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Bernhard Hachleitner und Werner Michael Schwarz, 20.2.2025

Wie man eine Demokratie demontiert: Zweiter Schritt

Spazieren gegen die Diktatur

Ein knappes Jahr dauerte es, um die Erste Republik zu zerstören (nach jahrelangen gründlichen Vorarbeiten). Der Weg in die Unfreiheit war weder Schicksal noch Betriebsunfall, sondern wurde Schritt für Schritt geplant. Zweiter Schritt: Verbot von Versammlungen, Streiks und Wahlen.

Mit der Aufhebung des Glöckel-Erlasses und dem Verbot des Freidenkerbundes erfüllte die Regierung zwei lange gehegte, vehement vertretene Wünsche der Katholischen Kirche, die im demokratisch-rechtstaatlichen System nicht durchsetzbar waren. Theodor Innitzer, 1932 zum Erzbischof von Wien geweiht, bedankte sich am 15. April 1933 in einem offenen Brief bei Unterrichtsminister Anton Rintelen für die Aufhebung des Glöckel-Erlasses, der die verpflichtende Teilnahme an Schulgottesdiensten und Schulgebet abgeschafft hatte. Auch wenn der Religionsunterricht selbst unangetastet geblieben war, hatte die Katholische Kirche diesen Schritt der Trennung von Staat und Kirche als Provokation empfunden.

Die Wünsche der Wirtschaft zeigten sich an anderen Maßnahmen, die im Frühjahr 1933 per Notverordnung eingeführt wurden: So verkürzte die Regierung die maximale Bezugsdauer der Arbeitslosenunterstützung, schränkte den Kreis möglicher Bezieher:innen ein und verschärfte die Zumutbarkeitsbedingungen. Auf einen Streik der Setzerin den Druckereien gegen die Einführung der Vorzensur wurde mit der „Verordnung der Bundesregierung vom 21. April 1933 zum Schutze der Wirtschaft gegen Arbeitseinstellungen“ reagiert: Politische Streiks waren nun komplett verboten, Arbeitsniederlegungen im Lohnkampf theoretisch noch erlaubt, praktisch aber von der Genehmigung durch eine von der Regierung eingesetzte Kommission abhängig. Die Ministerratsprotokolle zu diesem Thema zeigen exemplarisch eine Vorgangsweise, die sich durch das ganze Jahr zieht: Auf die Frage, ob die Entscheidungen dieser von Richtern besetzten Kommission nicht auch gegen die Wünsche der Regierung ausfallen könnten, antwortete Sozialminister Robert Kerber, dem würde durch die Zusammensetzung der Kommission vorgebeugt. 

Unmittelbar nach der massiven Einschränkung des Streikrechts geriet eine Maßnahme vom 7. März 1933 wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit: das Versammlungsverbot. Der Aufmarsch am 1. Mai zählte zu den hart erkämpften und symbolisch besonders wichtigen Rechten der Arbeiter:innenbewegung. Im Roten Wien endete er traditionellerweise vor dem Rathaus, in dem seit 1919 ein sozialdemokratischer Bürgermeister amtierte. Im Ministerrat gab es zwar ansatzweise Diskussionen, ob der Aufmarsch erlaubt werden solle, es kam aber nicht dazu. 

Die Regierung ließ die Innere Stadt mit massiver polizeilicher und militärischer Präsenz abriegeln. Stacheldraht, Maschinengewehrstellungen, berittene Polizei und die gerade erworbenen Škoda-Panzerwagen sorgten für eine dramatische Drohkulisse. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei brachte hunderttausende Menschen auf die Straßen, die sich offenbar streng an die Gebote hielten, vormittags an den Absperrungen diszipliniert „vorbeispazierten“ und sich nachmittags im Praterstadion versammelten, wo Kinder- und Jugendorganisationen Turnübungen vorführten, General Körner und Bürgermeister Seitz Reden hielten. Letzterer sah in der aktuellen politischen Situation ein Ringen zwischen „Geist und Gewalt, Zukunft und Vergangenheit, Demokratie und Fascismus“ und angesichts der Absperrungen eine Blamage für die Regierung. 

Kommunist:innen, bereits davor von einer massiven Verhaftungswelle betroffen, aber offenbar keineswegs eingeschüchtert, demonstrierten in der Wiener Taborstraße. Es kam zu zahlreichen Verhaftungen. Die Parteimedien resümierten schließlich den 1. Mai 1933 in Wien durchwegs positiv. Die christlichsoziale Reichspost sah einen „Sieg der Ordnung“ und bemühte eines ihrer Lieblingsworte dieser Monate, den „Revolutionsschutthaufen“, der mit dem Verbot der traditionellen Maikundgebungen abgeräumt worden sei. Die kommunistische Rote Fahne sah in den „Spaziergängen“ einen Kniefall der Sozialdemokratischen Partei vor der Regierung, hatte aber viele Sozialdemokrat:innen in ihren eigenen Reihen bemerkt und sah so die Einheitsfront bereits praktisch verwirklicht. Sozialdemokratische Medien bezeichneten den Tag als „den Tag des größten Erfolges“, den sie am Bekenntnis zur Partei festmachten, ein „schier ans Wunder grenzender Beweis der unerschütterlichen Disziplin“. Der 1. Mai in Wien 1933 konnte nicht nur von allen als Erfolg gewertet werden, er war auch das letzte Ereignis, an dem sich die unterschiedlichen politischen Richtungen überhaupt in dieser Deutlichkeit noch einmal zeigen konnten.

Verbot von Wahlen und Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs

Am 10. Mai 1933 verbot die Bundesregierung mittels einer kriegswirtschaftlichen Notverordnung Neuwahlen für Landtage, Gemeinderäte und andere politische Vertretungskörper, vorerst befristet bis zum 31. Oktober 1933. Begründet wurde dies mit der „Abwehr von wirtschaftlichen Schädigungen während der Fremdensaison“. Das tatsächliche Motiv für die Ausschaltung der demokratischen Institutionen und Instrumentarien bildete aber die Angst vor Stimmen- und damit Machtverlust der Regierungsparteien. Den Anlass bildeten die Ergebnisse der Gemeinderatswahlen in Niederösterreich und die bevorstehende Tiroler Landtagswahl, die abgesagt wurde.

Polizei und Bundesheer trugen den antidemokratischen Kurs der Regierung mit, das war spätestens seit dem 15. März klar. Die Sozialdemokratie hatte auch am 1. Mai die offene Konfrontation vermieden und setzte, soweit dies noch möglich war, weiter auf demokratische Mittel. Eines dieser Mittel war die Anfechtung von Verordnungen beim Verfassungsgerichtshof, ein Weg, der allen Bundesländern offenstand. Wie auch heute bestand der Verfassungsgerichtshof in der Ersten Republik aus Richtern (damals ausschließlich Männer), die entweder von der Regierung, vom Nationalrat oder vom Bundesrat nominiert wurden. De facto bedeutete das einen klaren Überhang regierungsfreundlicher Richter – von den insgesamt 16 Mitgliedern waren nur zwei von der Sozialdemokratie nominiert worden. 

Die Wiener Landesregierung hoffte dennoch auf die Unabhängigkeit des Gerichtshofes und beeinspruchte 18 Verordnungen. Genau diese Unabhängigkeit fürchtete offenbar die Bundesregierung. Deshalb setzte die Regierung einen von Sektionschef Hecht entwickelten Plan um, den Verfassungsgerichtshof durch Rücktritte von Richtern und einer Neuregelung der Beschlussfähigkeit handlungsunfähig zu machen. Am 18. Mai trat der vom Nationalrat nominierte Verfassungsrichter Adolf Wanschura zurück, am 23. Mai erließ die Bundesregierung eine Verordnung, die bestimmte, dass die […] auf Vorschlag des Nationalrates oder auf Vorschlag des Bundesrates ernannten Mitglieder und Ersatzmitglieder […] nur dann an Sitzungen und Verhandlungen teilnehmen [dürften], wenn und solange dem Verfassungsgerichtshof sämtliche Mitglieder und Ersatzmitglieder angehören, die auf Grund solcher Vorschläge ernannt worden sind.“

Das bedeutet, wie der Verfassungshistoriker Thomas Olechowski schreibt: „Das Ausscheiden auch nur eines vom Nationalrat oder Bundesrat ernannten Mitglieds führte zum – wenn auch nur temporären – Ausscheiden aller anderen vom Nationalrat bzw. Bundesrat ernannten Mitglieder.“ Nachdem bereits am 17. Mai ein Mitglied zurückgetreten war, konnte der Verfassungsgerichtshof seine Funktion nicht mehr erfüllen. Der Präsident berief eine Sitzung ein, stellte sinngemäß fest, dass diese Verordnung zwar höchstwahrscheinlich verfassungswidrig sei, allerdings so lange gültig, bis sie der Verfassungsgerichtshof aufhöbe, der aber wegen eben dieser Verordnung nicht beschlussfähig sei.

Es gab aber noch eine weitere Instanz, die seit der Verfassungsreform von 1929 mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet war: Bundespräsident Wilhelm Miklas. Er hatte aber schon den am 7. März 1933 angebotenen Rücktritt der Regierung abgelehnt und blieb auch in der Folge untätig um den laufenden Verfassungsbruch nicht zu verhindern. Er hätte – auch ohne Vorschlag – den Bundeskanzler oder die gesamte Regierung entlassen können. Auch die Auflösung des Nationalrats mit darauf folgenden Neuwahlen in kurzer Frist, zählte zu seinen Befugnissen. In einer von der SDAP initiierten „Volksadresse“ (also eine Petition) forderten mehr als eine Million Menschen Miklas dazu auf, für eine unmittelbare Wiedereinberufung des Nationalrats Sorge zu tragen. Der Verband der sozialdemokratischen Abgeordneten und Bundesräte schrieb: „Es bedarf sicherlich keiner Erinnerung an den Eid auf die Verfassung, den Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, bei der Uebernahme Ihres hohen Amtes vor der Bundesversammlung abgelegt haben, um Sie zu bitten, die unzweifelhafte Pflicht zu erfüllen […]“

Ohne Widerstand durch den Bundespräsidenten, einer durch die bisherigen Maßnahmen bereits stark geschwächten Opposition und ohne freie Medienöffentlichkeit ging die Dollfuß-Regierung ihren Weg in Richtung Diktatur weiter. Es folgten die Verbote von KPÖ und NSDAP, zwei Parteiverbote, allerdings nur auf den ersten Blick gleichartig. Während die KPÖ bereits am 26. Mai 1933 aus ideologischen Gründen verboten wurde, zögerte die Regierung bei der NSDAP länger, obwohl diese seit Beginn der NS-Herrschaft in Deutschland verstärkt auf Terroranschläge setzte. Das änderte sich erst nach der massiven Terrorwelle im Juni 1933: Am 12. Juni töteten die Nationalsozialisten Josef Krcil und Hans Thayer den jüdischen Juwelier Samuel Futterweit in der Meidlinger Hauptstraße in Wien durch eine Bombe. Am 19 Juni schließlich wurden bei einem Handgranatenattentat auf eine Gruppe Hilfspolizisten in Krems 31 Männer verletzt, einer starb. Am Abend dieses Tages beschloss die Regierung schließlich das Verbot der NSDAP in Österreich.

Diese mehrteilige Serie basiert auf dem Beitrag „Der Weg in den Februar“ aus dem soeben erschienenen Buch „Austrofaschismus und Februarkämpfe“ (Böhlau Verlag), herausgegeben vom „Bündnis 12. Februar“. Neben dem einführenden Text von Bernhard Hachleitner und Werner Michael Schwarz versammelt der Band Beiträge von 19 Autor:innen zu historischen, politikwissenschaftlichen, juristischen und kulturellen Aspekten.

Ein Standardwerk zum Thema ist die Begleitpublikation zur Ausstellung Die Zerstörung der Demokratie. Österreich, März 1933 bis Februar 1934, die von Bernhard Hachleitner, Alfred Pfoser, Katharina Prager und Werner Michael Schwarz herausgegeben wurde (Residenz Verlag) und digital hier frei downzuloaden ist. 

Einen Auszug aus dem einführenden Text gibt es im Wien Museum Magazin.

Quellen


Göttlicher, Wilfried: „Forträumung des Revolutionsschuttes auch im Unterrichtsministerium“: die Aufhebung des Glöckel-Erlasses, in: Hachleitner/Pfoser/Prager/Schwarz, 2023, S. 106–109
Kastner, Georg: Das Verbot der NSDAP, in: Hachleitner/Pfoser/Prager/Schwarz, 2023, S. 178–181.
Klausinger, Hansjörg: Von Mises zu Morgenstern. Der Austroliberalismus und der „Ständestaat“, in: Zeitgeschichte 32/5 (2005), S. 323–335, hier S. 325.
Olechowski, Thomas: Die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs 1933, in: Hachleitner/Pfoser/Prager/Schwarz, 2023, S. 156–159.
Spitaler, Georg: „Im gegenwärtigen Zeitpunkte dringend notwendig“: Etappen zur Auflösung des Freidenkerbundes, in: Hachleitner/Pfoser/Prager/Schwarz, 2023, S. 172–177.
Vana, Irina: Austrofaschistische Arbeitslosenpolitik, in: Hachleitner/Pfoser/Prager/Schwarz, 2023, S. 110–113.

BGBl 138/1933, in BGBl 1933, S. 447f, hier S. 447.
BGBl 172/1933, in: BGBl 1933, S. 499.
BGBl. 191/1933, in: BGBl 1933, S. 517.

Ministerratsprotokoll 868 vom 21. April 1933, in: Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik, Kabinett Dollfuß, Bd. 3, 1983, S. 200.
Ministerratsprotokoll Nr. 884 vom 19. Juni 1933, in: Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik, Kabinett Dollfuß, Bd. 4, 1984, S. 21–43.

Arbeiter-Zeitung bzw. Reichspost, 2. Mai 1933
Arbeiter-Zeitung, 28. Oktober 1933
Der Abend, 2. Mai 1933
Die Rote Fahne, 3. Mai 1933, S. 1f.
Reichspost, 2. Mai 1933
Reichspost, 11. Mai 1933

Bernhard Hachleitner, Historiker und Kurator, Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Wien, Dissertation über das Wiener Praterstadion. Mitarbeit an Projekten, u. a. in der Wienbibliothek im Rathaus, im Wien Museum, im Haus der Geschichte Osterreich, der Universität Wien und der Universität für angewandte Kunst Wien; zahlreiche Veröffentlichungen und Ausstellungen zu Themen aus den Bereichen Populärkultur, Stadt- und Zeitgeschichte.

Werner Michael Schwarz, Historiker, Kurator am Wien Museum, Schwerpunkt Stadt-, Medien- und Filmgeschichte, u.a. „Das Rote Wien“ (2019) und Pratermuseum (2024).

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