeiter:innen artikulierte ihre hochgradige soziale Unsicherheit, Juden und Jüdinnen kämpften gegen ihre rechtliche Diskriminierung und Frauen demonstrierten erstmals für ihre Gleichberechtigung. Nach der Revolution wurden diese Bewegungen zwar hart unterdrückt („Neoabsolutismus“), wirtschaftlich und städtebaulich aber erste Reformschritte gesetzt (Bau der Ringstraße 1857, Gewerbeordnung 1859). 

1861 wurde der Parlamentarismus etabliert, das Wahlrecht aber nur einer kleinen Schicht aus dem Groß- und Bildungsbürgertum zugestanden. Militärisch und außenpolitisch spektakuläre Niederlagen (Solferino 1859, Königsgrätz 1866), sowie die schwer zerrütteten Staatsfinanzen förderten eine dramatische politische Kehrtwende. 1867 gilt als Schlüsseljahr, in dem die noch heute gültigen Grund- und Freiheitsrechte in der Verfassung verankert und die Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn abgeschlossen wurden. Die politisch leitende Idee der kommenden Jahre war der Liberalismus, der in der Tradition der Aufklärung einen universalen Anspruch auf Menschenrechte, Wohlstand, Vernunft und individuelle bürgerliche Freiheiten stellte. Ideale waren eine von staatlichen Einflüssen möglichst unabhängige Wirtschaft, Freihandel, freies Pressewesen, die Förderung von Wissenschaft, Bildung, Technik und Kunst. Speziell in Österreich war damit auch die strikte Ablehnung katholischer Einflüsse auf das Bildungswesen gemeint, die in diesen Jahren zu heftigen Kulturkämpfen führte („Reichsvolksschulgesetz“ 1869, Kündigung des Konkordats 1870, „Zivilehe“ 1868). 

Wien wurde ab 1867 zu einem wichtigen europäischen Finanzplatz. Hunderte Aktiengesellschaften, teils auf allerdings wenig solider Basis schossen vor dem Hintergrund des rasanten Wirtschaftswachstums insbesondere im Bau- und Bankenbereich aus dem Boden. Die damit verbundene Spekulationswelle sollte mit dem Börsenkrach knapp nach der Eröffnung der Weltausstellung spektakulär enden. 

Die Umsetzung der liberalen Ideale erfolgte allerdings weniger liberal. Die sich auf der Grundlage des Vereinsrechts bildenden Arbeiterbildungsvereine als Interessensvertretungen der Arbeiterschaft wurden stark unter Druck gesetzt und ihre Repräsentanten in dubiosen Hochverratsprozessen verurteilt. Frauen wurde das Recht auf höhere Bildung verweigert und die schlechte Lebenssituation eines Großteils der Bevölkerung weitgehend ignoriert.

Modernisierung

In den Jahren bis 1873 wurde Wien fast explosionsartig modernisiert. Vorbilder waren die europäischen Metropolen London und Paris. Die dominante Stadtvision zielte auf die Bekämpfung der hygienischen Missstände, die mit dem starken Bevölkerungswachstum dramatisch zugenommen hatten und auf den Ausbau der Infrastruktur im Sinn möglichst reibungslos fließender Waren-, Informations- und Personenströme. Dazu zählte die Verbesserung der Eisenbahninfrastruktur (Verbindungsbahnen), die Fertigstellung der sechs Kopfbahnhöfe, die Einführung eines innerstädtischen Massenverkehrsmittels (Pferdestraßenbahn), die Donauregulierung, der Bau neuer Brücken über Donau, Donaukanal und Wienfluss oder die Einführung der Telegrafie (und später der Rohrpost). Historiker:innen sehen in der „Maschine“ eine der leitenden Metaphern für diese Epoche der Metropolen. 

Medizin

Die Zweite Wiener Medizinische Schule, bereits vor der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet, erreichte in diesen Jahren Weltruf. Sie hatte die Medizin streng naturwissenschaftlich ausgerichtet und der Ursachenforschung von Krankheiten großes Augenmerk geschenkt. Zentrale Figur war der Pathologe Carl von Rokitansky (1804-1878), der während der Weltausstellung den III. internationalen medizinischen Kongress leitete. Vertreten war auch der Anatom Josef Hyrtl, der seine wegen ihrer Farbigkeit und Festigkeit vielbewunderten anatomischen und pathologischen Präparate in der „Kollektivausstellung“ des Unterrichtsministeriums präsentierte. In dieser bemerkenswerten Ausstellung wurden verschiedene Aspekte des österreichischen Bildungswesens thematisiert, Schultypen mit Unterrichtsmaterialien, wie Naturalienkabinetten oder Karten sowie wissenschaftliche Gesellschaften vorgestellt (u.a. Blinden- und Taubstummeninstitut, Anthropologische Gesellschaft, Geologische Reichsanstalt). 

Bildung und Wissenschaft

Der Anspruch auf eine breite Vermittlung von Bildung und Wissenschaft zählte zu den bedeutendsten Aspekten der Wiener Weltausstellung, die sich damit auch gegenüber der vorangegangen in Paris 1867 stark positionierte. Schulbauten waren 1:1 auf dem Gelände der Weltausstellung zu besichtigen (u.a. aus Schweden und Österreich). Das umfangreiche öffentliche Vortragsprogramm kann als Vorläufer der Volkshochschulen betrachtet werden. Eine eigene Unterabteilung war dem Thema „Frauenarbeit“ und Mädchenbildung gewidmet. In enger Kooperation mit Frauenerwerbsvereinen, die federführend an der bürgerlichen Frauenbewegung beteiligt waren, wurden verschiedene Arbeitsbereiche (häusliche Arbeit, Industriearbeit, Heimarbeit etc.) und Schultypen vorgestellt. Der „Pavillon des kleinen Kindes“ erweiterte den Bildungsanspruch auch auf das frühkindliche Alter. Dabei wurden eigene Apparate zur „Gymnastik der Sinne“, zur Förderung von Seh- oder Geruchssinn präsentiert.

Das Motiv der Wissenschafts- und Technikpopularisierung zeigte sich auch bei der Präsentation der Maschinen, der eigentlichen Motoren der Industrialisierung, die in der Maschinenhalle über ein zentrales Antriebssystem in Bewegung und mit fachlicher Bedienung gezeigt wurden. Besonders bemerkenswert war das Pavillon der Neuen Freien Presse, eines der führenden liberalen Blätter der Monarchie, wo das Entstehen einer Zeitung live erlebt werden konnte. Auf einer brandneuen Rotationsdruckmaschine der Wiener Firma Georg Sigl konnten pro Stunde 10.000 Exemplare der Weltausstellungs-Beilage der Presse gedruckt werden. Wichtiges Vermittlungsmedium war auch die Fotografie, mit der auch die Weltausstellung ausführlich dokumentiert wurde. Den Auftrag dafür hatte die Photographen-Association, ein Zusammenschluss von vier namhaften Fotografen (Kramer, Löwy, Frankenstein aus Wien, sowie Klösz aus Pest) erhalten. 

Landwirtschaft

Anders als bei den vorangegangenen Weltausstellungen wurden in Wien landwirtschaftliche Themen groß gespielt. Das korrespondierte mit Österreichs Position zwischen Industrie- und Agrarstaat. Vor allem die Schau landwirtschaftlicher Nutztiere, die sich im Süden des Geländes beim Heustadelwasser ausdehnte, erregte erhebliche Aufmerksamkeit. In Summe waren ca. 3.000 Tiere aus verschiedenen Ländern zu besichtigen, 1277 Rinder (davon 771 aus Österreich), 1480 Schafe, 280 Schweine und acht Esel. Auch finden sich bereits Aspekte modernen Tierschutzes auf der Weltausstellung. So präsentierte eine Wiener Firma einen Viehwaggon, in dem Tränke und Futterstelle integriert waren und in dem die Luftventilation als „Wohltat für die Tiere“ deutlich verbessert wurde. Wirtschaftlich wurde die Innovation mit einem geringeren Gewichtsverlust der Tiere argumentiert.   

Literatur und Quellen:

Sándor Békesi: Auf dem Weg zur Stadtmaschine? Zur Infrastrukturentwicklung Wiens in der frühen Gründerzeit, in: Wolfgang Kos, Ralph Gleis (hg.): Experiment Metropole. 1873: Wien und die Weltausstellung, Wien 2013, S.94-105.

Peter Eigner: Boom und Krach. Österreichs wirtschaftliche Entwicklung um 1873, in: Wolfgang Kos, Ralph Gleis (Hg.): Experiment Metropole. 1873: Wien und die Weltausstellung, Wien 2013, S.84-93.

Wolfgang Maderthaner: Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, in: Peter Csendes, Ferdiand Opll (Hg.): Wien. Geschichte einer Stadt. Von 1790 bis zur Gegenwart, Wien 2006, S. 175-544.

Ferdinand Stamm: Das Pavillon des kleinen Kindes, in: General-Direction der Welt-Ausstellung 1873 (Hg.): Officieller Ausstellungs-Bericht, Wien 1873.

Der Beitrag ist Teil einer Serie zum 150-jährigen Jubiläum der Wiener Weltausstellung 1873. Bisher erschienen:

Werner Michael Schwarz, Historiker, Kurator am Wien Museum, Schwerpunkt Stadt-, Medien- und Filmgeschichte, u.a. „Das Rote Wien“ (2019) und Pratermuseum (2024).

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