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Protestbewegungen dokumentieren und ausstellen
Museumsreif?
Wie „historisch“ muss ein Ereignis sein, damit das Museum sich aktiv damit auseinandersetzt?
Ich denke, eine Bewegung muss nicht erst „historisch“ im Sinne von „vergangen“, „nicht mehr aktiv“ sein, damit sich ein kulturhistorisches Museum mit ihr beschäftigt. Im Gegenteil: Wenn ein Museum relevant in der Gegenwart sein will, muss es sich auch mit Themen und Debatten auseinandersetzen, die die Gesellschaft jetzt bewegen – und die Klimaschutz- und Verkehrsfrage gehört da zweifellos dazu. Gegenwartsbezogenes Sammeln hat in vielen Museen stark an Bedeutung gewonnen. Das hat auch mit Sammlungslücken zu tun – vieles, was früher nicht rechtzeitig gesammelt wurde, ist einfach verloren gegangen.
Das Museum sammelt heute also anders als früher?
Man versucht heute oft, zeitnaher zu den Ereignissen zu sammeln – auch wenn das das Risiko birgt, dass man nicht immer genug Distanz hat. Aber wir versuchen, Objekte zu identifizieren, die uns repräsentativ für bestimmte Debatten und Entwicklungen der Gegenwart erscheinen. Durch eine genaue Dokumentation des Entstehungs- und Verwendungskontexts wollen wir auch deutlich machen, warum uns es uns zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Sammlung wichtig war, genau diese Objekte zu bewahren.
Wie sieht das z.B. bei den eingangs erwähnten Protesten aus?
Sowohl bei „Fridays for Future“ als auch bei den Protesten gegen den Bau eines Lobau-Straßentunnels handelt es sich ja um Bewegungen, die schon über einen längeren Zeitraum aktiv waren und die wir schon länger als diskursprägend wahrgenommen haben, bevor wir hier um Objekte angefragt haben. Gemeinsam mit „Fridays for Future“ haben Gerhard Milchram und ich im Winter 2019/20 einige Protestschilder und andere Materialien für die Sammlung des Wien Museums ausgewählt, die zum Teil noch aus der ersten Phase der Klimastreiks 2018/19 stammen und exemplarisch für die Forderungen und Aktionen der Bewegung stehen. Die Debatte um den Lobau-Tunnel ist in den letzten Monaten zu der Debatte über Klimaschutz und Verkehr in Wien schlechthin geworden. Für besonders viel Aufsehen hat im September 2021 die mehr als 24 Stunden lange Besetzung von Teilen des Bürgermeisterbüros im Rathaus durch Greenpeace gesorgt. Sándor Békési, der als Kurator und Verkehrshistoriker im Wien Museum auch aktuelle Debatten zum Thema Mobilität verfolgt, hat daraufhin bei Greenpeace angefragt, ob die Organisation dem Museum Transparente von dieser Aktion „reservieren“ kann – für den Zeitpunkt, wenn diese nicht länger gebraucht werden.
Und wie war das bei „Black Lives Matter“?
Als letztes Jahr im Rahmen der weltweiten Black Lives Matter-Proteste auch in Wien rund 50.000 Menschen auf die Straße gegangen sind, und zwei Tage später noch einmal fast 10.000, war – auch durch die Reaktionen auf diese Proteste – sofort klar, dass das auch in Wien eine wichtige Etappe im Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt war. Eine Kollegin hat gleich am Tag nach der zweiten Demo zwei im Stadtraum übrig gebliebene Protestschilder mitgenommen, die wir in die Sammlung aufgenommen haben.
Welche Reaktion gibt es von protestierenden Gruppen, wenn das Museum an sie herantritt mit der Bitte um Objekte?
Die Reaktionen fallen je nach Thema des Protests, den beteiligten Akteurinnen und Akteuren und deren bisherigen Erfahrungen mit öffentlichen Institutionen sehr unterschiedlich aus. Und sie haben viel damit zu tun, ob Museen als lebendige Orte der Auseinandersetzung gesehen werden, oder als verstaubte Orte, wo Dinge aufgehoben werden, die „museumsreif“ sind – also Dinge, die nicht mehr gebraucht werden. Protestbewegungen, die mitten im aktiven Kampf stehen, wollen schließlich nicht vorzeitig museal stillgestellt und damit gleichsam politisch entschärft werden. Überwiegend erleben wir aber, dass die Akteur*innen – sobald sie Zeit für die Anfragen finden, das ist ja auch noch einmal ein wesentlicher Faktor! – durchaus positiv reagieren. Viele finden es gut, dass sich das Museum darum bemüht, Protestbewegungen für die Zukunft zu dokumentieren – und dass sie die Möglichkeit haben, selbst die Auswahl mitzugestalten, was in museale Sammlungen kommt und wie ihre Bewegung dort repräsentiert wird. Wichtig ist, denke ich, zu vermitteln, dass wir durch das Sammeln keine „abgeschlossene“ Geschichte schreiben wollen, sondern Momentaufnahmen von Prozessen dokumentieren. Und dass wir kein Transparent vorzeitig von der Straße abziehen wollen.
Welche Objekte kommen für das Museum besonders in Frage und warum?
In Arbeitsteilung mit Archiven und Bibliotheken interessiert sich das Museum vor allem für dreidimensionale Objekte, die von der Materialität der Proteste zeugen, aber auch für visuelle Quellen – also für Objekte mit einem gewissen „Schauwert“, der es in künftigen Ausstellungen ermöglicht, die Aktivitäten dieser Bewegungen und die Reaktionen darauf gut zu vermitteln. Das können zum Beispiel Protestschilder, Transparente, Fotografien, aber etwa auch Objekte aus Protestcamps sein. Je mehr wir über den Kontext der Entstehung und die Verwendung dieser Objekte wissen, umso interessanter werden sie für uns. Und besonders interessant werden sie dann, wenn sie auch mit persönlichen Geschichten von Beteiligten verknüpft sind und es ermöglichen, auch Einblicke in das individuelle Erleben der Proteste zu gewinnen.
Es gab vielfältige Proteste von Umweltschutzbewegungen in Wien seit den 1970er Jahren. Gegen das geplante Atomkraftwerk in Zwentendorf, gegen den wachsenden Autoverkehr. Dazu kam Anfang der 1980er Jahre die Besetzung der Hainburger Au, als dort ein Kraftwerk geplant war. Welche Objekte gibt es zu diesen Protesten in der Sammlung und wie sind sie in die Sammlung gekommen?
Ein besonders toller Bestand sind die rund 400 Fotografien, die die Amateurfotograf*innen Peter und Burgi Hirsch von den Protesten gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf in den Jahren 1977 und 1978 gemacht haben – und vom Fest, das auf den Straßen der Wiener Innenstadt am Abend des 5. November 1978 gefeiert wurde, als bekannt geworden war, dass sich die Bevölkerung bei der Volksabstimmung mit knapper Mehrheit gegen die Inbetriebnahme des Kraftwerks ausgesprochen hatte. Diese Fotos sind Teil einer Sammlung von rund 5000 Fotos und Dokumenten zu Demonstrationen, kulturellen und politischen Veranstaltungen in den 1970er und 1980er Jahren, die Peter Hirsch 2010 dem Wien Museum gewidmet hat – ein unglaublicher Schatz für die Forschung. Gleichsam die „andere“ Seite der Zwentendorf-Proteste hat der Künstler Hans Kupelwieser dokumentiert, der 1978 Beobachter, Überwacher und die Geheimpolizei am Rand der Demonstrationen fotografiert hat – eine Fotoserie, die er 2003 dem Museum geschenkt hat. Private Sammlungen sind also eine ganz wesentliche Quelle. Auch die – weniger umfangreiche – Sammlung von Fotos, Flugblättern, Protestpostkarten, Protestzeitungen und Lageplänen zur Besetzung der Hainburger Au geht überwiegend auf private Schenkungen ab den späten 1990er Jahren zurück.
Vereinzelt wurden auch Objekte angekauft – wie etwa eine Serie von künstlerischen Anti-Zwentendorf-Plakaten von Hubert Sielecki, die 2013 in die Sammlung des MUSA Eingang gefunden hat. Ab den 2000er Jahren hat das Museum auch manchmal selbst Proteste unmittelbar dokumentiert: Sándor Békési und der Fotograf Didi Sattmann waren zum Beispiel 2004 bei der Demonstration „Autotransformation“ der Umweltorganisation VIRUS im WUK dabei. Damals wurde als Protest gegen die Verkehrspolitik ein ausgemusterter PKW von Radfahrer*innen über den Ring gezogen und danach im Rahmen einer Performance zertrümmert bzw. „transformiert“.
Du hast gemeinsam mit Werner-Michael Schwarz im Jahr 2012 die „Besetzt!“-Ausstellung kuratiert, die ja thematisch in eine ähnliche Richtung geht – nur ging es dabei halt nicht um Umweltschutz, sondern um den Kampf um Freiräume in der Stadt. Worin bestand damals die Herausforderung, zu diesem Thema eine Ausstellung zu machen? Wie war die Reaktion darauf von den Protestgruppen?
Es war von Anfang an klar, dass eine solche Ausstellung nur in intensiver Zusammenarbeit mit Protagonist*innen und Beobachter*innen der ehemaligen und aktuellen Besetzer*innen-Szenen realisierbar ist, da das Quellenmaterial in den öffentlichen Museen und Archiven beschränkt ist und die eigenen Erfahrungen der Protagonist*innen natürlich zentral für so eine Ausstellung sind. Die Reaktionen bei unseren Kontaktaufnahmen waren so divers wie die Szenen selbst: Ein Teil befürwortete das Ausstellungprojekt als längst anstehende Würdigung, unterstützte uns mit Quellenmaterial und Erzählungen und fand es auch wichtig, dass nicht Protagonist*innen der Szene selbst, sondern Wissenschaftler*innen, die selbst nicht beteiligt waren, das Thema aufbereiten. Ein anderer Teil wiederum fand, dass das Wien Museum keine Legitimität habe, diese Geschichte zu erzählen: Warum sollte ausgerechnet das Museum jener Stadt, die in den 1970ern und 1980ern auf viele Bewegungen mit Härte und Räumung geantwortet hat, nun diese ausstellen? Da gab es auch große Bedenken im Hinblick auf mögliche Vereinnahmungen. Für diesen Teil war klar, dass so eine Ausstellung nur von den Protagonist*innen selbst gemacht werden darf. Das führt natürlich zur Grundfrage, um die es im Museum immer geht: Wer spricht? Wann spricht „das Museum“, wann die Bewegungen selbst? Und wenn die Bewegungen sprechen, wer spricht für die Bewegungen – vor allem, wenn es diese in der alten Form nicht mehr gibt oder sich die Protagonist*innen verändert haben? Das wurde nicht nur im Gespräch mit uns, sondern auch innerhalb der Szenen selbst kontrovers diskutiert.
Und wie habt Ihr darauf reagiert?
Wir haben versucht, die Ausstellung so partizipativ wie möglich anzulegen, haben ehemalige und aktive Besetzer*innen bzw. Beobachter*innen dieser Szenen gebeten, mit Objektvorschlägen und Erinnerungen zur Ausstellung beizutragen und zum Teil gemeinsam Objekte ausgewählt. Wir haben auch Aktivist*innen aus unterschiedlichen Generationen eingeladen, ihre Sicht auf ihre eigenen Bewegungen in Beiträgen zum Katalog und bei – durchaus auch kritischen – Führungen durch die Ausstellung darzustellen. Wir haben aber auch eigene kuratorische Entscheidungen getroffen, um zu gewährleisten, dass wir am Schluss eine Ausstellung eröffnen, die die Innenperspektiven auch mit Außenperspektiven kontrastiert und Kontexte nachzeichnet. Damit auch Besucher*innen, die noch nie etwas mit besetzten Häusern zu tun hatten und mehr grundlegende Einführung brauchen, die Bedeutung dieser Bewegungen für den Erhalt und Ausbau von Freiräumen in der Stadt vermittelt wird.
Und wie wurde die Ausstellung aufgenommen?
Die Reaktionen aus den Szenen waren ambivalent: Es gab Kritik an der als zu klein empfundenen Ausstellungsfläche und an einzelnen Schwerpunktsetzungen. Zugleich bekamen wir auch viel positives Feedback, dass mit der Ausstellung ein Raum geschaffen wurde, an dem sich Menschen unterschiedlicher Generationen treffen und über Freiräume in der Stadt austauschen konnten und wo man auch Menschen erreichen konnte, die sonst mit den Bewegungen nichts zu tun haben. Positiv bewertet wurde auch, dass es im Umfeld der Ausstellung zu viel Vernetzungsarbeit von alternativen Archiven und Sammlungen zur Geschichte der Bewegungen gekommen ist.
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