
Herma Szabó, 1926, Foto: Lothar Rübelt / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com
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Die Eisläuferinnen Herma Szabó und Helene Engelmann
Auf Kufen berufen
In luftigen Höhen, am Dach eines Kaufhauses in Wien Hernals, knackt und knarzt es, wenn die Kufen der Besucher:innen über den Eislaufplatz Engelmann schleifen. Die Sportstätte wird noch immer von der Familie Engelmann betrieben, in Wien nennt man sie eine Eiskunstlauf-Dynastie. Ihrem Stammbaum entspringen einige Stars der heimischen Eiskunstlaufszene. Eine davon war Herma Szabó (verehelichte Plank-Szabó und Jaross-Szabó), 1924 Olympiasiegerin und von 1922 bis 1926 Weltmeisterin im Einzellauf, zweimalige Weltmeisterin im Paarlauf (1925/27) und erfolgreiche Skiläuferin.
Ihre Cousine, Helene Engelmann (verehelichte Jaroschka), erlangte drei Mal den Weltmeisterinnentitel im Paarlauf, wurde Olympionikin und gilt mit ihren damaligen fünfzehn Jahren bis heute als jüngste Weltmeisterin dieser Disziplin. Trotz rund eines Jahrzehnts Altersunterschied traten die beiden Cousinen teils bei denselben Wettbewerben an und schrieben auf Kufen Geschichte. Es waren „goldene Eiszeiten“, in denen es im Winter noch dicke Flocken und Goldmedaillen für Österreich rieselte. Vor allem in den 1920er Jahren sorgte das Duo für Schlagzeilen und Rekorde für die Ewigkeit. Die Historikerin Agnes Meisinger vom Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien forschte zur Geschichte des Wiener Eislauf-Vereins. In ihrem Buch „150 Jahre Eiszeit - Die große Geschichte des Wiener Eislauf-Vereins“ (2017) widmet sie Herma Szabó ein eigenes Kapitel.
Am 22. Februar 1902 in Wien geboren, dauerte es nicht lange, bis Herma Szabó zum ersten Mal auf Schlittschuhen und Podesten stand. Als 10-Jährige hatte sie ihren ersten Sieg in der Tasche, als Jugendliche konkurrierte sie bereits in höheren Altersklassen um den Wiener und den Österreichischen Meistertitel. Erfolg am Eis hatte in ihrer Familie Tradition, es galt, keine Zeit zu verlieren. Mutter Christa von Szabó war prämierte Weltmeisterin im Paarlauf mit Leo Horwitz, Onkel Eduard Engelmann Junior hielt den Titel als Europameister von 1892 bis 1894. Er war es auch, der für die nötige Trainingsfläche der Nachkömmlinge sorgte. 1909 ließ er die weltweit erste Freiluftkunsteisbahn der Welt in Hernals erbauen. Damit trat er in die Fußstapfen seines Vaters Eduard Engelmann, der den Grundstein in Form einer aufgespritzten Eisfläche rund um einen alten Nussbaum in der heutigen Jörgerstraße in Hernals gelegt hatte. Der Wiener Eislauf-Verein (WEV) bemühte sich, so schnell wie möglich nachzuziehen und tat dies drei Jahre später mit einer Kunsteisbahn im Ausmaß von 4.000 Quadratmeter. Während Helene Engelmann dem Verein ihres Vaters ein Leben lang treu blieb, wurde Herma Szabó zu einer WEV-Läuferin.
Kunsteis gab es bis dahin nur in Hallen. Mit der neuen Technik hatten österreichische Athlet:innen entscheidende Vorteile gegenüber der Konkurrenz aus dem Ausland. Wien mauserte sich zur internationalen Kunstlaufmetropole. „Die Sportlerinnen konnten dauernd laufen, ohne auf das Wetter zu achten. Es gab nicht mehr die Situationen, dass die Eislauffläche plötzlich zu warm war und sie tagelang pausieren mussten“, erklärt die Historikerin Agnes Meisinger. Man trainierte bei jeder Witterung und eichte sich damit für schwierige Wettbewerbsituationen. Denn die Bedingungen waren früher teils von charmantem Chaos geprägt. „Zu dieser Zeit ist man noch auf Naturwasser gelaufen. Es war ein Problem, dass Teile der Eisfläche verschiedene Zustände aufwiesen. Es war nicht eben. Es herrschten sicher schwierigere Bedingungen, vor allem für die Wiener:innen, die auf perfektem Eis trainierten“. Löcher auf der Eisbahn wurden mit roten Fahnen markiert. Die Sportler:innen mussten aufpassen, wo sie hintraten. „Aber die Wiener:innen hatten dafür eine extrem starke Technik“, erläutert Meisinger.
Welche Technik steckte hinter der Wiener Schule? „Herma Szabo hat den Eiskunstlaufsport revolutioniert, nicht nur in technischer Hinsicht, welche oft mit der männlichen Lauftechnik verglichen wurde, weil sie so athletisch war. Sie hat hohe Sprünge und schnelle Pirouetten gebracht. Revolutionär war außerdem, dass sie als Schneiderin im Brotberuf ihre eigenen Eiskunstlaufkleider schneiderte. Die standen im Gegensatz zu dem, was man bisher kannte: Kurze Röckchen, die mehr Beinfreiheit gaben. Deshalb konnte sie auch hohe Sprünge viel besser ausführen als Läuferinnen mit knöchellangen Kleidungsstücken“, so Agnes Meisinger. „Sie ist als erste Frau den Axel gesprungen, heute eine gängige Figur, die früher aber nur von Männern ausgeführt wurde.“ Die langen Kleider behinderten nicht nur schwierige Figuren, sondern sorgten manchmal für schwere Stürze. Schnell kopierten andere Athletinnen ihren Kleidungsstil, der bis heute nachwirkt.

Szabós Technik und ihre Charakterzüge brachten ihr in Medien den Spitznamen „Wildfang“ ein. „Heute kritisiert man diesen Begriff natürlich aus feministischer Perspektive. Sie wurde damals so bezeichnet, weil sie nicht nur Eiskunstläuferin war und das Elegante konnte, sondern weil sie in ganz vielen Sportarten sehr begabt war“, so Meisinger. Neben dem Eiskunstlauf widmete sich Szabó dem Schwimmen, Landhockey und Skilaufen.
Die 1898 in Wien geborene Helene Engelmann setzte hingegen auf Eleganz in ihrer Disziplin. Sprünge, Spitzpirouetten und Zirkelfiguren standen am Programm Engelmanns und ihrem Partner Karl Mejstrik. Mit nur 15 Jahren gewann sie mit ihm den ersten nationalen und Weltmeistertitel im Paarlauf in Stockholm. Die heimischen Medien witterten eine neue Blütezeit im Eiskunstlauf. „Wo sollte denn das Paarlaufen, der höchste Ausdruck von Schwung, Grazie und Eleganz bessere Vertreter finden als im tanzfrohen Wien?“, fragte das Neue Wiener Tagblatt 1913. Im Jahr darauf belegte das Paar den zweiten Platz bei der WM in St. Moritz. Doch bevor Helene Engelmann die Möglichkeit für weitere Erfolge bekam, brach der Erste Weltkrieg aus. Von 1915 bis 1921 fielen Wettkämpfe aus, ihre Karriere lag auch im übertragenen Sinn auf Eis.

Nach der Kriegspause brachen für die Cousinen goldene Zeiten an. Engelmann überraschte mit ihrem neuen Partner, Alfred Berger. Das Paar wurde Weltmeister in Davos und holten zwei Jahre später in Manchester erneut Gold nach Hause. Nach dem Rezept gefragt, verwies Fredl Berger auf „höchste Präzision“, gepaart mit der Vermittlung von „spielender Leichtigkeit“, die sich nicht zuletzt im Gesichtsausdruck zeigen sollte. „… in dieser Hinsicht war meine Partnerin Helene vollkommen“. Zur gleichen Zeit katapultierte sich Helenes Cousine Herma an die Spitze des Dameneinzellaufs und sammelte eine Goldmedaille nach der anderen. Vier Jahre lang führte sie die Spitze der Eislaufkünstlerinnen rund um den Globus an.
Vor rund 100 Jahren, am 25. Jänner 1924, fanden die ersten Olympischen Winterspiele statt. Schauplatz war das französische Chamonix am Fuße des Mont Blancs. Herma und Helene wurden neben zwei weiteren Kandidat:innen für Österreich ins Rennen geschickt. Die Sportler:innen hatten hart trainiert. „Wir waren entschlossen der Welt zu zeigen, dass unser kleines, geschrumpftes Postkriegs-Österreich immer noch lebendig ist“, erinnerte sich Szabó in einem Interview mit Sports Illustrated . Sie holte nicht nur die erste Goldmedaille für Österreich seit Beginn der Olympischen Winterspiele, sondern war auch die erste weibliche Olympiasiegerin, denn Frauen waren zu den Spielen erst ab 1900 zugelassen. Helene Engelmann siegte zwei Tage später herausragend mit ihrem Partner Alfred Berger im Paarlauf am Eis. Dabei hatte Szabó gar nicht mit einem Sieg gerechnet. Bis dahin hatte die Wienerin noch nie eine Performance einer amerikanischen oder britischen Eiskunstläuferin gesehen. Sie war beeindruckt. Sie hätten viel hübscher gewirkt und wären so modern über das Eis gelaufen, erzählte sie in dem Interview. Szabó rannte nach ihrem Auftritt sofort ins Hotelzimmer und entledigte sich ihres Kleides, überzeugt von ihrer katastrophalen Niederlage. Ihr Vater musste sie aus dem Hotel zurückholen. „Zieh dich an, du hast gewonnen. Sie hissen schon die österreichische Fahne“, soll er durch die Tür gerufen haben.

Nach olympischem Gold war Szabó offenbar auf der Suche nach einer neuen Herausforderung und wandte sich ebenfalls dem Paarlauf zu. Ihre Partnerwahl fiel auf Ludwig Wrede. Der Entschluss wurde als „interessantes Experiment“ angesehen. Beide waren als Einzelkämpfer:innen am Eis bekannt und mussten nun feinabgestimmte Teamarbeit beweisen. Das „Experiment“ glückte: Das Duo erlangte 1925 die Weltmeisterschaft.
1927 kam es zu einem Ereignis, das als erster großer Preisrichterskandal in die Geschichte des Eiskunstlaufs einging. In Oslo beendete das Ausnahmetalent Szabó ihre Karriere überraschend. Der Auslöser: Die fünffache Meisterin wurde bei der WM in Norwegen von dem 14-jährigen norwegischem „Wunderkind“ Sonia Henie geschlagen. Zu Unrecht, wie Szabó und andere Kritiker:innen fanden. Das Resultat der Punktrichter war umstritten, stammten doch drei der fünf Jurymitglieder aus Norwegen. Sie gaben ihre Stimme Henie, die anderen Richter urteilten zugunsten Szabós.
„Preisrichterskandal bei den Eislauf-Weltmeisterschaften“ schrieb die Illustrierte Kronen-Zeitung. „Noch bitterer, wenn uns der Verlust nicht durch einen ehrlich überlegenen Gegner zugefügt wird, sondern wenn er das Werk der unparteilich sein sollenden Schiedsrichter ist“. Auch das Wiener Sporttagblatt sprach von einer „abgekarteten Sache“ und titelte: „War es ein organisierter Betrug?“ Die heimischen Medien berichteten von böswilligen Manipulationen während der Vorbereitungen vor Ort, bei der Szabós Eiskunstlaufschuhe angeblich beschädigt wurden. Es war Szabós letzter Wettkampf am Eis. Der Groll auf den norwegischen Kinderstar dürfte groß gewesen sein.

Nach ihrem Karriereende suchte Szabó naturgemäß wieder eine neue Herausforderung. Die lag in den Bergen. Sie tauschte Schleifeisen gegen Ski. Belege weisen darauf hin, dass sie in den Kader des Österreichischen Skiverbands aufgenommen wurde. Fürs Skifahren schwärmte Szabó schon ihr Leben lang, musste sich mit dieser Leidenschaft aber ihrer Eislaufkarriere zuliebe zurückhalten. „Ein Tag auf Skiern bedeutet für den Schlittschuh einen Formrückgang von Tagen“, ließ sie in einem Essay wissen. Schloss der Eislaufverein die Saison und seine Pforten, ging es mit ihrem Mann auf die lang entbehrten Skier und in die Berge, denn „die verbotene Früchte schmecken doch immer am besten“. Denen konnte sie sich nun, wie auch dem Schwimmen, in den folgenden Jahren widmen. Sie heiratete insgesamt vier Mal. 1982 wurde sie als Auszeichnung für ihre Karriere in die Hall of Fame des Eiskunstlaufs in Colorado aufgenommen. Wenige Jahre später verstarb Herma Szabó in Admont im Alter von 84 Jahren.
Das Duo Engelmann-Berger hatte seine Karriere bereits früher, am Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit, beendet. Die beiden gingen am 26. Februar 1924 bei der WM in Manchester ein letztes Mal an den Start, siegten mit Höchstleistung und zogen sich anschließend nach und nach vom Sport zurück. Ab und zu tanzten sie im Zuge eines Schaulaufens noch über das Eis, das zu dieser Zeit immer mehr an Popularität gewann. Nachdem Engelmann ihre Karriere damit besiegelte, heiratete sie Johann Jaroschka und bekam mit ihm einen Sohn. Zusammen mit ihrem Kind arbeitete sie in den folgenden Jahren im väterlichen Betrieb der Kunsteisbahn Engelmann mit. Sie liegt in Hernals begraben, nicht weit von der Kunsteislaufbahn Engelmann entfernt.
Zwei historische Videos auf der Website des Internationalen Olympischen Komitees geben Einblicke in die Eislaufkünste der beiden Porträtierten: Hier geht´s zu Herma Szabó und Helene Engelmann mit Alfred Berger bei den Olympischen Spielen in Chamonix.
100 Jahre Erste Freiluftkunsteisbahn der Welt. Hrsg.: Kunsteisbahn Engelmann Verein. November 2009
Meisinger, Agnes: 150 Jahre Eiszeit - Die Geschichte des Wiener Eislauf-Vereins. Hrsg: Wiener Eislauf-Verein. Wien, 2017
Herma Jaroß Szabo, 1925. Die Leiden des Kunstlauftrainings, Autobiography, Essay, 1925
Neues Wiener Tagblatt, 11. Februar 1913
Illustrierte Kronen-Zeitung, 22. Februar 1927
Wiener Sporttagblatt, 24. Februar 1927
Illustrierte Kronen-Zeitung, 16. Dezember 1931
Wiener Sporttagblatt, 5. April 1932
Kärntner Zeitung, 7. Februar 1933
1984. As it was in the beginning. William Oscar Johnson. Sports Illustrated.
Interview mit Fritzi Burger, in Dokumentation „Reflections on Ice: A Diary of Ladies Figure Skating“, 1988
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