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Ilse Helbichs Wien der Zwischenkriegszeit – Teil 6
Stadtmusiken
Das Wien der 30er Jahre ist ein stiller Ort. Es liegt noch nicht unter dem ständigen auf- und abschwellenden Rauschen des Verkehrslärms, das in allen Tages- und Nachtstunden sich über alle Straßen und Häuser breitet und bis in die fernsten Parkwinkel dringt.
Die wenigen Autos, die es gibt, machen sich nur mit Einzelgeräuschen bemerkbar; der Hufschlag der Pferde, das Räderrollen auf dem Kopfsteinpflaster sind nur leise vernehmbar.
So treten die lauten Rufe der verschiedenen Handelsleute um so stärker hervor; der Kaufruf der Lavendelfrauen in ihren altmodischen, langen Röcken sind nur am Graben und in dessen Nebengassen zu hören:
„Kaufts an Lavendel, 10 Groschen a Büscherl Lavendel, an Lavendel hamma da, kaufts earn uns a!“
In der Vorstadt ist es anders. Durch die Morgenstille tönt von vielen Seiten das Geräusch der Teppichklopfer.
Da haben die Hausfrauen ihre meist schleissigen Teppiche, die anderen ihre „Perser“ über die in jedem Hof vorhandenen Klopfstangen gebreitet, auf denen die Kinder untertags sonst ihre Turnübungen machen.
Der Lauschende an seinem Schlafzimmerfenster glaubt an dem Schlag, an dessen Stärke und dessen Rhythmus, auseinander halten zu können, ob da die Hausmeisterin am Werke ist oder das Dienstmädchen der Frau Hofrat.
Der Teppichklopfer selbst hat eine faszinierende Form. Er besteht aus geflochtenen Weidenzweigen, die als Stiel zu einem Art Zopf geflochten sind; die Schlagfläche jedoch besteht aus kunstvoll ineinander gefügten kreisförmigen Ornamenten, die etwas Morgenländisches haben.
Leider hat der Teppichpracker jedoch noch eine andere Funktion. Wenn ein Kind schlimm ist, wird die Mutter sagen:“ Wart’ nur, bis abends der Vater heimkommt, dann kriegst du deine Hiebe!“
Der Eismann vor seinem Gefrorenes-Karren läutet hell seine Glocke, dann stürzen die Kinder aus den Wohnungen mit ihren 10 Groschen Stücken ihm nach.
Manchmal ertönt laut der Ruf des Trödlers, der mit seinem kleinen Wagen, vor dem ein klappriges Pferd gespannt ist, die Gassen auf- und abfährt. Sein Rufen ist eine Art Gesang: „Der Fetzenmann ist da! Alte Fetzen, Flaschen, Kellerkram, Bodenkram, alte Zeitungen, i nehm’ alles!“.
Und tatsächlich türmt sich schon Gerümpel aller Art auf seinem Karren; zwischen staubigen Flaschen erkennt das Mädchen eine Küchenwaage mit glänzenden Messingschalen
Der Scherenschleifer geht mit seinem kleinen fahrbaren Gerät von einem Innenhof zum anderen und verkündet, dass er nicht nur Scheren sondern auch Messer zu schleifen bereit ist. Und in eben diesen Innenhöfen veranstalten dann und wann Straßenmusikanten ein kleines Konzert, dann werden ihnen aus den offenen Küchenfenstern kleine Münzen zugeworfen.
Und es gibt die Sondergeräusche der einzelnen Jahreszeiten: In den Kartagen, der Lärm der Osterratschen, und gleich darauf, wenn es Mai und dann Juni geworden ist, und alle Zimmerfenster offen stehen, dringen aus den unsichtbaren Innenräumen immer wieder die Klänge eines Klaviers; dort drinnen ist ein Kind bei seinen Fingerübungen, die es immer wieder von vorn spielt und immer an derselben Stelle daneben greift.
Und wenn das Mädchen weitergeht, fliesst aus einem anderen Fenster eine traurige und gleichzeitig sehr süße Melodie und verschmilzt mit dem Fliederduft.
Auf der nahen Kreuzung baut sich an jedem Donnerstag um drei Uhr ein Werkelmann mit seinem Instrument auf. Er dreht die Kurbel und es ertönen immer wieder die gleichen vier Musikstücke. Die Zuhörerin erkennt gerade noch den Radetzky Marsch und die „Rosen aus dem Süden“, jedoch der Werkelmann hat seinen eigenen Rhythmus und es bleiben nur die einzelnen Orgeltöne; die steigen hoch bis unter die blaue Himmelskuppe und stehen dort, als wären sie immer da gewesen und als würden sie immer bleiben.
Der Text stammt aus dem Buch „Vineta“ von Ilse Helbich, das 2013 im Literaturverlag Droschl erschienen ist. Wir danken der Autorin und dem Verlag für die Publikationsgenehmigung. Fünf weitere Texte daraus sind bereits erschienen: Eislaufplatz, Gassenbuben, Waschtag, Eismann und Spucknapf, Zigarrenrauch.
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Liebe Frau Gabriel, vielen Dank für Ihre nette Rückmeldung! Es freut uns sehr, dass Ihnen unsere Magazin-Beiträge gefallen - wir werden Sie gerne auch weiterhin per Newsletter über Neues informieren! Herzliche Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)
Die Geschichten Die das Wienmuseum online schaltet, sind durchwegs sehr interessant.
Wenn man schon älter ist dann erinnert man sich gut an frühere Zeiten. Ich lese saie immer gerne in dem Newsletter. Ich freu mich immer über neue Geschichten. Danke
LG T.Gabriel