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Andreas Winkel, 27.1.2022

Wiener Hauszeichen

Aus dem Inventar von „Alt-Wien“

Historische Hauszeichen gibt es in Wien noch einige: Nur wahrgenommen werden sie eher selten. Dabei waren sie früher unerlässlich für die Orientierung. Eine Anregung zur Wiederentdeckung „Alt-Wiener“-Objekte – im Museum und in der Stadt.

Das Türkenhaus und sein Zeichen

Im Juni 1909 verzeichnete das Inventarbuch des Historischen Museums der Stadt Wien den Eingang zweier Schenkungen des Neubauer Lederhändlers und Hausbesitzers Jakob Badl: einen „Türke[n] zu Pferd, steinerne Plastik von dem demol. Hause: VII. Schottenhofgasse 1“, sowie ein Aquarell „Ansicht des demol. Hauses VII. Schottenhofgasse 1 mit Umgebung“.

Badl hatte das im Jahr 1790 vollendete und im josephinischen Plattenstil fassadierte Eckhaus, das „Zum Türken“ oder „Türkenhaus“ genannt wurde, im Jahr 1901 erworben. Der Hausname lässt sich seit 1796 nachweisen (Verzeichniß der in der k. k. Haupt- und Residenz-Stadt Wien, sammt den dazu gehörigen Vorstädten und Gründen, befindlichen numerirten Häuser, derselben [...], Wien 1796, S. 187).

Schon 1902/03 ersetzte er es durch das heute noch bestehende Haus Neustiftgasse Nr. 32-34, dessen rückwärtiger Trakt ehemals die Wiener Werkstätte beherbergte. Mit der Beauftragung des (offenbar nach einer Fotografie) angefertigten Aquarells des demolierten Hauses folgte Badl einer schon im 19. Jahrhundert entstandenen und um 1900 auch in der Presse eine Hochblüte erlebenden Tradition, alte Gebäude vor ihrer Demolierung bildlich zu dokumentieren. So sollte zumindest in dieser Form eine Reminiszenz an das erhalten bleiben, was schon damals gemeinhin unter „Alt-Wien“ verstanden wurde. Bereits 1845 hatte der Schriftsteller Franz Gräffer von den „alten, dahingeschiedenen Gebäuden Conterfey's“ gefordert sowie – mehr oder weniger ernst – über eine Vorschrift nachgedacht, nach welcher sich kein Mensch daran machen dürfe, „ein Haus einzureißen, bevor nicht ein daguerreotypisch-genaues Facsimile davon angefertigt“ sei. Badl kam der so formulierten Verpflichtung nach, und mit der Übergabe der Darstellung des Hauses an das Museum brachte er diese auch in die institutionalisierte Erinnerungskultur der Stadt ein.

Mit dem Hauszeichen des „Türkenhauses“, einer etwa 70 cm hohen Figur eines säbelschwingenden Türken zu Pferd, verfuhr Badl ähnlich. Am Neubau selbst ersetzte er die Figur durch eine heute noch erhaltene und jüngst restaurierte Kopie, das Original schenkte er dem Museum. Dessen Inventar konnte schon in den Jahren davor den Eingang einiger Hauszeichen verbuchen. Schon im späten 19. Jahrhundert hatte sich nämlich nicht nur die „Alt-Wien“-Nostalgie, sondern auch das in der Sammlungstätigkeit des Museums abgebildete Interesse der Kunst- und Kulturgeschichte den historischen Hauszeichen angenommen. Diese meist kurz „Schilder“ genannten Objekte wurden als charakteristisch für das „alte“ Wien wahrgenommen.

Die Ordnung der Stadt durch Hauszeichen

Vor der im 18. bzw. 19. Jahrhundert erfolgten Einführung der Vorläufer der heutigen Hausnummern, zuerst „Conscriptions-“, dann „Orientierungsnummern“ genannt, waren die meist anonym hergestellten, künstlerisch jedoch oft wertvollen Hauszeichen wesentlich für die Orientierung in der Stadt. Diese Tafeln, Skulpturen, Bilder u. a. ermöglichten es, Häuser gleichsam wie Individuen eindeutig zu kennzeichnen und für alle, auch für nicht der Schrift kundige Menschen, identifizier- und auffindbar machten.

Burggasse 13/Gutenberggasse 29, „Zum Heiligen Josef“, Fotografie von August Stauda, 1899, Wien Museum.Burggasse 13/Gutenberggasse 29, „Zum Heiligen Josef“, Aufnahme 2021, Foto: Andreas Winkel

Links: Burggasse 13/Gutenberggasse 29, „Zum Heiligen Josef“, Fotografie von August Stauda, 1899, Wien Museum, Rechts: Aufnahme 2021, Foto: Andreas Winkel

Die Hausnamen fußten unter anderem auf in den Gebäuden angesiedelten Betrieben („Zum Färber“, „zum Wagnerhaus“), auf Bezeichnungen aus der christlichen Ikonographie („Zu den hl. drei Königen“, „Zur heiligen Dreifaltigkeit“), auf Fabeln oder Tiernamen („zum weißen Löwen“), sowie auf historischen Begebenheiten – und hier besonders den Türkenkriegen –, die es zu erinnern galt. So soll laut lokaler Tradition an der Stelle des „Türkenhauses“ während der Türkenbelagerung Wiens von 1688 das Zelt Kara Mustaphas gestanden haben (tatsächlich befand sich nur dessen Gefechtsstand in der Nähe). Auch das nicht mehr erhaltene „Elefantenhaus“, das ehemals den Ostabschluss des Grabens gebildet hat, erinnerte durch sein Schild an eine historische Begebenheit, die sich an dieser Stelle zugetragen haben soll. Erzherzog Maximilian (der spätere Kaiser Maximilian II.) hatte 1552 bei seiner Rückkehr aus Spanien einen Elefanten mit nach Wien gebracht, vor dessen Füße beim Einzug durch die Kärntnerstraße bis zum Graben ein Kind fiel. In wundersamer Weise soll das Kind aber nicht zu Tode getrampelt, sondern von dem Elefanten mit dem Rüssel emporgehoben und der Mutter übergeben worden sein. Ein an der Fassade angebrachtes Relief eines Elefanten, das durch einen Stich nach Johann Emmanuel Fischer von Erlach überliefert ist, sollte an dieses Ereignis erinnern.

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Dass viele Hauszeichen mehrfach in der Stadt vorkamen, sprach nicht gegen deren Orientierungsfunktion in einem engeren lokalen Umfeld. Es machte aber Ende des 18. Jahrhunderts ein Verzeichnis nötig, welches auflistete, in welchen Straßen und auf welchen Plätzen der Stadt gleiche Hauszeichen zu finden waren: „Wien, das von Tag zu Tag größer wird, hat itz wirklich schon 80 Adlerschilde, 60 Baumschilde, 30 Bären- und 100 Bauernschilde. – Wer kann das sogleich wissen, wo sie alle stecken, und wie kann es der Briefträger erfahren, wo er den Brief abzugeben hat […].“ (Wiener Schildregister, oder Anweisung, wie man sich auf der Stelle helfen kann, wenn man in Wien den Schild eines Hauses oder eines Kaufmannsgewölbes in und vor der Stadt suchen, und ihn finden will: Zum allgemeinen Nutzen, in kleinem Taschenformat herausgegeben, Wien: im Verlag der Expedition des Wienerjournals, o. J.). Dieses Register nennt die Conscriptionsnummern der ersten Conscription, die 1770/71 erfolgte, muss also vor der 1795 erfolgten zweiten Conscription erschienen sein. Die genannten Schilder werden jeweils der Inneren Stadt, einem Vorort oder einer Vorstadt sowie einer Conscriptionsnummer zugeordnet (innerhalb dieser Ordnungsbereiche wurde jeweils mit 1 beginnend durchgezählt).

Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war in Häuserverzeichnissen die Nennung des „Schildes“ neben der Conscriptionsnummer in der Tradition älterer Häuserverzeichnisse gang und gäbe. Spätere Verzeichnisse beschränkten sich auf die Nennung der ab 1862 eingeführten, jeweils für eine Straße geltenden Orientierungsnummern (die in der Systematik den heutigen Hausnummern entsprachen). Damit wurde ein langsames Ende der historischen Funktion der Hauszeichen angekündigt. So lässt sich etwa das im Wien Museum verwahrte Hauszeichen „zur schönen Laterne“, nach dem die Schönlaterngasse im 1. Bezirk benannt worden ist, in den Verzeichnissen ab dem 18. Jahrhundert den verschiedenen Conscriptionsnummern der heutigen Schönlaterngasse Nr. 6 zuordnen. Ab der Einführung der Orientierungsnummern interessiert die Häuserverzeichnisse jedoch nur noch die Konkordanz der alten Conscriptions- mit den neuen Orientierungsnummern – das Schild selbst, das seine Schuldigkeit getan hatte, wird ab diesem Zeitpunkt nicht mehr genannt.

Retten, dokumentieren, ausstellen

Mit dem Funktionsverlust ging für die Hauszeichen die Gefahr einher, auch physisch nicht mehr notwendig zu sein und verloren zu gehen. „Zu den letzten Wahrzeichen Wiens“ rechnete man schon 1887 etwa das Hauszeichen „Zum Herrnhuter“ am Haus Neuer Markt Nr. 17, Ecke Seilergasse, das seinerseits 1899 abgerissen wurde. Während dieses Hauszeichen den Abriss überdauerte, gingen viele andere mit den Häusern, die sie bezeichneten, verloren.

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Unter dem Eindruck der stetigen und schnellen Veränderung Wiens sowie der Zerstörung zahlreicher Häuser und deren Hauszeichen wurde nicht nur der musealen „Rettung“ solcher Objekte mehr Aufmerksamkeit geschenkt, sondern auch deren künstlerischer, fotografischer und wissenschaftlicher Dokumentation. Kunsthistorische, lokalhistorische und denkmalschützerische Interessen trafen in dieser Frage zusammen und fanden textlichen und bildlichen Niederschlag in der wichtigsten Publikation zu diesem Thema, dem 1924 erschienenen Buch „Alte Wiener Hauszeichen und Ladenschilder“ von Emmerich Siegris, damals Sekretär des Bundesdenkmalamtes und später Oberstaatskonservator.

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Diese Abhandlung beinhaltet auch ein noch heute als Vademecum nützliches, nach Bezirken geordnetes Verzeichnis der Hauszeichen und Ladenschilder sowie zahlreiche Abbildungen von Bruno Reiffenstein und vom Verfasser selbst. Diese Bilddokumente lassen sich durch eine Reihe von etwas älteren Fotografien von August Stauda ergänzen, die neben noch an Ort und Stelle befindlichen auch z. T. verlorene oder heute musealisierte Hauszeichen in ihrem originalen Kontext überliefern. Wer sich heute anhand solcher Bild- und Textquellen auf die Suche nach historischen Hauszeichen macht, wird zumindest zum Teil noch fündig – vor Ort, oder in den Beständen des Museums.

Literatur:

Békési, Sándor, Alt-Wien oder Die Vergänglichkeit der Stadt. Zur Entstehung einer urbanen Erinnerungskultur vor 1848, in: Wolfgang Kos/Christian Rapp, Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war (Ausst. Kat. Wien Museum), Wien 2004, S. 29-38

Die Türken vor Wien: Europa und die Entscheidung an der Donau 1683; Katalog zur 82. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Karlsplatz, im Künstlerhaus, 5. Mai bis 30. Oktober 1983, Wien 1983

Gräffer, Franz, Häuser-Facsimile und noch Etwas, in: ders., Kleine Memoiren. Historische Novellen, Genrescenen, Fresken, Skizzen, Persönlichkeiten und Sächlichkeiten, Anecdoten und Curiosa, Visionen und Notizen zur Geschichte und Charakteristik Wien`s und der Wiener, in älterer und neuerer Zeit, Zweiter Teil, Wien 1845, S. 204-211.

Groner, Richard, Wien wie es war. Ein Auskunftsbuch für Freunde des alten Wien, Wien o. J. (3. Auflage), S. 153 ff.

Koller-Glück, Elisabeth, Wiener Hauszeichen, Wien 1986

Müller, Richard, Wiens räumliche Entwicklung und topographische Benennungen von Ende des XIII. bis zum Beginne des XVI. Jahrhunderts, in: Alterthumsvereine zu Wien (Hg.), Geschichte der Stadt Wien, Band 2.1: Von der Zeit der Landesfürsten aus habsburgischem Hause bis zum Ausgange des Mittelalters, Wien 1900, S. 215 ff.

Seligmann, Adalbert F., Kunst auf der Straße im alten Wien, in: Monatsblatt des Altertumsvereines zu Wien, 1914/1916, Nr. 3, S. 218-221

Siegris, Emmerich, Alte Wiener Hauszeichen und Ladenschilder, Wien 1924

Tantner, Anton, Die Hausnummern von Wien. Der Ordnung getreue Zahlen. (=Enzyklopädie des Wiener Wissens; XXIV). Weitra: Bibliothek der Provinz, 2016. Elisabeth Koller-Glück, Wiener Hauszeichen, Wien 1986

Tantner, Anton, Ordnung und Chaos in der Stadt. 250 Jahre Hausnummern in Wien

Andreas Winkel hat Kunstgeschichte in Wien und Dublin studiert; 2017/18 kuratorischer Assistent der Otto Wagner-Ausstellung im Wien Museum, seit 2019 Mitarbeiter der Online-Sammlung des Museums.

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