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Christine Dobretsberger, 4.10.2022

Wittgensteins Orte der Kindheit

Zwischen Sommervilla und Stadtpalais

Das Wittgenstein-Haus im 3. Bezirk ist berühmt: Der Philosoph hat es für seine Schwester Margaret bis ins kleinste Detail geplant. Aus dem Stadtbild verschwunden sind jedoch Ludwig Wittgensteins Geburtshaus in Neuwaldegg und das Stadtpalais der Familie in der Argentinierstraße.

Am 26. April 1889 wurde Ludwig Josef Johann Wittgenstein um 20.30 Uhr in der elterlichen Sommervilla in Neuwaldegg geboren – als jüngstes von neun Kindern von Karl und Leopoldine Wittgenstein. Zum damaligen Zeitpunkt war Neuwaldegg noch ein Vorort von Wien. Das Geburtshaus des weltberühmten Philosophen exsitiert allerdings seit einem halben Jahrhundert nicht mehr: 1972 wurde es abgerissen, an dessen Stelle errichtete man in den 1980er Jahren Neubauten. Mit Ausnahme einiger Überreste des alten Baumbestandes erinnert nichts mehr an das großzügig angelegte Anwesen in der Neuwaldegger Straße 38 im heutigen 17. Wiener Gemeindebezirk.

Die Wittgensteins zählten zu den reichsten Familien der Donaumonarchie und spielten auch im kulturellen Leben Wiens eine ausnehmend große Rolle. Karl Wittgenstein war ein vorausblickender Unternehmer, der bereits während seines Technikstudiums bei den Staatsbahnen zu arbeiten begann. 1872 kam er in Kontakt mit Paul Kupelwieser, seines Zeichens Direktor des Teplitzer Walzwerks. Diese Begegnung markiert den Beginn einer steilen beruflichen Karriere. Gemeinsam mit Kupelwieser gelang es ihm, in den nächsten 20 Jahren das mächtigste Eisen- und Stahlimperium der Donaumonarchie aufzubauen.

1874, also noch relativ am Beginn seiner Karriere stehend, heiratete Karl Wittgenstein Leopoldine Kallmus, die ihrerseits aus einer Wiener Kaufmannsfamilie stammte. Nach ihrer Hochzeit zogen sie zunächst nach Teplitz in Böhmen, wo auch die älteste Tochter, Hermine, zur Welt kam. Bereits rund ein Jahr später übersiedelte die Familie endgültig nach Wien und für die kommenden vier Jahre wurde die Villa XAIPE ihr Zuhause. Dieses spätbarocke Schlösschen, das sich unmittelbar neben Schloss Schönbrunn am sogenannten „Meidlinger Tor“ befindet, war bereits ein deutliches Zeichen für Karl Wittgensteins sozialen Aufstieg.

1879 übersiedelten die Wittgensteins in das ehemalige Palais Wiener auf dem Schwarzenbergplatz. Zu dieser Zeit waren bereits vier von Ludwigs älteren Geschwistern auf der Welt. Nun war man endgültig im Zentrum der Wiener Ringstraßengesellschaft angekommen. Der Salon der Wittgensteins wurde bald zu einem wichtigen Treffpunkt des Wiener Geisteslebens, wobei das Interesse der Familie insbesondere der Musik und der bildenden Kunst galt. Karl Wittgenstein war einer der bedeutendsten Förderer der damals gerade ins Leben gerufenen Künstlervereinigung Secession. Neben der hohen finanziellen Unterstützung zum Bau des Secessionsgebäudes erfolgten seitens der Familie immer wieder spektakuläre Ankäufe von zeitgenössischer Kunst.

1881 erwarb Karl Wittgenstein die Sommervilla in Neuwaldegg, in der man bis dahin zur Miete gewohnt hatte. Auch Ludwigs Geschwister Rudi, Margaret und Paul, der später als einarmiger Pianist Geschichte schrieb, kamen hier zur Welt. Als Ludwig Wittgenstein ein Jahr alt war, kaufte sein Vater um 240.000 Gulden ein Palais in der Alleegasse 16, der heutigen Argentinierstraße, das in den Jahren 1871 – 73 vom Architekten Friedrich Schachner im Stil der italienischen Neorenaissance ursprünglich für einen Bauherrn namens Franz Prantner errichtet wurde.  Nach einer umfassenden Adaption des Gebäudes übersiedelte die Familie ein Jahr später in die „Alleegasse“, wie familienintern das Stadtpalais genannt wurde. 

Es war ein überaus repräsentatives Anwesen. Die Außenfassade war reich an Fensterschmuck mit Ornamentik, die Innenräume prunkvoll, insbesondere das riesige Treppenhaus und der großzügige, im Stil des Späthistorismus eingerichtete sogenannte „Rote Salon“ vermittelten eine Ahnung des großbürgerlichen Lebensstils. Speziell die musikalischen Soireen im Hause Wittgenstein waren legendär. U. a. waren Gustav Mahler und Johannes Brahms oft und gerne gesehene Gäste.

Nach dem Tod von Ludwigs Eltern stand Hermine gewissermaßen an der Spitze des Familienclans. Ab 1930 war sie alleinige Hausherrin der Alleegasse und ihr Leben lang an dieser Adresse gemeldet. Wie sehr mit ihrem Tod auch eine Ära zu Ende ging, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass das im Zweiten Weltkrieg durch Bombenanschläge in Mitleidenschaft gezogene Palais nach ihrem Tod im Jahr 1950 von den Erben veräußert und an die Österreichische Länderbank verkauft wurde. Bald darauf wurde es abgerissen und durch einen grauen 50er Jahre-Wohnblock ersetzt.

Einen nicht unwesentlichen Einfluss auf Ludwigs Entwicklung dürfte in jungen Jahren seine um fünf Jahre ältere Schwester Margaret Stonborough-Wittgenstein gehabt haben, eine Frau von hoher Intellektualität und Kunstsinnigkeit. Die beiden verband Zeit ihres Lebens ein intensiver intellektueller Austausch. Bleibendes Zeitzeugnis dieser Verbindung ist das Haus Wittgenstein (Palais Stonborough) in der Kundmanngasse 19 im dritten Wiener Gemeindebezirk, das für Margaret errichtet wurde. Ursprünglich mit dem Bau beauftragt wurde der Architekt Paul Engelmann, ein Schüler von Adolf Loos, der auf Empfehlung Ludwig Wittgensteins bereits für den Umbau der Neuwaldegger Sommervilla verantwortlich zeichnete. Paul Engelmann wurde in der Folge ein enger Freund der Familie, allerdings beim Vorhaben, ein repräsentatives Stadthaus in der Formensprache der Moderne für Margaret zu errichten, hatte er von Beginn an Zweifel, ob er den Vorstellungen der Bauherrin gerecht werden konnte. Aus diesem Grund trat Ludwig Wittgenstein ab Juni 1926 offiziell in den Planungsprozess ein. Das Know-how für dieses Vorhaben war gegeben, zumal Wittgenstein nach der Matura in Berlin und anschließend in Manchester Ingenieurwissenschaften studierte.

Hinsichtlich Architektur und Ästhetik hatte Wittgenstein ganz klare Vorstellungen, die allesamt im Haus Wittgenstein ihren Niederschlag fanden. Als technischer Bauleiter wurde Jacques Groag beauftragt. In einem Brief Margarets an ihren Sohn Thomas ließ sie durchblicken, dass, seitdem ihr Bruder Ludwig dem Projekt beiwohnte, „die ganze Geschichte ein anderes Gesicht bekomme habe. Er hat sofort die Leitung übernommen und sein geistiges Übergewicht und seine schöpferische Überlegenheit sind so unleugbar, dass der Engelmann und ich ,soo klein’ geworden sind.“ Tatsächlich wurde jedes Fenster, jede Tür, jeder Heizkörper bis ins kleinste Detail von Wittgenstein gezeichnet und es war, wie Briefe belegen, kein einfacher Weg, um zu einer Synthese der unterschiedlichen Vorstellungen aller an der Errichtung des Gebäudes beteiligten Personen zu gelangen. Nach der Fertigstellung Ende 1928 nutzte Margaret Stonborough-Wittgenstein das Haus, mit kriegsbedingten Unterbrechungen, wie vorgesehen bis zu ihrem Tod (1958) als Wohnhaus.

Initiative gegen den Abriss

Danach ist es einer Initiative rund um den Künstler Bernhard Leitner (der u.a. auch Architekt Hans Hollein angehörte) zu verdanken, dass nicht auch dieses Gebäude für immer verschwunden ist.  Denn Margarets Sohn, Thomas Stonborough, verkaufte das Haus 1975 an den Bauunternehmer Franz Katlein, der eine Umwidmung zur Errichtung eines Hochhauses erwirken konnte. Dies war möglich, weil der damalige Landeskonservator Peter Pötschner Vorbehalte gegen die Architektur und Inneneinrichtung des Hauses hatte und es nicht unter Denkmalschutz stellen wollte. Dem Protest ist es zu verdanken, dass das Wittgenstein-Haus nicht abgerissen wurde, das geplante Hochhaus wurde dennoch gebaut – auf einem Nachbargrundstück. Das Haus Wittgenstein wurde im Jahr 1975 von der Bulgarischen Regierung erworben und dient heute, nach einigen baulichen Veränderungen, als Bulgarisches Kulturinstitut.

Literatur

 

Allan Janik, Stephen Toulmin: Wittgensteins Wien, Wien 1998.

Allan S. Janik, Hans Veigl: Wittgenstein in Wien. Ein biographischer Streifzug durch die Stadt und ihre Geschichte, Wien/New York 1998.

Ursula Prokop: Margaret Stonborough-Wittgenstein. Bauherrin, Intellektuelle, Mäzenin, Wien/Köln/Weimar 2003.

Renate Wagner-Rieger: Die Wiener Ringstraße, Bd. 1, Wien 1969

 

Neben dem Haus für seine Schwester existiert noch ein zweites Kunstwerk von Ludwig Wittgenstein: Eine Mädchenbüste aus Ton, die sich in der Sammlung des Wien Museums befindet. Mehr darüber in einem Magazin-Beitrag.

Christine Dobretsberger, geboren 1968 in Wien. Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften und Philosophie an der Universität Wien. Langjährige Kulturredakteurin der „Wiener Zeitung“. Initiatorin der Gesprächsreihe „Wiener Salongespräche“ und „Seelenverwandte“. Seit 2005 freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Ghostwriterin und Herausgeberin von Texten. Sie ist Gründerin der Text- und Grafikagentur „linea.art“ (www.lineaart.at) und befasst sich schwerpunktmäßig mit kulturellen Themen.

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