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Werner Michael Schwarz, Susanne Winkler, Peter Stuiber, 19.10.2022

Projekt Pratermuseum neu

Ein gottlos schöner Ort für alle

Nach jahrzehntelanger „Untermiete“ im Planetarium wird es ab Frühjahr 2024 ein eigenes neues Pratermuseum geben – mitten im Wurstelprater. Wie wird es aussehen? Was wird es können? Das kuratorische Duo Werner Michael Schwarz und Susanne Winkler gibt im Interview einen Einblick in das Projekt.

Peter Stuiber

Der Bestand zum Prater ist einer der wichtigsten in unserer Sammlung. Woher stammt er und worin besteht seine Qualität?

Werner Michael Schwarz

Der Kern der Sammlung geht auf die Pädagog:innen Hans Pemmer und Ninni Lackner zurück, die beide über Jahrzehnte fixe Größen im Wiener Kulturleben waren. Hans Pemmer war 1923 auch Mitbegründer des ersten Wiener Bezirksmuseums, jenes in Meidling. In dieser noch sehr experimentellen Phase des Roten Wien wurde hier der Begriff Heimat neu und progressiv interpretiert. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der unmittelbaren Wohnumgebung sollte insbesondere Kindern Selbstbewusstsein und das Gefühl von Zugehörigkeit und Teilhabe vermitteln, die als Voraussetzungen für Bildungsbewusstsein und Lernfähigkeit gesehen wurden.

Die Verankerung Hans Pemmers in der Schulreformbewegung um Otto Glöckel, so würden wir sagen, ist auch seiner Pratersammlung deutlich anzumerken. Sie ist von großer Empathie für den Ort geprägt und für die Menschen, die diesen gestalteten. Pemmer und Lackner bemühten sich erstmals um eine fundierte Auseinandersetzung mit dem weitläufigen Gelände, seiner historischen Tiefe und kulturellen Ausstrahlung, wobei die Faszination für die Kreativität, die Lebendigkeit des Ortes und nicht zuletzt für seinen Schalk immer durchscheinen.

Peter Stuiber

Wie groß ist die Sammlung? Woraus besteht sie?

Susanne Winkler

Es sind ca. 8.000 Einzelstücke, die bis 1766, also bis zum Beginn des Praters als öffentlichen Ort zurückreichen. Es sind Pläne, Grafiken, Gemälde, Fotografien, Filmstills der zahlreichen Praterfilme, Musikdrucke von Liedern und Märschen, Programme und Plakate von Theatern, Varietés, Kinos, Zirkussen, Menagerien oder Zaubertheatern, dazu Bücher, Zeitungsausschnitte und vor allem einige hochkarätige Dinge, die aus dem unmittelbaren Praterbetrieb stammen, wie ein Watschenmann, ein Karussellbaum mit der Figur der Fortuna, Ringelspielpferde, Automaten, Wachs- und Tierpräparate, Aufschriften und Hauszeichen bekannter Pratergasthäuser. Die Sammlung ist deshalb so bemerkenswert, weil sie etwas über die Zeit rettete, was ansonsten vermutlich beim großen Praterbrand am Ende des Zweiten Weltkrieges verloren gegangen wäre.

Peter Stuiber

Das Pratermuseum war als Untermieter im Planetarium untergebracht. Also eigentlich abseits des eigentlichen Wurstelpraters und mit eingeschränkten räumlichen Möglichkeiten. Daher gab es schon lange den Wunsch, die Sammlung an einem besseren Ort zu präsentieren. Wie kam es zur jetzigen Gelegenheit?

Werner Michael Schwarz

Das Pratermuseum reicht bis in das Jahr 1933 zurück, als Hans Pemmer ein privates Museum in seiner eigenen Wohnung einrichtete. 1935 veröffentlichten er und Ninni Lackner das Buch „Der Wiener Prater einst und jetzt“, das in seiner Detailfülle und Genauigkeit immer noch ein Standardwerk ist. 1964, als Hans Pemmer dann seine umfassende Pratersammlung der Stadt übergab, wurde diese als eigenständiges Pratermuseum in einem Flügel des neugebauten Planetariums, nahe der Kaiserwiese am Oswald-Thomas-Platz 1 eröffnet. Das frühere Planetarium, ein Holzbau am Praterstern, war wie der angrenzende Wurstelprater 1945 niedergebrannt. Mitte der 1980er-Jahre konnten die städtischen Praterbestände um die Sammlung Adanos erweitert werden, die ihren inhaltlichen Schwerpunkt auf „Abnormitätenschauen“ legte. 1990 wurde schließlich die Laterna magica-Sammlung [frühe Projektionsapparate] von Ernst Hrabalek als assoziierte Spezialsammlung erworben.

Im Rahmen der Sanierung des Gesamtgebäudes (Grund war die Gefährdung durch Asbest) kam es Anfang der 1990er-Jahre zu einer grundlegenden Renovierung und Neuaufstellung des Pratermuseums durch Ursula Storch vom Wien Museum und die Architektin Maria Auböck. Die Platzressourcen waren schon damals knapp und auch die klimatischen und konservatorischen Bedingungen im Seitentrakt des Planetariums nicht ideal. Ob die Lage des Museums etwas abseits vom eigentlichen Wurstelprater damals als Nachteil gesehen wurde, ist ungewiss, denn zu dieser Zeit schien die Blütezeit des Vergnügungsparks voerst vorbei. Der aktuelle und sehr zentrale Bauplatz wurde dem Wien Museum dann 2018 von der Prater Wien GmbH, der Vertreterin der Stadt im Prater, angeboten.    

Peter Stuiber

Könntet Ihr einige Hard Facts zum neuen Pratermuseum sagen: Wie groß wird es sein? Wie wird es aussehen?

Susanne Winkler

Bevor wir zu den Hard Facts kommen, würden wir gerne ein paar Überlegungen vorausschicken, die für die Gestaltung ausschlaggebend waren, die sich insbesondere durch die Lage des neuen Museums mitten im Wurstelprater, am Beginn der Straße des Ersten Mai, ganz selbstverständlich ergeben haben. Die unmittelbare Nachbarschaft ist turbulent, Autodrom, Praterdome, Extasy, um nur einige der neuen Nachbarn zu nennen. Hier versucht jeder den anderen zu übertönen. Wie kann sich also hier ein Museum, das seriös über Geschichte und Kultur dieses Ortes erzählen möchte behaupten? Zum einen sind es aber gerade diese Qualitäten des Praters, diese Art der Kreativität, Aufmerksamkeit zu erregen, die einen Teil seiner Faszination ausmachen und zum anderen legt seine Geschichte und Gegenwart das Interesse für Fragen nach Offenheit und Inklusion nahe.

Dadurch war es von Anfang an klar, dass das Museum so einladend und niedrigschwellig wie möglich sein sollte. Der Architekt Michael Wallraff hat das Gebäude dementsprechend und buchstäblich vom Museumseintritt aus konzipiert. Es wird von beiden Seiten (Straße des Ersten Mai und Eduard-Lang-Weg) gleichwertig zu betreten sein, Erdgeschoss bzw. Foyer werden als konsumfreier Raum erhalten bleiben, der auch für kleinere Veranstaltungen genutzt werden kann, für Musikdarbietungen, Kleinkunst oder Flohzirkus und vieles andere mehr. Damit entsteht eine Übergangszone zwischen Innen und Außen, in der dennoch schon ein erster Eindruck von der historischen Vielfalt und Tiefe des Praters geboten werden soll. Das bedeutete gleichzeitig, dass das Museum in die Höhe wachsen muss, in Summe auf zweieinhalb Geschoße und fast 15 Meter, wobei sich die eigentlichen Schauräume im ersten und zweiten Stock befinden werden. Die Form des geschwungenen Daches, um auf das Aussehen zu kommen, ist einem freien Blick auf das Riesenrad geschuldet und greift dessen Rundung auf.  

Das Foyer wird ca. 120m², die Ausstellungsräume im engeren Sinn werden 200m² haben. Am Ende der Ausstellungserzählung wird noch ein Weg ins Freie führen, wo man von einem Balkon in ca. zehn Metern Höhe den Prater hoffentlich dann mit neuen Perspektiven überschauen kann.     

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Peter Stuiber

Von Adalbert Stifter gibt es das wunderbare Zitat über den Prater aus dem Jahr 1844: „Wenige Hauptstädte in der Welt dürften so ein Ding aufzuweisen haben, wie wir unseren Prater. Ist es ein Park? „Nein.“ Ist es eine Wiese? „Nein.“ Ist es ein Garten? „Nein.“ Ein Wald? „Nein.“ Eine Lustanstalt? „Nein.“ Was denn? „Alles dies zusammen genommen.“ Macht den Prater aus, dass er sich jeder Definition entzieht?

Werner Michael Schwarz

Alle theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Prater und ähnlichen Orten diskutieren ihre merkwürdige Funktion, die je nach Betonung als gesellschaftliche Schwellen- und Freiräume, als „andere Orte“ oder Experimentierfelder gedeutet werden, wo das „normale“ Leben auf Zeit unterbrochen und ausgesetzt, gleichzeitig aber kommentiert, vermittelt, oft auch verzerrt und karikiert wird. In diesem Sinn haben diese Orte eine eigenartige Doppelnatur, sie sind Fenster in eine andere Welt und zugleich Spiegel- oder Schattenbilder der eigenen. Entstanden sind sie und das lässt sich schön am Prater beobachten an einer Zeitenwende, im 18. Jahrhundert, wo im aufgeklärten Denken die Vorrechte des Adels und vor allem die kirchliche Autorität in Frage gestellt wurden. In Wien geht das eigentümlicherweise von ganz oben aus.

Als Joseph II. den Prater, die kaiserlichen Jagdgründe für Alle öffnen ließ, läutete er ganz konkret eine neue Zeit ein. Erholung und Vergnügen sollten nicht mehr an den kirchlichen Festkalender gebunden sein, sondern jederzeit und für „jedermann“ zugänglich sein. Der demokratische Gedanke, einen Ort für alle zu schaffen, hatte auch einen utilitaristischen Aspekt, sollte Fleiß und Produktivität der Bevölkerung heben. Um es zuzuspitzen, der Prater war wohl der erste ganz weltliche Ort der Stadt, an dem es keinen Gott mehr brauchte. 

Peter Stuiber

Was bedeutete ein Ort für alle?

Susanne Winkler

Die Funktion, ein Ort für alle zu sein, hat aus dem Prater ein sozial sehr feingliedriges Areal gemacht. Es gab insbesondere in der Vergangenheit sehr noble Bereiche, Orte der Aristokratie und des Großbürgertums, etwa entlang der Hauptallee, Bereiche für die einfache Bevölkerung, aber eben auch Platz für Spinner:innen, Exzentriker:innen und Innovator:innen, etwa wenn es um moderne Freizeitpraktiken oder Sportarten wie Fußball ging, aber auch Orte für Glücksuchende, Verzweifelte oder Ausgestoßene. In den literarischen Fantasien, wahrscheinlich mehr als im wirklichen Leben kam es zwischen diesen Gruppen zu echten Begegnungen. Bemerkenswert ist auch der allererste Erste Maiaufmarsch der Arbeiterbewegung, der 1890 in den Prater führte. Zu einem exakt verabredeten Zeitpunkt stimmten die Arbeiter:innen als ganz eigenwillige Demonstrationsform in den Pratergasthäusern das „Lied der Arbeit“ an.

Peter Stuiber

Wie geht man damit um, dass der Prater ja auch Schauplatz von Menschenschauen war und immer den Voyeurismus bedient hat? Wie vermeidet man, im nachhinein den Voyeurismus neuerlich zu bedienen?

Werner Michael Schwarz

Im Prater wurden insbesondere seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Menschen aus europäischen Kolonien insbesondere aus Afrika und Asien ausgestellt. Wer sie waren und woher sie tatsächlich kamen, wurde in der Regel nicht hinterfragt und zählte zu den vielen Ausblendungen, die diese Schauen erst möglich machten. Wie im Fall des Wiener Tiergartens im Prater, der sich eine Zeit lang ganz auf diese Menschenschauen spezialisiert hatte, wurde die Inszenierung noch ein Stück perfektioniert und der Eindruck erweckt, als wären ganze Dörfer eins zu eins in den Prater verpflanzt worden. Die Schauen begleiteten und rechtfertigten den europäischen Kolonialismus und Rassismus. Zivilisationskritiker wie der Schriftsteller Peter Altenberg fantasierten hier vom Ideal eines „natürlichen“ Lebens.

Wie geht man damit um? Das Thema zählt zu den schwierigsten, anspruchsvollsten, aber auch wichtigsten bei der Neupräsentation. Es wird in erster Linie darum gehen, die Rezeption mit einem intensiven zeitgenössischen Kommentar zu vermitteln, die europäischen und wienerischen Fantasien, die eigenwilligen und widersprüchlichen Rechtfertigungen, die schockierenden Details dieser Schauen, die die ganze Grausamkeit rassistischer Vorstellungen zeigen. 

Peter Stuiber

Der Prater war gerade in der jüngeren Vergangenheit Forschungsthema unterschiedlichster Richtungen. Was darf man sich von der neuen Dauerausstellung erwarten? Welche neuen Erkenntnisse wollt Ihr in den Fokus rücken? Welche neuen Objekte aus dem Bestand werden zu sehen sein?

Werner Michael Schwarz

Die Forschungen der jüngeren Vergangenheit haben sich vor allem mit der Bedeutung des Praters als Ort der Vermittlung beschäftigt, an dem Vorstellungen über fremde Städte, Länder und Erdteile, über Tiere, Wissenschaft, Technik und insbesondere den Menschen selbst vermittelt wurden. In anatomischen Schaustellungen, wie in Präuschers Panoptikum, wo anatomische und pathologische (Wachs-)Präparate ausgestellt waren, konnten viele erstmals den menschlichen Körper und seine Funktionsweisen studieren. Generell wurden Körpervorstellungen, Normen und Ideale im Prater intensiv verhandelt. So verbreiteten starke Männer und starke Frauen um 1900 ein neues athletisches Körperideal, in den zahlreichen Tierschauen wurden die neuesten Entdeckungen der Zoologie gezeigt und zwischen Wissenschaftlichkeit und spektakulärem Storytelling vermittelt. Neueste Techniken fanden Eingang in das Repertoire der Schau- und Vergnügungsorte, von neuen optischen Apparaturen bis zu Bewegungsmaschinen, von Fahrrädern bis zu Raketen. Oder die Möglichkeiten der Technik selbst, die pure Machbarkeit wurden spektakulär ausgestellt, wie bei der Rotunde [dem Zentralbau der Weltausstellung 1873], dem Riesenrad oder der Kulissenstadt Venedig in Wien.  

Gerade diese Fragen nach der Medialität des Praters erscheinen uns bei der Konzeption wichtig. Wir wollen dort anknüpfen, wo im Prater die Metathemen des modernen Lebens angesprochen wurden und werden, das Verhältnis zur Natur, zu den Tieren, zur Technik, zur Welt und vor allem zu uns selbst, den menschlichen Beziehungen, Wünschen, Träumen, Ängsten und Hoffnungen. Im Prater konnte man sich auch selbst präsentieren: ob beim Watschenmann die eigene Kraft oder in der Schießbude die eigene Geschicklichkeit, oder sich spielerisch in ein anderes Leben hineinfantasieren und sich als Pilot:innen oder Autobesitzer:innen zeigen und ablichten lassen. Das Faszinierende sind die vielen Spielarten und die Kreativität, diese Fragen anzusprechen.  

Werner Michael Schwarz, Historiker, Kurator am Wien Museum. Publikationen, Ausstellungen und Lehre mit Schwerpunkt Stadt-, Medien- und Filmgeschichte. 

Susanne Winkler, Historikerin, Kuratorin am Wien Museum. Publikationen und Ausstellungen mit Schwerpunkt Stadt- und Fotografiegeschichte.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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