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Peter Stuiber, 18.10.2023

Zum 100. Geburtstag der Schriftstellerin Ilse Helbich

Ein Jahrhundert: und mehr

Schon ihr literarisches Debüt im Jahr 2003 sorgte für Aufmerksamkeit – da war Ilse Helbich achtzig Jahre alt. Dass sie seitdem ein Dutzend weiterer Bücher veröffentlicht hat, ist ein Glücksfall sondergleichen. Ein Blumengruß zum 100. Geburtstag der Wiener Schriftstellerin.

„Wie das Leben so spielt“: So heißt Ilse Helbichs jüngster Prosaband, der soeben erschienen ist. Der Titel könnte stellvertretend für ihr gesamtes Werk stehen. Immer geht es darin um die „Essenz“ des Lebens, um die Verdichtung von Gegenwart und Vergangenheit. Zugleich ist es das Spielerische, diese scheinbar schwerelose Balance zwischen den dunklen und den helleren Seiten des Lebens, die Helbich eine treue Leser:innenschaft und große Anerkennung im deutschen Feuilleton gebracht hat.

Am 22. Oktober 1923 geboren, wurde Ilse Helbich vom großbürgerlichen Milieu der Eltern geprägt. In ihren autobiografischen Werken (allen voran im Debütroman „Schwalbenschrift“) steht die Sieveringer Villa für jene Sicherheit und das Grundvertrauen, das sie seither begleitet und das auch ihre Literatur prägt (wobei traumatische Erfahrungen und andere existenziellen Prüfungen darin keinesfalls ausgeblendet werden!). 

Im Interview mit dem Wien Museum Magazin meinte Helbich, dass sie mehrere Leben habe. Als fünffache Mutter und Gattin eines Karrieremannes (Franz Helbich war erfolgreicher Wirtschaftsjurist und u.a. als Generalsekretär der Industriellenvereinigung tätig) musste sie lange ihre berufliche Karriere hintanstellen, und das, obwohl die gelernte Buchhändlerin und promovierte Germanistin gut vernetzt war. Sie repräsentierte und „funktionierte“, versuchte sich zugleich mit Ironie dem vorgegebenen Frauen-Rollenbild zu entziehen, schrieb ab den 1970er Jahren eine Kolumne für Die Presse, forschte zu Ludwig Wittgenstein, begann für die Radiosendung Diagonal zu arbeiten, wo sie Wolfgang Kos kennenlernte, den späteren Direktor des Wien Museums. Er habe sie nachdrücklich (und nachhaltig!) dazu aufgefordert, ihr Erlebtes niederzuschreiben – was zwar schon davor fallweise geschehen war, aber noch ohne damit eine konkrete Öffentlichkeit im Fokus zu haben.

Ilse Helbich hat schon lange geschrieben, bevor sie in höherem Alter alles auf die literarische Karte setzte. Zwei große biografische Einschnitte hatte sie da schon hinter sich: Die Scheidung von ihrem Mann (ein Riesenschritt nach jahrzehntelanger Ehe!) sowie der Erwerb eines alten Hauses in Schönberg am Kamp, dessen Renovierung sie in dem Buch Das Haus beschrieben hat. Mit Anfang sechzig als Frau allein in ein Haus aufs Land ziehen? Ihre Entscheidungen haben fallweise für Kopfschütteln gesorgt, aber sie waren offenbar die richtigen.

An dieser Stelle einen Überblick über die Bandbreite von Helbichs Werk (von Gedichten über Erzählungen bis hin zur essayistisch-autobiografischen Kurzprosa) zu geben, wäre ein maßloses Unterfangen. Zwei Aspekte seien hier nur herausgegriffen. Helbich hat erstens nicht nur mit ihrer Biografie als (vermeintlich) „Spätberufene“ ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschsprachigen Literatur. Ihre Auseinandersetzung mit dem Alltag in fortgeschrittenem Alter, die Nähe zum Tod, die kontinuierliche Neugierde am Leben bei gleichzeitigem Herausfallen aus dem Rhythmus der anderen ist poetische Pionierarbeit: Wo hat man Vergleichbares in dieser Präzision, Offenheit und Reflektiertheit schon lesen können? Von der Ruhe, mit der diese Bücher auftreten, darf man sich allerdings nicht täuschen lassen: Immer wieder blitzt die Verzweiflung auf: „Ich habe meine Gelassenheit verloren, bin ausgeliefert, werde überschwemmt von Gefühlsströmen, für die ich keine Namen habe“, notiert die Schriftstellerin in dem Buch Schmelzungen (2015). Das Abwägen, das Befragen von Damals und Jetzt, die Unsicherheit im allzu eindeutigen Urteil, die erfahrungsgetränkte Fragilität: Gerade das sind die Stärken von Helbichs Literatur. 

Der zweite Aspekt, weil für uns historisch besonders interessant: Helbichs Buch Vineta. Darin beschreibt sie in kurzen Rückblenden den Alltag und verschiedene Erlebnisse im Wien der Zwischenkriegszeit. Im Unterschied zur üblichen Erinnerungsliteratur gelingt der Schriftstellerin mit dem Band eine nostalgiefreie, klare und zugleich herzenswarme Vergegenwärtigung einer Welt im Umbruch. Als sie vom Wien Museum gefragt wurde, ob Texte daraus in Kombination mit alten Fotografien aus der Museumssammlung im Magazin veröffentlicht werden dürfen, hat sie spontan zugesagt – und war begeistert von den jeweiligen Bildquellen, die zu „ihren“ Themen gefunden wurden. „Dadurch, dass ich später aufs Land gezogen bin, hat Wien für mich eine Gestalt angenommen, aus der Entfernung“, so Helbich im Interview. „Wenn ich in Wien geblieben wäre, hätte ich vielleicht ´Vineta` nicht geschrieben.“

Ihre spirituellen Reflexionen, ihre emanzipatorischen Leitgedanken, ihre Liebe zu Gärten und zur Natur, ihre Lust an der Beobachtung von Menschen und am Erzählen ihrer Verstrickungen, ihre Beschäftigung mit Wittgenstein und mit der Welt der Musik: All das ist in Ilse Helbichs Werk zu entdecken. Es sei ihr dafür hundertfach gedankt und herzlich zum runden Geburtstag gratuliert – mit einem Blumenbild aus der Sammlung des Museums!

Hinweis:

Ilse Helbichs Bücher sind im Droschl Verlag erschienen, ihr Debütroman „Schwalbenschrift“ im Libelle Verlag. Ilse Helbichs soeben erschienenes Buch „Wie das Leben so spielt“ wird am 16. November ist der Österreichischen Gesellschaft für Literatur präsentiert. Von Ilse Helbich sind einige Texte im Wien Museum Magazin erschienen. Ein Interview mit der Schriftstellerin ist hier zu lesen. In der Literaturedition Niederösterreich ist ein Band mit Texten von und über Ilse Helbich erschienen:  „Ich möchte noch einmal irgendwo fremd sein“. Ilse Helbich. Schreiben im Gegenwartszustand (Hg. Helmut Neundlinger und Fermin Suter). 

Anlässlich ihres 100. Geburtstages wurde Ilse Helbich von Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler eine Anerkennungsgabe der Stadt Wien in Würdigung der großen Leistungen im Bereich der Literatur überreicht. 

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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