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Andreas Nierhaus, 31.1.2022

Der Bildhauer Josef Müllner

Mischwesen, Helden, Machtmenschen

Josef Müllner (Baden 1879 – Wien 1968), der Bildhauer des Lueger-Denkmals, ist heute fast vergessen und von der kunsthistorischen Forschung weitgehend unbeachtet. Das kann in mehrfacher Hinsicht verwundern, waren doch sein Talent, seine Karriere und die von ihm geschaffenen Werke gleichermaßen dazu geeignet, ihm einen festen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung zu sichern.

Müllner galt vor dem Ersten Weltkrieg als einer der vielversprechendsten Bildhauer seiner Generation in Österreich, und seine Werke waren neben jenen von Ivan Meštrović im Wiener Palais des Industriellen Karl Wittgenstein aufgestellt. 1910 im Alter von nur 31 Jahren zum Professor an der Akademie der bildenden Künste berufen, prägte er während einer fast vier Jahrzehnte dauernden Lehrtätigkeit – über alle Regimewechsel hinweg – mehrere Generationen von österreichischen Künstlern. Dabei blieb Müllner seiner früh gefundenen, vom Naturalismus ebenso wie vom Klassizismus, aber auch vom Jugendstil beeinflussten künstlerischen Ausdrucksweise über die Jahrzehnte treu und ließ sich von den rasch wechselnden ästhetischen Vorstellungen seiner Zeit – Expressionismus, Kubismus, Abstraktion – nicht beirren.

Einige von Müllners Werken waren von Beginn an in hohem Maße politisch aufgeladen und werden heute dementsprechend problematisch gesehen. Der Bildhauer selbst versah manche seiner Arbeiten mit deutlichen politischen Botschaften, die nicht zuletzt im deutschnationalen Lager Widerhall fanden. In der heutigen Diskussion um umstrittene Arbeiten wie dem „Siegfriedkopf“ oder dem Lueger-Denkmal bleiben jedoch gestalterische Fragen und stilistische Eigenart weitgehend unberücksichtigt. Kritisiert wird das Sujet, nicht aber die Form. Will man allerdings Müllners lange anhaltenden Erfolg und die Ästhetik seiner Arbeiten verstehen, so bedarf es einer Auseinandersetzung mit den gestalterischen Absichten des Bildhauers und der künstlerischen Qualität der Werke im Kontext ihrer Entstehungszeit.

Süßlichkeit und Anmut

Bemerkenswert und für die Einschätzung Müllner nicht unwesentlich ist, dass sein Werk schon von positiv gesinnten zeitgenössischen Kritikern als gleichsam aus der Zeit gefallen, vom Zeitgeist überrollt beschrieben wurde. So attestierte der Kunsthistoriker Arpad Weixlgärtner in einem kurz vor dem Ende der Monarchie verfassten und 1918/19 in der Zeitschrift „Die Kunst für Alle“ publizierten Aufsatz Müllners Arbeiten „spielende Meisterung der technischen Schwierigkeiten und ausgesprochene Anmut und Gefälligkeit“ und stellte sie in scharfen Kontrast zu der vom Autor negativ beurteilten zeitgenössischen Begeisterung für „das Allerprimitivste, die Kunst der Wilden und der Kinder, alles was unbeholfen, hart und eckig, tastend oder übertrieben ausdrucksvoll ist“. Müllners Werk dagegen eigne eine gewisse wienerische Süßlichkeit, er sei ein Schmeichler, und Anmut ein hervorstechendes Merkmal seiner Arbeiten. Doch gerade das, was ihn zu einem populären Wiener Künstler zu machen im Stande sei, würde ihn vor den Augen der „modischen“ Kunstkritiker disqualifizieren. Unter den jungen österreichischen Bildhauern sei er derjenige, „in dessen phantasievoller Kunst abgeklärter Formenadel, jugendliche Schnellkraft und heitere Anmut aus glücklichste verschmolzen, besonders hervortreten.“

Frühe Erfolge

Josef Müllner wurde 1879 in Baden bei Wien geboren, und kam nach dem Besuch der Staatsgewerbeschule 1896 an die Akademie der bildenden Künste in Wien. In der Meisterklasse von Kaspar von Zumbusch, dem Schöpfer des Maria Theresien-Denkmals, wurde Müllner Schüler von Edmund Hellmer, der damals gerade mit der Ausführung des Goethe-Denkmals beschäftigt war – einem für die Wiener Skulptur entscheidenden Werk, das die Abkehr vom repräsentativen Neobarock und die Hinwendung zu einer naturalistischen Auffassung markiert. Müllners Arbeit wurde schon während seines Studiums mehrfach ausgezeichnet. So erhielt er 1899 die Goldene Fügermedaille und 1900 den Gundelpreis; 1901 wurde sein Entwurf für ein Deutschmeisterdenkmal mit dem Hofpreis, dem Franz Josefs Goldstipendium und einer lobenden Anerkennung durch den Kaiser ausgezeichnet, 1902 folgte der Dumba-Preis für die Gruppe „Cymbel“.

Die beiden mit Preisen ausgezeichneten frühen Arbeiten zeigen Gruppen aus Menschen und Tieren, die sich in eine Richtung bewegen – „Cymbel“ stellt einen höchst ausgelassenen Bacchantenzug dar, der von einem Cymbelspieler mit Panther angeführt wird. Auffällig ist die auf Kontrastwirkung setzende realistische Wiedergabe junger, reifer und alter menschlicher Körper in unterschiedlichen Graden der Ekstase, die insbesondere beim zentralen alten Paar die Karikatur streift. Den jugendlichen Anführer mit Panther verwendete Müllner 1913 für die Bronzegruppe „Scherzo“, die sich heute im Modena-Park befindet.

Die vermutlich im Vorfeld der Konkurrenz um das gleichnamige Denkmal vor der Rossauer Kaserne entstandene Skizze zum Deutschmeister-Denkmal lässt mit ihrer zentralen Löwenfigur die Erinnerung an Arthur Strasser Marc Anton-Gruppe von 1896 wach werden. Indem hier der den Löwen an der Mähne haltende, antik gewandete junge Krieger zwei gedrungene Deutschmeister in zeitgenössischer Montur, mit Siegeskränzen beladen, anführt, verbindet Müllner hier – ikonographisch ungewöhnlich – mythische Vergangenheit und Gegenwart zu einem die Zeiten überspannenden irrealen Triumphzug.

Seinen letzten akademischen Preis – und zugleich den prestigeträchtigsten – erhielt Müllner am Ende seines Studiums: 1903 wurde ihm für eine Heilige Familie im Herz-Jesu-Kloster in Döbling das Staatsreisestipendium verliehen. Diese als „Rom-Preis“ bekannte Auszeichnung gab ihm die Möglichkeit, das folgende Jahr in Italien zu verbringen, ehe er 1904 sein eigenes Atelier in Wien eröffnete. 1906 nahm Müllner erstmals an einer Ausstellung der Secession teil, wo er die erotisch aufgeladene Gruppe „Spiel“ zeigte: ein stehendes Mädchen, das von zwei Pantherkatzen umschmiegt wird und „sich unter dem wohlig kitzelnden Eindruck der Liebkosungen lächelnd leicht zusammenkauert.“ (Weixlgärtner)

Mensch und Tier

Eine ähnlich symbiotische Verbindung von Mensch und Tier gelang Müllner mit dem 1909 ebenfalls in der Secession ausgestellten „Nackten Reiter“. Ein junger Mann sitzt auf einem Percheron-Pferd, die Rechte ist vertrauensvoll auf die Kruppe des Pferdes gestützt, die Linke den Blick beschattend vor die Stirn gesetzt und visiert ein Ziel in der Ferne. Pferd und Reiter blicken in dieselbe Richtung, die Ohren des Pferdes sind zurückgelegt, was volle Konzentration auf den Reiter signalisiert.

1910 war die monumentale Gruppe Gegenstand eines Kunstskandals, der viel über die Prüderie der damaligen Zeit aussagt: Ein namentlich nicht genannter Mäzen – vermutlich der Industrielle Karl Wittgenstein – hatte die Bronzeausführung des Reiters um 60.000 Kronen finanziert und sie der Stadt zum Geschenk angeboten. Die geplante Aufstellung an der Ecke Lothringerstraße / Pestalozzigasse scheiterte am Einspruch des Bezirksvorstehers der Inneren Stadt, der in der öffentlichen Präsentation des Werkes eine „Gefahr für die Moral der Bevölkerung“ sah, wie die Zeitungen berichteten. Nachdem aus demselben Grund auch eine Aufstellung vor der Französischen Botschaft auf dem Schwarzenbergpatz gescheitert war, gelangte der „Nackte Reiter“ schließlich in den Besitz der Modernen Galerie und steht heute im Kurpark in Müllners Heimatstadt Baden.

Weitaus weniger Aufsehen erregte der 1910 im Hof des Schuberthauses in der Nußdorfer Straße aufgestellte Forellenbrunnen. Die hier noch verhalten angedeutete Verschmelzung von Mensch und Tier zu einem Mischwesen sollte in der Folge zu einem Charakteristikum von Müllners Werk werden, in dem sich klassische Gestalten wie der Kentaur Chiron, Medusa, oder der Minotaurus, aber auch beunruhigend-abgründige Neuschöpfungen wie etwa Robbenmenschen tummeln.

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Naturalismus, Klassizismus, Jugendstil

Müllner verband in seinem Werk so unterschiedliche Einflüsse wie den Realismus der Florentiner Frührenaissance, den Naturalismus seines Lehrers Edmund Hellmer und den zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Adolf von Hildebrandt wieder aufkeimenden Klassizismus. Doch auch der Jugendstil hinterließ sichtbare Spuren. Diese Prägung durch teils höchst unterschiedliche, ja konträre Vorbilder ist für die Skulptur in Wien um 1900 charakteristisch. Müllners Figuren meiden zu starke Bewegungsimpulse und besitzen dabei eine außergewöhnliche körperliche Präsenz. Zugleich sind seine vollplastischen Gruppen häufig wie dreidimensionale Reliefs gestaltet, besitzen also eine Schauseite, ohne dabei flach zu wirken. Müllner tendiert zu einer Reduktion realistischer, genrehafter Details zugunsten einer stärker vereinheitlichten, geglätteten Oberfläche, was die voluminöse Wirkung unterstreicht und zugleich nicht selten einen unterkühlten Eindruck hervorruft. Dies zeigt sich insbesondere an offiziellen Arbeiten wie dem Lueger-Denkmal von 1913-1926 (siehe dazu den Beitrag des Autors im Wien Museum Magazin), oder dem nicht erhaltenen heroischen Reiterstandbild für den im Ersten Weltkrieg gefallenen Baron Géza Gutmann von Gelse und Beliscze in Zalabér in Ungarn von 1917.

Politische Denkmäler

Überblickt man Müllners Werk, so fällt auf, dass er nach dem Entwurf für das Lueger-Denkmal noch für drei weitere eminent politische Denkmäler im öffentlichen Raum Wiens verantwortlich war, die heute kontrovers diskutiert werden bzw. werden sollten: den „Wehrmann im Eisen“, den „Siegfriedkopf“ und den „Sieger“ vor dem Theseustempel. Der Wehrmann im Eisen entstand auf Initiative des Witwen- und Waisenfonds 1915 in Anlehnung an den Stock-im-Eisen nach einer Idee Müllners.

Der massige, überlebensgroße mittelalterliche Ritter in voller Rüstung erzeugt durch den geschlossenen Stechhelm, der Gesicht und Blick verdeckt, eine unheimliche Wirkung, die entfernt an Maschinenmenschen, Roboter oder Science-Fiction-Gestalten wie Darth Vader erinnern mag. Aus Zirbenholz geschnitzt, wurde seine Rüstung durch die Aktion des „Benagelns“ mit gespendeten Nägeln sukzessive vervollständigt. Es war das erste von vielen „Nageldenkmälern“, die während des Ersten Weltkriegs in Österreich und dem Deutschen Reich zum Sammeln von Spenden aufgestellt wurden, aber nur in wenigen Fällen erhalten geblieben sind. Zur Geschichte des Wehrmanns siehe den Beitrag von Verena Pawlowsky und Harald Wendelin im Wien Museum Magazin. Eine weitere unmittelbar mit dem Ersten Weltkrieg verbundene Arbeit war der marmorne „Heldenkopf“, der aus dem 1916 präsentierten Entwurf für ein monumentales Kriegerdenkmal hervorgegangen war. Ursprünglich als stark überlebensgroße Liegefigur in der Art mittelalterliche Grabmäler gedacht, reduzierte Müllner die Plastik schließlich auf den idealisierten Jünglingskopf mit wallendem Haupthaar. Dieser wurde 1923 als Gefallenendenkmal von der antisemitischen Deutschen Studentenschaft in der Aula der Universität aufgestellt.

Die später als „Siegfriedkopf“ bezeichnete Skulptur war viele Jahre hindurch Treffpunkt rechtsradikaler Burschenschafter und zugleich das Ziel von Vandalismusakten, bevor sie 2006 in eine neue Denkmalinstallation im Arkadenhof der Universität integriert wurde. Ebenfalls im Jahr 1923 wurde vor dem Theseustempel im Volksgarten die Bronzestatue des „Siegers“ enthüllt. Als Modelle für den schlanken jugendlichen Athleten, dessen Augen nach griechisch-antikem Vorbild farbig getönt waren, dienten Müllner zwei populäre Wiener Sportler, der Schwimmer Heinrich Goldemund und der Läufer Ernst Cassinone. Ursprünglich vollkommen nackt, musste die Skulptur aus Schicklichkeitsgründen bald mit dem obligaten Feigenblatt versehen werden, das sie bis heute trägt.

Mit der Inschrift „Der Kraft und Schönheit unserer Jugend“ am Sockel sollte das Denkmal ein Vorbild der Körperkultur sein und an die stark politisierten „Deutschen Kampfspiele“ erinnern, eine Veranstaltung, die als Antwort auf den Ausschluss Deutschlands von den Olympischen Spielen 1920 infolge des Ersten Weltkriegs ins Leben gerufen worden war. Wie die Neue Freie Presse im Vorfeld schrieb, war geplant, den „Sieger“ bald durch Statuen eines Fechters, eines Ringers und eines Faustkämpfers zu ergänzen und damit der Theseustempel zur „Ehrenhalle unseres Sportes“ werden. Tatsächlich schuf Müllner noch das Modell für einen Ringer, dessen Ausführung in Bronze jedoch nicht mehr zustande kam.

Das 1926 nach langjähriger, durch den Ersten Weltkrieg unterbrochener Arbeit enthüllte Lueger-Denkmal wurde Müllners umfangreichstes, aber wohl kaum sein bedeutendstes Werk. Die „unterkühlte“ Wirkung seiner Darstellung Luegers als Redner lässt keine Verbindung zum Betrachter herstellen, der Volkstribun findet kein Publikum mehr. Auch die Assistenzfiguren auf dem Sockel wirken bei aller Beherrschung von Technik und Material wie erstarrt und eingefroren. Nach dem Lueger-Denkmal entstanden nur mehr wenige große Arbeiten, darunter etwa 1934 das Kriegerdenkmal vor der Stadtpfarrkirche in Baden oder ein weiterer Nackter Reiter für die Kunstwettbewerbe bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936.

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Ob Müllner die monumentale Hitlerbüste für die Aula der Akademie der bildenden Künste 1940 im Auftrag des Reichsstatthalters tatsächlich „mit Widerwillen“ geschaffen hat, wie er selbst später beteuern sollte, ist ungewiss; fest steht jedoch, dass aus der NS-Zeit keine weiteren „politischen“ Arbeiten bekannt sind.

Entgegen den bisherigen Angaben (die wenn, dann lediglich von einer Anwärterschaft sprechen) war Müllner seit 1940 NSDAP-Mitglied, wie jüngste Forschungen der Kunstgeschichte-Studentin Carmen Wieninger ergaben. Dennoch war es für ihn nach 1945 – wie für viele andere – kein Problem, genau so weiterzumachen wie bisher: Vom monumentalen weiblichen Kopf mit dem Titel „Die Kunst“ von 1941 wurde noch 1960, wenige Jahre vor dem Tod des Künstlers, eine identische Zweitfassung in Marmor hergestellt und vor dem „Haus der Kunst“ in Baden aufgestellt. Die Skulptur befindet sich heute im Rollettmuseum in Baden, wo auch der Nachlass des Künstlers verwahrt wird und auf eine umfassende wissenschaftliche Bearbeitung und Kontextualisierung wartet.

Zum Lueger-Denkmal siehe auch:

Andreas Nierhaus: Christlichsozialer Personenkult im Roten Wien. Das Lueger-Denkmal von Josef Müllner

Elisabeth Heimann: Wortgewalt und Bildermacht. 175. Geburtstag von Karl Lueger 

Literatur:

Arpad Weixlgärtner: Josef Müllner, in: Die Kunst für Alle 34 (1918/19)

Maria Pötzl-Malikova: Die Plastik der Ringstraße 1890-1918 (Die Wiener Ringstraße, Bd. IX.2), Wiesbaden 1976.

Irene Nierhaus: Nationale Narrationen. Stadt, Staat und Männlichkeit, in: Dies.: Arch6. Raum, Geschlecht, Architektur, Wien 1999, S. 143-179. (zum Wehrmann in Eisen)

Walter Perko: Der akademische Bildhauer Josef Müllner (1879-1968). Katalogblätter des Rollettmuseums Baden, Nr. 16

Andreas Nierhaus, Kunsthistoriker und Kurator für Architektur und Skulptur im Wien Museum. Forschungsschwerpunkte: Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts, Medien der Architektur. Ausstellungen und Publikationen u.a. über Otto Wagner, die Wiener Ringstraße, die Wiener Werkbundsiedlung.

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