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Andreas Winkel, 19.4.2022

Wiener Geschäftsschilder

Bilder der Straße

Sie sind verwandt mit den Hauszeichen, doch weit weniger bekannt: die „Alt-Wiener“ Geschäftsschilder, von denen nur noch sehr wenige an Ort und Stelle erhalten sind. Eine Spurensuche im Straßenbild „Alt-Wiens“.

Ähnlich wie die Hauszeichen sind auch die Alt-Wiener Geschäfts- oder Gewölbeschilder (benannt nach der alten Bezeichnung „Gewölbe“ für Geschäftslokal) ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert nach und nach aus dem Straßenbild Wiens verschwunden – und dieser Umstand wurde schon im frühen 20. Jahrhundert nostalgisch beklagt. Einige der Schilder kamen daher gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Privatsammlungen oder in das neu gegründete Historische Museum der Stadt Wien (heute Wien Museum). Andere wurden zumindest in der Literatur dokumentiert, u.a. in Emmerich Siegris` Buch „Alt-Wiener Hauszeichen und Ladenschilder“ (1924) sowie in den Beiträgen von Adalbert Franz Seligmann für das „Monatsblatt des Altertumsvereines“.

Das Alt-Wiener Geschäftsschild als eigene Bildform und der moderne Schilderwald

Mit der Bezeichnung „Geschäftsschild“ ist im Zusammenhang mit „Alt-Wien“ nicht ein Schild im heutigen Sinn gemeint, d.h. ein Schild mit einem Schriftzug, der den Namen oder das Warenangebot eines Geschäftes bezeichnet. Es handelt sich vielmehr um eine eigene Bildform, die im oder außen am Geschäft gut sichtbar angebracht war. Diese Bilder, meist auf Holz oder Metall als Bildträger, sollten den Namen des Händlers und/oder die Art der verkauften Ware vermitteln und standen im besten Fall als Einzelstücke für die Identität der Geschäfte (so wie die Hauszeichen für die Identität der Häuser standen).

In diesem Individualismus unterschieden sie sich von der Geschäftsschilderflut ab dem späten 19. Jahrhundert. Diese ist eindrucksvoll überliefert auf den Fotografien von August Stauda, vor allem in der Inneren Stadt sowie in den wichtigen Einkaufsstraßen der umgebenden Bezirke wie der Mariahilfer Straße. In ihrem austauschbaren Überfluss und ihrer fast schon wahllosen Applikation zwischen Fenstern und Geschossen hatten diese Geschäftsschilder und Firmentafeln wenig mit ihren kunstvollen Vorgängern zu tun. Tatsächlich wurden sie von kritischen Zeitgenossen sogar als Überlagerung des „alten“ Wien wahrgenommen: Der Kunsthistoriker Albert Ilg sprach 1893 mit Bezug auf diesen inflationären Schilderwald von einem „ästhetischen Übelstand“, der „die ganze Architektur und Ornamentik der Gebäude“ vernichten und sogar alte Hauszeichen wie die Taufe Christi am Judenplatz Nr. 2 „bis auf die oberste Spitze durch eine scheussliche Tafel“ zudecken würde. Hugo Hassinger bemerkte im „Kunsthistorischen Atlas der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien“ von 1916, dass etwa das Barockportal der Bäckerstraße Nr. 8 (heute Nr. 2) durch solche Firmenschilder „verunziert“ sei. Die Alt-Wiener Geschäftsschilder erfüllten ihre Funktion noch in einem Straßenbild, das nicht in dieser Form überfrachtet war.

Bildinhalte

Im Gegensatz zu den modernen Firmen- und Geschäftstafeln der Zeit um 1900 waren die Alt-Wiener Geschäftsschilder – wie die Hauszeichen – also grundsätzlich als individuelle, wiedererkennbare Objekte gedacht, die im Laufe der Zeit mit einem Geschäft verbunden wurden, für dieses standen und deshalb meist auch einen Wechsel der Geschäftslokalität mitmachten. Und ebenfalls wie bei den Hauszeichen war leichte Identifizierbarkeit bezüglich des Geschäftsnamens oder der Ware auch für nicht der Schrift kundige Menschen gefragt.

Dies geschah einerseits über eine eindeutige Zeichensprache wie etwa im Fall eines Bäckerschildes aus dem 18. Jahrhunderts, das schlicht die feilgebotenen Backwaren darstellt, oder wie im Fall des Ladenschildes des Hutmachers Franz Walter im Trattnerhof, das mit der Darstellung eines einzelnen Hutes auskam. Andererseits aber bildeten sich für Händler bestimmter Waren stereotype Bildinhalte heraus, anhand derer universell erkennbar war, welche Ware ein Geschäft vertrieb: So berichtete Adalbert Stifter 1844 in seiner Abhandlung über „Warenauslagen und Ankündigungen“, dass z. B. „der Türke oder wenigstens sein Kopf der stete Wächter und Portier eines Tabakladens“ sei, wofür sich noch im ausgehenden 19. Jahrhundert Beispiele finden lassen.

Ikonographisch etwas komplexere Bildinhalte wie auf den Schildern der Weißwaren- und Modehandlung „Zum römischen Kaiser“ in der Seilergasse oder der Marcherschen Spitzenhandlung „Zum Pagen“ am Graben reagierten bewusst auf den Rezeptionshorizont der damaligen Betrachter: Der „römische Kaiser“ in Gestalt von Franz II. (I.) ersetzte um 1850 wohl ein älteres Bild Kaiser Josefs II. (der Bildinhalt wurde gleichsam ajouriert), und der „Page“ rekurrierte nach Adalbert Seligmann auf die zahlreichen Pagen-Rollen in der zeitgenössischen Oper.

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Der Theaterfriseur Fortmüller im Bürgerspital wiederum zeigte auf seinen Schildern sinnigerweise vier Rollenporträts damals bekannter Schauspieler, wovon jene von Ludwig Löwe und Carl Fichtner im Wien Museum erhalten sind. In anderen Fällen wurde wiederholt die Annahme geäußert, dass es sich bei den auf den Geschäftsschildern Dargestellten ebenfalls um damals bekannte Schauspielerinnen handle – im Fall des Geschäftsschildes der Seiden- und Modewarenhandlung „Zur Jungfrau von Orleans“ am Graben etwa um Josefine Gottdank (1792-1857), die im Theater an der Wien spielte (diese Vermutung ist nicht belegt, aber die kursierende Assoziation mag dem Bild schon im 19. Jahrhundert einen besonderen Reiz und dem Geschäft viel Aufmerksamkeit gebracht haben).

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Schließlich konnten Hausnamen und Geschäftsnamen auch zusammenfallen, wie etwa im Fall der im Haus „zum schwarzen Bären“ angesiedelten Apotheke „zum schwarzen Bären“ am Lugeck, deren Schilder je einen schwarzen Bären zeigten, sowie im Fall der Material- und Spezereihandlung „Zum schmeckenden Wurm“ im gleichnamigen Haus am Lugeck, deren Schild unter der Darstellung des „schmeckenden Wurms“ die Herkunft der angebotenen Waren aus Afrika und Fernost thematisiert.

Alt-Wiener Geschäftsschilder in ihrem originalen Zusammenhang

Alt-Wiener Geschäftsschilder sind heute noch in der Apotheke zum römischen Kaiser in der Wollzeile sowie in der St.-Anna-Apotheke in der Meidlinger Hauptstraße anzutreffen. Die Apotheke zum römischen Kaiser verwahrt eine großformatige Tafel mit der Darstellung Kaisers Franz I., Hygiea, Merkur und einem Kranken, die als Werk Leopold Kupelwiesers gilt (in dessen eigenem, von Rupert Feuchtmüller verarbeiteten Werkverzeichnis aber nicht aufscheint). Außerdem ist hier eine Replik eines ebenfalls Kupelwieser zugeschriebenen Porträts Kaiser Franz I. (II.) zu sehen. Die Zuschreibung dieser Arbeiten an Kupelwieser dürfte auf einer Beschreibung von Adolph Schmidl von 1833 basieren, in der dieser als „Türflügel“ ausgeführte Ladenschilder dieser Apotheke erwähnte und als Werke Kupelwiesers bezeichnete. Angeblich sind die Tafeln mit Äskulap und Hygiea, die 1957 aus dem Kunsthandel in den Besitz der St.-Anna-Apotheke in Meidling kamen, ident mit diesen von Schmidl erwähnten Türflügeln der Apotheke in der Wollzeile. Sie sind noch heute in der Offizin der St.-Anna-Apotheke zu sehen. Schließlich war noch bis vor kurzem das Schild der Apotheke zur goldenen Krone in der Himmelpfortgasse in deren Auslage angebracht. Nach dem Umzug der Apotheke von der Nr. 14 in die Nr. 8 fand das Bild keinen Platz mehr in der Offizin. Bei diesem Bild handelt es sich um eine Kopie aus dem frühen 20. Jahrhundert, wiederum nach einem Original von Leopold Kupelwieser. Ursprünglich wurde dieses Original für die ehemalige Offizin der goldenen Krone im alten Trattnerhof geschaffen und war dort ursprünglich außen angebracht.

Eine solche äußere Anbringung war übrigens eine neuere Entwicklung, die den Geschäftsschildern einen prominenteren Platz im Straßenbild boten. Bis ins frühe 19. Jahrhundert waren viele der Schilder wohl nur im Inneren der Lokale zu sehen bzw. auf den Innenseiten der Tür- oder Fensterläden angebracht und somit nur während der Öffnungszeiten sichtbar. Diese Form der Anbringung, die nicht zuletzt eine längere Haltbarkeit der Schilder garantierte, blieb bis ins 20. Jahrhundert vor allem bei kleineren Lokalen ohne Schaufenster in der Vorstadt gebräuchlich. Daneben war die Form kleinformatiger, in den Straßenraum ragender Stangenschilder üblich, die gemalt oder auch in anderer, etwa schmiedeeiserner Form ausgeführt sein konnten.

Erst die Einführung großflächiger Schaufenster und Auslagen im frühen 19. Jahrhundert führte zu einer prominenteren Situierung und ständigen Sichtbarkeit der Geschäftsschilder. Über die elaborierten Geschäftsauslagen dieser Zeit des ersten „window shoppings“ informiert vor allem der Plan der Inneren Stadt von Graf Carl Vasquez aus den 1830er Jahren, der in der Randleiste Ansichten der Lokale der „vorzüglicheren Handelsleute“ der Inneren Stadt sowie deren Geschäftsschilder detailliert wiedergibt. Mit dem von Vasquez gezeigten Geschäftsschild der Seidenhandlung zur Iris, das in der oft gebräuchlichen Form eines halbrunden Schildes über der Hausecke angebracht war, ist eines dieser Schilder heute Teil der Sammlung des Wien Museums.

Um 1900 entstandene Wiener Straßenansichten dokumentieren die Prominenz einiger zum Teil noch heute erhaltener Geschäftsschilder im Straßenbild insbesondere der Inneren Stadt. Genannt seien die „schöne Schäferin“ von Kupelwieser an der Tuchhandlung Hardt in der Freisingergasse oder die Geschäftsschilder „Zum Heiducken“ von Johann Nepomuk Mayer (Wien Museum) und „Zum Mohren“ in der Plankengasse. Dem Spaziergänger durch die Straßen Wiens bot sich damals zumindest zum Teil noch eine Szenerie, wie sie schon Jahrzehnte zuvor beschrieben worden war, etwa durch den Berliner Adolf Glaßbrenner 1836: „Einen eigenen Reiz haben diese schönen Gemälde, mit welchen Kaufleute, Fabrikanten, Bierwirthe etc. ihre Gewölbe schmücken und bezeichnen. Hier siehst du den „römischen Kaiser“ in seinem Ornate, dort „den guten Hirten;“ hier prangt eine „Hofdame,“ dort watschelt eine „weiße Gans“; bald stehst du vor dem Bilde des „Königs von Baiern,“ bald vor einem „Mönche,“ und nicht weit von ihnen erblickst du einen „rothen Stier.“ […] Schau dir dort die „schöne Französin“ an, aber versäume auch nicht den „Merkur!“. Vor jener Apotheke werden dem „Tobias“ die Augen ausgewischt; ein Advokat betrachtet das Bild, mit vieler Theilnahme.“ Um 1900 wäre eine solche Aufzählung freilich auch schon das Verzeichnis einiger Verluste gewesen.

Literatur und Quellen zum Thema finden sich am Ende des Beitrages über Geschäftsschilder im Biedermeier. In der Online Sammlung des Wien Museums gibt´s ein Album mit weiteren ausgewählten Geschäftsschildern.

Andreas Winkel hat Kunstgeschichte in Wien und Dublin studiert; 2017/18 kuratorischer Assistent der Otto Wagner-Ausstellung im Wien Museum, seit 2019 Mitarbeiter der Online-Sammlung des Museums.

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Lintschitant

Schöne Illustrationen! Vielen Dank für die spannenden Informationen und die Arbeit, die geleistet wird, um sie zu sammeln und mit der interessierten Öffentlichkeit zu teilen.