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Die neue Dauerausstellung des Wien Museums
Menschen, Themen, Leitobjekte
Was erwartet das Publikum in der neuen Dauerausstellung – auch im Vergleich zur jener im „alten“ Wien Museum? In welcher Größenordnung bewegen wir uns?
Die neue Dauerausstellung hat 3300 m2, das sind ca. 1300 m2 mehr als früher. Erstmals ist darin das 20. Jahrhundert groß präsentiert bzw. es geht bis in die unmittelbare Gegenwart. Es gibt 1700 Objekte, 110 Medienstationen, rund 50 Hands-on-Stationen zum Mitmachen, zahlreiche inklusive Elemente ...
…. wir versuchen, das Mehr-Sinne-Prinzip anzuwenden: Das heißt, dass man Dinge auch anfassen kann, hören, ja sogar riechen kann…
… und wir versuchen, eine Grundhaltung anzuwenden, die die Menschen in den Fokus stellt. Es sollen die Menschen hinter den Objekten gezeigt werden, und zwar nicht nur die Auftraggeber:innen, sondern auch jene, die z.B. Dinge produziert haben. Es geht um Themen, die auch heute noch im Alltag wichtig sind, um eine gegenwärtige Perspektive auf Historisches. Und es gibt viele partizipative Formate, damit sich die Besucher:innen direkt einbringen können.
Diesen Fokus auf Menschen durchzuziehen, ist aufgrund der Sammlung nicht ganz einfach: Früher wurden ja nur schöne, bedeutende Objekte gesammelt, wohingegen Alltagsgegenstände der einfachen Menschen kaum erhalten sind. Auf diese Leerstellen weisen wir stellenweise explizit hin, und wir versuchen sie durch grafische Elemente, Statistiken oder auch Hörgeschichten auszugleichen, um das Gesamtbild lebendiger zu machen. Auch Leihgaben sind wichtig dort, wo in der eigenen Sammlung kaum etwas zu finden ist.
Ein Beispiel dafür ist das Modell eines Webstuhls aus dem Technischen Museum, das von der Frühindustrialisierung und der Bedeutung der Textilindustrie in Wien erzählt – in Kombination mit einer großen Infografik.
Es gibt historische Dauerausstellungen in Museen, die modular-thematisch aufgebaut sind, und andere, die chronologisch vorgehen. Zur letzteren zählt auch die neue Dauerausstellung des Wien Museums. Wie vermeidet man den Eindruck eines klassischen „Gangs durch die Jahrhunderte“?
Wir unterbrechen die Chronologie mit thematischen Zugängen, die mit dem heutigen Leben verbunden sind. Das sind Themen, die zu Beginn aufgegriffen werden und durch die Ausstellung weiterzählt werden, etwa Wohnen oder Arbeiten. Auch Aspekte wie Migration und Religion ziehen sich durch alle Kapitel. Wie entwickelt sich das im Lauf der Zeit? Es geht dabei aber nicht um teleologisches Geschichtsbild, sondern darum, jene Umweltbedingungen und auch die überregionalen politischen Konstellationen aufzuzeigen, innerhalb deren Menschen hier gelebt haben.
Das Wien Museum hat nicht nur eine historische Sammlung, sondern auch eine Kunstsammlung. Welche Rolle spielen die Kunstwerke in der neuen Dauerausstellung?
Unser Zugang ist immer der gewesen, dass wir Kunst im Kontext zeigen. Das heißt Kunst nicht nur um der Kunst willen zu zeigen, sondern Kunst als wichtigen Indikator für wesentlichen gesellschaftliche Entwicklungen einer Zeit einzusetzen. Ein Beispiel dafür ist etwa Oskar Kokoschkas Gemälde „Schloss Wilheminenberg mit Blick auf Wien“ aus dem Jahr 1931, das wie ein Seismograf der Zeit zu lesen ist. Über diese Kunstwerke erfährt man auch viel über die Personen dahinter, über Gesellschaftsschichten, Handlungsspielräume für unterschiedliche Gruppen und Geschlechter. Im 20. Jahrhundert haben wir zusätzlich ein Format der „Kunststrecke“, wo kleinere Cluster von Kunstwerken zu sehen sind, die natürlich ihrerseits auch im jeweiligen Kapitel verankert sind und eine bestimmte Erzählung übernehmen.
Die Auswahl der Objekte war generell eines der härtesten Dinge in der Entwicklung der Dauerausstellung. Denn einerseits gab es einen Grundstock von Objekten, die schon seit Jahrzehnten zurecht zu sehen waren und auch vom Publikum geliebt werden: Die will man natürlich auch gerne wieder zeigen.
Könnt Ihr den Prozess der Auswahl genauer beschreiben?
Es gab für jedes Kapitel inhaltliche verantwortliche Kurator:innen, die jeweils ihre spezielle Perspektive und Expertise eingebracht haben und auch bei der Objektauswahl eine entscheidende Rolle gespielt, in enger Abstimmung hinsichtlich der Gesamtkonzeption der Dauerausstellung. Bei diesem Prozess war auch Matti Bunzl als Direktor eng eingebunden. Und es waren unzählige externe Expert:innen involviert, die uns unglaublich wichtigen Input geliefert haben, mit neues Ergebnissen von Forschungsprojekten. Prinzipiell war uns eine Zuspitzung auf bestimmte Thesen sehr wichtig, weil sonst die Gefahr besteht, alles erzählen zu wollen und zu viele Objekte zu zeigen.
Welche neuen Schlüsselwerke sind besonders erwähnenswert?
Eines ist sicherlich die Skulptur „Der letzte Mensch“ von Anton Hanak, die das Kapitel zum Roten Wien eröffnet. Oder die Wandmalerei des Uhren- und Juweliergeschäfts von Adolf Grünsfeld im Kapitel zum Nationalsozialismus. Oder die Installation mit den Ballspenden, die an sich kleine künstlerische Wunderwerke sind, in Wirklichkeit aber industrielle Revolutionen mit enormen Auswirkungen symbolisieren. Es gibt etliche Schlüsselobjekte in der gesamten Ausstellung – zugleich haben wir uns, wie Elke schon erwähnt hat, entschlossen, nicht zu viele Objekte auszustellen.
Es waren ja schon einige externe Besucher:innen in der Dauerausstellung. Und da hat es sich gezeigt, dass viele Objekte, die schon früher gezeigt wurden, offenbar erstmals wahrgenommen werden. Zum Beispiel das Monumentalgemälde von Anton Hlavacek oder zwei prächtige Biedermeier-Schreibtische.
Das bringt mich schon zum nächsten Thema. Für die Inszenierung zeichnet das Berliner Büro chezweitz verantwortlich, die Gestaltung übernahmen Irina Koerdt und Sanja Utech (koerdutech) und Robert Rüf, die Grafik Larissa Cerny und Martin Embacher. Wie würdet Ihr die Prinzipien der Gestaltung beschreiben?
Es sollten Raumkonfigurationen und Raumbilder entstehen, die die Inhalte mittransportieren. So gibt es etwa im Kapitel 11 zum Nationalsozialismus die sehr kühle Architektur aus Glas und Blech, die den Aspekt der Unmenschlichkeit repräsentiert. Oder im Kapitel 6, wo es um die Aufklärung geht, steht die klare Linienstruktur im Raum für das Kategorisieren und Ordnen in dieser Zeit. Sehr wichtig waren uns auch Sichtachsen auf Leitobjekte.
Im Kapitel 3 unter der großen Halle greift die Szenografie auf die kleine städtische Struktur des Mittelalters auf. In der Mitte der Blickachse befindet sich das Modell des Stephansdoms, das halb in den Raum reingesetzt ist und auf den die meisten Objekte, die hier gezeigt werden, Bezug nehmen. Generell sollte die Gestaltung zurückhaltend sein und den Hauptakteuren – nämlich den Objekten – nicht die Show stehlen.
Welche Rolle spielt die große Halle?
Sie ist Teil der Dauerausstellung, aber fügt sich nicht in deren chronologische Ordnung ein. Sie ist für uns ein Symbol für den Stadtraum, der den chronologischen Rundgang auch immer wieder bewusst durchbricht. Gleichzeitig sind die Blickachsen von den Dauerausstellungsräumen auf die Leitobjekte in der Halle sind ganz zentral.
Eine Dauerausstellung heißt nicht umsonst so. Während Sonderausstellungen meist drei bis fünf Monate gezeigt werden, bleiben Dauerausstellungen in Museen meist fünf oder zehn Jahre unverändert, oft sogar länger. Welche Konsequenzen hatte das – im Vergleich etwa zu den vielen Sonderausstellungen, die Ihr schon kuratiert habt?
Für mich war die größte Herausforderung, dass man nicht so in die Tiefe gehen kann. Man muss sich selbst beschränken, um die Erzählung nur bis zu einem bestimmten Punkt zu verdichten, und auch nicht zu viele Objekte zeigen, damit es noch konsumierbar ist. Ein Zugang war, weiterführende Informationen für jene, die mehr wissen wollen, in ein zweite Eben zu verlagern, etwa in Medienstationen.
Bei einem Projekt dieser Größenordnung und auch dieser zeitlichen Dimensionen ist sicher eine Herausforderung, sich klarzumachen, dass das Ergebnis nachhaltig sein muss, das heißt lange gültig sein. Man macht sich noch mehr Gedanken als bei einer Sonderausstellung. Wie man Dinge auf den Punkt bringt. Welche Perspektive man auf ein bestimmtes Objekt legen möchte. Natürlich will man auch Dinge neu ausprobieren, das ist dann eine Gratwanderung zwischen Innovation und manchmal dann doch den traditionelleren Weg wählen, weil man auf der sicheren Seite sein muss.
Zugleich gibt es Stellen und Themen, bei denen wir uns bewusst dafür entschieden haben, flexibel zu sein. Zum Beispiel im Kapitel 13 zur Stadt von 1989 bis zur Jetztzeit, oder im Kapitel 5 zur osmanischen Belagerung, wo laufende Forschungsergebnisse zu den Objekten auch in Zukunft einfließen sollen. Ob wir da die richtige Mischung gefunden haben, das lässt sich jetzt gar nicht beurteilen – das wird sich erst in der Zukunft erweisen.
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es ist kälter geworden..